Die Pfalz. Probleme einer Begriffsgeschichte vom Kaiserpalast auf dem Palatin bis zum heutigen Regierungsbezirk. Referate und Aussprachen der Arbeitstagung vom 4.-6. Oktober in St. Martin/Pfalz. Hrsg. von Franz Staab (= Veröffentlichung der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer Bd. 81). Speyer: Verlag der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 1990. 255 S. mit Abb.

Der Sammelband versammelt folgende Beiträge (jeweils mit Diskussion): Helmut Castritius, Palatium. Vom Haus des Augustus auf dem Palatin zum jeweiligen Aufenthaltsort des römischen Kaisers (S. 9-47); Franz Staab, Palatium in der Merowingerzeit. Tradition und Entwicklung (S. 49-69); Thomas Zotz, Palatium publicum, nostrum, regium. Bemerkungen zur Königspfalz in der Karolingerzeit (S. 71-101); Gerhard Streich, Palatium als Ordnungsbegriff und Ehrentitel für die Urkundungsorte der deutschen Könige und Kaiser im Hochmittelalter (S. 103-129); Wolfgang Haubrichs, Zur Wort- und Namensgeschichte eines romanischen Lehnworts: lat. 'palatium', dt. 'Pfalz' (S. 131-157); Karl-Heinz Spieß, Erbteilung, dynastische Räson und transpersonale Herrschaftsvorstellung. Die Pfalzgrafen bei Rhein und die Pfalz im späten Mittelalter (S. 159-183); Peter Fuchs, Die kurpfälzische Akademie und die Grundlagen der rheinischen Pfalz (S. 185-209); Hans Fenske, Rheinkreis-Pfalz-Westmark. Über den Namen der Pfalz und das Selbstverständnis ihrer Bewohner im 19. und 20. Jahrhundert (S. 211-231).

Eine wahrhaft interdisziplinäre Sammlung! Versucht man nach Forschungsschwerpunkten und disziplinären Ansätzen zu gruppieren, so kommt man etwa auf folgende Reihe: Antike Geschichte und Archäologie (Castritius), Kontinuität der Antike (Staab, Haubrichs), Pfalzen- bzw. Residenzenforschung (Zotz, Streich), Sprachgeschichte und Namenkunde (Haubrichs), Spätmittelalterliche Landesgeschichte der Pfalz und Geschichte der politischen Ideen (Spieß), Regionalbewußtsein (Fuchs, Fenkse). Zwischen den ersten fünf Beiträgen, die sich mit der Bedeutungsgeschichte von Palatium beschäftigen, und den drei letzten Beiträgen, die den Vorstellungen über die Pfalzgrafschaft bei Rhein als Territorium und/oder historische Region gelten, klafft unverkennbar eine Lücke, die am ehesten Meinrad Schaab hätte schließen können. Wer Näheres über die "Territorialisierung" des Palatium-Begriffes durch die lothringisch-rheinische Pfalzgrafschaft im hohen Mittelalter wissen will, muß zu dessen Geschichte der Kurpfalz greifen. Die einzelnen Aufsätze sind ohne jeden Zweifel allesamt ausgezeichnete Forschungsbeiträge zu den jeweiligen Spezialthemen, doch fehlt leider eine Zusammenfassung, die das von den Autoren Erarbeitete in den Rahmen der Bedeutungsgeschichte des Begriffs "Pfalz" zu stellen gehabt hätte.

Zum Zusammenhang des Pfalz-Begriffs mit der Gerichtsverfassung (S. 67, 153 ff.) könnte man auch auf spätmittelalterliche Belege verweisen, auf die Hans Jänichen aufmerksam gemacht hat (in: Bodman Bd. 1, 1977, S. 309-316; vgl. auch Hansmartin Decker-Hauff, in: Die Pfalzgrafen von Tübingen, 1981, S. 71-77). Auch das Wappenbild der Tübinger Pfalzgrafenfahne hieß im Spätmittelalter "Pfalz" (vgl. auch Walther P. Liesching, ZWLG 48, 1989, S. 72). In Lautern heißt 1518 ein Gerichtsplatz "pfalczblacz" (Heubach und die Burg Rosenstein, 1984, S. 82).

Besonders hingewiesen sei hier auf die drei Beiträge zur historischen Region "Pfalz". Mit dem Verhältnis von Dynastie und Land beschäftigt sich Spieß, wobei er unter anderem eine ausführliche Zusammenfassung der nicht in einem modernen Druck vorliegenden sogenannten Rupertinischen Konstitution vom 13.7.1395 gibt. Wenn er resümiert: "Transpersonale Herrschaftsvorstellungen führen zu der Anschauung von der Pfalz als einer eigenständigen Größe, die von den Pfalzgrafen fürsorglich zu regieren ist", so ist das ausschließlich aus dynastischer Perspektive formuliert und die Frage bleibt unbeantwortet, ob dabei nicht auch das genossenschaftliche Konzept "Land" und ständische Kräfte eine wichtige Rolle gespielt haben. Die weitere Entwicklung eines pfälzischen "Landesbewußtseins" bis zur Gründung der Mannheimer kurpfälzischen Akademie 1763 wird von keinem Beitrag behandelt. Fuchs widmet sich der pfälzischen Landesgeschichtsforschung an dieser gelehrten Institution und insbesondere der patriotisch motivierten Rückprojektion der pfälzischen Herrschaft in ein vermeintlich im Früh- und Hochmittelalter existierendes Herzogtum Rheinfranken bzw. "Rheinisches Franzien". Den Namen des linkrheinischen Bayern (1817: "Rheinkreis", seit 1838 durch königliche Verordnung "Pfalz") und die chauvinistische Bezeichnung "Westmark" (1940-1945) sowie das Selbstverständnis der linksrheinischen "Pfälzer" behandelt Fenske. Alle drei Beiträge beleuchten das Problem "Regionalismus", die Spannung zwischen Staatsgebiet und regionaler Identität, in anregender Weise.

Verzeichnisse der Orte und Personen sowie der zitierten Handschriften beschließen den gehaltvollen Band.

Klaus Graf

Druckfassung erschienen in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 140 (1992), S. 468-469