Reinhard Mürle, Euphemia. Die englische Königstochter im Pforzheimer Frauenkloster. Legende und Wirklichkeit. Ein Beitrag zur Klostergeschichte Pforzheims im Mittelalter. Konstanz: Labhard Verlag 1993. 128 S., Abb.

Was hat es mit jener Euphemia alias Gertrud von Köln auf sich, die - nach dem "Lexikon der deutschen Heiligen" von Jakob Torsy (1959, Sp. 149) - eine englische Königstochter gewesen und im Pforzheimer Dominikanerinnenkloster 1367 gestorben sein soll? Immerhin birgt das ehemalige Dominikanerinnenkloster Kirchberg bei Sulz noch heute ein barockes Kopfreliquiar Euphemias. Engagiert folgt der Leiter des Pforzheimer Kepler-Gymnasiums den Spuren dieser rätselhaften Frau, die bereits den Hechinger Heimatforscher Fritz Staudacher zu ausgedehnten Recherchen motiviert hat. Mürle stützt sich weitgehend auf Staudachers Nachlaß (in Privatbesitz). Das gefällig aufgemachte Bändchen bietet eine wertvolle populärwissenschaftliche Darstellung der Probleme rund um "Euphemia". Mürle informiert kurz über die Geschichte des Pforzheimer Dominikanerinnenklosters, versucht die Überlieferungsgeschichte der Euphemia-Legende zu rekonstruieren und fragt nach dem möglichen "historischen Kern" der frommen Erzählung. Instruktiv ist der Anhang mit neun Texten zur Rezeptionsgeschichte der Euphemia-Legende (bis hin zu modernem "Sagenkitsch").

Mürles Arbeit macht deutlich, daß sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Euphemia-Legende lohnt, handelt es sich doch um ein überaus aufschlußreiches Zeugnis zur Geschichte der Spiritualität, um "Hausliteratur" eines wichtigen spätmittelalterlichen Frauenkonvents. Leider ist in den wenigen erhaltenen Codices (bei S. Krämer, Handschriftenerbe II, 1989, S. 659) aus dem Besitz der observanten Pforzheimer Dominikanerinnen keine mittelalterliche Fassung erhalten geblieben. Für eine Rekonstruktion des Textes stehen nur zwei problematische frühneuzeitliche Bearbeitungen zur Verfügung. Der Dominikaner Friedrich Steill nahm einen Text über Euphemia in seinen 1699 erschienenen Heiligen-Kalender "Ephemerides Dominicano-Sacrae" (S. 225-238) auf. Mürle gibt den gesamten Abschnitt in modernem Deutsch wieder (S. 32-60). Da er die Quellenangaben Steills wegläßt, kann ein falscher Eindruck über den Charakter dieses Überlieferungszeugen entstehen. Steill hat seine Vorlage nämlich durch eigene gelehrte Zutaten (etwa zur Genealogie Euphemias), eventuell auch durch erbauliche Details, angereichert, weshalb die Steillsche Version nicht ohne weiteres als Wortlaut einer im 15. oder am Anfang des 16. Jahrhunderts entstandenen Euphemia-Legende betrachtet werden darf. Bedauerlicherweise ist die zweite (lateinische) Bearbeitung im Werk des Jesuiten Philipp Fehnle unvollständig. Mürle hat aber nur die Handschrift GLA 65/10 herangezogen (zur Überlieferung vgl. Michael Klein, ZWLG 1981, S. 156). Ein sorgsamer Vergleich beider Redaktionen könnte die Grundlage für eine frömmigkeitsgeschichtliche Einordnung der zu erschließenden deutschen Euphemia-Legende sein. Was Mürle über die Vorlagen der beiden Autoren des 17. Jahrhunderts schreibt, überzeugt nicht. Für die Annahme eines verlorenen Schwesternbuchs, das ihnen vorgelegen haben soll, fehlen jegliche Anhaltspunkte.

Euphemia, Tochter des englischen Königs Edward, flieht vor der Heirat mit einem Herzog von Geldern zunächst nach Köln, wo sie als Spitalmagd dient, und später nach Pforzheim. Als Laienschwester stirbt sie nach einem vorbildlich demütigen Leben im Dominikanerinnenkloster. Eine genaue Analyse der hagiographischen Motive der Erzählung dürfte ihre Nähe zu gängigen Heiligenlegenden (z.B. Euphrosyne-Legende) erweisen. Mystische Erfahrungen, das Hauptthema der von Mürle erwähnten Nonnenviten des 14. Jahrhunderts, werden von Euphemia nicht berichtet. Als historische Persönlichkeit ist Euphemia nicht faßbar - daß sie tatsächlich eine Tochter König Edwards III. gewesen ist, kann ausgeschlossen werden (so auch Mürle, S. 84). Sicher ist nur, daß man am Ende des Mittelalters in Pforzheim ihr (Hoch-)Grab zeigte, denn der Wiener "reisende Historiker" Ladislaus Sunthaim berichtet in seiner Beschreibung Oberdeutschlands, im Pforzheimer Magdalenenkloster liege "Eusemia ain Kunigin von Enngllandt" begraben (Karsten Uhde, Ladislaus Sunthayms geographisches Werk, II, 1993, S. 335).

Klaus Graf

Druckfassung erschienen in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 142 (1994), S. 556