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Ulrike Steierwald
Was ist ein Autor? - Zur Präsentation deutschsprachigerSchriftsteller im Internet

Erwartungen

"Was ist ein Autor?".1) Die Frage ist zwar nicht neu, läßt sich aber im Rahmen einer Kritik von Internetquellen zu deutschsprachigen Autoren nicht umgehen. In der folgenden exemplarischen Erkundung einzelner Internetressourcen soll der Informationsbedarf heutiger Germanistik zum Maßstab gemacht werden. Unabhängig von den unterschiedlichen methodischen Voraussetzungen der jeweiligen literaturwissenschaftlichen Arbeit, haben biographisch orientierte Literaturexegesen momentan geringe Konjunktur. Die Erwartung, handliche Informationspakete in biographischen Einheiten über das Netz abzurufen, um sie dann mit dem literarischen Text zu verschnüren, ist nicht weit verbreitet. Der Weg zum Regal und ein Blick in die für die Tradition der germanistischen Wissenschaft so wichtigen biographischen Nachschlagewerke erscheint hier immer noch effektiver und schneller. Dagegen läßt das Internet zunächst auf eine Recherche hoffen, deren Ergebnis eine komplexe aber transparente Hypertextstruktur anbietet, in der sich ein vernetztes Feld unterschiedlicher Informationsebenen öffnet. Dieses Netz aus Verweisungen hat eine zentrifugale Wirkung: Links bieten der Lektüre einen unabschließbaren "Text in Bewegung" an,2) der zahlreiche Quellen (Digitalisate, Volltexte, Bibliographien), Kontexte und Medien (Text, Ton, Bild), bereithält. Die Internetrecherche steht damit nicht in Widerspruch zum Begriff des "Autors", sondern zu den traditionellen Konstruktionen einer abgeschlossenen Biographie und könnte somit Antworten auf die veränderten wissenschaftlichen Fragestellungen bieten.

Aus dieser Erwartungshaltung lassen sich erste Bewertungskriterien für die vorzustellenden Autorenseiten entwickeln. Handelt es sich tatsächlich um komplexe Hypertextstrukturen und wieviele informative Ebenen werden erreicht? Wie ist die Verweisungsstruktur innerhalb der Seiten angelegt? Inwieweit wird das Versprechen auf Intertextualität eingelöst, d.h. wo sind Links zu anderen, unvorhersehbaren Quellen bzw. Kontexten gegeben? Sind die multimedialen Möglichkeiten, die sich gerade vom Angebot der traditionellen, gedruckten Nachschlagewerken unterscheiden, ausgeschöpft? Bieten die Seiten tatsächlich Interaktivität, d.h. werden die Leser zu Ergänzungen, Kommentaren und Diskussionsforen eingeladen, so daß ein Teil der wissenschaftlichen Kommunikation im Internet nicht nur abgebildet sondern auch fortgeschrieben werden kann? Und schließlich: Bei aller Begeisterung über den "unendlichen Hypertext" darf gefragt werden, ob noch eine logische Kohärenz der Verweisungen zu erkennen ist und ob Hilfestellungen angeboten werden, die - trotz komplexer Vielschichtigkeit - noch ein faßbares Ergebnis der Lektüre ermöglichen.

So weit zu den Erwartungen. Die Praxis ist eher ernüchternd. Die hier punktuell vorzustellenden Autorenseiten sind von unterschiedlicher Herkunft und nicht alle auf die Zielgruppe der Germanisten ausgerichtet. Dennoch möchte ich wenigstens ein paar Beispiele für die jeweiligen Urheber skizzieren, da das Internet ja als institutionell ungebundenes Medium für neue, unkonventionelle Quellen offen ist und damit eventuell die alten Strukturen der institutionalisierten Wissenschaft konstruktiv in Frage stellen könnte. Die Skizzen der folgenden Adressen haben nicht den Anspruch, neue unentdeckte Ressourcen ausfindig zu machen oder eine abgerundete Liste ergiebiger Quellen zusammenzustellen. Diese Aufgabe erfüllen die Fachinformationsseiten zur Germanistik aus Berlin, Konstanz und Erlangen-Nürnberg3) und andere. Auch die generelle Recherche nach Autoren im Internet, die zu Einträgen in Lexika, Bibliographien, Volltexten oder Einzelbeiträgen diverser Anbieter führt, war nicht Ziel der Besprechung. Es geht vielmehr um personenbezogene Seiten, die unter der biographischen Konstruktion eines Autorennamens die Vielschichtigkeit dieser Quellen zusammenführen bzw. öffnen und so - im Idealfall - zu informativen Knotenpunkten im Netz werden könnten.

Literarische Gesellschaften

Im heutigen Angebot personenbezogener Seiten fällt zunächst die überdurchschnittliche Präsenz literarischer Gesellschaften auf. Dies kann kaum überraschen, da sich hier jenseits der methodischen Vorüberlegung zu wissenschaftlichen Fragestellungen Wissenschaftler und "Laien" in ihrem Interesse an einem Autor treffen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind sie ein tragender Bestandteil des germanistischen Wissenschaftsbetriebes und haben nicht unerheblich zur Entwicklung und Kontinuität einer auktorial orientierten Literaturwissenschaft beigetragen. Als Vereine sind sie auf eine öffentliche Wirksamkeit ausgerichtet und haben daher eine Art Pionierrolle im Angebot des breit wirksamen Mediums Internet entwickelt. Einige von ihnen könnten beispielgebend für die sich offensichtlich noch in der Ruhe staatlicher Institutionalisierung befindlichen öffentlichen Einrichtungen - für Archive, Bibliotheken und Institute - sein. Zielgruppe und Qualität dieser Seiten sind allerdings sehr heterogen. Sie reichen von Selbstdarstellungen und Mitgliederwerbung bis zu komplexen Hypertextstrukturen, die unterschiedliche Quellenebenen und Medien miteinander verknüpfen und damit dem Ideal eines virtuellen, für umfangreiche Kontexte offenen Autorenarchivs nahekommen.

In der Mitgliederliste der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften (ALG)4) sind z. Zt. 13 von 119 aufrufbar (bei einigen nur E-Mail-Adressen, bei den meisten Homepages). Jüngere, international ausgerichtete Gesellschaften wie die Internationale Novalisgesellschaft oder die Internationale Lenau-Gesellschaft geben Beispiele für gut gemachte Werbeseiten, die allerdings kaum Informationen zu ihren Autoren bieten, - sieht man von ein paar Abbildungen und Lebensdaten ab.

Einen kleinen Schritt weiter geht die Else Lasker-Schüler Gesellschaft, die neben ihrer Selbstdarstellung einen Stadtrundgang durch Wuppertal anbietet, auf dem man z.B. Abbildungen des Geburtshauses, des Else Lasker-Schüler-Archivs an der Stadtbibliothek oder der Grabstätte der Familie Schüler auf dem jüdischen Friedhof aufschlagen kann. Der Weg durch Wuppertal ist auf einem in jeder Seite aufzurufenden Stadtplan zu verfolgen, der allerdings keine Links zu den entsprechenden Einträgen anbietet. Eine mediale Qualität, die über einen gedruckten Bildband hinausginge, ist nicht zu erkennen. Eine "kurze Biographie" bildet lediglich den Ausschnitt aus einer Monographie "Berühmte und berüchtigte Wuppertaler", ohne Hypertext. Die Seite ist offensichtlich Teil der regionalen Stadtinformation. Eine Zusammenarbeit mit dem Else Lasker-Schüler Archiv ist nicht erkennbar. Hier wäre m. E. die Chance gegeben, weitere Medien und Verweisungen einzubinden und die Seite zu einer wirklichen Autorenpage zu machen.

Exemplarisch für das Engagement einer neuen, kleinen Gesellschaft ist die Seite der Friedrich Glauser-Gesellschaft. Im Frühjahr 1995 von zwei über Glauser graduierten Studentinnen gegründet, zählt diese Gesellschaft rund 30 Mitglieder. Die graphische Gestaltung der Seite läßt auf die Beteiligung einer Agentur schließen und hebt sich sehr positiv von den selbstgestrickten Improvisationen anderer Autorenpages ab, die inhaltlich durchaus mehr leisten. Der Veranstaltungskalender ist aktuell, Biographie, Auswahlbibliographie, Presseschau sind informative Einstiegshilfen, öffnen aber weder ein seitenimmanentes oder gar externes Verweisungssystem noch multimediale Angebote. Die unter dem Begriff "litera-net" abgelegten Links listen allgemeine literaturwissenschaftlich relevante Internetadressen auf und haben zum Thema "Friedrich Glauser" kaum noch inhaltliche Anbindung.

Spezifische Internetqualitäten gewinnt dagegen die Homepage der 1986 gegründeten Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser (GASL). Der etwa 200 Mitglieder zählende Verein nutzt die Seite für Ankündigungen seiner Jahrestagungen, für Mitteilungen, Veröffentlichungslisten und Veranstaltungshinweise. Leider ist das Jahrbuch der Gesellschaft und die Zeitschrift "Schauerfeld" nicht im Volltext verfügbar. Urheberrechtliche Gründe haben vermutlich zum Verzicht auf ein elektronisches Angebot von Textausgaben oder Werkausschnitten geführt. Dieses Manko weist auf ein grundsätzliches Problem autorenbezogener Seiten hin. In Zukunft werden virtuelle Autorenarchive nur in Kooperation mit den Verlagen gestaltet werden können. Sinnvoll wäre eine Verbindung zwischen kostenfreier Information und Volltextzugriffen mit entsprechenden Abrechnungsverfahren. Eine hohe Qualität personenbezogener Information im Internet kann nur gewährleistet sein, wenn die traditionelle Trennung zwischen Werkausgaben und Sekundärinformation in einer Präsenz beider Quellen aufgehoben wird. Die GASL muß sich zunächst mit einer Aufzählung der "bekanntesten Werke" und einer kleinen Zitatensammlung begnügen. Neben einer Kurzbiographie wird eine ausführliche "Vita" Arno Schmidts angeboten, - jedoch ohne Hypertext. Das sogenannte Foto-Album geht zwar über die üblichen Bebilderungen und Illustrationen anderer Autorenpages hinaus, kann aber noch nicht als Fotoarchiv bezeichnet werden. Mit einem sehr fragmentarischen Ausschnitt einer Lesung und einem (noch nicht verfügbaren) Videoclip sind erste Ansätze multimedialer Präsentation gegeben. Die gerade für das Werk Arno Schmidt wichtige Intertextualität ist durch Links zu anderen Autoren, wie z.B. Lewis Carroll, James Joyce oder Jules Verne nur angedeutet. Hier lassen sich neue Darstellungsformen der Intertextualität wünschen, die aber ebenfalls eine Verfügbarkeit der Volltexte zur Voraussetzung haben würden. Sehr informativ und nützlich erscheint die Tauschbörse, auf der per E-Mail Antiquaria geboten und gesucht werden können. Die Eintragungen in Schwarzem Brett und Gästebuch nehmen streckenweise die Qualität eines Diskussionsforums an . Die GASL-Page ist ein gutes Beispiel für eine Autorenseite, die die Qualität einer ersten Information überschreitet. Interaktivität, Multimedialität und insbesondere die Intertextualität sind aber nur ansatzweise vertreten und sollten wesentlich erweitert werden.

Zum Prototyp der gelungenen Internetpräsentation eines Autors hat sich die Seite der Karl-May-Gesellschaft (KMG) entwickelt. Bereits Ulrich Goerdten hat auf seiner Fachinformationsseite auf die "hervorragende" Qualität hingewiesen. Neben Einführungen in sechs verschiedenen Sprachen finden sich ein Fotoarchiv, Sekundärliteratur im Volltext, eine umfassende Bibliographie und umfangreiche Teile des Werkes in Volltextversion. Nicht nur 17 Jahrbücher der KMG und die Materialien zur Karl May-Forschung liegen vor, sondern auch ein Jahrgang der Zeitschrift "horen", ein Kurzbiographie Karl Mays und ein Forschungsbericht aus Beiträgen des Vorsitzenden der KMG, Claus Roxin (München). Alle Volltexte haben Hypertextstruktur, d.h. die Ebenen der Primär- und Sekundärvolltexte sind durch Links verbunden. Die komplexe Textstruktur ist dennoch übersichtlich, da die Arbeitsgruppe für technische Informatik (Technischen Fakultät der Universität Bielefeld), die diese Seite betreibt, eine eigene Suchmaschine anbietet, so daß jederzeit auch punktuell auf die einzelnen Seiten zugegriffen werden kann. Darüber hinaus bietet die Arbeitsgruppe Recherchehilfen an, über die sich Inhaltsverzeichnisse der Volltextangebote öffnen. Hunderte farbige oder schwarzweiß- Abbildungen in guter Qualität, größtenteils den Werkausgaben entnommen, sind abrufbar. Weitere Highlights auf dem Weg der Recherche sind die Seitenkonkordanzen zwischen den beiden zugrundeliegenden Werkausgaben5) und eine digitalisierte Ausgabe des Romans Winnetou. Dieses Angebot führt zum Internetbasierten Informationssystem der Universitätsbibliothek Bielefeld, das hier im Rahmen von IBIS6) die ideale Gleichzeitigkeit von bibliographischem Nachweis, Digitalisat und Register bereits anbieten kann. Links zu externen Seiten, die "Pinnwand" als Diskussionsforum und ein Veranstaltungskalender sind auf der Seite der KMG zu Selbstverständlichkeiten geworden. Die Internetpräsentation dieses Autors ist nicht nur ein Hilfsmittel der Forschung, sondern kann in dieser Qualität selbst zu einem Ort wissenschaftlicher Fortschreibungen werden. Es bleibt zu hoffen, daß diese Seite zu einem Vorbild für die Entwicklung anderer virtueller Autorenarchive wird.

Die wenigen Beispiele sollen genügen, um auf die unterschiedlichen Qualitätsstufen der momentan verfügbaren Autorenseiten Literarischer Gesellschaften hinzuweisen. Auffallend ist, daß die Angebote größtenteils von jüngeren Gesellschaften ausgehen oder Autoren präsentieren, die nicht gerade zum Standardprogramm germanistischer Seminare gehören. Traditionsreiche literarische Gesellschaften, die nicht unerheblich zur Kanonisierung einzelner deutschsprachiger Autoren beigetragen haben, sind offensichtlich von den neuen Möglichkeiten des Internets noch nicht ganz überzeugt. Ob der Verzicht auf eine neue mediale Basis des Informationszeitalters auch zu Verschiebungen in der literaturwissenschaftlichen Kanonbildung führen wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist schon jetzt, daß die Kanonbildung jenseits des literaturwissenschaftlichen Diskurses hier ihren Niederschlag findet.

Germanistik der USA

Sucht man nach Maßstäben für interessante Autorenpages, stellt die Germanistik der USA ein Reservoir informativer Quellen zur Verfügung. An ausgewählten Beispielen lassen sich regelrechte Entstehungsgeschichten dieser Seiten ablesen, da hier bereits erste Traditionen der wissenschaftlichen Internetnutzung zu verfolgen sind. Bekanntlich ist die amerikanische Germanistik in der Rezeption von Autoren des Exils und deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts besonders produktiv, - entsprechend hoch ist auch im Internet die Präsenz dieser Schriftsteller. Der enge Zusammenhang zwischen Forschungsschwerpunkten der Institutionen und ihrer medialen Präsentation wird hier deutlich und steht im Gegensatz zu der Beobachtung, daß in Deutschland eher noch die wissenschaftlich weniger kanonisierten Autoren im Vordergrund stehen.

Allerdings sind auch Parallelen zwischen den Autorenseiten zu entdecken, die an amerikanischen oder deutschen Universitätsinstituten entstanden sind. Meist sind Studenten oder Dozenten aktiv, die ihre zu Autorenseiten mutierten Dissertationen ins Internet stellen. Die Seite zu Oswald Wiener von Horst Kurz an der Georgia Southern University ist ein positives Beispiel für die "revidierte und dem Medium angepaßte Fassung" (Kurz) einer Dissertation. Die Bibliographie der 1992 abgeschlossenen Arbeit soll weitergeführt werden; Primärtexte, Abstract und eine speziell zu Oswald Wiener und dem Umfeld zusammengestellte Link-Liste wurden ergänzt. Die Links öffnen ein weites Recherchefeld, auch zu multimedialen Präsentationen (z.B. Seiten der Biennale Venedig), eine kontinuierliche Pflege wird allerdings nicht versprochen. Verglichen mit vielen Verlagsproduktionen germanistischer Dissertationen ist diese Form der Veröffentlichung eine gute Alternative, da sie für weitere Studien zum Wiener Kreis eine sofort verfügbare, kostenlose, für Aktualisierungen offene Quelle bietet. Auf eine Vernetzung der einzelnen Seitenkomponenten untereinander und der externen Links wurde aber verzichtet, und multimediale oder experimentelle Möglichkeiten des Mediums Internet - die gerade im Themenumfeld des Wiener Aktionismus spannend umgesetzt werden könnten - sind auch nicht ansatzweise zu finden.

Ein umfangreicheres Angebot bietet die Celan Web-Seite von Kerry Cox und Alan Ng von der University of Wisconsin-Madison. Neben ihren eigenen Arbeiten zu Celan, können Cox und Ng in der seit zwei Jahren im Netz stehenden Seite weitere Sekundärliteratur anbieten, die von einer Zulassungsarbeit an der Universität Bamberg (1998) bis zu einem Aufsatz aus "Postmodern Culture" aus dem Jahr 1995 reicht. Aufgrund der überdurchschnittlichen Präsenz Paul Celans im Internet, können für das Angebot an Primärtexten bereits zahlreiche Links zu anderen Seiten gesetzt werden, die allerdings teilweise in ihrer editorischen Qualität suspekt bleiben und vermutlich kaum zur weiteren Verwendung in wissenschaftlichen Arbeiten dienen. Andernteils führen die Links zu einzelnen Gedichten auch zu Zitaten innerhalb der Sekundärtexte, so daß hier Anfänge einer Vernetzung des verfügbaren Textmaterials erkennbar werden. Da diese Internetseiten den Rahmen interner Verweisungsstrukturen überschreiten, sind sie aber auch gutes Beispiel für die Notwendigkeit einer qualitativen Strukturierung des Angebots. Das erste Kriterium, einen Sekundärtext auf einer Autorenpage zur Verfügung zu stellen, ist bisher die generelle Zugriffsmöglichkeit in digitalisierter Form. Auch in absehbarer Zeit wird sich leider nicht die Frage stellen, welche Texte will ich zu einem bestimmten Autor anbieten, sondern welche kann ich überhaupt anbieten. Die Struktur der Celan-Homepage macht dieses Dilemma besonders deutlich, da hier die online verfügbaren literaturwissenschaftlichen Arbeiten und Rezensionen als Titel aufgelistet werden, dagegen die von Cox zusammengestellte "Celan Bibliography in English" (1955-1996) erst aufgerufen werden muß und hier die Rubrik internetpublications noch nicht verfügbar ist. Sinnvoller wäre m.E., auf Autorenseiten die bibliographische Ebene in den Vordergrund zu stellen, so zunächst einen Überblick bzw. eine recherchierbare Titelmenge der Forschungsliteratur zur Verfügung zu stellen und von dieser Ebene aus die Zugriffe auf die bereits online verfügbaren Texte zu öffnen. Die sonst entstehende Dominanz der Onlinetexte im Bereich der Rezensionen wird hier deutlich. Die Celan-Seite bietet Links, die zu den Anzeigen eines Buchversands oder den Feuilletons online verfügbarer Zeitungen führen. Der Grund dieser Auswahl ist offensichtlich, daß diese Institutionen ihre Besprechungen online anbieten, er sagt jedoch nichts über die Qualität der Rezensionen aus.

Im Rahmen der Celan-Seite sei innerhalb des Link-Angebots zu literaturwissenschaftlichen Arbeiten noch auf zwei Adressen hingewiesen, die das Angebot in digitaler Form vorliegender aber weitgehend unbearbeiteter Texte weit überschreiten. Das Hypertext-Archiv "Responses to the Holocaust" von Robert S. Leventhal öffnet den historischen Kontext in eine interdisziplinäre, multimediale Dimension, die mittels gedruckter Materialien kaum zu erreichen wäre. "Responses to the Holocaust: A Hypermedia Sourcebook for the Humanities is intended to introduce the viewer/reader to the various discourses, disciplines, media and institutions that have produced significant critical and theoretical positions and discussions concerning the Nazi Genocide of the Jews of Europe, 1933-45. In this hypermedia sourcebook, a hypertextual research, teaching, and learning archive, the responses of disciplines, various media and institutions include, but are not limited to, literature, philosophy, literary criticism and theory, sociology, psychoanalysis, history and historiography, religious studies, film, art and architecture, political theory, informatics and the history of technology, and popular culture or cultural studies." Die gelungenen Hypertextstrukturen, umfangreiche Volltextversionen kulturwissenschaftlicher Studien und die Zusammenstellung unterschiedlicher Archivmaterialien in digitaler Form bieten hier ein zeitgeschichtliches Archiv, das für zukünftige "Autorendatenbanken" im Bereich der Germanistik Vorbildfunktion haben könnte. Der Beitrag von Alan Ng "'Der Meridian' und eine intertextuelle Interpretation zu 'Ich hörte sagen'" zeigt exemplarisch, wie weit die Fragmentalisierung von Hypertexten getrieben werden kann. Ein "Netzwerk von Links" zu den drei Begriffen Wort, Stein und Pappel aus Celans Gedicht "Ich hörte sagen" versucht, den Spielraum der Sprache im Sinne der ästhetischen Textproduktion nachzuvollziehen. Literaturwissenschaftliche Methode und mediale Form sollen sich hier gegenseitig bedingen. Die Links führen entweder zum Volltext des Gedichts oder zu anderen Stellen der Interpretation, so daß eine klare Trennung bewußt aufgehoben wird. Da diese Versuche neuer medialer Annäherungen an Texte auf den Autorenpages noch kaum verbreitet sind, soll hier dieses Lektüreverfahren exemplarisch vorgestellt werden. Die Lektüre beginnt z.B. mit dem Begriff Suchen:

"Celans Lösung ist ein ständiges Suchen, und erst am Ende der Rede erfahren wir, daß er seinem Ziel den Namen "Meridian" gibt. [ein Klick auf den Begriff "Suchen" führt zu einem Registereintrag] Suchen: Suchen ist nicht nur der Weg, den die Dichtung geht, und zurücklegen muß, es ist auch die Methode von der Rede "Meridian." Celans Rede ist eher ein Organon als ein Aufsatz, eher ein Selbstgespräch als eine Rede. Suchen kommt als Motiv auch in vielen Gedichten vor, denn die Begegnung, zu der das Gedicht führt, bedingt erst ein Suchen des Anderen.[der Begriff "Anderen" ist anwählbar] Das Andere: Begegnung mit dem Anderen, mittels des Gedichts. [Der Begriff "Begegnung" führt zu einem weiteren Textausschnitt der Arbeit] Diese Begegnung findet in Celans Gedichten statt (XXXII). Ein Du, das durch sein in-Sprache-setzen im Gedicht entsteht (XXXIV), dient als Figur, als Bild, als Name des Anderen...". An dieser Stelle könnte man natürlich die Wege anderer Links einschlagen, aber der logische Weg der Linkkohärenz ist zunächst beendet. Ich glaube, diese recht schnell erreichte Sackgasse zeigt grundsätzlich die Gefahr von Tautologien in Hyperstrukturen.

Verglichen mit anderen Autorenpages, die in den letzten Jahren an Universitäten der USA entstanden sind, bietet die Celan-Seite mit ihren externen Links und Volltexten, mit einem kleinen Bildarchiv (Anselm Kiefer, Lázló Lakner), einem aktiven "Celan-Forum" und der erwähnten Bibliographie ein sehr gutes Angebot, das zumindest eine wichtige Adresse und ein Forum des Austauschs für weitere Arbeiten über diesen Autor bereitstellt.Die Seiten zu Franz Kafka (Clark Münzer, University of Pittsburgh) oder Ingeborg Bachmann (Marcus Schäfer, University of Chicago) fallen wesentlich bescheidener aus. Die Bachmann-Seite beschränkt sich weitgehend auf Fotografien, die neben Lebenszeugnissen auch Umschläge einiger Erstausgaben zeigen, aber noch nicht den Umfang und den Erschließungsgrat eines Fotoarchivs bieten können. Die Seite von Clark Münzer bietet zwar Links zu einer Auswahl der zahlreichen Kafka-Seiten im Internet, wird aber durch die hervorragende Adressenzusammenstellung in Detlef Wilskes Kafka-Verbindungen (University of Vaasa / Finnland) beinahe überflüssig. Da für das Themenfeld Kafka ein weit überdurchschnittliches Onlineangebot zur Verfügung steht, läßt sich an dieser Seite der Unterschied zwischen einer strukturierten und aktuellen Link-Liste und den Anforderungen zukünftiger Autorenseiten deutlich machen. Je umfangreicher das Angebot wird, desto hilfreicher werden solche Adressenpools in Zukunft sein. Um so höher werden aber auch die Erwartungen an Autorenseiten, die mehr sein wollen als eine Sammlung von Internet-Adressen, aber doch eigentlich nichts anderes darstellen, als eine graphisch verbrämte Adressensammlung, - noch dazu unvollständig, weniger aktuell und für den Leser kaum transparent.

Ein Angebot, das diesen Aspekt vollständig vergessen läßt, bietet die Feuchtwanger Memorial Library (University of Southern California). Auf den ersten Blick erscheint die Homepage als Informationsseite einer Institution: "This website provides information about Lion Feuchtwanger, his vast library (the Lion Feuchtwanger Memorial Library), detailed descriptions of his archive, and selective facsimiles of archival material available in the Feuchtwanger Memorial Library. The collection also includes photographs, film footage, and audio recordings." Neben den Informationen über die Sammlungen dieser Bibliothek und ihrer Geschichte öffnet sich ein übersichtliches, quellenorientiertes Recherchefeld zum Nachlaß des Schriftstellers, das zahlreiche multimediale Möglichkeiten der Präsentation ausschöpft und den Autor damit nicht auf einen biographischen Lebensabriß einschränkt. Verknüpft ist das übersichtlich strukturierte Archiv mit den Sammlungen zu Hanns Eisler, Heinrich Mann und Ludwig Marcuse. Die Einbettung in den Kontext der Geschichte deutschsprachiger Exilliteratur, ihre Rezeption und die aktuellen Darstellungsweisen auf Tagungen, in Ausstellungen und wissenschaftlichen Arbeiten weitet das Angebot zu einem offenen Forschungsfeld. Durch die Kurztexte über zurückliegenden Ausstellungen sind Anfänge einer dokumentarischen Begleitung aktueller Rezeption gegeben.

"Feuchtwanger Librarian" Marje Schütze-Coburn kündigt auf ihrer Seite zum 100. Geburtstag Bertholt Brechts der International Brecht Society (IBS) eine entsprechende Dokumentation des Jubiläums an. Ich komme auf das hervorragende Angebot einer Literarischen Gesellschaft zurück, da sich hieran sehr gut zeigen läßt, daß der virtuellen Netzstruktur durchaus konkrete Netzwerke in Form von Personen bzw. Institutionen zugrunde liegen. Die Feuchtwanger Memorial Library, bzw. die University of Southern California ist mit ihrem Angebot auf der Seite der IBS präsent ist, die wiederum über das Germanistischen Instituts der University of Wisconsin-Madison bereitgestellt wird. Technical Supervisor ist Kerry John Cox, Mitverantwortlicher der Celan Web-Seite. Das Angebot der IBS zeigt exemplarisch, welche Qualität - anläßlich des Brecht-Geburtstages 1998 - in der Dokumentation von Veranstaltungen im internationalen Rahmen erreicht werden kann (Ausstellungen, Kongresse, Inszenierungen, Veröffentlichungen, Einspielungen auf CD, etc.). Vorbildlich ist auch der internationale Austausch im Forum, der von fundamentalen Fragen ("can anyone give me a definition of tragedy?") bis zu Inszenierungsaspekten ("I am in the process of conceptualizing "Good Person of Sechuan" ala Chinese opera. I need some enlightenment on this undertaking") reicht.

Deutsche Universitäten, Archive und Bibliotheken

Im Vergleich zur Germanistik der USA ist das Angebot von Autoren-Seiten im deutschsprachigen Bereich wesentlich fragmentarischer und die Initiative von Einzelnen noch sehr dominant. Eine institutionelle Verankerung läßt sich kaum erkennen. Typisch für die Entstehungsgeschichte der meisten Seiten ist eine Umsetzung von Projekten und Universitätsseminaren in Form einer Internetpräsentation. Übersichtlich strukturierte Information zu einem Autor gibt z.B. die Seite zu Johann Peter Uz von Ernst Rohmer, die auf ein Projekt des Instituts für Deutsche Sprache und Literaturwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg zum 200. Todestag des Dichters 1996 zurückgeht. Die Seiten werden aktuell gehalten und können sicher als erste Information dienlich sein. Falls man schon von einer Tradition in der Gestaltung von Autoren-Seiten sprechen darf, hat die Struktur dieser Seite traditionellen Charakter: die drei Informationsebenen Biographie, Literaturverzeichnis und historischer Kontext sind gegeben, allerdings ohne untereinander vernetzt zu sein. Hinzu kommt ein - ebenfalls nicht außergewöhnlicher - "Rundgang durch das Ansbach des Rokoko". Verglichen mit den Relikten universitärer Seminare, die offensichtlich als Projektarbeiten einzelner Studenten entstanden sind, läßt diese Seite aber zumindest noch eine Gesamtkonzeption erkennen und wird weiterhin betreut. Eine Seite, die diesen Standard vermissen läßt, ist die 1997 erstellte Seite zu Heinrich Heine, die im Rahmen einer Seminarveranstaltung entwickelt wurde. Weder die fragmentarisch übernommenen Werkauszüge noch das kleine Literaturverzeichnis sind für weitere wissenschaftliche Arbeiten brauchbar. Die Links zu sogenannten Zeitgenossen, deren Namen bestenfalls mit Textauszügen aus den "Daten deutscher Dichtung" ergänzt wurden, sind nur zu einem Drittel aufrufbar. Beim Anblick der graphischen Gestaltung wird jeder Leser möglichst schnell zu gedruckten Auskunftsmitteln zurückkehren. So begrüßenswert Übungsseminare zur Gestaltung von Internetseiten sind, wäre es doch sinnvoll, solche Seitentorsi nach Semesterende wieder zu löschen. Ähnlichen Charakter hat die Seite eines Kafka-Projektes an der Universität Bonn aus dem WS 1996/97. Die Selbstbezeichnung "Dieses Nichts ;-) ist das Ergebnis unseres Seminars" kann man nach der Lektüre kaum ironisch auffassen. Auch hier sind die meisten Links nicht mehr aktuell, der sogenannte "Stammbaum" der Familie Kafka ist nur rudimentär realisiert und die Werkauszüge werden lediglich der Seminarlektüre entsprechend kommentiert. Befremdlich ist auch das Angebot, auf einem Porträt Kafkas Ohren, Augen und Mund anwählen zu können, um nichtssagende Informationen zu Kontext und Rezeption zu erhalten, - ein gutes Beispiel für Grenzen des Geschmacks im interaktiven Angebot. Eine Anfrage ergab, daß diese Seiten durch eine formal verbesserte und inhaltlich wesentlich erweiterte Fassung ergänzt werden soll. Die Arbeitsversion, die mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde, läßt hoffen. Aber auch hier wäre zu fragen, ob Übungsseiten und Interimslösungen unbedingt ins Netz gestellt werden müssen. Ihre Adressen sollten zumindest nicht auf Fachinformationsseiten aufgelistet werden.

Neben den Seiten wissenschaftlicher Mitarbeiter und den Übungsfeldern von Seminaren sind die Angebote wissenschaftlicher Forschungsstellen und Archive zu nennen. Sie reichen von kleinen Linklisten - z. B. auf der Seite "Ingeborg Bachmann im InterNetz" der Arbeitsstelle für österreichische Literatur und Kultur an der Universität des Saarlandes - bis zu Autorenarchiven, die ein eigenes Forschungsterrain bilden. Bestes Beispiel ist das Angebot des Kleist-Archivs Sembdner der Stadt Heilbronn. Die Homepage informiert über die letzten Neuerungen der Seiten und setzt aktuelle Veranstaltungen, wissenschaftliche Diskussionen und neue Publikationen an die erste Stelle. Diese Flexibilität übertrifft die Aktualität einer Fachzeitschrift, so daß die Seite nicht nur als Informationsquelle oder Textfundus, sondern sicher auch in der Frage nach neuen Forschungstendenzen und aktueller Rezeption immer wieder aufgerufen wird. Sie bietet nicht nur Informationen über das Kleist-Archiv und seine Geschichte, sondern auch zur Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft, zur Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte Frankfurt/Oder (hier keine eigene Homepage) und bietet Unterrichtsmaterialien für den Schulgebrauch. Größtmögliche Information bieten die Bereiche der Seiten, die in den Publikationen und Materialien des Kleist-Archivs ihre Ressourcen finden. Die Graphikseite macht einen kleinen Teil der graphischen Sammlung in guter Qualität sichtbar und wird sicher noch weiter ausgebaut. Eine Übersicht der Volltextveröffentlichungen des Kleist-Archivs Sembdner stellt das Bestandsverzeichnis des Archivs und seine noch unveröffentlichte Fortschreibung im Acrobat-Reader-Format oder als DOS-Datei zur Verfügung. Ebenso stehen die aktuelle Kleist-Bibliographie und retrospektive Bibliographien (1945 ff.) zur freien Verfügung. Während aus der Brandenburger Kleist-Ausgabe nur die Inhaltsverzeichnisse abgebildet werden können, sind die "Heilbronner Kleist-Blätter" und einige Magister- und Seminararbeiten als Volltexte verfügbar. Als Webmaster firmiert Günther Emig, seit 1992 Direktor der Stadtbücherei Heilbronn. Mit diesen Seiten bietet er der Kleist-Forschung ein aktuelles und aktives Forum. In seiner Rubrik veröffentlichter Kritik, dem "Geheimen Tagebuch des Webmasters" sind neben vielen positiven Stellungnahmen Andeutungen über die Mängel der graphischen Gestaltung zu entnehmen, denen man sich nur anschließen kann. Es geht m.E. dabei weniger um die farblichen Gestaltungskomponenten, die Emig verbessern möchte, - auch wenn die Buttons in giftgelben und knallroten Farben leicht irritieren. Die Seiten sollten insgesamt durch eine professionelle graphische Gestaltung optisch verbessert werden. Es wäre schade, wenn sich eine der qualitativ besten Autorenadressen weiterhin in einem so unübersichtlichen, selbstgestrickten Bild präsentieren würde.

Eine dreisprachige (deutsch, englisch, spanisch), graphisch ansprechende und inhaltsreiche Seite hat Sven Kalbhenn für Friedrich Hölderlin gestaltet. Als Student der Germanistik hat er Teile der Stuttgarter Werkausgabe, die zu Teilen von Urheberrechten befreit ist, ins Internet gestellt. Neben Informationen zur Hölderlin-Gesellschaft, dem Hölderlin-Archiv Stuttgart und aktuellen Veranstaltungen stehen biographische, bibliographische und Kontextinformationen zur Verfügung. Originell ist die Seite "Hommage an Hölderlin", auf der internationale Übersetzter und Schriftsteller ihre Position zu Hölderlin in Erstveröffentlichungen formuliert haben. Auf meine Frage nach der Entstehungsgeschichte dieser Seite schrieb Sven Kalbhenn, daß auch hier die Anfänge im Rahmen eines Hölderlin-Seminars an der Universität Tübingen lagen. Sein Interesse an einer Internetseite wurde aber nicht durch das Institut, sondern von der Geschäftsführerin der Hölderlin-Gesellschaft aufgegriffen. "Ich informierte mich über die Copyright-Lage und stellte fest, daß auf die ersten Bände der Stuttgarter Ausgabe kein Copyright mehr besteht. Also fing ich (recht blauäugig) in meiner Freizeit einfach an, die Gedichte einzuscannen und ins Internet zu stellen. Dazu stellte ich Informationen zur Hölderlin-Gesellschaft und zum Hölderlin-Turm ins Internet, die ich in der Hölderlin-Gesellschaft bekam. Dann übernahm die Hölderlin-Gesellschaft für mich die Verhandlungen mit den Verlagen, um festzustellen, ob wir vielleicht auch eine 'modernere' Ausgabe publizieren dürfen - leider bisher ohne Erfolg. Einige Aufsätze, Übersetzungen u.ä. bekam ich von der Hölderlin-Gesellschaft, auf die sie das Copyright hatten. Eines Tages meldete sich dann ein amerikanischer CD-ROM-Verlag (...) und bot an, mein Hölderlin-Projekt in sein Programm aufzunehmen. Seither laufen Verhandlungen mit diesem CD-ROM-Verlag und auch wieder den Verlagen der diversen Hölderlinausgaben, da bei den Verlagen natürlich nun ein größeres Interesse besteht, wenn eventuell Gewinne in Aussicht stehen. Die Zusammenarbeit mit der Uni Tübingen und dem Deutschen Seminar beschränkt sich lediglich darauf, daß ich das Projekt auf deren Server anbieten darf. 90% der Arbeit und des Aufwandes werden von mir selbst, unentgeltlich in meiner Freizeit, bestritten. Die Hölderlin-Gesellschaft, insbesondere Frau Lawitschka [die Geschäftsführerin der Hölderlin-Gesellschaft], waren bisher die einzigen, die sich dafür auch eingesetzt haben".7) Die auf den ersten Blick mit der Universität Tübingen bestehende Verbindung wurde also nicht bestätigt. Die institutionellen Rahmenbedingungen für Autorendatenbanken sind m. E. in Deutschland noch nicht gegeben.

Eines der jüngsten Beispiele für eine Autorenseite, die die Qualität eines offenen, aktuellen Forschungsfeldes gewinnt, ist die im Aufbau befindliche Adresse des Wolfgang-Koeppen-Archivs am Institut für Deutsche Philologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Im Herbst 1996 übernahm die Universität Greifswald Inventar und Bibliothek (ca. 10000 Bände) aus der Münchener Wohnung Wolfgang Koeppens in ihren Bestand; der schriftliche Nachlaß (Manuskripte, Fragmente, Korrespondenz, Fotos, Notizen, Presseecho, Rezensionen) wird nach einer Sichtung durch den Suhrkamp Verlag folgen. Die Internetpräsentation steht neben der Erschließung dieses Archivs bereits zu Beginn des Projektes auf dem Programm. Bereits jetzt bieten die Seiten einen Austausch laufender Forschungsprojekte, Werkverzeichnis, Veranstaltungsberichte, Dokumente der Rezeption und einzelne Fotos. Man wird an dieser Adresse verfolgen können, wie die Ordnung, Erschließung, und Veröffentlichung eines Autorennachlasses sich im Rahmen eines Online-Angebotes entwickeln wird.

Einzelne Anbieter

Wie die Ausführungen von Sven Kalbhenn gezeigt haben, ist eine klare Trennung zwischen einzelnen Anbietern von Autorenseiten und ihrer institutionellen Verankerung nicht möglich. Dennoch soll hier noch auf einige Seiten hingewiesen werden, die offensichtlich aus privaten Initiativen entstanden sind. Wieder begegnen hier Namen, die bereits als Webmaster für das Internetangebot einzelner Institutionen aufgetreten sind. Günther Emig, der für das Angebot des Kleist-Archivs Sembdner verantwortlich zeichnet, hat Seiten zu Ludwig Pfau, Justinus Kerner und Wilhelm Waiblinger ins Internet gestellt, die in ihrer "traditionellen" Dreiteilung von Werk, Sekundärinformation und biographischem Material sehr informativ sind, aber im Hinblick auf eine Vernetzung von Quellen doch zur Vereinzelung tendieren. Gleiches gilt für Ulrich Goerdtens Seite zu Julius Stinde. Es ist kein Zufall, daß die regionale Anbindung dieser Autoren durch das ortlose Medium Internet eine neue Bedeutung erfährt.

Auf den ersten Blick nicht unbedingt als "Privatinitiative" erkennbar ist die Seite zu Christian Fürchtegott Gellert von Rafael Arto-Haumacher. Hier nimmt das Gellert-Museum in Hainichen (Sachsen) mit Foto-, Textmaterial und Institutionengeschichte einen breiten Raum ein. Großen Wert wird auf das seit Mai 1996 laufende Informationsforum gelegt, das redaktionell gut betreut wird und so ein interessantes - quantitativ aufgrund des nicht ganz so populären Autors begrenztes - Informationsfeld bietet. Eine Anfrage ergab, daß die Seite primär aus privatem Engagement entstand. Arto-Haumacher promovierte über Gellert und wandte sich mit der Idee einer Internetpräsentation an das Gellert-Museum. "Wir setzten uns zunächst mit diversen - und in diesem Umfeld durchaus wichtigen - Fragen auseinander: Wer pflegt diese Seiten, wer entscheidet über Inhalt und Aussehen (das Museum ist immerhin eine städtisch-kommunale Einrichtung), auf wessen Server stellt man die Seiten usw. Das Gellert-Museum hatte zwar keine Berührungsängste mit dem Medium Internet, aber - und das kristallisierte sich schnell heraus - man war der Meinung, für die Präsentation einer kleinen Institution nach außen hin habe ein solches Medium noch keine große Relevanz. Auf einen Nenner gebracht: Warum soll man den Aufwand treiben, wenn eh niemand hineinschaut. Ich war anderer Meinung, und so haben wir uns darauf geeinigt, daß ich eine Gellert-Page erstelle und dem Museum dort Gelegenheit zur Darstellung gebe. Es waren zwei Texte vorhanden, die leicht korrigiert eingebunden wurden. Die Mitarbeit des Gellert-Museums beschränkte sich also auf die Textauswahl und -korrektur, allerdings nur des Teils, der das Museum inhaltlich betraf".8) Immerhin kann hier also von einer partiellen Zusammenarbeit gesprochen werden.

Die Anzahl der Eigeninitiativen ist hoch. Weitere Adressen sollen hier nicht besprochen werden, da sie meist ähnlich strukturiert sind und über die genannten Fachinformationsseiten aufgerufen werden können. Der informative Standard wird nur von einigen "Verehrern" durchbrochen, die nicht nur wissenschaftsferne sondern auch wenig originelle Elogen ins Internet setzen. Ausgangspunkt aller Angebote ist aber offensichtlich eine persönliche Identifikation, die entweder aus einer wissenschaftlichen Arbeit, einer regionalen Anbindung oder ganz einfach einer Lektürebegeisterung entstand.

Plädoyer für eine Institutionalisierung des wissenschaftlichen Internetangebots

Die Forderung nach einer Institutionalisierung des wissenschaftlichen Internetangebots mag zunächst befremden, ist doch das Netz als institutionell ungebundenes Medium gefeiert worden: Es kennt keine Öffnungszeiten, keine bürokratischen Verwaltungsstrukturen, keine Zulassungsbeschränkung etc.. Die Beispiele autorenbezogener Seiten demonstrieren ja gerade, wie entscheidend das Interesse und Engagement Einzelner zu bewerten ist. Sollen jedoch die Seiten germanistischer Institute, die Internetübungsfelder von Seminaren oder die Informationsangebote Literarischer Gesellschaften miteinander verknüpft werden, müßten in Zukunft Personal und Mittel geschaffen werden, um auf diese Weise "Autorendatenbanken" zu erstellen und zu pflegen. Die Beispiele des Kleist Archivs Sembdner, der Feuchtwanger Memorial Library und des Koeppen-Archivs haben diese Entwicklung vorgezeichnet. Das Ideal eines verknüpften Informationsnetzes digitalisierter Dokumente, primärer und sekundärer Volltexte, bibliographischer Nachweise, und kontextueller Information müßte gerade an den Institutionen der Quellenarchivierung und Wissensvermittlung eine Bedeutung gewinnen, - also an Universitäten, Bibliotheken und Archiven. Die Seite der Karl-May-Gesellschaft zeigt, daß dieses Angebot aber auch von einer Literarischen Gesellschaft - allerdings in enger Anbindung an eine Universität und die Ressourcen einer Universitätsbibliothek - erbracht werden kann.

Die klassischen Institutionen der Germanistik, die nicht nur Nutzer des Internet sein sollten, sondern auch Inhalte liefern müßten sind bisher meist nur durch das Engagement einzelner Mitarbeiter präsent. Nicht zuletzt im Hinblick auf die notwendige Zusammenarbeit mit den Verlagen müßten aber öffentliche Kultureinrichtungen die finanziellen und bildungspolitischen Voraussetzungen gewinnen, um sich weithin als Anbieter und Kommunikationszentren wissenschaftlicher Information legitimieren zu können. Mit "Institutionalisierung" ist hier nicht die Konzentration der Aufgaben an einem Ort gemeint, sondern eine institutionalisierte Zusammenarbeit verschiedener "Medienzentren". In Zukunft wird sich die Frage "Was ist ein Autor?" auch mit den Mitteln des Internet nicht beantworten lassen. Zumindest möglich erscheint aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt, daß diese Frage eine neue Bedeutung erfährt und sich mit dem Internet ein Textfeld öffnet, in dem die Suche nach dem Autor fortgeschrieben werden kann.

1) vgl. Michel Foucault, Was ist ein Autor? In: ders., Schriften zur Literatur, Frankfurt a.M. 1991, S. 7-31.

2) vgl. Uwe Wirth, Literatur im Internet. Oder: Wen kümmert's wer spricht? In: Stefan Münker/Alexander Roesler, Mythos Internet, Frankfurt a.M. 1997, S. 319.

3) Die Recherche hat diese Seiten http://www.ub.fu-berlin.de/~goerdten/germref.html 4.8.1998, http://www.swbv.uni-konstanz.de/olli/olli_a.html 4.8.1998 und http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2gerlw/ressourc/liste.html 4.8.98 genutzt. Es sollte kein repräsentativer Querschnitt durch die Seiten deutschsprachiger Schriftsteller gezogen werden. Sicher blieben viele interessante Seiten unberücksichtigt. Exemplarisch wurden vielmehr einzelne Seiten auf den Bedarf literaturwissenschaftlicher Arbeiten hin überprüft, Zielvorstellungen entwickelt und Überlegungen zu den institutionellen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung gemacht.

4) http://karlmay.uni-bielefeld.de/ 4.8.1998.

5) Karl May, Winnetou, Bamberg 1982 (Reprint der Originalausgabe: Freiburg i. Br., 1893) (Band 1 - 3 = Karl May's gesammelte Reiseromane ; Band 7 - 9) und: Karl Mays Werke : historisch-kritische Ausgabe für die Karl-May-Gedächtnis-Stiftung / hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. - Nördlingen/Zürich/Bargfeld 1987-

6) IBIS ist das erste Projekt in deutschen Bibliotheken zur kooperativen elektronischen Informationsversogung für Wissenschaft und Lehre mit Hilfe der Vernetzung lokaler Bibliothekssysteme, http://www.ub.uni-bielefeld.de/ibispro.htm

7) mail von Sven Kalbhenn 10.7.1998.

8) mail von Rafael Arto-Haumacher12.7.1998.


Stand: 25.1.99
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