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Alan Ng
Zwischen Elfenbeinturm und Markt.
Die Internet-Germanistik aus der Sicht eines Auslandsgermanisten

Caveat Lector

Akzeptieren wir den holprigen Terminus "Internet-Germanistik" eher im vorausdeutenden als im beschreibenden Sinn. Dieses Begriffsungetüm deutet zumindest darauf hin, daß bisher nur ein dünner Strich diese zwei einander noch mehr oder weniger fremden Welten miteinander verbindet. Die Spannung zwischen diesen Welten ist aber nicht leicht zu beschreiben, denn es geht hier nicht etwa um Konkurrenten, sondern um kleine, aber bedeutende Veränderungen im wissenschaftlichen Alltag: nicht nur im germanistischen Alltag, und nicht nur um Internet-bedingte Veränderungen. Knapp formuliert, definiere ich Pol und Gegenpol so: Das Internet ist ein neues, der globalen Marktwirtschaft gerecht werdendes Kommunikationsmedium. Demgegenüber stellt sich die Germanistik als ein traditionsreiches, aber im ökonomischen Sinne unproduktives Wissenschaftsgebiet dar. Fazit: Das Leben der Germanisten spielt sich im Großen und Ganzen noch ohne Internet ab. Von dieser Perspektive aus möchte ich die gegenwärtige Etappe der germanistischen Arbeit mit diesem neuen Medium dokumentieren und auch kommentieren.

Dieser bewußt nüchterne Ansatz wird es hoffentlich verhindern, daß ich der unter Internet-Kommentatoren (und als solcher betätige ich mich hier auch) weit verbreiteten Neigung erliege, übertreibend von einem "virtuellen" Leben als einem parallelen Universum zu sprechen. Auch mancher Leser wird wissen, daß längeres Arbeiten im Internet leicht zu der Perspektive (ver-)führt, man reise tatsächlich durch eine fremde Welt. Das resultiert nicht zuletzt aus der körperlichen Erfahrung des Durch-die-Luke-Guckens, was den Kulturkritikern schon vom Fernsehen und zuvor von Eisenbahnfenstern bekannt ist. Im Internet wird dieser Eindruck dank der höheren Frequenz der Auswahlentscheidungen seitens des Lesers noch verstärkt. Für Germanisten aber sollte es eine zu bewältigende Herausforderung darstellen, die Verwandtschaft zwischen der Entfremdung gegenüber dem Bildschirm und der Entfremdung gegenüber dem bedruckten Papier zu erkennen. Damit möchte ich das Internet hier als ein Medium wie andere betrachten.

Die Grundlage dieser Betrachtung bilden vor allem meine dreijährigen Erfahrungen als Betreuer der Internet Resources for Germanists (IRfG).1) Die Lücken in meiner Darstellung werden in etwa den Lücken in IRfG entsprechen. Ich rede damit vor allem über die "akademische" und "professionelle" Germanistik, und kann nicht für die schöpferische Seite der Literaturszene sprechen. Hierzu verweise ich auf Oliver Gassners Website "OLLi: Olivers Links zur Literatur" sowie auf den Beitrag von Sabrina Ortmann in diesem Band. Außerdem hilft mir meine Erfahrung als Ko-Autor der Paul Celan Homepage, d.h. einer Website, die doch einen germanistischen Inhalt und nicht bloß Links anbietet.2)

Weil ich mich schon länger mit der institutionalisierten (Offline-)Germanistik in den USA beschäftigt habe,3) bleibt die Lage in den USA als mein Vergleichsmaßstab im Zentrum. Für diesen Artikel habe ich zusätzlich eine kleine, aber ergiebige Umfrage unter den produktivsten Internet-Germanisten in den USA unternommen, die mein Bild von der Internet-Germanistik im allgemein bestätigte.

I. Geographie und Theorie

1. Gibt es einen Unterschied zwischen US-amerikanischen und inländischen Angeboten?

Diese Frage ist mir aus verständlichen Gründen gestellt worden, und darum möchte ich sie gleich aufnehmen, in dem der ungeduldigen Leserschaft entgegenkommenden Sinne einer FAQ.4) Weil das Image des Internet mit dem Bild von den USA als dem High-Tech-Vorreiter verbunden ist - zumindest im conventional wisdom der Presse - muß ich als erstes dieses Bild für das Gebiet der Germanistik korrigieren. Wenn wir das Internet als ein Medium wie andere für die germanistische Arbeit behandeln wollen, ist nicht die Technik, sondern der angebotene Inhalt (in einem weiteren Sinne) ausschlaggebend. Verallgemeinernd möchte ich behaupten, daß es für einen solchen Blick offenbar wird, daß geographische Unterschiede im Internet vor allem Widerspiegelungen des Offline-Lebens sind. Für die Internet-Germanistik bedeutet das, daß der prägendste Unterschied nicht zwischen den USA und Europa - bzw. der restlichen Welt - auffällt, sondern der zwischen der Inlands-Germanistik (damit will ich im folgenden die Germanistik in den deutschsprachigen Ländern bezeichnen) und der Auslands-Germanistik.

Das bestimmt sehr stark die Bedeutung der vorliegenden Untersuchung. Ich schreibe nicht so sehr als ein Webmaster im am dichtesten vernetzten Lande der Welt (20% der Bevölkerung der USA über 12 Jahre benutzt das WWW - das gesamte Internet wird von nur 10% der gesamten Bevölkerung in der Schweiz, von 7% in Deutschland, und von 4% in Österreich benutzt),5) sondern als Auslandsgermanist unter den weltweiten Internet-Germanisten. Damit will ich hervorheben, daß die Germanistik in den nicht-deutschsprachigen Ländern überhaupt ein ganz anderes Publikum und einen grundsätzlich anderen Arbeitsalltag hat. Und davon werden auch die intellektuellen Ansprüche und Interessen mitgeprägt. Im Ausland sind nämlich zwei Hauptaufgaben und Lebensnotwendigkeiten beherrschend, die in deutschsprachigen Gebieten entweder fehlen oder als Nebenfächer angesehen werden: Deutsch als Fremdsprache und die interkulturelle Vermittlung des germanistischen Stoffes. Diese anderen Arbeitsgrundlagen formen den stärksten Unterschied in der Welt der Internet-Germanistik.

Das ist die eine Seite des germanistischen Alltags, die die Rolle der USA eher nivelliert. Die andere Seite hat weniger mit dem germanistischen Inhalt zu tun und mehr mit der Breite des Teilnehmerkreises. Aus den verschiedensten sozialen und kulturellen Gründen - darauf komme ich noch zurück - gehört es in den US-amerikanischen Universitäten zum längst schon langweilig gewordenen Alltag, daß Kollegen miteinander via E-Mail kommunizieren und am Arbeitsplatz die Möglichkeit zu surfen nutzen. Dagegen habe ich den Eindruck, und nicht nur während meines letzten Jahres im ansonsten geschätzten Ostteil Berlins, daß das Internet in Europa - vielleicht überspitzt formuliert - immer noch als klassenmäßig elitär und geistesleer oder sogar geistesfeindlich verpönt ist. Das gilt auch für Studenten der Germanistik, vor allem aber für Professoren. Ich schätze z.B., daß wirklich eine große Mehrheit der Lehrenden in den USA eine eigene E-Mail-Adresse in der Department-Homepage als Kontaktmöglichkeit anbieten. Außerhalb der USA gilt das höchstens für ein Drittel der Professoren. In dieser Hinsicht sind es der private Alltag und die ganze Lebensweise der Universitätsmitglieder, die in den USA das Internet einschließen und anderswo nicht, was die USA zu einem Spezialfall in der Internet-Germanistik macht.

2. Wie und warum beurteilt man Websites für die Germanistik?

Bevor ich einzelne Websites näher behandele, möchte ich einige Worte zu meiner Vorgehensweise verlieren. Es geht ja hier weder um Textinterpretationen noch um spezialisierte Fachdebatten, sondern um die Beurteilung der praktischen Möglichkeiten und der Konsequenzen des Internet in der und für die Germanistik. Erstens suche ich Beweise dafür, daß das Internet doch nicht ausschließlich der Werbung und dem Spieltrieb dient, sondern auch der intellektuellen Produktivität. Zweitens möchte ich ein paar Fragezeichen hinter die weit verbreitete Schwärmerei von der "Virtualität" setzen, indem ich Beispiele auswähle, die demonstrieren, daß das Internet handfeste Vorteile auch für die herkömmlichen und noch unvermeidlichen Offline-Lebens- und Arbeitsweisen der Germanisten bietet.

Das bedeutet zunächst einmal, daß wir die altbekannten Werte der wissenschaftlichen Arbeit, z.B. Seriösität, Gründlichkeit, Konsequenz, Lesbarkeit und Kenntnis der Fachliteratur, auch im Internet verlangen müssen. Das muß leider immer noch betont werden, nicht etwa wegen der schlampigen Arbeit unserer Kollegen, sondern aufgrund der vorschnellen Anerkennung von unseriösen Homepages über germanistische Themen als Leistungen oder gar höchste Möglichkeiten der Internet-Germanistik. Allzuviele germanistische Link-Sammlungen nehmen auch "bunte Nullen" auf, die jahrelang die gleichen paar Fotos und abgeschriebenen Absätze über einen Autor anbieten. Umgekehrt scheinen auch ernsthafte Kritiker, die sich mit germanistischen Homepages auseinandersetzen, seriöse Angebote zu langweilig zu finden.6)

Als notwendige Übel oder sogar als Vorteile müssen wir aber auch bestimmte Eigenschaften des Internet-Angebots akzeptieren, die im traditionellen Fachleben weniger geschätzt würden. Besonders schwer verdaulich ist dabei das im Internet universell herrschende Grundmuster der Selbstvermarktung. Dieses Muster heißt "Homepage". Das Phänomen "Homepage" definiere ich als eine (im Internet veröffentlichte) Darstellung von etwas zum Zwecke seiner Vermarktung. Das heißt, daß die Homepage selbst nur ein möglichst verlockender Hinweis auf das nicht ohne weiteres Zugängliche ist. (Darum wird sie von der Postmoderne als Hyper-Entwicklung der Repräsentation freudig begrüßt.). Das nachgerade klassische Beispiel hierfür ist die informelle, möglichst "cool" wirkende Homepage eines Menschen: Man trifft auf alle möglichen Zeichen von ihm, bloß nicht auf den Autor selber. Typisch in der Germanistik ist leider noch immer die Homepage eines Forschungsprojekts bzw. sein Eintrag in einer Instituts-Homepage. Allzuoft findet man nur eine Anschrift und eine Mitgliederliste, allenfalls noch eine Liste von (auf Papier) veröffentlichten Titeln oder ein paar Absätze über ein langfristig zu erforschendes Thema. Das eigentliche Forschungsprojekt funktioniert aber völlig unabhängig vom Internet (wahrscheinlich sogar ohne zu wissen, daß es vom eigenen Institut im Internet angegeben worden ist). In dieser trotzigen Dürftigkeit erkennen wir aber die Urmotivation des Phänomens "Homepage": die öffentliche, bisweilen angeberische Bekanntmachung der eigenen Existenz.

Davon dürfen wir uns aber nicht abschrecken lassen. Das Internet verspricht ausgerechnet in seiner Marketing-Funktion, und sei es in der Form der yellow pages, den größten Nutzen. Die Selbstdarstellung im Internet müssen wir nicht sofort mit einem flotten Fernsehspot gleichsetzen, eher ähnelt sie einem selbstgeschriebenen Eintrag in einer großen Bibliographie. Weil das Internet durchsuchbar ist, sind ausführliche und auffallende Selbstbeschreibungen als ständig aktuelle Beschilderungen sehr wichtig. Diese Funktion des Internet macht auch die verschiedenen themenspezifischen Linksammlungen und Suchmaschinen viel wichtiger als sie in Offline-Medien wären. Die Offline-Germanistik hat bekanntlich kein solches Werkzeug; darum sind Bibliothekare, Archivare, hunderte Handbücher und aufwendige Symposien schon seit Jahrhunderten notwendig und werden es weiter bleiben.

Wirklich brauchbare Bewertungsprinzipien finden wir leider nirgendwo vorgegeben. Web-Ratings und -Auszeichnungen gibt es zwar schon, wie von Magellan, Point, 4-Star, Web.DE, usw., usw.;7) das sind Unternehmungen, die gleich bei der Geburt des Web erschienen sind. Jeder, der im Netz surft, will wissen, wo die interessantesten Präsentationen zu finden sind. Aber die Kriterien, die die bekannten Web-Auszeichnungen anwenden, können wir hier nicht einfach übernehmen. Einerseits ist, wie erwähnt, die Vermarktung das herrschende Muster im Internet, und andererseits ist die Germanistik, finanziell gesehen, eine öde Wüste. Doch bleiben uns andere Kriterien als der weithin sichtbare Aufwand, der bei einer Präsentation betrieben wurde! Was wir uns nicht zu eigen machen müssen, ist die auch in der Germanistik noch verbreitete Achtung vor Buntheit, Graphik, Kompliziertheit, neuesten Tricks und modischem Design. Die professionelle und graphisch aufwendige Aufbereitung z.B. von LINSE, der Friedrich-Glauser-Gesellschaft, der Heine-Homepage oder der Uni Bochum hinterläßt den Eindruck eines Burgfriedens, von Repräsentationskunst, von einem Verkaufsprodukt und von Abgeschlossenheit und Fertigkeit in ihren beiden Sinnen. Das ist schön und verlockend zum Surfen - solange der Surfer einen schnellen Anschluß hat - aber es fällt einem nicht ein, daß die Betreiber dieser Seiten etwa Kommunikation und Kontakte, Mitarbeiter und Beiträge suchen. Auch müssen wir weniger die Häppchenform des Inhalts, wodurch vor allem der desinteressierte Zufallsbesucher auf seine Kosten kommt, betonen; Web-Auszeichnungen gehen auch an Websites, die wie ein Lexikon als gute Informationsquelle für Schulaufsätze und Cocktail-Party-Gespräche dienen, aber Spezialisten-Sachen und Werkstätten werden ignoriert. Diese herkömmliche Aufwertung von technologischem Schnickschnack einerseits und der schalen Massenabfertigung andererseits belohnt hauptsächlich den Einsatz von Mitteln, die rein quantitativ die Besucherzahlen erhöhen.

Was wir stattdessen anstreben, wage ich zu behaupten, ist Besucherqualität und Besucherbefriedigung im Sinne der germanistischen Zusammenarbeit. Ein Netzwerk ist dazu da - entgegen der rein technischen Absicht -, Menschen miteinander zu verbinden. Darum sehe ich die Hauptaufgabe der Internet-Germanistik in der Vermittlung zwischen Kollegen: nicht nur um Gespräche herzustellen und zu realisieren, sondern auch um mehr oder weniger fertige Texte auszutauschen und die praktische Zusammenarbeit zu fördern. Bücher haben wir schon, und hoffentlich behalten wir sie auch! Das Internet eröffnet ergänzend zu unseren Offline-Veröffentlichungen und Offline-Arbeitsgruppen ein kommunikatives Umfeld, in dem eine viel flexiblere und "offenere" Öffentlichkeit innerhalb der Germanistik hergestellt wird.

Diese Überlegungen führen zu zwei konkreten Forderungen von mir: ein stabiler, seriöser Besucherkreis und eine ständige, langfristige Erneuerung des Inhalts. Das Angebot soll gleichzeitig eine bisher nicht mögliche Online-Arbeitsgemeinschaft ins Leben rufen und die traditionelle Offline-Arbeit unterstützen. Noch eine wichtige Frage: Optimiert man das Angebot nur für ein Publikum der gut ausgestatteten Netzkundigen unter den Germanisten? Oder geht man Kompromisse ein, um alle Interessenten mitlesen zu lassen? Ich schätze Angebote besonders, die High-Tech und Graphik vermeiden, Fachsprache erklären und FAQs aufbauen.

3. Wo findet man herausragende Angebote? Warum dort?

Anhand mehrerer konkreter Beispiele kann man am besten ein Ideal aufstellen und damit Hoffnung auf Fortschritt wecken. Wie alle Internet-Kommentatoren muß auch ich hier den Anspruch auf Vollständigkeit aufgeben. Jeder Versuch, die "Besten" zu nennen, ist in diesem Medium von vornherein aufgrund der schnellen Veränderungen zum Scheitern verurteilt. Statt dessen wende ich mich jetzt den geographischen Unterschieden zu und nehme die oben beschriebenen Kriterien als Sieb. In diesem Abschnitt gebe ich zunächst einen groben Überblick; in der "Bestandsaufnahme" stelle ich die Lage differenzierter dar.

Die größten und stabilsten Zentren der weltweiten Internet-Germanistik findet man in Deutschland, und zwar in der germanistischen Sprach- bzw. Textwissenschaft. Den Zahlen der Offline-Teilnehmer zufolge würden wir die größten Zentren in der neueren deutschen Literaturwissenschaft erwarten, aber solche Proportionen scheinen hier ausnahmsweise nicht zu gelten. Die zwei besten Beispiele sind LINSE aus Essen8) und Computerphilologie aus München.9) Der Umfang und die Qualität ihres Angebots sowie die Dauerhaftigkeit ihres aktiven Bestehens verschaffen beiden einen zentralen Platz als Kommunikationszentren der Germanistik. Beide funktionieren für einen klar definierten Teil des Fachpublikums als wissenschaftliche Veröffentlichungsorgane, als Lotsen im Internet, als Nachrichtenblätter sowie als (leider noch wenig genutzte) Gesprächsforen. Der Ton ist weder zu spielerisch noch zu trocken, die Perspektive ist weder geographisch eingegrenzt noch auf die Online-Germanistik beschränkt, mehrere Mitarbeiter halten den Inhalt auf dem Laufenden, und beide Projekte spiegeln die Berücksichtigung eines anhaltenden Stromes von Leserzuschriften oder -beiträgen wider. Das Mannheimer Institut für deutsche Sprache (IDS) verdient ähnliches Lob, vor allem wegen seiner offenen Datenbank der "Sprachwissenschaftlichen Forschungsvorhaben", aber das IDS verstehe ich als Einzelfall, als ein der Germanistik übergeordnetes Institut.10) Als nationales Institut wird es stärker gefördert,11) hat sowieso geographisch breite, öffentliche Aufgaben, und ist deshalb schwer vergleichbar mit den an einem universitären Institut angesiedelten Seiten wie etwa "LINSE" und "Computerphilologie".

In vielen Fällen ist zu erkennen, daß sich dort kontinuierlich arbeitende Internet-Zentren herausbilden, wo Offline-Institute diese Projekte als akademische Forschungsprojekte begründen und finanziell langfristig fördern. Darin sehe ich eine naheliegende Erklärung für den deutschen Vorteil: Wo das Geld fließt, sprießt die Technik. Krasse Beispiele der Überlegenheit von finanziell geförderten Websites wären außer IDS und LINSE (der eigene Server und eine Hilfskraft sind gespendet) noch das DaF-orientierte Wirtschaftsdeutsch in Düsseldorf oder Gutenberg-DE, das aus einer literarischen Website ein sich selbst erhaltendes Unternehmen gemacht hat.12) Für eine sich gedeihlich entwickelnde Website sind immer auch freiwillig arbeitende Enthusiasten als Gründer und Leiter lebensnotwendig, aber das gilt in der Regel auch für Offline-Forschungsprojekte. Jedenfalls kann die große Mehrheit der Autorinnen und Autoren in der Internet-Germanistik ein Klagelied über die Schwächen unserer Websites aufgrund des Mangels an Geld (=Zeit) und Mitarbeitern singen!

Diese deutschen Vorteile bedeuten aber nicht, daß hier eitel Sonnenschein herrscht. Um wieder auf meine Surf-Eindrücke zurückzugreifen: Mehr als in anderen Ländern beschränken die Germanisten in Deutschland ihre Internet-Angebote auf schöne Selbstdarstellungen und interne Nachrichten, und nehmen die bidirektionalen kommunikativen Möglichkeiten des Internet weniger wahr. Die schwache Teilnahme an Foren wie LINSE wäre ein Beispiel dafür, daß die deutschen Germanisten seltener via Internet kommunizieren. Die ästhetisch weniger polierte Homepage der Gesellschaft der Arno Schmidt-Leser scheint mir in Deutschland eine Ausnahme zu sein. Hier plädieren die Autoren: "Liebe Besucher! Eine Homepage lebt nicht zuletzt von der aktiven Mitarbeit ihrer Nutzer". Vielleicht ist ihr junges Gesprächsforum gerade dank dieser Einstellung schon das meist genutzte in Deutschland.

Die Frage der Offenheit führt uns zu anderen herausragenden Angeboten - groß und stabil sind ja nicht die einzigen Werte -, und damit in die USA. Hier findet man die weltweit erfolgreichsten Beispiele für Gesprächsforen und Publikationsorgane, die jeweils eine multidisziplinäre wissenschaftliche Öffentlichkeit um ihr Spezialgebiet zusammengeschart haben. Die Brecht- und Celan-Foren haben trotz technisch bedingter Pausen (verständlich, wenn die Verantwortlichen mittellose Studenten sind) langfristig gesehen die breitesten, aktivsten und auch anspruchsvollsten Adressatenkreise gefunden. Als Beispiele für die Zusammenarbeit und Diskussion in großen Gruppen sind die Mailing-Lists13) fast noch wichtiger, die über E-Mail - also abseits des WWW - Hunderte von Interessierten in Kontakt miteinander bringen. Soweit ich weiß, sind langjährige Erfolge wie die Mailing-Lists von WIG14) und AATG15) noch nicht außerhalb den USA zu finden. Und unter den Internet-Zeitschriften ragt glossen (aus Pennsylvania) als die beste, dienstälteste (4 volle Ausgaben), und inhaltsreichste Zeitschrift in der ganzen Internet-Germanistik heraus. Der Redakteur und Germanist Wolfgang Müller, und auch die Mitredakteure und Autoren, die sich in vielen Fällen schon ohne Internet einen Namen im Fach gemacht haben, halten das Internet offenbar doch für ein "salonfähiges" Medium der intellektuellen Kommunikation.

Eine Erklärung für diese geographischen und zugleich qualitativen Unterschiede finde ich in der schon angesprochenen größeren Verbreitung des Internet in den USA. Diese Verbreitung bringt eine gesunde Desillusionierung mit sich. Dort arbeiten Teilnehmer und Autoren in einer Atmosphäre, in der das Internet weniger als magischer Tummelplatz der Techno-Eliten, sondern eher als Realisierung von neuen Arbeitsweisen angesehen wird. Natürlich leiden die deutschen Internet-Germanistik-Enthusiasten viel weniger unter dem deutschen Technik-Skeptizismus, aber ihre sich dem neuen Medium verweigernden Kollegen, die in der überwiegenden Mehrheit sind, verwehren den gutgemeinten und auch gutgemachten Anfängen die erhoffte Produktivität - das gilt auch für LINSE und Computerphilologie.

Dazu kommen die Offline-Unterschiede in der ausländischen und inländischen Germanistik, die die Basis für die Online-Unterschiede liefern. Die US-amerikanische Germanistik (wie vermutlich die Auslandsgermanistik generell) ist schon immer einfach lockerer gewesen, methodologisch weniger streng geregelt und trainiert, dafür rauher, ungeschliffener und dadurch auch schneller. Diese Adjektive wähle ich, weil sie auch in der Internet-Germanistik weithin zu gelten scheinen. Weniger Förderung, niedrigere Erwartungen und weniger Hinaufspielen ins Mythische und Ideale: Diese Nachteile bringen zugleich mehr Freiheit mit sich. Das allgemeine Niveau in der ausländischen Germanistik wird nicht am adäquatesten als niedriger beschrieben, sondern als offener: zwangsläufig muß dort stärker mit einem multi- und interdisziplinären Publikum gerechnet werden.

II. Bestandsaufnahme

Außer einem Ideal braucht die Internet-Germanistik harte Arbeit. Die ist schon vielerorts und auf vielfältige Weise geleistet worden, auch wenn die Autoren die Ergebnisse nicht immer langfristig aufrechterhalten können. In dieser kursorischen Bestandsaufnahme übernehme ich Kategorien und Beispiele aus meinen IRfG. Ich kann zudem auf einen Computerphilologie-Beitrag von Fotis Jannidis verweisen, der eine treffende und besonders für den Einsteiger geeignete Einführung in die Internet-Germanistik gibt.16) Hier versuche ich vielmehr, weltweite Entwicklungen kritisch auszumalen.

Wie schon gesagt, besteht das Grundmuster aller Web-Angebote in der Homepage. In der Germanistik hat die Evolution dieser Form zwei Hauptrichtungen genommen. Die eine bezieht sich auf ein weltweit gültiges Forschungsthema, vor allem auf einzelne Autoren, und versucht, Interessenten anzulocken, sei es nur zum Lesen, manchmal auch zum gegenseitigen Gedankenaustausch oder zur Mitarbeit. Die andere Form funktioniert als Aushängeschild eines realen (d.h. nicht "virtuellen") Körpers, z.B. eines universitären Instituts oder eines Fachverbandes. Eine Form geht manchmal in die andere über, die folgenden Bemerkungen gelten dann den entsprechenden Teilen einer Website. Dabei sind es erwartungsgemäß die themenbezogenen Angebote, die deutlich besser als wirkliche Werkstätten und nicht nur als Werbung funktionieren.

1. Themenbezogene Websites

Das flotte Format und der schale Informationsgehalt der typischen persönlichen Homepage, die als multimediales Familienalbum verstanden werden kann, übernehmen vor allem die autorenbezogenen Homepages. Ein Autorin wie Else Lasker-Schüler oder ein Autor wie Karl Immermann werden mit biographischen Daten und einer Liste ihrer Schriften lexikonmäßig vorgestellt, und natürlich gehören als Multimedia-Elemente zumindest Bilder vom Dichter dazu, wenn nicht sogar ein Musikstück und graphische Schnörkel. Außer dem High-tech-Schnickschnack ist das aber alles Information, die einerseits schon in den privaten Handbibliotheken auch der germanistischen Studenten zu finden ist und andererseits nicht unbedingt dem oben angesprochenen Ziel des schnellen Zugriffs auf Information dient. Dieser weit verbreitete Ansatz schreckt vielmehr die Fachkollegen ab, die den Eindruck bekommen, es handele sich schon wieder um einen statischen Fan-Altar oder um die Wiederaufbereitung von leicht erhältlichen Papier-Veröffentlichungen. Ulrich Goerdtens interessante Sammlung von über tausend "biographischen und sonstigen Kurzinformationen" zu deutschsprachigen Autoren zeigt, daß die Masse solcher Angebote von nichtakademischen Enthusiasten stammen17) oder Teil irgendeiner Produktwerbung sind - oft von einer Zeitung oder einem Verlag gesponsert. Aber auch in den Seiten, die ich als akademisch relevant in die IRfG aufgenommen habe, werden nur in Ausnahmefällen aktuelle wissenschaftliche Themen angeschnitten oder aktuelle wissenschaftliche Nachrichten weitergegeben. Solche gelungenen Beispiele gibt es, wenn auch oft in begrenztem Umfang, bisher für die Forschungsthemen Brecht, Celan, C. F. Gellert, Friedrich Glauser, Hesse, Hildegard von Bingen (aber vielleicht nur wegen des Jubiläums), Hölderlin, Jünger, Kleist, Karl May, Kafka, Wolfgang Koeppen (wieder ein Jubiläumsfall) und Arno Schmidt

Die anderen germanistischen Themen leiden naturgemäß viel weniger unter dem Einfluß des Vorbilds "my homepage". Wer es sich vornimmt, ein abstrakteres Thema wie das Jesuitentheater18) oder "Romantische Anthropologie"19) darzustellen, ist von vornherein eher auf ein akademisches Niveau eingestellt. Nur bei diesen Themen findet man Arbeitswerkzeuge wie frei zugängliche Datenbanken und Mailing-Lists, und viel häufiger findet man hier aktuelle Nachrichten und Einladungen zur wissenschaftlichen Mitarbeit (zumeist allerdings an Offline-Projekten). Dagegen kann man die höhere Qualität dieser Angebote auch darauf zurückführen, daß sie beinahe ausschließlich von realen (und somit über Geld verfügenden) Forschungsprojekten, Gesellschaften und Instituten gegründet wurden und aufrechterhalten werden. Zum Vergleich: Weniger als die Hälfte der in die IRfG aufgenommenen Autoren-Homepages verdanken ihre Existenz zunächst einer solchen Institution. Die kausale Verbindung zum technischen Unterschied ist einfach: Funktionen, die über statischen Text hinausgehen, kosten den Autor viel mehr Zeit und technisches Können, und verlangen oft mehr vom eigenen Server.

In knapper Form möchte ich einzelne Leistungen der themenbezogenen Internet-Germanistik hervorheben, die ich als vorbildhaft für die weitere Entwicklung ansehe. Sie teilen sich in aktive und statische Funktionen auf. Aktive Formen der Kommunikation werden realisiert als Gesprächsforen bzw. Pinnwände und in der weit verbreiteten Praxis der Veröffentlichung von laufenden Nachrichten. Am besten dafür eignet sich die Form, die aus dem Usenet stammt und eine Baumstruktur von teilnehmerdefinierten Gesprächsfäden ("threads") sichtbar macht. Daß wir sie bisher nur in themenbezogenen Websites finden, deutet darauf hin, daß diese Form da eingesetzt werden soll, wo schon vom Thema her die Teilnehmer eine relativ klar definierte Gesprächsbasis teilen. (Natürlich darf es auch nicht zu spezialisiert sein!) Hier kommen oft Einsteiger und Experten zusammen, werden Projekte eingefädelt, Symposien und calls for papers angekündigt und spezialisierte, bisweilen verfremdende Fragen beantwortet, die anderswo nicht gestellt werden können. Teilnehmer, die geographisch oder institutionell von ihren Fachkollegen isoliert sind, können sich hier artikulieren und finden Unterstützung bei alltäglichen Fragen. ("Gibt es eine gute Arbeit zum Thema X?") Hier entsteht eine "Arbeitsatmosphäre", die wir an größeren Institutionen als selbstverständlich erachten.

Andere aktive Dienste haben nur indirekt mit menschlichem Kontakt zu tun, erleichtern aber auch unseren Arbeitsalltag. Datenbanken von aktuellen Forschungsvorhaben wie vom IDS20) und dem Mannheimer Zentrum für DDR-Forschung21) erlauben eine Orientierung im aktuellen Fachleben, die bisher nur den eingeweihten Bewohnern des Elfenbeinturms möglich war. Für eine sehr gute Idee halte ich auch die biographische Vorstellung der weltweit aktiven Forscher (sowohl online als auch offline), die auf der Kleist-Website angeboten wird.22) Dort ist auch die Präsentation der laufenden Bibliographie der Sekundärliteratur nachahmenswert. Aktuelle Hinweise auf Zeitungsrezensionen und Neuerscheinungen, wie sie die schon angeführten Celan-, Hesse- und Jünger-Websites bieten, wären in ähnlicher Form in Papierveröffentlichungen nicht möglich.

Statische Dienste sind solche, die dann längerfristige Gültigkeit beanspruchen können, wenn sie nicht kontinuierlich gepflegt werden. Für die Germanistik am wertvollsten - und von der "Produktion" her am aufwendigsten - sind die frei zugänglichen Datenbanken, die in den letzten Jahren in der Internet-Germanistik viel häufiger geworden sind. So können auch große Textmengen zugänglich gemacht werden, wie ein Beispiel aus der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts (im Freiburger "Klassikerwortschatz") zeigt, oder traditionellere Zettelkataloge durchsucht werden, wie für die "Passionsspiele im alpenländischen Raum". Beeindruckend in der technischen Ausführung sind u.a. die Datenbanken am Feuchtwanger-Archiv. Einfacher zu realisieren ist die Veröffentlichung von Primär- und Sekundärtexten. Die bereits realisierten Beispiele erstrecken sich von archivalischen Auskünften, wie für die Autoren des "Poetischen Realismus",23) über Seminararbeiten, Bibliographien und Dissertationen bis hin zu Primärtexten, die aus finanziellen Gründen wohl nie in einer Papierausgabe erschienen wären, wie etwa die brieflichen Zeugnisse über Ernst Jüngers Teilnahme am Ersten Weltkrieg.24) Andererseits erinnere ich wieder an das herausragende Angebot der Internet-Zeitschrift glossen, die druckreife (und im Multimedium Internet heißt dies zugleich noch mehr) Arbeiten von renommierten Autoren nicht in einer teueren Papier-Fachzeitschrift versteckt.

Es sind genau solche aktiven und statischen Angebote, die eine Internet-Germanistik erst rechtfertigen und lebenswichtig machen können. Denn diese Leistungen sind es, die in der Offline-Germanistik aus praktischen Gründen fehlen, und die ein schon immer geographisch verstreutes (Beispiel USA), disziplinär heterogenes (Beispiel German Studies) und finanziell schwaches (Beispiel Fachzeitschriften-Abonnements) Fach im (Arbeits-)Alltag braucht. Der Kreis der potentiellen Interessenten an unseren Arbeitsthemen ist immer groß genug gewesen, aber über ein Internet-Angebot wird dieser Interessentenkreis weitaus besser erreicht. Die auch für den "Uneingeweihten" bestehende Möglichkeit, auf diesem Weg schnell Antwort auf drängende Fragen zu erhalten, bedeutet auch, daß viel mehr "Uneingeweihte" die Chance erhalten, zu "Eingeweihten" zu werden - was wir unbedingt als positiv einschätzen müssen. Diese Entwicklung kann der Behandlung aller germanistischen Themen nur gut tun. Während des Studiums ist mir einmal gesagt worden, daß die Karriere dann beginnt, wenn man das eigene Spezialgebiet abgesteckt hat. Die Einzigartigkeit des eigenen Wissens sollte uns aber nicht dazu verführen, unser Wissen wie einen privaten Besitz vor fremdem Zugriff zu schützen. Die Nichtanwendung von Wissen führt zu seinem Absterben.

2. Institutionelle Homepages

Die große Mehrheit der germanistischen Websites besteht in den Homepages von germanistischen Instituten, Departments, Fachverbänden, Archiven, Fachzeitschriften usw. Hier möchte ich auf den Beitrag von Achim Bonte in diesem Band verweisen, der die institutionellen Angebote systematisch beschreibt. Ich argumentiere im wesentlichen aus der Perspektive des Auslandsgermanisten. Meine Kommentare basieren großteils auf den IRfG, aber auch auf meinen Erfahrungen 1995-1997 als Begründer der Homepage des German Department an der Universität in Madison, Wisconsin.

Es gibt in der Germanistik weit über 700 universitäre Homepages - in den IRfG sind mehrere Länder einfach durch gute einheimische Listen vertreten - und nur um die 30 für Institute und Fachverbände (die themenbezogenen ausgenommen). Darum behandele ich hier schwerpunktmäßig die universitären Websites. Verallgemeinernd kann man sagen, daß institutionelle Websites zwei Funktionen haben: einerseits gewähren sie praktisch-administrative Unterstützung für die eigene örtlich begrenzte Gruppe oder für die Mitglieder des eigenen Verbands, und andererseits dienen sie der öffentlichen Selbstdarstellung (bis hin zur ungenierten Selbstreklame).

Für die USA kann ich sagen, daß sogar die offizielle Motivation bzw. Berechtigung, eine universitäre Germanistik-Seite zu gründen, immer in der Selbstvermarktung besteht. Die Universitäten sind auf konkurrenzfähige und zahlende Studenten angewiesen, damit sie überhaupt am Leben bleiben. Der Druck, nationalen Rang zu erreichen, kommt dabei sowohl von oben als auch von unten. Von oben verlangt die Verwaltung vom Department einen großen Einsatz, um die Studentenzahlen zu wahren und zu vergrößern. Die Geldgeber, ob privat (z.B. Ehemalige) oder öffentlich (Landeskongreß und Gouverneur), verlangen Prestige von der gesamten Universität, in Form von nationalen Umfrageresultaten, akademischem Ansehen, Preisen, Auszeichnungen, Stipendien usw. Von unten kommt der Druck genauso: Studenten, Schüler und die bezahlenden Eltern suchen sich die "rentabelste" Bildungs-Investition aus und wollen überzeugt werden, daß ein teures Studium nachher etwas in der Welt bedeuten wird.

Das Resultat sieht also sehr nach freier Marktwirtschaft aus. Mehr "Hits" auf der Germanistik-Website führen hoffentlich zu mehr "Käufern" von z.B. "Germanistik-Studieneinheiten". Die Hauptsache ist, daß neue zahlende Studenten, Verbandsmitglieder, oder Zeitschriftenabonnenten gefunden werden. Dies sollten wir aber nicht gleich ganz und gar negativ beurteilen, denn es ist natürlich eine Hinwendung zur Öffentlichkeit, auf die die Germanistik, wie die Geisteswissenschaften insgesamt, zum Überleben angewiesen ist. Positiv gesehen: Im Internet haben die Geisteswissenschaftler zum ersten Mal in "großem Stil" die Chance, die bewußtseinsbildenden Mittel und die Kommunikations-Technologie, die die Marktwirtschaft bereitstellt, für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Ausschlaggebend ist die Offenheit, Einfachheit und Erschwinglichkeit des Publizierens, unabhängig davon, wie umfangreich der Beitrag und wie bedeutend sein Autor ist.

Die Funktion der Homepage als Kommunikationsmittel für die eigene Gruppe ist eine viel nüchternere. Zusammengefaßt werden in der germanistischen Welt die folgenden nachahmenswerten Funktionen bereits genutzt: Informationen für die Mitglieder und Möglichkeit der Kontaktaufnahme, laufende Nachrichten über eigene (Lehr-)Veranstaltungen, Unterstützung für themenbezogene Homepages einzelner enthusiastischer Mitglieder und Veröffentlichung der offiziellen Texte - Statuten, Aufnahmeverfahren usw. -, die natürlich auch auf Papier zu haben wären, aber selten im eigenen Kram auffindbar sind, wenn man sie doch einmal braucht. Bei diesen Arten von Texten sind solche am wertvollsten, die als Hypertext gestaltet sind. Damit kann der "Leser" die gesuchte Stelle schneller und leichter finden als in einer Papierausgabe.

a. Deutsche Universitäten

Die folgenden drei Universitäten haben Germanistik-Homepages eingerichtet, die atypischerweise die ganze Welt der Germanistik zum Lesen und zur Mitarbeit einladen:

LINSE in Essen: Dieses Beispiel für den ungleich intensiveren Umgang mit dem Internet unter den Sprachwissenschaftlern (gegenüber den Literaturwissenschaftlern) habe ich bereits gelobt. LINSE bezeugt aber auch die Neigung der Internet-Germanisten, sich bevorzugt mit der Internet-Germanistik und überhaupt mit dem Internet zu beschäftigen. Das gilt für die zahlreichen Rezensionen, die Bibliographien, die Links zur Online-Unterstützung der Unterrichtsvorbereitung und die Internet-Zeitschrift OBST (aus Oldenburg). Auf ihrem ESEL veröffentlichen sie "Zeichnungen, Seminararbeiten, Referate und alles, was uns zur Veröffentlichung geeignet erscheint". Außerdem bieten sie freien Raum für "Publikationen" an - bisher kommen sie dabei auf acht. Die Homepages der Mitarbeiter haben einen nachahmenswerten Kompromiß zwischen einem dem Institut schmeichelnden Layout mit Listen der eigenen Veröffentlichungen und einem persönlichen Ausdrucksraum (v.a. bei den Studenten) gefunden. Die Essener Fakultätsmitglieder haben ungewöhnlicherweise wirklich WWW-gerechte, aktuelle Homepages. Das Linguistik-Forum wird seit Oktober 1997 trotz der bisher eher schwachen Resonanz (die aber stärker zu werden scheint) aufrechterhalten, außerdem gibt es Forums-Versuche zu den Themen "Neuen Medien" und "Schule und Computer" mit jeweils nur ein paar Einträgen.

Die Fernuniversität Hagen25) kann als Experimentierfeld dafür angesehen werden, wie durch das Internet bestimmte geographische Gebiete mit verstreuter Bevölkerung besser mit Bildung versorgt werden können. Zeitlich eng begrenzte "Präsenzveranstaltungen" ersetzen das traditionelle Semester. Ein virtuelles Seminar über "Goethes Lyrik" ist leider für Nichtteilnehmer nicht zugänglich. Auch findet man sehr wenig über das kleine germanistische Institut selber. Eine weitere neue Idee aus Hagen ist die "Internet-Konferenz" im Herbst 1998 über "Literatur der Verfolgung" in Zusammenarbeit mit einem Kollegen in Taiwan.

"Deutsch als Fremdsprache" in Dresden:26) Die DaFler in Dresden (dank der Arbeit von Ulrich Zeuner) zeigen, daß die praktischen Aufgaben des Fremdsprachenunterrichts viel stärker als die der akademischen Wissenschaft zum Gebrauch des Internet animieren. Sie bieten drei Kurse für Dresdener und Internet-Teilnehmer an, die für Deutschstudenten bzw. Deutschlehrer gedacht sind. Neben anderen typischen Angeboten gibt es einen wissenschaftlichen Hypertext-Aufsatz und einen Konferenzbericht vom Oktober 1997 mit einer Einladung zu Kommentaren, die aber offensichtlich unbeantwortet geblieben ist.

Andere "inländische" Instituts-Homepages: Darunter verstehe ich Seiten an deutschsprachigen Universitäten, die nur eine lokal begrenzte Internet-Germanistik fördern. Natürlich wirft aber eine gut funktionierende Arbeitsgruppe auch Interessantes für Außenseiter ab! Als herausragendes Beispiel nehme ich die Mediävistik in Essen:27) Als Student kann man sich dort dank des Internet anscheinend besonders gut auf die Vorlesungen vorbereiten. Trotzdem verteidigt der hauptverantwortliche Autor, Jürgen Fröhlich, die Notwendigkeit der Vorlesungen selber in einem lesenswerten Kommentar. Mit dem Hypertext-Preprint einer Grammatik mit Übungen und Primärtexten hat der Student praktische Vorteile, die die Papierausgabe nicht bietet. Andere Kurs- und Primärtexte im Hypertext-Format werden auch angeboten. Ich halte diese Vorgehensweise für ungleich praktischer als die sonst weltweit üblichen Fotokopien, die sich die Studenten alle vor der Vorlesung von einem einzigen im Institut eingeschlossenen Exemplar machen müssen. (Natürlich hat die ältere Germanistik den Vorteil, sich weniger mit Copyright-Gesetzen herumschlagen zu müssen.) Wichtig ist überdies, daß die Essener Kursbeschreibungen ständig aktuell gehalten werden. Die Professoren-Homepages und die als Kursmaterial gedachten Bibliographien sind gleichfalls nachahmenswert.

Eher grundsätzlich muß ich anmerken, daß es seit Sommer 1997 eine sehr deutliche Verbesserung der Germanistik-Homepages an deutschen und schweizerischen Universitäten gibt. (Die österreichische Germanistik war früher der deutschen in Sachen Internet deutlich voraus, jetzt hat die deutsche aufgeholt.) Plötzlich erscheinen vielerorts "Online-Seminare", Professoren-Homepages, Programmbeschreibungen, Listen der Lehrveranstaltungen (und leider auch viele große Graphiken), wo vorher nicht viel mehr als die Anschrift und die Telefonnummer des Instituts zu finden war. Auch gibt es mehr Web-Projekte, die vielleicht bald als eigenständige "themenbezogene" Homepages wichtig werden können. Noch wichtiger aber ist, daß jahrelang vernachlässigte Webseiten jetzt mehrmals im Jahr aktualisiert werden. Hoffentlich macht man auch so weiter!

Eine Frage habe ich dabei an meine inländischen Kollegen. Dort beschreibt man auf den Homepages oft "Forschungsprojekte", ein offiziell existierendes Gebilde, das wir in den USA in dieser Form nicht kennen. Es scheint ein Forschungsvorhaben zu sein, das langfristig eine Gruppe von Wissenschaftlern beschäftigt und auf eine größere Veröffentlichung zielt - also ein Muster an Teamarbeit, um das ich Euch beneide. Aber zu 99% (die Ausnahmen sind selbständige themenbezogene Websites geworden) werden diese Forschungsprojekte mit einem sehr kurzen, meist bürokratischen Text über das Thema und einer Liste der Mitarbeiter abgetan. Ist das nur als Reklamemaßnahme des Instituts zu werten, oder ist hier nicht vielmehr eine große Gelegenheit, das Projekt und seine Mitglieder in die größere Welt der Germanistik einzubinden? Ich denke zumindest an E-Mail-Kontakte und an eine Beschreibung, die nicht nur dem Image des Instituts, sondern auch dem Projekt als Teil seiner laufenden Arbeit dient. Die Gegenkraft ist hier vermutlich wieder die Tatsache, daß die Webmaster gute Absichten haben, die Professoren im Projekt aber kein Interesse an einer Internet-gestützten, d.h. offenen Germanistik haben.

b. US-amerikanische Universitäten

Der Unterschied zwischen der deutschen und der US-amerikanischen Internet-Germanistik ist im wesentlichen Ausdruck des Unterschieds zwischen inländischer und ausländischer Offline-Germanistik. Ausschlaggebend ist das andere Publikum (bzw. die andere Kundschaft), an die sich die Auslands-Germanistik wendet. Man kann es von den allermeisten unserer universitären Homepages ablesen, daß es unsere vorrangige Mission sei, unseren Studenten die verschiedensten praktische Vorteile, die die Beherrschung des Deutschen als einer Fremdsprache eröffnet, zu vermitteln. Dabei spielt die Wirtschaft die größte Rolle: viele lassen ganz oben auf der Seite des German Departments eine ökonomische Statistik prangen, die beweisen soll, wie groß die wirtschaftliche Macht Deutschlands und damit zugleich der potentielle Markt ist. Ich kann aber auch nicht verschweigen, daß viele Departments ein schwarz-rot-goldenes Layout wählen und auch mit anderen Mitteln deutsch-patriotische Emotionen wecken wollen.

Das ist aber nur das auffallend Bunte in der großen Menge von fast 500 Department-Homepages, die im wesentlichen dazu da sind, überhaupt Studenten für die deutsche Sprache zu interessieren. Bezeichnender für den inhaltlich germanistischen Unterschied sind die Marketing-Strategien gegenüber unseren majors (Hauptfach-Studenten), die eine kleine aber wichtige Minderheit unserer Studenten bilden. Sie werden weiter hinaufgelockt mit der Interdisziplinarität der German Studies. Kurz gefaßt: Der Student erhält dadurch einen Überblick über die Welt, indem er eine spezifische Kultur - im weiteren Sinne verstanden (nicht nur Sprachkunst, nicht nur Kunst überhaupt, sondern auch Naturwissenschaften, Wirtschaftspraxis, popular culture, Alltagsleben) - in ihren Eigenheiten und in ihrer Wechselwirkung mit anderen Kulturen studiert. Aus diesem Studium soll die Fähigkeit erwachsen, eine fremde Kultur für die Mitglieder der eigenen Kultur vermitteln und verständlich machen zu können. Natürlich wird hier die Möglichkeit des internationalen Marketings als künftiger Beruf zuweilen erwähnt, aber es geht nicht nur um Marketing-Berufe. Interdisziplinarität ist auch dann gefragt, wenn immer mehr der US-amerikanischen "German majors" eigentlich Deutsch als eines von zwei Hauptfächern studieren, wie eine nationale Umfrage von Cora Lee Nollendorfs (Univ. of Wisconsin-Madison) unlängst ergeben hat.28) Zudem ist das andere Hauptfach überraschenderweise oft gar keine Geisteswissenschaft, sondern Wirtschaftswissenschaft, eine Ingenieur- oder eine Naturwissenschaft (bei mir z.B. war es Physik). Das "harte" Fach soll wohl in der Regel dem künftigen Broterwerb dienen, die Germanistik ist in erster Linie dazu da, den Lebenslauf international und kreativ aufzupeppen.

Das sind die unmittelbar auffallenden Eigenschaften unseres Fachs und deshalb auch unserer Homepages, die man in dieser Form in der inländischen Germanistik nicht findet. Im folgenden greife ich wieder eine Handvoll Beispiele heraus, die mir besonders lobenswert erscheinen. Am praktischsten teile ich sie auf in Departments, die den Ph.D. anbieten, und in solche, die höchstens den M.A. oder B.A. als Studienabschluß anbieten.

Ph.D.-Programme: Das sind genau 48 von 486 Fachbereichen, und sie sind deutlich seriöser bzw. akademischer angelegt als die anderen. Hier gibt es aber doch einen Unterschied zwischen privaten und staatlichen Universitäten: Viele der staatlichen Departments fungieren als Geburtsstätten und Server für eine oder mehrere themenbezogene Homepages, Internet-Zeitschriften oder Fachverbände. Dagegen bleiben die privaten Departments im Internet eher geschlossen und werden insgesamt seltener aktualisiert. Das hängt aber wohl eher mit den im Durchschnitt kleineren Zahlen von Germanisten an privaten Universitäten zusammen.

Das Layout der Ohio State University verwirklicht die gute Idee, die eigenen virtuellen Projekte ganz oben auf der Website als eigene, vom Department offiziell anerkannte Leistungen zu präsentieren. Es sind doch ohnehin die Internet-freundlichen Germanisten, die Department-Homepages lesen! Ohio State hat auch die gute Idee gehabt, den persönlichen Homepages der graduate students (18 an der Zahl!) ein Layout zu geben, das zeigt, daß auch solche kreativen Ausdrucksräume zu den Leistungen des Departments gezählt werden können.

Texas und Virginia (wie auch das Nicht-Ph.D.-Programm von Toledo) sind so klug gewesen, ganz oben die Bewerbungsformulare für einen Studienplatz als graduate student unterzubringen. Damit bedienen sie eine große Gruppe von Department-Homepage-Lesern: die Studenten, die auf der Suche nach einer graduate school in Germanistik sind. Zu diesem Thema muß ich auch die Department-Homepage der Washington University (in St. Louis) erwähnen, die überhaupt die ausgefeiltesten Werbetexte über die Vorzüge des eigenen Standorts anbietet.

Harvard ist bislang das einzige Programm, das seine Leseliste für das Examen zum Ph.D. veröffentlicht. Es wäre sehr interessant und diskussionsfördernd, wenn auch andere so offen wären, die eigene Vorstellung vom germanistischen Kanon transparent zu machen. Auch in meinem Department, wo jeder Proband eine eigene Leseliste zusammenbastelt, wäre es für alle nützlich, wenn solche Listen im Internet zu lesen wären.

Nicht-Ph.D.-Programme: Diese orientieren sich sehr viel stärker am Internet-gestützen Unterricht als die Ph.D.-Programme. Obwohl ich in dieser Studie nicht auf die pädagogische Seite der Internet-Germanistik eingehen kann, will ich einen Besuch auf der Romantik-Webpage des Dickinson College empfehlen, um zu verstehen, was eine course page sein kann. Dort hat nicht wie üblich ein Mitarbeiter der Universität die ganze Arbeit geleistet, sondern die Studenen haben eigene Multimedia-Arbeiten zum Thema veröffentlicht. Arizonas acht (!) solcher "course pages" sind eher konventionell aufgebaut, aber dort gibt es auch ein tatsächlich viel anbietendes "Graduate Teaching Assistant Network" (schon der Name klingt paradiesisch in meinen Ohren), damit nicht nur die Studenten, sondern auch die Dozenten die kommunikativen Vorteile des Internet für den Sprachunterricht nutzen können. Hier muß auch die sehr pragmatisch und inhaltsreich gebaute "teaching aid" Webpage an der Washington University sehr gelobt werden, die auch für Deutschlehrer aus aller Welt sehr nützlich sein kann.29) Aus Oberlin kommt ein weiteres Zeichen, daß US-amerikanische Studenten das Internet ungeniert als Kommunikationsmittel nutzen: Die Mitglieder des "German House", einer Einrichtung, die viele unserer Departments den Studenten anbieten, benutzen ihre Homepage als aktives Zentrum für Nachrichten und als kreativen Ausdrucksraum.30)

Verbände: Ein paar der nichtuniversitären institutionellen Homepages in den USA (natürlich verdanken sie ihre Server universitären German Departments) haben auch Funktionen verwirklicht, die anderswo noch nicht zu finden sind. Women in German (WIG) sowie der kleinere britische Verband Women in German Studies (WIGS), unterhalten langfristig aktive Mailing-Lists oder Pinnwände, die hunderte von Germanisten einbeziehen. WIG nützt seine kollektive Kraft auch, um laufend Fachbuchrezensionen und einen Hypertext-gerechten Newsletter zu veröffentlichen. Die Eastern German Studies Group (EGSG) versteht es ebenfalls, das Internet für Gemeinschaftsarbeit zu nutzen, indem ihr Newsletter bereits in der Aufbauphase zugänglich gemacht wird.

Meines Erachtens wird die Internet-Aktivität der ausländischen Forscher, besonders wenn sie schon als Fachverband organisiert sind, dadurch verstärkt, daß sie eben im Ausland verstreut sind. Die Verheißung des Internet für die germanistische Forschung zieht in stärkerem Maße geographisch verstreute Gruppen von Mitstreitern an, die auf elektronischem Weg ohne Schranken und Grenzen über ihr spezielles Forschungsthema zusammenarbeiten können. Hier ist die Schwerkraft der Praxis eine positive für die Internet-Germanistik. Denn es ist nun einmal einfacher und billiger (und dazu auch noch ergiebiger), mit weit entfernten Gleichgesinnten über das Internet zusammenzuarbeiten als via Telefon, Fax oder Flugzeug.

3. Sinn und Unsinn einer Linkliste

Volker Deubel stellt in seiner Kritik von Maczewskis Geisteswissenschaften und WWW eine interessante Frage: "Die Begrifflichkeit bereitet gelegentlich Probleme. Unter "Allgemeine Einstiegspunkte" begegnet der Oberbegriff "Zentrale Institutionen". Bei einem eher dezentralem Gebilde wie dem Internet weckt dies Spannung, die allerdings sogleich enttäuscht wird. Denn was man findet, sind einige Adressen an amerikanischen und englischen Universitäten, wo allgemeine Sammlungen von geisteswissenschaftlich relevanten Adressen bereitgehalten werden. Sind diese Universitäten zentrale Internet-Institutionen?"31)

Wie man in IRfG unter "Zentrales" sehen kann, ist meine direkte Antwort: "Ja, auch sie". Die Frage unterstellt die verbreitete, aber unpräzise Erwartung, daß der finanzielle Sponsor des Servers (fast immer irgendeine Universität) etwas mit den Inhalten des Servers zu tun hat. Bei solchen Linklisten - wie bei allen Webpages - muß man jedoch mehr von deren Autoren, in der Germanistik Menschen wie Duncan Large und Ulrich Goerdten, und nicht von Swansea und Berlin reden.

Der Kern von Deubels berechtigter Frage liegt aber darin, daß eine Linkliste nur ein Inhaltsverzeichnis ist, und zwar, zugespitzt formuliert, ein Inhaltsverzeichnis ohne Inhalt! Wer die Linkliste zusammengestellt hat, ist in der Regel nicht auch für die darin nachgewiesenen Inhalte verantwortlich. Eingangs habe ich das Internet in seiner Funktion als weltweite yellow pages verteidigt. Sind unsere Linklisten aber mehr als nur die zufällig elektronischen "Gelben Seiten" für die zufällig im Internet gelandeten und ebenso zufällig von einem Link-Sammler gefundenen Lebenszeichen der traditionellen Germanistik? Gibt es überhaupt kein höheres Ziel für eine Linkliste, als eben das zu sein?

Der Unsinn der Sache wurde sehr früh in der Geschichte des Internet beklagt, schon bei den ersten Exemplaren dieser Form von Orientierungshilfen, z.B. bei der Geburt von Yahoo. Man bemängelte die Oberflächlichkeit und bezweifelte, daß das überhaupt eine produktive Leistung darstellt, einfach Hinweise auf Hinweise auf Hinweise zu häufen. Bald wurde "Content" (Inhalt) als Leitbegriff gefragt (vgl. die Selbstverteidigung in Peter Larges "Dutch Links"32)). Und nachdem die besseren, automatisierten Suchdienste wie HotBot und AltaVista sich einen guten Ruf in Sachen Vollständigkeit und Aktualisierung verdient hatten, war der Vorwurf noch treffender. In der sehr unstabilen bzw. dynamischen Welt des WWW hält die Aktualität einer noch so mühsam "komponierten" Linkliste nicht sehr lange der rapiden Verjährung stand.

Der Sinn dieses Unternehmens verdankt sich eben der Wechselhaftigkeit und Unübersichtlichkeit des WWW. Hier zitiere ich ein paar andere Stimmen. In einem klaren, analytischen und konstruktiven Artikel in der österreichischen Internet-Zeitschrift TRANS unterstreicht der Germanist António Sousa Ribeiro die Frage von Neil Postman, "ob wir uns eigentlich nicht 'zu Tode informieren'" mit diesen Unmengen von digitaler "'context-free information'".33) Ribiero fordert dann als "dringend notwendig" die Etablierung von "perfektionierte[n] Orientierungs- und Suchsysteme[n]" und von "Vermittlungsinstanzen, die als Lotsen fungieren können". Stefan Alexe warnt in seinem TRANS-Artikel vor einem Zusammenbruch des Internet "wegen einer Informationssättigung [...] oder, umgekehrt, wegen der Nichtbewältigung von der (scheinbar) immer Neues bringenden Informationsflut".34)

Dieses Bedürfnis nach Orientierung im WWW wurde aber schon in den ersten Beta-Versionen des ersten Browsers "Mosaic" erkannt und zum Teil beantwortet. Noch heute benutzt und braucht jeder WWW-User die aus der Urzeit der Browser-Technologie stammenden persönlichen bookmarks oder Lesezeichen. Die auf diese Weise generierten Listen stellen zwar immer noch den höchsten Standard an individualisierter Anpassung dar, leiden aber unter zwei Nachteilen: Meistens bleiben sie im Stadium des zufällig Gefundenen, und man muß selber alle Adressen aktuell halten.

In der Zeitung International Newsweek fand ich die interessante Nachricht, daß sich die Internet-Industrie die Zukunft so ausmalt, daß es das höchste Ziel sein wird, für die ganze Welt die Eingangspforte zum Internet zu sein.35) Man schätzt, daß nach der mehrjährigen Schlacht der multinationals nur noch fünf solcher portals die Anfangsseite für jeden Browser-Benutzer der Welt liefern werden. Ähnlich darwinistisch wird es wohl in der Germanistik nicht zugehen, aber es ist schon verständlich, daß ein von allen Germanisten der Welt benutztes Eingangstor, auf die Bedürfnisse der Germanistik abgestimmt, eine die Zusammenarbeit fördernde, menschenfreundliche Einrichtung sein könnte.

In einer ähnlichen Idee wie der des portal sehe ich den Sinn der ständig aktuell gehaltenen Linklisten für die Germanistik. Natürlich soll es viele (oder doch nur einige?) konkurrierende geben, damit verschiedene, möglichst klar definierte Perspektiven auf das Internet bedient werden können. Ich denke dabei z.B. an germanistische Perspektiven wie historische Sprachwissenschaft, German Studies, germanistische Literaturwissenschaft, Pädagogik, ausländische Germanistik usw. Solche Linklisten fungieren als die von Ribeiro verlangten Lotsen, sie leiden nicht unter den Nachteilen der überspezifischen Lesezeichen, und sie werden nicht wiederum unübersichtlich wie die universellen Suchdienste oder wie die Internet-Verzeichnisse wie Web.DE, Yahoo usw.

Um diese Bestandsaufnahme der Internet-Germanistik abzuschließen, führe ich noch ein wichtiges Beispiel für eine tatsächliche Leistung an, und zwar eine Linkliste: Die Erlangener Link-Sammlung. Weil von allen germanistischen Linksammlungen diese deutlich am häufigsten in der weltweiten Internet-Germanistik zitiert wird, kann sie als die bekannteste angesehen werden. Darum möchte ich diese Sammlung einer näheren Kritik unterziehen. Sie vertritt in der Tat mit ihrer beneidenswerten Voll-Text-Suche den höchsten Stand der Technik. Das Angebot basiert auf einer so breiten Definition des germanistischen Gegenstandsbereichs, von Photographie über Metapherntheorie zum Puppenspiel, daß es einem glattweg den Atem verschlägt. Sie ist überhaupt die am breitesten angelegte Linksammlung in der germanistischen Welt und nimmt mehrere wichtige und ehrenvolle Aufgaben wahr. Beispiele sind die Versuche, die breite Skala von "wichtigen Kontexten" wie Philosophie und Geschichte als Anschlußpunkte für Germanisten bereitzuhalten oder die Bemühungen, Primärtexte online zugänglich zu machen oder das anspruchsvolle Ziel, die ganze Bandbreite der aktuellen Kultur aus der Sicht der Germanistik darzustellen.

Diese Aufgaben werden im einzelnen aber nicht so gut erfüllt, wie sie anderswo schon längst erfüllt werden. Ich vermisse sehr das Bewußtsein für die Bedeutung - und den Nutzen - globaler Zusammenarbeit. Es wären an verschiedenen Stellen Hinweise auf fremde Sammlungen, die viel vollständiger und/oder aktueller sind, sehr angebracht. Unter "Ressourcen" werden nur die in Deutschland (!!) beheimateten germanistischen Linksammlungen aufgeführt, aber auch diese werden nicht in den überall vorkommenden internen Querverweisen berücksichtigt. Ein konkretes Beispiel für diese Schwäche wäre die Kategorie "Fachzeitschriften": Hier sind Duncan Larges Liste und die Zusammenstellung in den IRfG schon seit Jahren die weltweit vollständigsten. Der Erlangener Hinweis auf den "Professional Online Kiosk" gibt zwar große (aber nicht Germanistik-spezifische) Listen von Zeitschriften, aber auch dort findet man keine Links zu den Webseiten der Zeitschriften selber, die z.B. für potentielle Autoren viel wichtiger wären.

Am zutreffendsten beschreibt man diese anspruchsvolle Sammlung als eine kluge und gutgebaute Informationsstruktur, die in der Lage wäre, viel mehr oder besseren Inhalt handlich darzustellen, als bislang aufgenommen wurde. Ein typisches Beispiel ist die erste Kategorie "Institute und Institutionen", die einerseits für Germanisten weniger relevante Links wie "Bundesämter" (der BRD) aufnimmt, und andererseits ziemlich zufällig ausgewählte Einrichtungen anführt wie die Japanische Gesellschaft für Germanistik, die als einzige der ausländischen Germanistenverbände Aufnahme gefunden hat. Wenn man insgesamt, auch im großen Angebot unter "Epochen", die tatsächliche Auswahl an Links mit den anspruchsvollen Überschriften und dem aktuellen Stand im Internet vergleicht, erscheinen die schon erzielten guten Leistungen kleiner als sie es verdienen. Am krassesten ist die Angabe: "Unsere Such- und Informationsseite - beantwortet (fast) alle Fragen, die Sie in oder über Deutschland haben." Das "(fast)" ist sicher ein Zeichen von bewußter Ironie - zumindest kommt aus Erlangen auch die germanistische Homepage für "Parodien und Travestien".36)

III. Zukunft

Hier möchte ich als Ergebnis meiner Bestandsaufnahme einige der zukünftigen Möglichkeiten der Internet-Germanistik skizzieren, die mir besonders verheißungsvoll erscheinen. Das World-Wide-Web als der Veröffentlichungs- und Leseraum des Internet ist grundsätzlich demokratisch im Sinne einer möglichst breiten Öffentlichkeit: Jeder kann alles lesen, was öffentlich gemacht wird, und jeder kann alles öffentlich machen, was er präsentieren möchte. Wichtig ist, daß dies weltweit im Sekundentakt auch geschieht. Sogar der Kritiker Ribeiro erkennt im Internet "zweifellos ein wichtiges Demokratisierungspotential".37) In der Praxis sieht die Demokratie des Internet natürlich ganz anders aus, was viele Kommentatoren aus aller Welt schon beschrieben haben. Höchst undemokratische Schwierigkeiten hindern den universellen Zugang und die universelle Verlegertätigkeit. Für unser Fach erschreckend, ist Ribeiros Nachricht, "daß von den Mitgliedern des portugiesischen Germanistenvereins nicht über 20% über eine E-Mail Adresse und einen Internet-Anschluß verfügen. Anderswo wird die Lage, so vermute ich, nicht sehr verschieden sein".37) In den USA sind es sicher über zwei Drittel, aber schon in Deutschland liegt die Zahl wohl noch unter der Hälfte.

Trotzdem kann man für die Internet-Germanistik eine schöne Zukunft malen. Erstens ist die Germanistik selber, wie alle Wissenschaft, nie wirklich eine demokratische Sache gewesen. (Wer hat schon die Muße und den Luxus, das Leben mit germanistischen Fragen und Aufgaben zu verbringen?) Das Internet könnte die Germanistik sogar noch etwas zugänglicher machen, wenn es nicht sogar schon dabei ist, dieses Ziel zu verwirklichen. Die praktische Begrenzung des Zugangs trifft ausgerechnet für die Gruppe nicht zu, die es schon geschafft hat, etwas an oder mit einer Universität zu tun. Ich frage mich allerdings, wieviele der deutschen Germanisten ihre E-Mail-Adresse tatsächlich benutzen. Da fehlt es eher an generationsbedingter, vielleicht auch kulturbedingter38) und sicher fachinterner Akzeptanz als an Technik oder Geld.

Ich teile die Ansicht von Fotis Jannidis, daß die Labels "Kommunikation" und "Information" die wichtigsten Felder für die Internet-Germanistik umreißen. Bis heute haben wir nur den Anfang der sehr produktiven Möglichkeiten auf diesen zwei Gebieten verwirklicht.39)

1. Kommunikation

Randall Collins führt in "On the Sociology of Intellectual Stagnation: The Late Twentieth Century in Perspective" den historischen Beweis aus dem Mittelalter an, daß das intellektuelle Arbeitsmuster von dezentralisierten Forschergruppen, die miteinander konkurrierend arbeiten, ein Erfolgsrezept ist.40) Unmittelbar relevanter ist Alexes Schluß, daß Gruppen im Internet, die "einen eigenen Weg einschlagen", die Quelle für "potentielle Umbrüche" des Ganzen sein können.41) Das interpretiere ich als eine kreative Kraft, die für den Fortschritt des Ganzen notwendig werden kann. Beide Feststellungen stellen eine Forderung an die Germanistik, die heute ohne das Internet gar nicht mehr zu erfüllen ist. Die kleine, ortsgebundene Gruppe wird leider in der heutigen Germanistik der schrumpfenden Universitäten schwächer. Dafür können im Internet neuartige, vorher nicht mögliche Gruppenbildungen entstehen, in denen Interessenten (und nicht mehr nur Professoren) sich zu Themen und Projekten zusammenfinden, je nach individuellem Zeitbudget und Interesse.

FAQs, Diskussions-Foren, Newsgroups, Chat-Rooms zum Fachsimpeln: Diese in anderen Gebieten schon weit verbreiteten und sehr praktischen Kommunikationsmittel, von den Programmierern dieser Welt zur Erleichterung ihrer eigenen Arbeit erfunden, sind für solche Tätigkeiten geeignet, mit denen einzelne, über die Welt verstreute Menschen einzelne Projekte verfolgen, und trotzdem eine gemeinsame Arbeitssprache und Arbeitsweise ständig festlegen und weiterentwickeln müssen. Gilt das nicht auch für die Germanistik als eine lebendige Wissenschaft? Oder ist der Elfenbeinturm, die grand isolation, wirklich für die intellektuelle Unbefangenheit des genialen Professors als lebensnotwendig zu verteidigen? Zur Zeit einer apolitischen, aweltlichen, für eine kleine, wohlhabende Elite reservierten Literaturwissenschaft war das wohl der Fall. Die Arbeitsmuster des Lebenswerkes, das nach jahrzehntelangem Grübeln am Schreibtisch als gründliches und grundlegendes Buch in der Fachgeschichte seinen Platz verdient, ist schon lange aus praktischen Gründen veraltet. Heute ist es ja nicht nur ein Trend, sondern eine ökonomische Notwendigkeit, daß die Germanisten endlich, wie seit langem die Sozial- und Naturwissenschaftler, die Teamarbeit, Gruppenarbeit und Zusammenarbeit aufnehmen. Der Gewohnheit, auf germanistischen Symposien aneinander vorbeizureden und germanistische Arbeiten an eine unbestimmte Leserschaft der Ewigkeit zu adressieren, als ob wir selber die Literaturschaffenden wären, muß Abhilfe geschafft werden (damit meine ich aber nicht etwa deren Abschaffung). Das am nächsten liegende Hilfsmittel für die geographisch und thematisch weit verstreute Germanistik sind die Arbeitsmethoden der Internet-Arbeiter. Um zu besseren Resultaten zu gelangen, brauchen wir in der Vorbereitungsphase unserer Arbeiten (auch unserer traditionellen!) offene, informelle, lösungsorientierte Formen der Kommunikation mit unseren zeit- und geldarmen Kollegen aus aller Welt, und das Medium dafür steht mit dem Internet parat.

Online-Konferenzen, nicht nur orts-, sondern auch zeitunabhängig, sind in der Germanistik noch nicht verwirklicht worden. Eine tatsächliche Verbesserung der Kommunikation unter verstreuten Spezialisten würde dynamischere und schnellere Gruppenbildung, Thesenformulierung und Materialverbreitung ermöglichen. Das könnte von den heutigen themenbezogenen Homepages ausgehen. Die alltäglichen Seiten der Wissenschaft sollten wir aufdecken und öffentlich machen. Das Neuartige an der virtuellen Öffentlichkeit gegenüber z.B. manchen Gesprächen auf Symposien ist, daß sie durch die Körperlosigkeit weniger offensiv, aggressiv und Image-bezogen ist. Einer sucht und findet, und mit dieser extrem einfachen Suchaktion landet man mitten im Gespräch der Spezialisten. Die Neugier des newcomers wird auch als stummer Zuhörer reichlich und sofort belohnt, und gleichzeitig auf ein bestimmtes Niveau gehoben, worauf er es dann wagen kann, den Mund bzw. die Tastatur aufzumachen.

2. Information

In der Offline-Germanistik veröffentlichen wir entweder zuviel, sodaß die Klage des Qualitätsverlusts laut wird, oder zuwenig, sodaß Brauchbares in der Schublade verendet. Die Flexibilität des Mediums Internet erlaubt eine Lösung dieses Dilemmas: Alles veröffentlichen - kein Mensch (nur dessen gut oder schlecht gemachte Software) wird es alles lesen -, und die verschiedenen Lotsen unseres Fachs (u.a. die Internet-Zeitschriften) werden schon ihre konkurrierenden spezifischen "Bestenlisten" auswählen. Die elektronischen, vernetzten Texte werden heute schon regelmäßig von den automatisierten Internet-Suchmaschinen als Voll-Text indiziert, und jeder, der auf der Suche ist, findet auch den kleinsten relevanten Satz auf der anderen Seite der Welt. Und er kann die vollständigen Texte im Nu durchblättern und das auswählen, was seine Frage am besten beantworten wird. Noch besser aber ist es, wenn der Autor selber seine elektronischen Texte so vorbereitet, daß er nicht wie auf Papier von jedem noch so fachfremden Leser verlangt, daß der Leser seinen ganzen langen Text (z.B. ein Buch) verstehen bzw. mißverstehen muß, bevor das gesuchte und angebotene Wissen gefunden werden kann.

Wir reden hier aber nicht nur über die Unmengen unserer schönen germanistischen Wissenschaftsprosa, sondern noch wichtiger sind die Unmengen von Primärtexten, historischen Dokumenten und querverweisreichen Findmitteln, die dadurch zum ersten Mal überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen können. Der österreichische Archivar Andreas Brandtner eröffnet seinen Bericht über "Die Literaturarchive auf dem Weg ins Informationszeitalter" mit der Feststellung: "Verlangt doch die Weiterentwicklung von Wissenschaft, Forschung, Bildung, Kultur, Wirtschaft und Technik etc. eine leistungsaktive Literatur- und Informationsversorgung".42) Ich begrüße besonders seine "Erste Vorbemerkung: Die Qualität literaturwissenschaftlicher Praxis und auch literaturtheoretischer Reflexion ist direkt abhängig von der zur Verfügung stehenden Datenbasis und dem spezifischen Bewußtsein davon." Die technische Erfindung, die solche Datenmassen verfügbar macht, erfüllt besser als herkömmliche papierabhängige Methoden - sie ergänzend - die jahrhundertealte philologische Forderung, noch genauer und mit noch breiteren Kenntnissen über einen Text und seinen Kontext zu arbeiten. Ich möchte aber Brandtners Begriff "Datenbasis" auch auf unsere schönen germanistischen Fachergüsse ausweiten - mit automatisch generierten archivalischen Findmittel können wir auch unsere in gedruckter Form vorliegenden Arbeiten viel besser nutzen.

Konkret gibt es im neuen Medium Internet zwei Schreibtechniken, die wir auf Papier nicht haben: Links und Datenbanken. Mit Ribeiro behaupte ich, daß die Folgen der neuen Informations-Techniken "nicht einfach eine verbesserte technische Hilfe" darstellen, sondern daß sie zu grundsätzlichen methodologischen Verbesserungen in der Germanistik führen müssen.43) Vor allem müssen wir uns, meine ich, mit diesen beiden Techniken auseinandersetzen, die beim Schreiben sowohl in Kombination miteinander als auch im Zusammenspiel mit den auf Papier bereits bekannten Techniken benutzt werden können. Das gilt für elektronische Primärtexte ohnehin, aber auch die Philologie nimmt die Neuerungen der Literatur für das eigene Schreiben auf. So gibt es derzeit viele geisteswissenschaftliche Dissertationsprojekte, die nur in elektronischer Form (etwa auf CD-ROM) in vollständiger Form lesbar sein werden.

Wir können das Wort "Archiv" vielleicht als den passenden Begriff übernehmen, um diese neue Form der Veröffentlichung von Fachwissen zu bezeichnen. Das Wirkungspotential der großen Masse des Spezialwissens wird zum ersten Mal realisierbar in der Form eines Archivs mit eingebauten Links und Datenbanken. Und wenn einzelne Forscher es endlich wagen, ihre - traditionell gesehen - unreifen Fragmente und Arbeitsnotizen als organisierte Archive ins Internet zu stellen, entsteht langsam die Arbeitsbasis für philologische bzw. geschichtswissenschaftliche Auswertungssysteme (natürlich gesteuert von einem Fachmann bzw. einer Fachfrau). Solche Systeme müssen ohnehin entwickelt werden, um die wertvollen Nadeln im Heuhaufen des Internet zu finden. Ribeiros Parabel für das Internet beschreibt u.a. das Archivalische am Netz: "was bleibt, ist das Archiv als hypertextuell konstruiertes Netz, ein Labyrinth, wo jeder seinen Faden nicht von einer Ariadne empfängt, sondern selbst mitbringen muß, ohne jemals sicher sein zu können, daß er ausreichend lang sein wird." Aber mit der Anerkennung: "strukturell ist das Netz ein reines, offenes Nebeneinander" fordert er dann die Anerkennung der Rolle des intelligent auswählenden Kollegen als "Autorität", entgegen der postmodernen These des Autorschwunds im Hypertext. Sehr richtig stellt er u.a. fest: "Das Kriterium der Autorität gilt nicht nur für E-Texte, sondern in gleichem Maße für den Aufbau von Archiven und Datenbanken. Im Grunde ist eine Datenbank als eine besondere Diskursform zu verstehen, die wie jeder Diskurs eine Fülle von Vorentscheidungen mitimpliziert."44) Nach ihre Veröffentlichung sollen solche Leistungen dann, meine ich, von anderen "Autoritäten" für andere Zwecke wiederum gelinkt, umorganisiert, verbessert und einfach zitiert werden.

So gestalten wir eine sehr produktive Zukunft in der Internet-Germanistik. Die notwendigen Wachstumsbedingungen sind eine individuelle und institutionelle Offenheit, die fachinterne Anerkennung und die nüchterne Anwendung des Mediums Internet sowie der Wille zur Reform der Germanistik. Einstweilen bleibt die "Internet-Germanistik" jedoch eingeklemmt zwischen dem Muß des fortschreitenden Marktes und der Herrschaft der reallangweiligen Praxis.

1) Alan Ng, Internet Resources for Germanists (im folgenden als IRfG angeführt) http://polyglot.lss.wisc.edu/german/links.html. Ich empfehle, auf IRfG zurückzugreifen, um die aktuellen Adressen der zitierten Websites zu finden.

2) Der Stand der Beobachtungen und Adressenangaben im folgenden ist von Mai und Juni 1998.

3) Vor allem in der Vorbereitung von DAAD/Monatshefte Directory of German Studies. Departments, Programs, and Faculties in the United States and Canada 1995, hrsg. Alan Ng und Valters Nollendorfs, New York und Madison: DAAD New York und GSI, 1996.

4) "FAQ" ist die weitverbreitete, auch eingedeutschte Abkürzung für "Frequently Asked Questions". Das ist eine Liste von praktischen Fragen mit direkten Antworten, vor allem zur schnelle Orientierung für Einsteiger geeignet. Sie ist über die letzten fünf Jahre in den verschiedensten Gebieten eine selbständige Form der textuellen, benutzerfreundlichen, anwendungsorientierten Wissensvermittlung geworden.

5) Diese grobgestrickte Statistik habe ich anhand neuester Zahlen errechnet. Im kommerziellen Dienst http://www.headcount.com am 30. Juni 1998. Einwohnerzahlen fand ich am 3. Juli 1998 im CIA Factbook http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/. Zum Vergleich errechnete ich für das Vereinigte Königreich 10%, für die Niederlande 9%, und für Frankreich 5%.

6) Ich denke dabei z.B. an eine schreckliche Rezension der Brecht-Homepages in der Berliner Zeitschrift Zitty. Vgl. Stephan Porombka, "Brecht-File Not Found. Der Lehrstückeschreiber als Leerstelle im Internet", in Zitty Nr. 2 (1998), S. 46.

7) Vgl. die entsprechende Kategorie in Yahoo, 1998, 5. Juli 1998 http://www.yahoo.com/Computers_and_Internet/Internet/World_Wide_Web/Best_of_the_Web/

8) LINSE, a.a.O.

9) Computerphilologie, hrsg. von Karl Eibl, Volker Deubel und Fotis Jannidis, 16. April 1998, 5. Juli 1998 http://computerphilologie.uni-muenchen.de/.

10) Institut für deutsche Sprache (hiernach als IDS angegeben), Homepage, 25. Mai 1998, 5. Juli 1998 http://www.ids-mannheim.de/. Die Datenbank "Sprachwissenschaftliche Forschungsvorhaben" war im Juni 1998 unter http://www.ids-mannheim.de/oea/forsch/ zugänglich.

11) Auf der IDS-Website heißt es u.a.: "Finanziert wird das Institut gemeinsam vom Bund und dem Land Baden-Württemberg".

12) Gutenberg-DE, 1998, abc.de Internet-Dienste, 5. Juli 1998 http://gutenberg.aol.de/gutenb.htm

13) Der Terminus "Mailing-List" soll als Internet-spezifischer Begriff inzwischen eingedeutscht sein. Vgl. Volker Deubels Kritik des Buches von Jan-Mirko Maczewski, Studium digitale. Geisteswissenschaften und WWW (Hannover: Heiske, 1996), in Computerphilologie (1997), Mai 1998 http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jg97/deubel/Rezension.htm

14) "The WIG-L Discussion Group", ohne Datum, Women in German, 5. Juli 1998 http://www.bowdoin.edu/dept/german/wig/WIG-L.html

15) Leider ist keine Statistik über die Mailing-List angegeben in: American Association of Teachers of German (AATG), Homepage, 11. Juni 1998, 5. Juli 1998 http://www.aatg.org/

16) Fotis Jannidis, "Das Internet: Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für Germanisten", in Computerphilologie (1997), 7. Mai 1998 http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jg97/internet.html

17) Ulrich Goerdten, Fachinformationen Germanistik, 1. Juli 1998, Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, 5. Juli 1998 http://isis.ub.fu-berlin.de/~goerdten/germref.html#kurz

18) Christof Wolf S.J., Jesuitentheater in Deutschland 1574-1773, 10. März 1998, 5. Juli 1998 http://www.hfph.mwn.de/~chwolf/Jesuitentheater_in_Deutschland.html

19) Romantische Anthropologie, 16. Mai 1998, Institut für neuere deutsche und europäische Literatur der Fern-Universität Hagen, 5. Juli 1998 http://www.fernuni-hagen.de/EUROL/Projekt/RomAnthr.htm

20) "Sprachwissenschaftliche Forschungsvorhaben", a.a.O.

21) Vademekum der DDR-Forschung, ohne Datum, Arbeitsbereich DDR-Geschichte am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, 5. Juli 1998 http://www.mzes.uni-mannheim.de/cgi-bin/w3-msql/ddr-forschung/maske_ddr.html

22) "Heinrich von Kleist, Wissenschaftler-Biographien", 5. Januar 1998, Kleist-Archiv Sembdner der Stadt Heilbronn, 6. Juli 1998 http://www.kleist.org/bio/index.htm

23) Richard Hacken und Marianne Siegmund, Deutsche Dichterhandschriften des Poetischen Realismus: Ortsverzeichnis, ohne Datum, Harold B. Library, Brigham Young University, 6. Juli 1998 http://library.byu.edu/~rdh/prmss/

24) John King, "Ernst Jünger and the First World War - Some Little Known Material", 26. März 1998, 6. Juli 1998 http://www.sjc.ox.ac.uk/users/king/juenger/ww1/ww1extra.html

25) Institut für neuere deutsche und europäische Literatur, Homepage, 17. Februar 1998, FernUniversität Gesamthochschule Hagen, 6. Juli 1998 http://www.fernuni-hagen.de/EUROLIT/

26) Die Deutsch-als-Fremdsprache-Seite der TU Dresden, 16. Februar 1998, Lehrbereich Deutsch als Fremdsprache im Institut für Germanistik der TU Dresden, 6. Juli 1998 http://www.tu-dresden.de/sulifg/daf/home.htm

27) Jürgen Fröhlich, "Mediävistik-Homepage", ohne Datum, Universität GH Essen, 6. Juli 1998 http://www.mediae.uni-essen.de/

28) Z. B. S. 390 in Cora Lee Nollendorfs, "Special Survey: To Whom and to What End Do We Teach German?", in Monatshefte 89.3 (Fall 1997), S. 386-391.

29) Stephen Carey, Unterrichtsstoffseite, 5. Mai 1998, Meyer Language Lab an der Washington University, 6. Juli 1998 http://ascc.artsci.wustl.edu/~langlab/gerteachaid.html

30) Max Kade German House, Homepage, 17. Juni 1998, Oberlin College, 6. Juli 1998 http://www.oberlin.edu/~GARD/ghouse.html

31) Vgl. Deubel (wie Anm. 12).

32) Peter Large, "Peter Large's Dutch Language and Culture Page", 28. Juni 1998, 6. Juli 1998 http://www.hull.ac.uk/php/abspjl/pjlhp/DutchLinks.html

33) António Sousa Ribeiro, "Information oder Wissen? Die Kulturwissenschaften im digitalen Zeitalter", in TRANS. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 3 (März 1998), 7. Mai 1998 http://www.adis.at/arlt/institut/trans/3Nr/ribeiro.htm

34) Stefan Alexe, "Kommunikationsgeschwindigkeit und das Überleben von Systemgleichgewichten: das Internet in der Jahrtausendwende", in TRANS: Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 3 (März 1998), 7. Mai 1998 http://www.adis.at/arlt/institut/trans/3Nr/alexe.htm

35) Steven Levy, Brad Stone, Jennifer Tanara, Jennifer Bensko, "Surfers, Step Right Up!", International Newsweek May 25, 1998, S. 50-56.

36) Ernst Rohmer, Theodor Verweyen und Gunther Witting, Parodien und Travestien, 30. März 1998, 6. Juli 1998 http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2gerlw/parodie/lenore.html

37) António Sousa Ribeiro, "Information oder Wissen? Die Kulturwissenschaften im digitalen Zeitalter", in TRANS. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 3 (März 1998), 7. Mai 1998 http://www.adis.at/arlt/institut/trans/3Nr/ribeiro.htm

38) Als Bemerkung zu der Internet-Statistik für Deutschland in http://www.headcount.com am 30. Juni 1998 gab es nur einen Satz, der erläuterte, daß die Deutschen skeptischer als die Briten und Franzosen gegenüber dem Kreditkarten-Gebrauch im Internet seien. Für andere Länder gab es keine solche kulturellen Kommentare.

39) Jannidis, a.a.O. Genaueres zum Thema "elektronische Kommunikation" teilt Jannidis in diesem Band mit.

40) Randall Collins, "On the Sociology of Intellectual Stagnation: The Late Twentieth Century in Perspective", in Cultural Theory and Cultural Change, hrsg. Mike Featherstone, London: SAGE, 1992. S. 73-96.

41) Stefan Alexe, "Kommunikationsgeschwindigkeit und das Überleben von Systemgleichgewichten: das Internet in der Jahrtausendwende", in TRANS: Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 3 (März 1998), 7. Mai 1998 http://www.adis.at/arlt/institut/trans/3Nr/alexe.htm

42) Andreas Brandtner, "Die Literaturarchive auf dem Weg ins Informationszeitalter: Zur Vernetzung der österreichischen Literaturarchive" in TRANS: Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 2 (November 1997), 5. Mai 1998 http://www.adis.at/arlt/institut/trans/2Nr/brandtner.htm

43) António Sousa Ribeiro, "Information oder Wissen? Die Kulturwissenschaften im digitalen Zeitalter", in TRANS. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 3 (März 1998), 7. Mai 1998 http://www.adis.at/arlt/institut/trans/3Nr/ribeiro.htm

44) António Sousa Ribeiro, "Information oder Wissen? Die Kulturwissenschaften im digitalen Zeitalter", in TRANS. Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 3 (März 1998), 7. Mai 1998 http://www.adis.at/arlt/institut/trans/3Nr/ribeiro.htm


Stand: 25.1.99
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