Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Deutsches Wörterbuch


99-1/4-496
Deutsches Wörterbuch / Gerhard Wahrig. Neu hrsg. von Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem "Lexikon der deutschen Sprachlehre". - 7., vollst. neu bearb. Aufl. Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. - Gütersloh : Bertelsmann-Lexikon-Verlag, 2000. - 1420 S. ; 28 cm. - ISBN 3-577-10446-5 : DM 59.90
[3770]
99-1/4-497
Wahrig, Deutsches Wörterbuch [Computerdatei] / [Gerhard Wahrig]. - Neu bearb. auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln. - Gütersloh : Bertelsmann-Lexikon-Verlag ; München : Bertelsmann Electronic Publishing, 1997. - 1 CD-ROM in Behältnis. - (Bee book). - ISBN 3-577-11017-1 : DM 98.00 (unverbindliche Preisempfehlung)
[4089]

Die Neubearbeitung des Wahrig beruft sich nicht nur auf die amtliche Neuregelung, sondern als erstes Wörterbuch auch auf "Empfehlungen" der Rechtschreibkommission, d.h. auf die exklusiven Beratungen, die den von der Kommission ausgewählten Verlagen Bertelsmann und Duden zuteil geworden sind. Es war bereits durchgesickert, daß die Kommission auf diesem Wege versuchen würde, ohne erneute Beratung und Zustimmung der Kultusminister einige "unumgänglich notwendige" Korrekturen am mißlungenen Regelwerk doch noch durchzusetzen. Das neue Wörterbuch geht noch ein Stück weiter in diese Richtung als die zweite Auflage der Bertelsmann-Rechtschreibung. Man kann das am Schicksal der Wörter schwerbehindert, schwerbeschädigt erkennen. Sie werden wieder zusammengeschrieben, und zwar nicht mehr nur als Variante, obwohl das amtliche Wörterverzeichnis ebenso kategorisch Getrenntschreibung vorsieht.

Auf derselben Linie liegt die schon früher angebahnte Distanzierung von der amtlichen Vorschrift in zahlreichen Fällen wie aufsehenerregend, glückbringend usw. Sie werden wieder zusammengeschrieben im Falle von Steigerung oder Erweiterung. Das ist zwar immer noch nicht ganz richtig gesehen, weil der prädikative Gebrauch ausgespart wird (die Kredite wurden Not leidend bleibt grammatisch falsch, auch wenn die Neuregelung es verbindlich vorschreibt), aber im großen und ganzen ist der alte Zustand nun wiederhergesetellt, so daß der hier verwendete Rotdruck (für "Neuschreibung") keine Berechtigung mehr hat.

Äußerst irritierend ist auch hier, daß die Wortarten noch ebenso zugewiesen werden, als habe es die Neuschreibung mit ihren - wenn auch falschen - grammatischen Implikationen gar nicht gegeben. So soll Aufsehen erregend immer noch "Adjektiv" sein, Leid (in Leid tun) "Adverb", ebenso Abend in heute Abend usw., obwohl doch die Reformer die Großschreibung ausdrücklich damit begründen, daß es sich hier um Substantive handele.

Die Silbentrennung wird immer weiter getrieben: Bläu-epilz, Breake-ven usw., und weil manche ungemein häufig vorkommenden Präfixe jetzt jeweils eine weitere Trennstelle haben (hi-nein, ü-ber), füllt sich Spalte um Spalte mit mehr Rotgedrucktem als in jedem anderen Wörterbuch. Daß weder die Druckmedien noch sonst irgend jemand von diesen sinnstörenden und völlig überflüssigen Trennungen Gebrauch macht, wird überhaupt nicht berücksichtigt.

Mehr noch als die anderen Wörterbücher hat dieses neueste Werk den Charakter einer Übergangslösung, denn die auf jeder Seite ins Auge fallenden Abstrusitäten zwingen nun wohl jedermann zu der Einsicht, daß es so nicht bleiben kann.

Fazit

Die neuen Wörterbücher spiegeln nur wider, was alle gebildeten Menschen deutscher Zunge seit Jahren wissen: Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist selbst nach dem Urteil ihrer Schöpfer nicht haltbar, an ihrem Rückbau wird bereits seit längerem gearbeitet. Die Nachrichtenagenturen versuchen, sich eine gemeinsame Hausorthographie zu erarbeiten, die weder mit der bisherigen noch mit der Neuregelung identisch ist. Damit ist der beklagenswerte Zustand des 19. Jahrhunderts wiederhergestellt, aus dem die von Konrad Duden mitgestaltete Einheitsorthographie der allseits begrüßte Ausweg war.[1] Wie auch immer die "Zukunftsorthographie" aussehen wird - sie dürfte näher bei der bisherigen als bei der reformierten liegen. Vom Kauf eines reformierten Wörterbuchs oder irgendeines anderen Buches in Neuschreibung ist unter diesen Umständen dringend abzuraten. Denn wer bei der bisherigen Rechtschreibung bleibt, schreibt auf jeden Fall richtig und für die nächsten Jahre auch "korrekt".

Anhang: Zur Fremdwortschreibung nach der Rechtschreibreform

Die sehr weitreichenden ursprünglichen Pläne zur Eindeutschung der Fremdwörter scheiterten am Einspruch der Kultusminister. Ganz mochten die Reformer zwar nicht darauf verzichten, doch beschränken sich die Neuschreibungen zum großen Teil auf Wörter wie Necessaire (Nessessär), die für die Schule keinerlei Bedeutung haben oder sogar völlig obsolet sind wie Frigidaire (Frigidär). Während der Reformer Augst immerhin noch für eine ganze Reihe englischer Wörter die Verdoppelung der Konsonantenbuchstaben als Zeichen der Vokalkürze einführen wollte, verbreitete sich die Einsicht, daß es nicht gerade im Zuge der Zeit liege, fitt, Flopp, Hitt usw. oder gar Bopp (statt Bob) zu schreiben. So ist praktisch nur Tipp übriggeblieben. Einige längst übliche Eindeutschungen wurden sogar rückgängig gemacht; zum Beispiel soll Gräkum zugunsten von Graecum aufgegeben werden.

Das Praxiswörterbuch von Duden bevorzugt bei Fremdwörtern aus lebenden Sprachen grundsätzlich die fremde Schreibweise. Die Nachrichtenagenturen wollen sich diesem Brauch anschließen, der übrigens mit dem übereinstimmt, was sich die vielsprachige Schweiz von vornherein ausbedungen hat.

Eine Veränderung, deren Reichweite noch gar nicht recht abzusehen ist, betrifft die Groß- und Kleinschreibung bei mehrteiligen Fremdlexemen. Während hier bisher nur das erste Wort groß und alles andere klein geschrieben wurde (Ultima ratio, Political correctness, Eau de toilette, Viola d'amore, Herpes zoster usw.) - eine bemerkenswert einfache Regel, von der die Praxis nur bei manchen englischen Ausdrücken abwich -, soll nun jedes Substantiv auch im Inneren der fremden Wendung groß geschrieben werden. Abgesehen von der erheblich gestiegenen Anforderung an die Kenntnis fremder Sprachen (bisher hat noch kein Wörterbuchmacher erkannt, daß es nach der neuen Regel Herpes Zoster heißen muß!), ist es widersinnig, zwar die Substantive der deutschen Großschreibung, nicht aber die Adjektive der deutschen Kleinschreibung anzupassen. Es müßte ja konsequenterweise ultima Ratio, dolce Vita usw. heißen. Übrigens schreiben auch alle neuen Wörterbücher - wie bisher - L'art pour l'art statt korrekt L'Art pour l'Art; nur das ÖWB beläßt es beim gänzlich unintegrierten Zitatwort l'art pour l'art, was natürlich ebenfalls zulässig ist.

Besonders durchgreifend soll die Silbentrennung verändert werden. Hier werden vom Rechtschreib-Duden sowie vom DUW und Bertelsmann-Wahrig alle Möglichkeiten, auch die absurdesten, ausgereizt. Das Praxiswörterbuch verabschiedet sich zwar weitgehend von diesem Radikalprogramm, verfährt aber im übrigen so inkonsequent, daß das Ergebnis keinesfalls befriedigen kann. Diese seltsame Praxis beruht offenbar auf der Überlegung, daß die altsprachlichen Kenntnisse im gleichen Maße zurückgehen wie der altsprachliche, besonders der Griechischunterricht an unseren Schulen. Diese Schlußfolgerung ist jedoch falsch. Durch die Internationalisierung, die Fachsprachen und die ohnehin in der deutschen Bildungssprache ungemein produktive Lehnwortbildung werden zahlreiche lateinische und griechische Wortelemente immer weiter verbreitet. Während vor hundert, ja noch vor fünfzig Jahren nur ein verschwindender Teil der Bevölkerung allenfalls wußte, was öko- oder nano- etwa bedeuten, wissen oder ahnen dies heute breiteste Kreise. Homöostase wird zutreffend erklärt als Zusammensetzung aus gr. homoios und Stase (mit Verweisung auf diesen Eintrag). Warum aber wird dann die Trennung Homöos-tase angegeben? (DUW s.v., ebenso homoös-tatisch, obwohl statisch natürlich ebenfalls lemmatisiert ist.) Die präfigierend gebrauchten griechischen Präpositionen werden durchweg erklärt, so daß nicht einzusehen ist, warum zwischen Dutzenden von organisch getrennten Verbindungen mit Meta plötzlich die Metas-tase auftaucht (DUW, Praxiswörterbuch; ebenso metas-tasieren, metas-tatisch). Aber immer wenn sich zufällig die Buchstabenverbindung st ergibt, scheinen alle morphologischen Intuitionen schlagartig auszusetzen. Das DUW gibt a-dä-quat, im Praxiswörterbuch bleibt immerhin adä-quat übrig (da die Abtrennung einzelner Buchstaben nicht mehr vorgesehen ist), aber auch dies ist kein befriedigendes Ergebnis. Wer das Wort Hypäthraltempel gebraucht, dürfte die Trennung Hy-päth-ral-tem-pel nicht nötig haben (DUW). Das lateinische in dürfte hinreichend bekannt sein. Warum trennt das DUW es durchweg richtig ab (in-stigieren usw.), nur nicht bei Ins-tinkt? Das Praxiswörterbuch nimmt diese Trennung zurück, bleibt allerdings bei Urins-tinkt. Epik-lese steht neben Kata-klase. Mag die Trennung nach Sprechsilben auf den ersten Blick eine "Erleichterung" sein (natürlich nur für den Schreibenden, an den Leser denkt niemand, obwohl doch letzten Endes das Schreiben nur um seinetwillen da ist), so verflüchtigt sich dieser Eindruck bei genauerem Hinsehen. Denn diese Trennung vermehrt den Lexembestand um zahlreiche, noch dazu sinnfreie Gebilde und erhöht damit die Gedächtnisanforderungen. Es gibt jetzt nämlich nicht nur den allenfalls zu memorierenden Anthropus, sondern den Kanthropus (Pithe-kanthropus), den Nanthropus (Si-nanthropus) und den Lanthropus (Phi-lanthrop). Ebenso die Narchie, Garchie und Rarchie (aus Monarchie, Oligarchie und Hierarchie). Das Erstaunlichste an der neuen Silbentrennung ist die antiquierte Voraussetzung, daß es vor allem um Erleichterungen für den mühsam vor sich hin syllabierenden Schüler oder "Wenigschreiber" gehe. In Wirklichkeit wird heute fast nur noch am Computer getrennt, und da gibt es längst Trennprogramme, die mit Fremdwörtern keine Schwierigkeiten haben. Sie trennen auch Symptom richtig, so daß es absurd wäre, hier die stümperhafte Trennung Symp-tom einzuprogrammieren, die das Praxiswörterbuch empfiehlt (zwischen lauter richtig analysierten Wörtern, die das Präfix sym absichern). Da die Fachleute solche laienhaften Trennungen niemals akzeptieren werden, werden sie stets ein Zeichen der Ungebildetheit sein und haben daher neben den besseren Lösungen keine Überlebenschance.


[1]
Der Duden : Geschichte und Aufgabe eines ungewöhnlichen Buches / von Günther Drosdowski. - Mannheim [u.a.] : Dudenverlag, 1996. - 49, [12] S. : Ill. ; 19 cm. - Kostenlos [3911]. (zurück)

Zurück an den Bildanfang