Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Die neue deutsche Rechtschreibung


99-1/4-482
Die neue deutsche Rechtschreibung : entspricht den neuen amtlichen Richtlinien und dem Schulgebrauch ; mit den neuen Regeln und Schreibweisen für Deutschland, Österreich und die Schweiz / verfasst von Ursula Hermann. Völlig neu bearb. und erw. von Lutz Götze. Mit einem Geleitwort von Klaus Heller. - Gütersloh : Bertelsmann-Lexikon-Verlag, 1996. - 1040 S. ; 20 cm. - ISBN 3-577-10625-5 : DM 19.90
[3471]
99-1/4-483
Bertelsmann, Die neue deutsche Rechtschreibung [Computerdatei] : entspricht dem neuen amtlichen Regelwerk und dem künftigen Schulgebrauch ; mit den neuen Regeln und Schreibweisen für Deutschland, Österreich und die Schweiz / [verfasst von Ursula Hermann. Völlig neu bearb. und erw. von Lutz Götze]. Mit einem Geleitwort von Klaus Heller. - München : Bertelsmann Electronic Publishing, 1996. - 1 CD-ROM. - ISBN 3-577-11100-3 : DM 39.90
[3609]
99-1/4-484
Die deutsche Rechtschreibung : [entspricht der amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung und dem Schulgebrauch ; mit den neuen Regeln und Schreibweisen für Deutschland, Österreich und die Schweiz ; das neue Standardwerk] / verfasst von Ursula Hermann. Völlig neu bearb. und erw. von Lutz Götze. Mit einem Geleitwort von Klaus Heller. - [Grundlegend erw. und aktualisierte Ausg.]. - Gütersloh ; München : Bertelsmann-Lexikon-Verlag, 1999. - 1073 S. ; 20 cm. - ISBN 3-577-10660-3 : DM 29.90
[5687]

Die neue deutsche Rechtschreibung[1] von Bertelsmann lag am 2. Juli 1996 in den Buchläden, genau einen Tag nach der Unterzeichnung der Wiener "Absichtserklärung" der Kultusminister. Die Neuregelung ist nur teilweise umgesetzt, in Hunderten von Fällen sind irrigerweise die bisherigen Schreibweisen beibehalten. Erst in späteren, zunächst nicht einmal gekennzeichneten Nachdrucken kann man eine ständig zunehmende Angleichung an den neuen Duden beobachten. Dabei übernimmt Bertelsmann z.B. auch die Fehldeutung, wiedersehen und ein Dutzend ähnliche Bildungen müßten nun getrennt geschrieben werden. Ebenso auffällig wie die vielen falschen Einträge sind die vom Verlag besonders herausgestrichenen rot umrandeten Kästen, in denen die neuen Schreibweisen erläutert werden. Hier und in der umfangreichen didaktisierten Darstellung, die dem Wörterbuch vorangestellt ist, zeigt sich, daß der Bearbeiter weder die bisherige Regelung hinreichend kennt noch die Reform verstanden hat. Dutzende von althergebrachten Schreibweisen werden fälschlich als "neu" gekennzeichnet. Zu den schwersten Versäumnissen gehört es, daß die neue Großschreibung im Inneren mehrgliedriger Ausdrücke aus anderen Sprachen systematisch vernachlässigt worden ist: Die Neuregelung verlangt zwingend Alma Mater, Corpus Delicti, Dolce Vita, Fin de Siècle usw., aber das Wörterbuch enthält durchgehend die bisher übliche Kleinschreibung aller Teile mit Ausnahme des ersten.

Hatten sich die zahlreichen Nachdrucke der ersten Auflage in der Auslegung der Regeln wie auch im Stichwortbestand immer mehr an den Duden angenähert, so beruht die zweite Auflage vom Frühjahr 1999 offensichtlich auf Beratungen mit der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission. Man kann die Wandlungen dieses Wörterbuchs am Schicksal des Wortes wiedersehen verfolgen. Die erste Ausgabe ließ es - offenbar aus Nachlässigkeit - bei der üblichen Zusammenschreibung. Im Zuge der fortschreitenden Orientierung am Duden wurde auch dessen Fehldeutung der allerdings höchst unklaren amtlichen Regelung übernommen und wieder sehen getrennt geschrieben. Inzwischen ist der Irrtum aufgeklärt, die Neuauflage schreibt es wieder zusammen.

Schwerbehindert und schwerbeschädigt können überraschenderweise und entgegen den eindeutigen Vorgaben der amtlichen Regelung auch wieder zusammengeschrieben werden, allerdings nur, wenn sie bedeuten "mit einem ärztlichen Attest versehen". Das bedeuten sie freilich nie; der linkische Hinweis soll vielmehr sagen, daß es sich hier um feste Begriffe handelt, woraus eben die besondere Betonung und Zusammenschreibung folgt. Genau diesen Zusammenhang wollte die amtliche Regelung nicht anerkennen, nun ist er durch ein ähnliches Hintertürchen wieder zur Geltung gekommen wie im Duden-Praxiswörterbuch mit seinen "fachsprachlichen" Sonderschreibungen. Götzes Behauptung, "fachsprachliches" nichtleitend, nichtrostend sei von neuerdings getrenntem nicht leitend, nicht rostend (mit zwei Akzenten!) zu unterscheiden, hat ebenfalls keine Stütze im amtlichen Regelwerk.

Die unerhört schwierige neue Regel, wonach substantivische Bestandteile in mehrgliedrigen Entlehnungen aus fremden Sprachen groß zu schreiben seien, war in der ersten Ausgabe fast gar nicht beachtet worden; es hieß Tertium comparationis, Pour le mérite wie eh und je. Das ist nun nachgeholt: Tertium Comparationis, Pour le Mérite.

Die neuen Möglichkeiten der Silbentrennung werden bis zum Absurden ausgeschöpft: In einem besonderen Kasten lehrt das Wörterbuch: "Die Abtrennung eines Einzelvokals ist korrekt, da nach Sprechsilben getrennt wird: Berga-horn, Berga-kademie." Aber niemand trennt so, am allerwenigsten die Reformer selbst. Ein verantwortungsvoller Deutschlehrer wird seine Schüler darauf hinweisen, daß man nicht Bi-omüll trennen sollte, denn was ist dieser Omüll, der nach Bertelsmann in der Otonne gesammelt werden soll? Die Unterstellung, bei Biomüll, Biotonne seien "für den normalen Schreibenden die einzelnen Bestandteile nicht mehr als solche erkennbar", ist eine Beleidigung selbst für den simpelsten Zeitgenossen.

In den roten Kästen sind auch krasse Fehler der ersten Auflage stehengeblieben. So heißt es zu selbständig/selbstständig: "Die bisherige Regelung - Tilgung des zweiten -st- - wird aufgehoben." Hier ist nie etwas getilgt worden, sondern selbstständig ist einfach eine etwas jüngere Bildung vom Stamm selbst- anstelle des älteren selb-, und das Ganze hat mit Rechtschreibung überhaupt nichts zu tun. Zur volksetymologisierenden Neuschreibung Zierrat vermerkt Götze im roten Kasten: "Analog zu der Vorrat wird hier zukünftig ein vorausgehendes (!) -r-geschrieben."

Duden


[1]
Vgl. meine ausführliche Besprechung in: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. - 64 (1997), S. 80 - 83. (zurück)

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