Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Rock-Lexikon


99-1/4-321
Rock-Lexikon / Barry Graves ; Siegfried Schmidt-Joos ; Bernward Halbscheffel. - Reinbek bei Hamburg : Rowohlt. - 22 cm. - Umschlagt.: Das neue Rock-Lexikon
[5116]
1. ABBA - Lynyrd Skynyrd. - Vollst. überarb. und erw. Neuausg. - 1998. - 558 S. - (rororo ; 16352 : Sachbuch). - ISBN 3-499-16352-7 : DM 24.90
2. Madness - ZZ Top. - Vollst. überarb. und erw. Neuausg. - 1998. - S. 560 - 1231. - (rororo ; 16353 : Sachbuch). - ISBN 3-499-16353-5 : DM 24.90

Hatte das Rororo-Rock-Lexikon in seiner 1. Aufl. von 1973 noch 350 S. Umfang und dessen ebenfalls einbändige, aktualisierte Aufl. von 1975 445 S., so bot bereits das erste "Neue" Rock-Lexikon in seiner Ausgabe von 1990 zwei Bände mit 1048 Seiten Umfang. Die vorliegende, vollständig überarbeitete und erweiterte, zweibändige Neuausgabe ist mit ihren 1231 Seiten zumindest vom Umfang her nicht mehr als reines Taschenbuch zu bezeichnen, wenngleich der Ladenpreis für beide Bände noch unter DM 50.00 liegt.

Die Neuausgabe beginnt mit einem Nachruf auf Barry Graves, der 1994 an den Folgen von Aids gestorben ist. Nach zwei Vorworten von Siegfried Schmidt-Joos von 1998 und Barry Graves von 1989, in denen auf die Geschichte des Rock-Lexikons und seine Absichten eingegangen wird, folgt eine umfassende Einführung Was ist Rockmusik? von Siegfried Schmidt-Joos. Eine Abhandlung über Musik, Schallplatten und Diskographien von Bernward Halbscheffel und ein Abkürzungsverzeichnis schließen den Vorspann ab. Die restlichen Seiten füllt das alphabetisch nach Musiker- oder Bandnamen geordnete Lexikon von ABBA bis ZZ Top mit annähernd eintausend Artikeln, dem sich ein alphabetischer Teil Sachstichwörter anschließt, dem noch einige Beigaben folgen.

Nach eigenem Bekunden will das Rock-Lexikon "jeden relevanten Sektor der Rockmusik mit allen möglichen Stil-Variationen im Biographie- oder Sachstichwortteil ... repräsentieren". Trotz der beträchtlichen Vermehrung mußte auf manche Einträge verzichtet werden. Das Rock-Lexikon fängt dies zum Teil durch ein gutes Personenregister auf, in dem auf Personen verwiesen wird, die keinen eigenen Artikel erhalten haben, sondern nur in anderen erwähnt werden wie z.B. John Martyn, Guildo Horn, Prodigy oder Leon Thomas. Manic Street Preachers oder Tortoise sucht man dagegen vergebens. Den Schwerpunkt setzt das Lexikon nach eigener Aussage auf die "afrikanisch-amerikanische Kultur, ohne die die moderne Rockmusik einfach nicht existieren könnte".

Gut vertreten sind somit die internationale Popszene, Reggae, Blues, Country Music und auch die deutsche Popszene. Ebenfalls gut repräsentiert ist die sog. Neue Musik durch John Cage, Philip Glass, Steve Reich, Terry Riley und Karlheinz Stockhausen. Ebenfalls aufgenommen sind Produzenten/Veranstalter wie z.B. Berry Gordy Jr., Billy Graham oder Rick Rubin, nicht jedoch Fritz Rau und Marcel Avram oder Joachim-Ernst Berendt (letztere nur im Index). Fündig wird auch der Fan der Ethno- oder Weltmusik mit King Sunny Adé, Cheb Khaled, Manu Dibango, Mory Kanté, Fela Anikulapo-Kuti, Salif Keita oder Miriam Makeba. Sogar die hochaktuellen Ausflüge des Peter Maffay in die Weltmusik sind dokumentiert; erwähnenswert ist auch ein Artikel über Ravi Shankar. Ganz hingegen fehlt z.B. Hubert von Goisern mit seinen Alpinkatzen, der derzeit ebenfalls durch Ausflüge in die Ethnomusik eine neue Popularität gewinnt.

Beim Hardrock oder Heavy Metal sind die Klassiker gut vertreten. Die auf einer Audio-CD-Beilage der Rock-Hard-Enzyklopädie (s.u. IFB99-1/4-325) dokumentierten 17 Bands jedoch (Savatage, Raven, Voi Vod, Manowar, Fear Factory, Riot, S.O.D., Sepultura, Fates Warning, Napalm Death, Mercyful Fate, Celtic Frost, Waltari, Kreator, Armored Saint, Venom, Entombed) sind im Rock-Lexikon mit keinem einzigen Eintrag gewürdigt.

Mit dem Jazz tut sich das Lexikon ebenfalls ziemlich schwer. Ob dies an der merkwürdigen Wechselbeziehung zwischen Rock und Jazz liegt (einen Hinweis darauf erhält man in dem äußerst merkwürdigen Eintrag Jazz Rock bei den Sachartikeln) oder ob aus Platzmangel, wird nicht ganz deutlich. Klar ist, daß auch der Jazz unter die eigene Definition von der afrikanisch-amerikanischen Kultur passen würde. Unterstellt sei hier, daß nur diejenigen Jazzmusiker aufgeführt sind, die zum Rock Jazz gehören wie Larry Coryell, Herbie Hancock, Chick Corea, Miles Davis, Al Jarreau, Quincy Jones, Tony Williams oder Courtney Pine. Aber auch John Coltrane, Charlie Parker, Sun Ra und viele Bluesmusiker sind vertreten. Eine exaktere Definition der Auswahlkriterien wäre hilfreich gewesen.

Die Artikel sind nicht gezeichnet. Sie enthalten zahlreiche diskographische Hinweise. Manche Artikel sind neu verfaßt, andere hingegen - legitimerweise - einfach fortgeschrieben worden, wobei die Aktualität relativ groß ist, da der Redaktionsschluß offensichtlich im Sommer 1998 lag. So ist neben Peter Maffays bereits erwähnten Weltmusik-Aktivitäten auch Keith Richards' Sturz von der Bibliotheksleiter erwähnt. Dagegen lebt der bereits 1996 verstorbene Junior Walker hier immer noch. Ob aus satztechnischen oder anderen Gründen mancher Artikel neu geschrieben wurde, kann nicht nachvollzogen werden, aber sonst wäre die elfjährige Verjüngung von Keith Richards (in den vorherigen Ausgaben ist das Geburtsjahr noch richtig mit 1943 angegeben) nicht zu erklären.

Die Artikel sind größtenteils sachlich geschrieben und beschreiben die Musiker nicht aus der devoten Fan-Perspektive, sondern nähern sich "den Stars und Sujets mit Ironie und Skepsis". Dies führt manchmal auch zur deutlichen Distanzierung wie z.B. beim Artikel Santana ("In vollmundigen Gitarrenchorussen verströmte er im Album Love devotion surrender neben McLaughlin seine neue Innerlichkeit ..."). Beim Artikel Barry Manilow versteckt sich der Kritiker hinter bissigen Pressezitaten.

Auf den S. 1032 - 1093 folgen Sachstichwörter, ein etwas unglücklicher Begriff. Hier tauchen alphabetisch angeordnet Sachbegriffe auf wie Namen von Plattenfirmen/Labels, einzelne Stilformen (z.B. Hip-Hop, Punk), Festivals, Rundfunksender, Instrumente (z.B. Synthesizer) und Begriffe aus der Aufnahmetechnik. Erwähnt sind überwiegend englischsprachige Zeitschriften wie Billboard, New musical express, Melody Maker, aber nicht der deutsche MusikExpress/Sounds, Zillo oder Rock Hard usw. Beim amerikanischen Rolling stone ist wenigstens ein Hinweis auf die deutsche Parallelausgabe vorhanden. Payola nur mit "Korruption von Discjockeys" zu erklären, erscheint etwas simplifiziert. Völlig mißlungen sind Artikel wie Acid, Acid-Rock oder LSD-25, die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern stammen könnten. Die beiden letzteren Artikel wurden völlig unverändert wörtlich aus der 1. Ausg. übernommen, was nicht akzeptabel ist. Man kann nicht ernsthaft im Jahr 1998 in einem Rocklexikon dasselbe zum Thema Drogen schreiben wie in den siebziger Jahren, zumal diese Texte schon für die siebziger Jahre unmöglich waren. Im Lexikon befindet sich kein Eintrag unter Heroin, Haschisch, Kokain oder - völlig ausreichend - Drogen. Überhaupt scheint dies ein Dilemma des Lexikons zu sein: einerseits werden Musikerbiographien vorgestellt, die ohne Drogen so niemals existiert hätten, andererseits will das Lexikon den Drogenkonsum nicht verherrlichen, sondern verdrängt ihn eher als lästige, unerwünschte Nebenerscheinung (vgl. die Artikel zu Jim Morrison, Charlie Parker, Keith Richards, John Coltrane und Jimi Hendrix). Diese Teile des Lexikons gehörten dringend überarbeitet.

Auf S. 1094 - 1100 folgt eine chronologisch geordnete Diskographie, die von 1958 bis 1998 reicht. Aufgeführt sind in Kurzform die Namen, Plattentitel und Label.

Rockzeitschriften sind auf S. 1101 - 1103 nach den Sachgruppen Rock, Heavy Metal, Reggae, Dancefloor; Blues, Folk, Country; Jazz; Schallplatten und Instrumente, Aufnahmetechnik aufgeführt. Leider fehlen die Erscheinungsjahre, so daß nicht erkenntlich ist, welche Zeitschrift noch läuft. Im dürftigen Abschnitt Jazz ist auch die Auswahl nicht nachvollziehbar. Zwar sind englisch- und deutschsprachige Titel aufgeführt, jedoch fehlen hierbei die wichtigsten internationalen Jazzzeitschriften. Für den deutschsprachigen Raum sollten wenigstens die Zeitschriften Jazzthetik (Jg. 12), Jazz-Zeitung (Jg. 26), Der Jazzfreund (Jg. 41) sowie der Jazz Rock Pop Index (Jg. 12) noch ergänzt werden, bei Country der deutsche Country Circle.

Die 25 wichtigsten Bücher zur Rockmusik - Grundstock einer Bibliothek folgen auf S. 1104 - 1107. Es handelt sich fast ausschließlich um englischsprachige Titel (erwähnt sind die deutschen Übersetzungen, soweit vorhanden) mit einem kurzen Abstract.

Das umfassende Literaturverzeichnis auf S. 1108 - 1164 ist nach folgenden Sachgebieten gegliedert: Rock allgemein; Rock-Nachschlagewerke; Rock-Geschichte; Rock-Szenen; Disco; Punk; Rock-Labels; Rock-Business; Rock & Frauen; Rock & Medien; Songtexte Rock-Prosa; Blues; Country; Folk, Gospel, Spiritual; Jazz; Reggae; Soul, Funk, HipHop, Techno; World Music. Danach folgen Monographien einzelner Musiker/Bands alphabetisch von ABBA bis Zappa.

Das unverzichtbare Personenregister (S. 1165 - 1231) erschließt außer dem Hauptteil auch die Sachartikel, die Diskographie und das Literaturverzeichnis.

Das neue Rock-Lexikon dürfte auch in der vorliegenden Form zu den bedeutendsten Nachschlagewerken der Rock- und Popmusik gehören. Wer gezielt punktuell Informationen sucht, wird garantiert fündig, aber auch das Querlesen macht ausgesprochen Vergnügen. Durchgängig läuft der rote Faden, daß Afro-Amerikanische Musik immer auch ein politisches Statement ist und daß auch die moderne Rockmusik sowie alle ihre Ableger ihre Wurzeln bei den schwarzen Künstlern der US-Südstaaten und den amerikanischen Großstadt-Ghettos hat. Die Tatsache, daß es inzwischen weitere gute Lexika zu Spezialgebieten gibt, schmälert nicht den Stellenwert des Rock-Lexikons, sondern dient der Sache der Rockmusik.

Bernhard Hefele


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