Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Deutschsprachige Vorlagenwerke des 19. Jahrhunderts zur


99-1/4-252
Deutschsprachige Vorlagenwerke des 19. Jahrhunderts zur Neuromanik und Neugotik : eine kritische Bibliographie auf der Grundlage der Bestände der Universitätsbibliothek Eichstätt / beschrieben von Claudia Grund. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1997. - IX, 370 S. : Ill. ; 29 cm. - (Kataloge der Universitätsbibliothek Eichstätt : 8, Graphische Sammlung ; 2). - Zugl.: Eichstätt, Kath. Univ., Diss., 1994. - ISBN 3-447-03852-7 : DM 168.00
[4092]
99-1/4-253
Ornament und Dekoration : Vorlagenwerke und Motivsammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts / Dietrich Schneider-Henn. - München [u.a.] : Prestel, 1997. - 175 S. : Ill. ; 27 cm. - ISBN 3-7913-1788-1 : DM 78.00
[5215]
99-1/4-254
16th-century Italian ornament prints in the Victoria and Albert Museum / Elizabeth Miller. - 1. publ. - London : V&A Publications, 1999. - 278 S. : Ill. ; 29 cm. - ISBN 1-85177-263-4 : œ 60.00
[5666]

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts herrschte in Deutschland und weit darüber hinaus eine retrospektiv ausgerichtete Ornamentvielfalt vor, die sich vornehmlich am Formenschatz des Mittelalters orientierte. Dies ist ein entscheidender Einschnitt, lassen sich doch bis dahin die seit der Zeit der Renaissance verwendeten Ornamente aus der Antike ableiten. Diese Rückbesinnung auf die Nationalstile - zunächst auf die Gotik, dann auf die Romanik - beginnt in Deutschland später als bspw. in England, ist aber nicht minder charakteristisch. Es entstand eine Fülle an Mustermaterial, zusammengetragen in Kunstgewerbemuseen und illustrierten Publikationen, zu den bildenden Künsten aus Vergangenheit und Gegenwart. Die Anfang des 19. Jh. umgreifende Vorstellung, daß Handwerker - Kunsthandwerker ist eine Wortschöpfung des späten 19. Jh. - nicht selbst entwerfen, sondern lediglich ausführen sollten, was "Künstler" ihnen zum Vorbild gaben, führte zu einem neuen Selbstverständnis des Handwerks: Es galt der Anspruch, es besser zu können und zu machen als die Kollegen im Mittelalter. Die Perfektion, mit der die historisierenden Werke geschaffen wurden, stellt die Kustoden heute vor die auf den ersten Blick häufig nicht eindeutig zu entscheidende Frage, ob es sich bei dem jeweiligen Kunstwerk um ein Stück aus dem Mittelalter oder dem 19. Jahrhundert handelt.

Der von der Forschung weitgehend vernachlässigte Bereich der Vorlagenwerke des 19. und 20. Jahrhunderts - Einzeluntersuchungen zum Thema sind dem klassischen Ornamentstich vorbehalten (15. Jh. - 18. Jh.) - wurde 1997 gleich in zwei sehr unterschiedlichen Publikationen von Claudia Grund und Dietrich Schneider-Henn bearbeitet.

Claudia Grund hat sich zur Aufgabe gestellt, diese Vorlagenwerke mittels einer kritischen Bibliographie zu erschließen und zu besprechen. Diese 1994 an der Universität Eichstätt zugelassene Dissertation erscheint als Bd. 2 der Kataloge der Graphischen Sammlung der Universitätsbibliothek Eichstätt. Ausgesprochenes Ziel dieser Dissertation ist es, zu einem umfassenderen Bild von deutschsprachigen zur Neugotik und -romanik in Beziehung stehenden Druckgraphikvorlagen beizutragen, einem im übrigen sehr speziellen und kaum bearbeiteten Gebiet der Historismusforschung. Die in vier Teile gegliederte Arbeit weist zunächst auf die verschiedenen Fragestellungen hin, mit denen sich die Forschung beschäftigt. Sie definiert dann den Begriff Vorlagenwerk, um anschließend, nach Gattungen getrennt, thematische Fragen zu erörtern. Dabei läßt die Autorin die im Zusammenhang mit der Erarbeitung der Bibliographie gewonnenen Erkenntnisse geschickt einfließen. Der Hauptteil der Arbeit, Abschnitt IV, ist einem insgesamt 250 Werke umfassenden Katalog vorbehalten, der, ganz der Tradition der klassischen Ornamentstichkataloge gemäß, chronologisch geordnet ist: in Bibliotheken nachgewiesene und aus eigener Anschauung zur Kenntnis gelangte Vorlagenwerke bilden den ersten Teil (Nr. 1 - 210), dem lediglich aus der Sekundärliteratur bekannte Publikationen folgen (F1 - F40). Ein Literaturverzeichnis, verschiedene Register und ein knapp gehaltener Abbildungsteil (20 Tafeln) runden die Publikation ab.

Die Bibliographie basiert im wesentlichen auf der Auswertung von GV alt, BLC und NUC. Die dort gewonnenen Angaben wurden dann an den Originalexemplaren überprüft und gegebenenfalls ergänzt. Der Nachweis beschränkt sich jedoch nach Angaben der Autorin lediglich auf die bayerischen Zentral- und Verbundkataloge, ergänzt um die in Zettelkatalogen nachgewiesenen Bestände der BSB München, des Zentralinstituts für Kunstgeschichte München, des Bayerischen Nationalmuseums München, der Landesgewerbeanstalt Nürnberg und der Kunstbibliothek Berlin (S. 59). Es ist einsehbar, daß im Rahmen einer Dissertation kein Nachweis für Gesamtdeutschland erbracht werden konnte. Für die in den o.g. Bibliotheken nicht nachweisbaren 40 Werke (Katalognrn. F 1 - F 40) hätte sich aber eine bundesweite Recherche mittels Fernleihe sowie ein Besuch in der Bibliothek des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg durchaus angeboten.

Der Aufbau des Katalogs, der zwischen 1800 - 1900 erschienene Drucke mit eindeutiger Vorlagenfunktion für die Kunst von Neuromanik und -gotik verzeichnet, ist einheitlich: Die bibliographische Beschreibung wird um Angaben zu Ausführung, bibliographischen Nachweisen, Bibliotheksnachweisen und um das jeweils konsultierte Exemplar ergänzt. Der Titelaufnahme folgt ein Kurzkommentar, der weiterführende Angaben zu Autor ggf. Künstler sowie Informationen zu Thema, Gestaltung und Bedeutung des jeweiligen Vorlagenwerks bereithält. Abgeschlossen werden die Katalogbeiträge durch weiterführende Literaturangaben, die man sich zur besseren Lesbarkeit zumindest um eine Leerzeile getrennt vom Textblock positioniert gewünscht hätte. Auf die Einordnung der Veröffentlichungen in den stilgeschichtlichen Kontext, worauf die Autorin auch selbst hinweist, wurde hingegen weitgehend verzichtet.

Blättert man durch den Katalog, so entpuppt sich der auf einen Bestandskatalog hindeutende Untertitel Eine kritische Bibliographie auf der Grundlage der Bestände der Universitätsbibliothek Eichstätt jedoch als Augenwischerei. Von den stichprobenartig durchgesehenen ersten 30 Katalognummern besitzt die UB Eichstätt lediglich 2, die Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg weist zum Vergleich 22 dieser 30 Titel nach. Inhaltlich beschränkt sich die Bibliographie zurecht nicht nur auf "reine" Musterbücher und Ornamentstichsammlungen, sondern berücksichtigt auch kunsthistorische Publikationen, Ansichtswerke und Kunstdenkmälerinventare, sofern sie Vorlagencharakter haben. Dies ist v.a. bei Werken gegeben, die sich weitgehend den Stilformen der Romanik und Gotik widmen - tatsächlich handelt es sich bei dem Großteil der in der Bibliographie verzeichneten Werke um Topographien zur mittelalterlichen Architektur - oder bei Veröffentlichungen, deren Abbildungen romanische oder gotische Artefakte bzw. moderne historisierende Kunstwerke wiedergeben, die sich der mittelalterlichen Formenwelt bedienen. Vollständigkeit wurde in der Bibliographie nicht erreicht. So fehlt bspw. das wichtige Inventarwerk von Ferdinand von Quast (1807 - 1877), dem ersten Konservator der preussischen Denkmalpflege, Denkmale der Baukunst in Preussen,[1] das als Inventarwerk der Baukunst ganz Preußens konzipiert war, aber über die topographische Erfassung der nurmehr historischen Landschaft des Ermlands (Ostpreußen) mit seinen mittelalterlichen Baudenkmälern nicht hinausgekommen ist.

Im Literaturverzeichnis (S. 337 - 344) fehlen einige wichtige Titel.[2] Trotz der angesprochenen Mängel hilft diese Dissertation, eine Lücke in der Forschungsliteratur zu schließen. Gleichwohl ist man auf die von der Kunstbibliothek Berlin in Aussicht gestellte Aufarbeitung ihres Gesamtbestandes an Vorlagenwerken ob der Vielzahl und Qualität ihrer Bestände (ca. 2000 Titel) gespannt.

Johannes Pommeranz

Einer knappen, reich bebilderten Einleitung (S. 5 - 23) läßt Dietrich Schneider-Henn in seinem Beitrag zu Vorlagenwerken, der den Zeitraum von 1790 - 1965 umfaßt, einen chronologisch geordneten, querschnittartig ausgewählten Abbildungsteil (in Farbe) folgen. Dem schließt sich der bibliographische Hauptteil an, in dem auf ca. 100 dreispaltig bedruckten Seiten 515 Einzelwerke beschrieben und zur Veranschaulichung jeweils mit einer Schwarzweiß-Abbildung illustriert sind. Die Seitenzählung ist im bibliographischen Teil unterbrochen und setzt erst im Anhang wieder ein. Offenbar wollte man den im Durchschnitt fünf Katalognummern pro Seite nicht auch noch eine Seitenzählung zufügen. Die Abbildung steht dabei i.d.R. über dem jeweiligen Katalogisat, das sich aus einer bibliographischen Kurzbeschreibung und einem knappen Katalogtext zusammensetzt. Dieser enthält häufig Kennerschaft verratende Informationen zu Inhalt und Künstlern bzw. Herausgebern des jeweiligen Werkes. Den Anhang bilden Titel- und Namenregister sowie ein Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur (S. 175). Ein weiterführendes Literaturverzeichnis fehlt leider. Was der Autor unter Vorlagenwerk versteht, bleibt unausgesprochen. Dabei hätte es durchaus einer Definition bedurft. Denn zum einen stehen terminologisch Vorlage, Vorbild, Musterbuch und Ornamentstich in der Forschungsliteratur gleichberechtigt nebeneinander, zum anderen haben die zahlreichen topographischen Untersuchungen zur mittelalterlichen Architektur mit ihren detaillierten Zeichnungen des Bauornaments, die vom Autor in seinem Katalog unberücksichtigt bleiben, Vorlagencharakter. Positiv gesehen, ergänzen sich somit die Arbeiten von Grund und Schneider-Henn.

Die Notwendigkeit zur Ornamentation, die erst seit Anfang des 20. Jhs negiert wird, wurde im Historismus noch nicht in Frage gestellt. Die Rolle, die Adolf Loos dabei spielte, wird vom Autor klar herausgestellt. Offenbar wurde aber versäumt, sich mit den verschiedenen Schriften von Barbara Mundt zum Historismus auseinanderzusetzen, die dem Autor bei seinem offensichtlichen Bemühen um die Theorie des Ornaments sicherlich geholfen hätten. Die Einleitung ist mitunter schwer lesbar, weil getroffene Aussagen durch lange Aufzählungen von Katalognummern, die man besser in die Anmerkungen verbannt hätte, untermauert werden. Es bleibt auch ungeklärt, um was für eine Sammlung es sich eigentlich handelt: die im Rahmen seines Berufs als Münchener Auktionator aufgebaute Privatsammlung? Erscheint die Anzahl der über 500 zusammengetragenen Einzelwerke auf den ersten Blick durchaus beachtlich, so schätzt Schneider-Henn die Gesamtzahl auf "um ein mehrfaches umfangreicher ... als der ... Berliner Katalog (5.500 Titel) zum klassischen Ornamentstich" (S. 6) ein. Ist der Katalog von Grund durch die zeitliche und thematische Begrenzung hochspeziell, so gleicht sein Pendant einem Gemischtwarenladen: französische, deutsche (die beiden Schwerpunkte), aber auch englische, dänische, italienische und asiatische Vorlagenwerke zu Architektur, Malerei, Plastik und Kunstgewerbe stehen neben-, unter- und übereinander. Es verwundert daher nicht, daß bei diesem Neuland betretenden Katalogversuch Lücken auftreten.[3] Insgesamt ist diese Arbeit eher für den Sammler denn für den Wissenschaftler brauchbar.

Johannes Pommeranz

Da sich die beiden vorstehend besprochenen Verzeichnisse auf das 19. und 20. Jahrhundert beschränken, sei ein kurzer Hinweis auf den ungezählten ersten, die italienische Renaissance behandelnden Band des neuen Inventars[4] der Ornamentstichsammlung des Victoria & Albert Museums angeschlossen, die sich mit ihren ca. 35.000 Blättern vom 15. bis 19. Jahrhundert leicht mit der Ornamentstichsammlung der Kunstbibliothek in Berlin messen kann (der Katalog der letzteren von 1939 gehört zusammen mit dem des Rijksprentenkabinets von 1988 zu den stets zitierten Quellen im vorliegenden Katalog). Im Gegensatz zu der seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert befolgten Praxis, die Blätter nach dem Namen der Künstler (ersatzweise der Stecher oder Verleger) zu ordnen, wählt der vorliegende Katalog eine Ordnung nach dem dargestellten Inhalt (was auch die im 16. Jahrhundert übliche Ordnung war), und zwar in zwei Abteilungen: 1. reines Ornament (unterteilt nach 10 Gruppen, von Alphabeten über Grotesken und Masken bis zu Trophäen) und 2. angewandtes Ornament (z.B. in der Architektur, auf Waffen und Rüstungen, Vasen u.a.) Die insgesamt 71 Katalogeintragungen fassen unter einer Nummer - differenziert durch angehängte Kleinbuchstaben - alle zu einem Druck oder einer Ausgabe gehörigen Zustände zusammen: auf das am Anfang stehende Original folgen "related prints, early and late impression, proofs and reissues, copies and copies in reverse". Jeder Druck bzw. jede Ausgabe ist ausführlich bibliographisch beschrieben: u.a. Stecher, entwerfender Künstler, Verleger, Titel, Erscheinungsort, (ungefähres) Jahr, Signaturen und Monogramme, graphische Technik, Format, Inventarnummer sowie Korrespondenzliteratur. Auf die aus Zahl und Kleinbuchstaben gebildete Identifikationsnummer beziehen sich die Diagramme am Beginn jeder Eintragung, die in der Vertikalen ebendiese Nummern aufführen und in der Horizontalen die laufenden Nummern der zu einer Ausgabe gehörigen Tafeln, wobei dann in der Schnittstelle beider Koordinaten durch ein nicht ausgefülltes Quadrat angegeben ist, welche Tafel in welcher Ausgabe vorhanden ist. Auf die Beschreibung folgen umfängliche Anmerkungen, in denen sich die Verfasserin des Katalogs mit der Masse der Sekundärliteratur kritisch auseinandersetzt. Der besondere Nutzen dieses Katalogs liegt jedoch nicht zuletzt darin, daß sämtliche Tafeln in starker (aber gut lesbarer) Verkleinerung abgebildet sind.

Man kann auf den Fortgang dieses Katalogunternehmens ebenso gespannt sein, wie auf das Ergebnis der oben erwähnten Pläne der Kunstbibliothek Berlin, ihren Gesamtbestand an Vorlagenwerken umfassend zu verzeichnen. Einen neuen Weg wählt dagegen die zum Victoria & Albert Museum gehörige National Art Library, die mit finanzieller Hilfe des Heritage Lottery Fund in einem auf fünf Jahre angesetzten Projekt seit 1997 ihren Gesamtbestand an Ornamentstichen digitalisiert und nach Abschluß freien Zugang dazu im Internet gewähren will.

Klaus Schreiber


[1]
Denkmale der Baukunst in Preussen : nach Provinzen geordnet / Ferdinand von Quast. - Berlin : Ernst & Korn, [1852 - 1864]. - H. 1 - [4]. - 24 Tafeln. (zurück)
[2]
Z.B. Quellenwerke: In welchem Style sollen wir bauen / Heinrich Hübsch. - Karlsruhe, 1828. - Standardwerke zur Ornamentgeschichte: Die Ornament-Grotteske in der italienischen Renaissance : zu ihrer kategorialen Struktur und Entstehung / Friedrich Piel. - Berlin, 1962. - Spezialliteratur zur Neogotik: From Gothic revival to functional form / Alf Boe. - Oslo, 1957. (zurück)
[3]
So fehlen u.a. die wichtigste deutschsprachige Vorlagensammlung zur Neogotik, Karl Alexander Heideloffs Ornamentik des Mittelalters (1838 - 1852), ferner August Ortweins Deutsche Renaissance, 1 (1871) - 19 (1888), ja selbst Owen Jones nicht auszuschöpfender Mustervorrat Grammar of ornament (1856). (zurück)
[4]
Daß die Neubearbeitung ganzer Bestände die Chance für Neuentdeckungen eröffnet, zeigt im vorliegenden Fall die sensationelle Rekonstruktion eines bis zum Ende des 19. Jahrhunderts intakt erhaltenen, dann aber in Einzelblätter zerlegten Sammelbandes mit Ornamentstichen des im 16. Jahrhundert in Rom führenden Verlegers von Drucken, Antonio Lafrery. In ihrer Einleitung geht die Verfasserin des Katalogs ausführlich (S. 8 - 11) auf diesen sog. Lafrery volume ein. (zurück)

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