Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Bauen unterm Hakenkreuz


99-1/4-239
Bauen unterm Hakenkreuz : Architektur des Untergangs / Helmut Weihsmann. - Wien : Promedia, 1998. - 1166 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 3-85371-113-8 : ÖS 720.00, DM 98.80
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In diesem Buch soll "die Gesamtheit der Bau- und Planungstätigkeit nach Typologien und Standorten" dokumentiert werden, denn "eine fundierte Gesamtdarstellung der Entstehung, Herleitung und Entwicklung der NS-Architektur nach Bautypologie im gesamten Reich ... hat es bisher noch nicht gegeben. Die vorliegende Publikation ist der Versuch einer solchen Pioniertat." Diese Aussage im Vorwort bedarf einiger Einschränkungen: zunächst ist die Anordnung nach einer Bautypologie (d.h. nach Gebäudearten) nicht neu, da sich andere Werke ebenfalls an Bautypen orientieren, und für Bayern gibt es bereits eine so geordnete Dokumentation von zahlreichen Einzelobjekten zur Architektur des Dritten Reiches.[1] Im vorliegenden Band bildet die Bautypologie einen von vier Teilen und nur in diesem werden Bauwerke aus dem gesamten Reich und aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten aufgeführt. Die beiden anderen, geographisch gegliederten Teile beziehen sich nur auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland[2] und das Gebiet der "Ostmark" (Österreich), der letzte Teil "Besetzte Städte und Ostkolonisation" gibt auf 7 Seiten einen Überblick und verzeichnet keine Einzelbauwerke.

Der ca. 200 Seiten umfassende Teil Bautypologische Gliederung und Allgemeine Erläuterungen besteht aus den Kapiteln: NS-Städtebau; Partei- und Staatsbauten; Verwaltungs- und Dienstleistungsbauten; NS-Wohn- und Siedlungsbauten; HJ- und BDM-Heime, Schulungs- und Ordensburgen; Industriebauten; Kasernen- und Militärbauten; Verkehrsbauten; Ausstellungsbauten, Nobelhotels, Gastgewerbe, Herrensitze, Künstlerateliers; Freizeit- und Sporteinrichtungen; Theater- und Kulturbauten, Thing- und Freilichtstätten; Ehrenmäler und Kriegerdenkmäler; Konzentrationslager. Jedes Kapitel beginnt mit einführenden Texten, versehen mit zahlreichen Anmerkungen und Literaturhinweisen, in 11 der 14 Kapitel gibt es Beispiellisten von geplanten oder ausgeführten Bauwerken. Zu jedem Bauwerk werden angeführt: (offizieller) Name des Bauwerks, Entstehungsjahr(e), Architekt(en) bzw. planende Institution, Straße (heutiger Name), Ort, Notiz über den gegenwärtigen Zustand und die aktuelle Nutzung sowie eine Bauwerksbeschreibung im Umfang von wenigen Zeilen bis zu mehreren Seiten. Dem Aufbau der Kapitel liegt offenbar kein einheitliches Gliederungsschema zugrunde: manchmal folgt die Beispielliste direkt der zugehörigen Darstellung, manchmal erst am Ende des Kapitels als eine Gesamtliste. Die Beispiele in den Listen sollen "... sowohl nach inhaltlich abgegrenzten Baugattungen als auch nach einem örtlichen Gliederungsschema" (S. 10) geordnet sein. Das ist vom Leser aber nicht nachzuvollziehen. So beginnt das Kapitel Ausstellungsbauten ... mit dem einführenden Abschnitt NS-Ausstellungsbauten und zwei Beispielen, es folgt der Textabschnitt NS-Wohnsitze und Künstlerateliers mit einer Herrensitze überschriebenen Beispielliste (in der das Ateliergebäude von Speer aufgeführt ist) und einer Liste Atelierbauten (darin das Wohnhaus von Speer) und zum Abschluß - ohne textliche Einführung - eine Liste Reichsgaststätten und Nobelhotels. Die Zuordnung des Bauwerks in die entsprechende Gebäudeart ist auch an anderen Stellen nicht immer geglückt, z.B. erscheinen der Berliner Bahnhof Zoo und das Schiffshebewerk Rothensee in der Liste Beispiele Raststätten und Straßenmeistereien (S. 158). Die Partei- und Staatsbauten passen nicht so recht in eine Bautypologie, da diese Bezeichnung eine Träger- oder Bauherrenschaft ausdrückt und keine Gebäudeart, denn HJ-Heime, Ordensburgen oder Autobahnen sind ebenfalls Partei- oder Staatsbauten. Es sollten doch vermutlich diejenigen Bauwerke zusammengeführt werden, die gleichen Nutzungen dienen, unabhängig von ihrer Trägerschaft oder ihrem Bauherrn. Entsprechend wären die als Partei- und Staatsbauten aufgeführten Bauwerke sinnvoller den anderen Gruppen zuzuordnen: die Berliner Ausstellungshalle am Funkturm zu den Ausstellungsbauten, das Reichssportfeld / Olympiastadion zu den Freizeit- und Sporteinrichtungen usw.

Der Bautypologie schließt sich der umfangreichste Teil unter der Überschrift Geographische Gliederung an, in dem 49 Städte aus dem Gebiet der Bundesrepublik in alphabetischer Folge auf ca. 700 Seiten dokumentiert sind. Es sind dies 27 Gauhauptstädte[3] und 22 weitere Städte, neben den Neugründungen Wolfsburg und Salzgitter auch Breslau.[4] Kriterium für die Aufnahme war das Vorhandensein von vollständigen und originalen Quellen. Zu jeder Stadt wird eine Einführung in die städtebauliche und sonstige besondere Situation gegeben, der sich die Aufführung der einzelnen Bauwerke, hier Objektliste genannt, anschließt. Die Objektbeschreibung entspricht den Beispielen im Teil Bautypologie. Lt. Vorwort soll sich die Reihenfolge der angeführten Objekte hier nach der Gliederung der Bautypologie richten, also zuerst Partei- und Staatsbauten, Verwaltungs- u. Dienstleistungsbauten usw., doch trifft das trifft vielfach nicht zu.

Im dritten Teil sind österreichische Städte unter der Überschrift Ostmark auf ca. 200 Seiten dokumentiert. Im Gegensatz zur vorhergehenden Geographischen Gliederung[5] sind hier die Orte nicht in einem gemeinsamen Alphabet aufgeführt, sondern den sieben Reichsgauen zugeordnet, nur die Städte Linz/Donau, Krems und Graz haben eigene Kapitel. Innerhalb der einzelnen Reichsgaue ist die Reihenfolge der betrachteten Städte unterschiedlich und ein Ordnungsprinzip nicht immer erkennbar. So beginnt der Reichsgau Oberdonau mit Wels, gefolgt von Lenzing, Braunau am Inn und Steyr. Im Kapitel Niederdonau folgen die Städte im Namensalphabet, die mit S und T beginnenden Städtenamen geraten jedoch durcheinander, und unter Waldviertel sind kleinere Städte zusammengefaßt. Reichsgau Steiermark hat nur einen Wohnbau überschriebenen Text mit einer Objektliste, die jedoch nicht nur Wohnsiedlungen nachweist und auch Objekte aus Graz anführt, obwohl Graz in einem eigenen Kapitel behandelt wird; es folgt noch ein Abschnitt Burgenland.[6] Das Kapitel Innsbruck[7] ist unterteilt in Stadt Innsbruck, Land Tirol und Vorarlberg jeweils mit eigenen Objektlisten.

Die dokumentierten Bauwerke erscheinen teils nur in der Bautypologie, teils nur in den geographisch gegliederten Teilen, teils in beiden. Es wird nicht gegenseitig bzw. vom knapperen auf den jeweils umfangreicheren Beitrag verwiesen. Beispiele: in der Typologie, Abschnitt Kinobauten, erscheinen die Kölner Kinos Scala und Merli mit 13 bzw. 5 Zeilen Beschreibung (S. 195), in der Objektliste der Stadt Köln wird von beiden nur die Adresse, nicht jedoch eine Beschreibung angegeben (S. 592 - 593). Der Architekt des Merli ist einmal als unbekannt, einmal mit Adam Lang notiert. Das Ufa-Wochenschautheater und das Kino Deulich haben dagegen an beiden Stellen jeweils identische Einträge. Die Nürnberger Reichsjugendherberge Luginsland erscheint sowohl in der Bautypologie (S. 90 - 91) als auch unter Nürnberg (S. 705) mit leicht unterschiedlicher Beschreibung, die Berliner Kasernen sind dagegen nur in der Bautypologie, aber nicht in der Berliner Objektliste nachgewiesen.

Bei manchen Bauwerken ist hinsichtlich des Erhaltungszustandes "unbekannt" angegeben, gemeint ist wohl "nicht ermittelt", denn außer bei Bauwerken, die in derzeitigen Krisengebieten liegen (Balkan), hätte man innerhalb Deutschlands oder Österreichs den Zustand doch feststellen (lassen) können. Sehr nützlich ist in allen Beispielen die Angabe des heutigen Straßennamens, inkonsequent sind dagegen im Teil Bautypologie die Angaben der übergeordneten Einheiten, nämlich teils die Namen der heutigen Bundesländer, teils der Gaue, teils der Landschaften.[8] Bei allen Einzelobjekten fehlen die Quellenangaben, weder Literaturhinweise noch archivierende Institutionen wie Bauamt, Planungsamt, Stadt-, Kreis- oder Staatsarchiv oder gar deren Aktenbestände werden angeführt. In den Anmerkungen zum Text steht gelegentlich ein solcher Hinweis, so daß man daraus Rückschlüsse ziehen kann; wer jedoch gezielt Materialien zu einzelnen Bauwerken sucht, findet hier nichts.

Neben einem Abkürzungsverzeichnis wird eine Auswahl an neuerer Literatur angeboten. Diese 81 Titel umfassende Liste enthält viele Titel, die bereits mehrfach in den Anmerkungen aufgeführt sind, z.B. kommen von den 20 Literaturstellen aus der ersten Anmerkung (S. 14) 17 auch hier vor. Auch ältere Titel von 1935 und aus den 50er Jahren sind noch dabei.

Gelangt man beim Durchblättern eines Buches an seine Register - hier sind es zwei Personenregister Architekten und Bautechniker und Bildende Künstler - so schaut man zuerst nach den Namen oder Begriffen, die man kennt oder die man in dem Buch erwartet. Die Person, die immer mit dem Bauen in der NS-Zeit assoziiert wird, dürfte Albert Speer sein, sein Name aber fehlt im Register. Nun kommt Speer in den einführenden Texten häufig vor, so daß man vermutet, es wurde deshalb stillschweigend auf eine Eintragung verzichtet. Bei vielen Bauwerken fungierte Speer jedoch als Architekt, und diese Nennungen hätten auf jeden Fall in das Register gehört. Hitlers Architekturzeichnungen sind abgebildet (S. 35, 37, 697), weshalb ihm ebenfalls ein Registereintrag gebührte. Dagegen findet man in Auswahl auch Baufirmen.[9] Es fehlen alle Verweisungen bei Doppelnamen oder mehrteiligen Firmennamen, Vornamen wurden nicht immer ermittelt.[10] Ein allgemeines Personenregister für Parteigenossen, Politiker, Verwaltungsbeamte und andere Personen wäre aufschlußreich gewesen. Der Verzicht auf ein Ortsregister ist ein gravierender Mangel. Die knapp 400 Bauwerke aus der Bautypologie und die ca. 650 österreichischen Objekte sind unter dem Ortsnamen nicht gezielt nachzuschlagen, ebenso wie weitere Städte, die in einem größeren Abschnitt behandelt werden (Stadt X, S. 244 - 245). Auch der Städte-Teil hätte eines Registers bedurft. Niemand würde im Anschluß an Salzgitter noch eine mit Wolfenbüttel überschriebene Objektliste mit 17 Beispielen erwarten, in der sich überdies die letzten 3 Beispiele auf Bauwerke in Oker, Lengede und Bad Grund beziehen.

Angereichert ist die Dokumentation mit Schwarzweiß-Abbildungen, meistens von der Größe einer halben oder drittel Seite. Sie stammen alle aus den 30er oder 40er Jahren und illustrieren exemplarisch; die Mehrzahl der beschriebenen Bauwerke ist nicht abgebildet.

Wissenschaftliche Bibliotheken werden diesen Band trotz der vorbeschriebenen Unzulänglichkeiten als Ergänzung wohl anschaffen müssen. Nerdinger führt zwar allein für Bayern ca. 4000 Objekte an, Weihsmann für Deutschland und Österreich zusammen ca. 3100. Ein Vergleich zeigt jedoch, daß auch Nerdinger nicht alles erfaßt hat: so führt er z.B. für Bamberg 27 Objekte an, Weihsmann 24, davon sind 19 von beiden genannt. Die angegebenen Fakten stimmen weitgehend überein, der Umfang der Beschreibungen für dieselben Objekte ist jedoch unterschiedlich, wobei Nerdinger den einzelnen Objekten präzise Quellenangaben hinzufügt. Weihsmann war nicht gut beraten, den drei Hauptteilen unterschiedliche Strukturen zu geben und auch innerhalb der Kapitel kein erkennbares und wiederkehrendes Ordnungsschema anzuwenden. Einer Neuauflage sollte eine komplette Überarbeitung vorangehen: durchgehende Anordnung entweder nach Bautypologie oder nach Orten, straffende und ordnende Maßnahmen nicht nur hinsichtlich der dokumentierten Bauwerke, Erweiterung der Register, Angabe gedruckter und archivalischer Quellen für die Einzelobjekte und schließlich auch Stimmigkeit im Formalen. Auf Grund der verunglückten Präsentation wird mancher Hinweis unbeachtet und ungenutzt bleiben und die Arbeit damit nicht so gewürdigt werden können, wie sie es hinsichtlich der doch beachtlichen Menge von über 3000 aufgespürten Bauwerken und zugehörigen Daten verdient hätte.

Angelika Weber


[1]
Bauen im Nationalsozialismus : Bayern 1933 - 1945 ; Ausstellung des Architekturmuseums der Technischen Universität München und des Münchner Stadtmuseums / Winfried Nerdinger (Hrsg.). Beitr. von Katharina Blom .... - München : Klinkhardt & Biermann, 1993. - 584 S. : zahlr. Ill. ; 28 cm. - ISBN 3-7814-0360-2 : DM 128.00. (zurück)
[2]
Das vereinte Deutschland besteht seit 1990, nicht wie Weihsmann angibt seit 1989. (zurück)
[3]
Nicht berücksichtigt wurden Düsseldorf, Wilhelmshaven, Lüneburg, Kassel und Oldenburg. (zurück)
[4]
Breslau gehört nicht in diese Liste, zutreffender wäre es im letzten Teil untergebracht. (zurück)
[5]
Geographische Gliederung sollte vermutlich die zusammenfassende Überschrift für die drei folgenden Teile sein, da die Schrift etwas größer ist als die der Überschriften Ostmark und Besetzte Städte ..., es fehlt aber eine dementsprechende Zwischenüberschrift für die deutschen Städte einschl. Breslau. (zurück)
[6]
Das Burgenland wurde auf die Reichsgaue Niederdonau, Wien und Steiermark aufgeteilt, daher gibt es unter Steiermark einen Abschnitt Burgenland, ein entsprechender Hinweis fehlt jedoch bei den beiden anderen Reichsgauen. (zurück)
[7]
Hier wäre Tirol oder Tirol-Vorarlberg als Name des Reichsgaues die richtige Überschrift gewesen, je nachdem, welcher Stichtag für die Namen maßgebend sein sollte. (zurück)
[8]
Z.B. S. 201: Bad Honnef (Rheinland-Westfalen), St. Goarshausen (Hessen-Nassau), Jülich in der Eifel (Nordrhein-Westfalen), Holzminden (Niedersachsen). Auch sind manche Zuordnungen falsch: Jülich liegt nicht in der Eifel, Düsseldorf nicht in Westfalen (S. 53) usw. (zurück)
[9]
Z.B. Dyckermann & Widmann. Der Name ist im Register falsch, richtig ist Dyckerhoff & Widmann; es fehlen mindestens die Seiten 147, 222, 596 und 978. (zurück)
[10]
Dadurch können Doppeleintragungen entstehen wie bei Wenz (S. 760), der identisch ist mit Hans Wenz (S. 756). (zurück)

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