Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts


99-1/4-234
Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts / hrsg. von Vittorio Magnago Lampugnani. [Übers.: Bettina Aldor-Witsch ...]. - [Grundlegende Neubearb. des Lexikons der Architektur des 20. Jahrhundert]. - Ostfildern-Ruit : Hatje, 1998. - 438 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 3-7757-0738-7 : DM 78.00
[5079]

1963 erschien bei Droemer Knaur das Lexikon der modernen Architektur, hrsg. von Gerd Hatje, 1966 folgte eine Taschenbuchausgabe.[1] 1983 kam, nun im Verlag Gerd Hatje und mit V. Magnago Lampugnani als Herausgeber, die Nachfolge-Publikation unter dem Titel Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts[2] heraus, und 1998 legen Verlag und Herausgeber eine überarbeitete Neuauflage vor. Im Format etwas größer, mit 438 S. statt 360 S. und mit 486 Stichwörtern[3] gegenüber 321 der früheren Ausgabe. Die Aufmachung (weißer Einband mit schwarzer Schrift) und das Layout (zweispaltiger Text mit Schwarzweißabbildungen, Kopfzeile mit aktuellem Stichwort und leider auch die leserunfreundliche Anordnung der Seitenzahlen am inneren Rand) blieben unverändert. Der Aufbau und die inhaltliche Konzeption der früheren Auflage sind ebenfalls beibehalten: dem Vorwort des Herausgebers folgt die Liste der 93 (gegen damals 52) Mitarbeiter. Ein Überblick über die Geschichte der modernen Architektur, wie ihn die Ausgabe von 1963 enthielt, fehlt leider. Die alphabetisch geordneten und mit den Namenskürzeln der Verfasser gezeichneten Artikel schließen mit Literaturangaben. Im Text erwähnte Personen und Begriffe mit eigenem Artikel sind mit einem Verweisungspfeil markiert. Der Anhang enthält das Namenregister und den Abbildungsnachweis.

Die Artikel betreffen: Architekten und Architektengruppen, Strömungen und Zusammenschlüsse[4] sowie einzelne Länder mit der Darstellung ihrer Architekturgeschichte. Bei den Architekten wurden jene "ausgewählt, die jeweils zum ersten Mal oder zumindest besonders früh eine besonders eigenständige Position besonders radikal formuliert haben" (Vorwort). So streng, wie der Herausgeber es hier ausdrückt, hat man die Auswahl glücklicherweise doch nicht getroffen. Es sind jetzt 392 Architekten (261 in der Ausg. 1983) verzeichnet, darunter 6 Architektinnen,[5] 17 (13) Architekturbüros, 50 (43) Strömungen und Zusammenschlüsse, 26 (17) Länderdarstellungen sowie 1 Sachbegriff (Charta von Athen). 1983 gab es noch einen weiteren Sachbegriff - Modulor (ein Proportionssystem) -, der jetzt weggefallen ist. Dieser Zahlenvergleich macht bereits die Erweiterung ersichtlich. Die älteren Beiträge wurden überarbeitet, einige gestrichen, die Literaturhinweise aktualisiert und häufig die Abbildungen durch andere, auch neuere ersetzt. Der geographische Schwerpunkt (für die Länderberichte) liegt in Europa: neben den Berichten über 17 europäische Länder gibt es Beiträge über die Architekturentwicklung in Argentinien, Australien, Brasilien, China, Israel, Japan, Mexiko, in der Türkei und in den USA.

Die Personenartikel nennen Namen und Vornamen,[6] Geburtsjahr und -ort, Sterbejahr und -ort, häufig auch Angaben zur Ausbildung; ansonsten beziehen sie sich nur auf das architektonische Wirken. Die Literaturangaben nennen überwiegend Monographien, vereinzelt auch Zeitschriftenaufsätze (bei diesen fehlt leider mehrfach die Seitenangabe). Der Hauptteil des Lexikons enthält nur eine einzige Verweisung, nämlich die von Werkbund auf Deutscher Werkbund, von Doppelnamen oder mehrteiligen Namen wird nicht verwiesen; ebensowenig wird bei Akronymen von der Langform verwiesen (MARS ohne Verweisung von Modern Architectural Research Group, M.I.A.R. ohne Verweisung von Movimento Italiano per l'Architettura Razionale u.a.). In den Beiträgen über Gruppen oder Architekturbüros sind deren Mitglieder namentlich aufgeführt, es haben aber nicht alle einen eigenen Artikel bekommen und sind nur über das Namenregister zu finden. Dieses enthält alle in den Texten vorkommenden Personennamen (ca. 2250), auch die von Nicht-Architekten, sowie einige Namen von Gruppen, aber gleichfalls nur wenige Verweisungen. Die zahlreichen Doppelnamen und mehrteiligen italienischen, spanischen oder amerikanischen Familiennamen hätten dringend der Verweisungen bedurft. Einige Flüchtigkeitsfehler und Inkonsequenzen fielen auf: z.B. steht im Hauptteil der Artikel unter Gaudí y Cornet, Antoni, im Register heißt er schlicht Gaudi, Antoni, Hinrich und Inken Baller stehen im Register unter Boller, bei ATBAT fehlt die Seitenzahl 193, Jeanneret, Charles-Edouard ist vor Jeanneret, Albert eingeordnet usw. Wie schon bei einem anderen Architekturlexikon beklagt[7] fehlen auch hier weitere Register: so von den im Text erwähnten zahlreichen Körperschaften und Vereinigungen, ein Verzeichnis aller zitierten Bauwerke oder zumindest der abgebildeten Bauwerke und ein Verzeichnis der Sachbegriffe. Letztgenanntes wäre hier besonders wichtig, da nur die wichtigsten Stilrichtungen und Strömungen mit eigenen Artikeln vertreten sind. Schlampigkeiten begegnen auch bei den mit Pfeilen markierten Verweisungen im Text: historische Starrheit (S. 129) gibt es nicht als Artikel, gemeint ist wohl Historismus; statt rationalistisch geprägte Stijl-Gruppe (S. 88) oder rationalistische Formensprache (S. 170) gibt es nur die Artikel Rationale Architektur und Rationalismus.

Bei den Länderdarstellungen (Umfang zwischen 1 und 12 Seiten) hätte auch der DDR ein eigener Beitrag gebührt. Sie wird nur im Artikel Deutschland mit zwei kurzen Absätzen bedacht, erwähnte Bauwerke sind die Berliner Stalin- bzw. Karl-Marx-Allee, das Staatsratsgebäude und der Palast der Republik. Es gibt keine Abbildungen und keine Literaturhinweise.[8] Der einzige Architekt aus der DDR mit eigenem Artikel ist Henselmann (mit der Abbildung einer Entwurfszeichnung). Das ist zu wenig, vor allem wenn auch Länder wie Portugal, dessen modernes Baugeschehen nicht sehr herausragend war, in einem eigenen Beitrag abgehandelt werden. Insgesamt sind die Länderartikel aber sehr informativ, so daß man sich noch weitere gewünscht hätte, nämlich auch für solche Länder, aus denen keine großen Innovationen für die Weltarchitektur kamen, z.B. für Kanada, Afrika oder Hongkong; auch die neuere islamische Architektur ist beachtenswert.

Bei den ca. 50 Architekturströmungen und -theorien vermißt man einen zusammenfassenden Beitrag über die Nationalsozialistische bzw. Faschistische Architektur, lediglich unter Deutschland findet sich ein Absatz. Aus der jüngsten Zeit fehlt völlig der Themenkomplex des "Energiebewußten Bauens", eine Entwicklung, welche die Architektur bereits stark beeinflußt hat. Baustoffe, Tragsysteme und Bauweisen des 20. Jahrhunderts, die viele Strömungen erst ermöglicht haben, erscheinen nur kurz bei den anwendenden Architekten. So wie bei den einzelnen Stilrichtungen deren Entwicklung und Hauptvertreter genannt werden, wäre es sinnvoll gewesen, unter eigenen Stichwörtern die Entwicklung unter technischen Gesichtspunkten darzustellen, vor allem auch die Erfindungen des 20. Jahrhunderts (Aluminium, Kunststoffe, Textilien, Schalen, pneumatische Architektur, Raumzellen usw.). Die früheste Ausgabe von 1963 bot unter den Stichwörtern Curtain Wall, Glas, Präfabrikation, Schalenkonstruktionen, Stahl, Stahlbeton und Tragwerk bereits solche Beiträge; obwohl der Herausgeber im Vorwort der Ausg. 1983 die Bedeutung der Baumaterialien anerkennt, begründet er dort nicht, warum sie herausgenommen wurden. Mehrere derartige Stichwörter wären eine Bereicherung und da ein Sachregister fehlt und ein Laie sicher nicht immer den Namen des Protagonisten parat hat, wird er vergeblich suchen. Die letzten 20 bis 30 Jahre sind gekennzeichnet von einer Vielzahl von Architekturen (z.B. Wegwerf-Architektur, Alternative Architektur, Konzeptionelle Architektur, Utopische Architektur), deren Einordnung in die Architekturgeschichte wohl nicht nur dem Laien schwerfällt; auch hier wäre man für eine Erläuterung und kompetente Einschätzung dankbar, wie sie zuvor für die einzelnen Architekten gegeben wurde.

Aus den vorgenannten Gründen ist dieser Band kein Lexikon zur schnellen Information über architektonische Sachverhalte oder Fakten, es ist auch kein biographisches Lexikon, dafür sind die Angaben zu den Personen zu vage. Es ist eine Geschichte der Architektur in lexikalischer Form, bei der das architektonische Werk Einzelner im Mittelpunkt steht. Die wichtigen, das Bauen im 20. Jahrhundert prägenden Architekten sind berücksichtigt und ein besonderer Wert liegt darin, daß ihr jeweiliges Umfeld, ihre stilistische Einordnung und Bedeutung innerhalb der Architekturgeschichte dokumentiert worden ist. Es handelt sich um eine komprimierte Darstellung der Architektur unseres Jahrhunderts, ein solides Werk zu einem akzeptablen Preis, gleichermaßen für wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken geeignet.

Angelika Weber


[1]
Knaurs Lexikon der modernen Architektur / hrsg. von Gerd Hatje. - München ; Zürich : Droemer Knaur, 1963. - 312 S. : Ill. ; 22 cm.
Knaurs Lexikon der modernen Architektur / hrsg. von Gerd Hatje. - Vollst. Taschenbuchausg. - München [u.a.] : Knaur, 1966. - 349 S. : Ill. ; 18 cm. - (Knaur-Taschenbücher ; 119). - Die der Rezensentin vorliegende Ausgabe hat nur 336 S., es fehlen der Photonachweis und das Namenverzeichnis. Infolge eines geänderten Seitenumbruchs stimmen die Seiten nicht mehr mit denen der gebundenen Ausgabe überein, so daß man die beiden Anhänge, die sich auf Seiten beziehen, offenbar in einem Teil der Ausgabe weggelassen hat. (zurück)
[2]
Hatje-Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts / hrsg. von Vittorio Magnago Lampugnani. - Stuttgart : Hatje, 1983. - 359 S. : Ill. ; 22 cm. - ISBN 3-7757-0174-5. (zurück)
[3]
Auf dem Umschlag und im Klappentext ist von 511 Stichwörtern, im Info-Brief des Verlages von 523 die Rede. Die Rezensentin zählte 486 Stichwörter + 1 Verweisung, wobei sie sich zugegebenermaßen um 1 - 2 Einträge verzählt haben könnte, keinesfalls aber um über 20. Offenbar hat man kurzfristig noch einige Begriffe herausgenommen; so führt z.B. der Hinweis auf Elemente im Beitrag Archigram ins Leere. (zurück)
[4]
Strömungen bedeutet: Stilrichtungen oder Ideen (z.B. Jugendstil, Rationalismus); Zusammenschlüsse: Personen, die sich auf Grund gemeinsamer Vorstellungen oder Ziele zusammengefunden haben, nicht unbedingt Erwerbsgemeinschaften. (zurück)
[5]
Aulenti, Eames, Gray, Hadid und - wie bereits 1963 Siren und Smithson. (zurück)
[6]
Meistens nur einen Vornamen, gelegentlich auch mehrere; wo in der früheren Ausgabe bereits weitere Vornamen angegeben waren, wurden sie in manchen Fällen in der Neuauflage wieder gestrichen. (zurück)
[7]
Architektenlexikon der Schweiz 19./20. Jahrhundert / Isabelle Rucki und Dorothee Huber (Hrsg.). [Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche: Irene Bisang ... Übersetzung aus dem Italienischen und Englischen ins Deutsche: Ulrike Jauslin Simon]. - Basel ; Berlin [u.a.] : Birkhäuser, 1998. - 614 S. : Ill. - ISBN 3-7643-5261-2 : SFr. 248.00 [4867]. - Rez.: IFB 99-B09-692. (zurück)
[8]
Hier wenigstens zwei wichtige Titel: Architektur und Städtebau der DDR / Werner Durth ; Jörn Düwel ; Niels Gutschow. - Frankfurt am Main [u.a.] : Campus-Verlag, 1998. - 1 - 2. - ISBN 3-593-35933-2. - Bauen zwischen Macht und Ohnmacht : Architektur und Städtebau in der DDR / Thomas Hoscislawski. - 1. Aufl. - Berlin : Verlag für Bauwesen, 1991. - 401 S. : Ill., graph. Darst. - ISBN 3-345-00537-9. - Zugl.: Berlin, Techn. Univ., Diss. (zurück)

Zurück an den Bildanfang