Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Grundlagen der mittelalterlichen Kunst


99-1/4-229
Grundlagen der mittelalterlichen Kunst : eine Quellenkunde / Johann Konrad Eberlein ; Christine Jakobi-Mirwald. - Berlin : Reimer, 1996. - 251 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 3-496-01153-X : DM 39.80
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Die Autoren selbst stellen in der Einleitung die Frage: "Mit welcher Berechtigung erscheint heute eine Quellenkunde zur mittelalterlichen Kunst?" Mangelnde Kenntnis des Lateinischen, der Geschichte, der Philosophie und der Theologie werden angeführt, und man kann dem nur zustimmen. Viele Studenten müssen im Grundstudium erst einmal Lateinkenntnisse erwerben, eine aufwendige Angelegenheit. Noch schwieriger ist der Zugang zu mittelalterlicher Philosophie und Theologie, von denen man während der Schulzeit meist gar nichts gehört hat. Bisher mußte jeder Kunsthistoriker sich auf eigene Faust einen Einblick in die Nachbardisziplinen verschaffen, wenn er nicht die eine oder andere im Nebenfach studierte. Mancher allerdings verzichtet ganz darauf, weil er meint, sich nur mit stilgeschichtlichen Fragen befassen zu müssen, da der Rest sowieso zum Bereich der Finsternis gehöre.

Nun legt das Autorenduo einen Band vor, der den Anfänger auf den ersten Blick das Fürchten lehrt durch die Fülle und den Umfang der aufgeführten Titel; wie soll man das jemals bewältigen? Zunächst hilft hier die differenzierte und mit pädagogischem Geschick aufgebaute Gliederung des Stoffs. Nach einer allgemeinen Einführung folgt ein Geschichtlicher Überblick von den Ägyptern bis zum Ende des 15. Jahrhunderts auf 14 Seiten; dabei werden auch Byzanz und der Islam nicht ausgespart. Auf weiteren 7 Seiten wird die Grundlegung der abendländischen Kunstphilosophie von Platon und Aristoteles über Augustinus und Ps.-Dionysos Areopagita bis hin zum florentinischen Neoplatonismus abgehandelt. Geht das wirklich in dieser Kurzform? Aus beiden Kapiteln werden beim Benutzer wohl eher Klischees hängenbleiben; man hätte es hier auch bei einigen Literaturangaben bewenden lassen können. Dagegen geht es im Abschnitt Die Kunstpraxis und ihre Überlieferung erfreulich konkret um Stellenwert der Kunst, Beschreibung und Stilbegriff in der Antike. Ausführlich werden in den beiden folgenden Kapiteln der Umbruch in der Spätantike und in dieser Zeit entstandene literarische Werke vorgestellt, die das Weltbild des Mittelalters geprägt haben wie der Physiologus oder die Etymologiae Isidors von Sevilla. Der Bibel als wichtigster Quelle für mittelalterliche Kunst, ihrer Entstehung und Illustration ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

Drei Kapitel beschäftigen sich mit der Deutung von Kunst im Mittelalter, d.h. im wesentlichen mit Typologie,[1] und mit der heiklen Frage einer mittelalterlichen Ästhetik jenseits von rein theologischen Erwägungen, die aber nur wenig Greifbares bietet, weil die Theologie die Überlieferung zu sehr dominiert; entsprechend spärlich sind hier die Literaturangaben, was man den Autoren nicht vorwerfen kann. Einige Beispiele ausdrücklich typologisch konzipierter Kunstwerke wie der Klosterneuburger Altar oder die Biblia pauperum werden einzeln vorgestellt, dazu Autorenhandschriften wie der Apokalypsenkommentar des Beatus von Liébana oder der Liber floridus des Lambert von St. Omer.

Im 11. Kapitel kommen Baubeschreibungen, Inventare, Chroniken, Pilgerführer und Meisternamen zur Sprache, unter anderem wichtig als Nachrichten über verlorene Denkmäler. Das nächste Kapitel ist den wenigen erhaltenen Rezept- und Musterbüchern gewidmet, aus der Schedula diversarium artium des Theophilus presbyter wird das Inhaltsverzeichnis des ersten Buches referiert. Das Kapitel über das Mönchtum ist so allgemein gehalten, daß auch hier wieder die Literaturangaben genügt hätten.[2] Als weitere wichtige Quellen werden auch Hagiographien[3] angeführt, wobei der Hinweis fehlt, daß viele Vitae nicht mehr oder weniger zufällig entstanden sind, sondern oft gerade als notwendige Bedingung im Hinblick auf die Kanonisation. Schließlich geht es noch um die Deutung von (sakraler) Architektur, die nach wie vor umstritten ist, wobei vor allem die Gotik die Phantasie anregt. In einem letzten Abschnitt gibt es eine Kurzfassung des nützlichen Buchs zur Terminologie der Buchmalerei von Jacobi-Mirwald (s. IFB 99-1/4-240). Eher ein Anhang sind die Angaben zu anderen Kunstgattungen wie Wandmalerei, Glasmalerei, Textilkunst, Plastik etc. und zu historischen Hilfswissenschaften, vorwiegend in Literaturangaben. Ein Register der Personen, Orte und Kunstwerke, das etwas ausführlicher sein dürfte, schließt den Band ab.

Einige kleine Ergänzungen scheinen notwendig. In Kapitel 2, Abschnitt Lexika sollten unbedingt genannt werden: Das Handwörterbuch von Georges[4] und das Pons-Globalwörterbuch.[5] Im Abschnitt Editionen wäre auch auf die seit einigen Jahren existierenden digitalisierten Versionen (CD-ROM) von MPL und CC hinzuweisen. Vor allem im Kapitel 18 vermißt man einige Titel, z.B. 18.1.2. Heraldik: Der Armorial général von Rietstap[6] und der Dictionnaire de Renesse,[7] 18.4. Rechtsgeschichte: Das Corpus iuris canonici.[8] Auch wenn, wie eingangs bemerkt, Lateinkenntnisse nicht mehr unbedingt vorausgesetzt werden können, wünscht man sich doch neben Übersetzungen auch die Angabe von Editionen der antiken und mittelalterlichen Texte, so z.B. der Mirabilia urbis Romae oder der Pergrinatio Egeriae.

Alles in allem ein mutiges und gelungenes Unternehmen, das vor allem dem Anfänger einen Leitfaden an die Hand gibt, aber auch vom erfahreneren Kunsthistoriker mit Gewinn benutzt werden kann. Daß Christine Jakobi-Mirwald nach ihrem Buch zur Terminologie der Buchmalerei hier zum zweiten Mal an einer absoluten Neuheit mitgearbeitet hat, soll zum Schluß noch besonders vermerkt werden.

Peter Burkhart


[1]
Zum Thema Typologie hätte man noch nennen können: "...inwendig voller Figur" : figurale und typologische Denkformen in der Malerei / H. Holländer. // In: Typologie : internationale Beiträge zur Poetik / hrsg. V. Bohn. - Frankfurt, 1988, S. 166 - 205. (zurück)
[2]
Zu ergänzen: Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche / M. Heimbucher. - 5. Aufl., Nachdr. der 3. Aufl. 1933. - München, 1987. (zurück)
[3]
Grundlegend: Biographie und Epochenstil / W. Berschin. - Stuttgart, 1986 - 1991. - Bd. 1 - 3. (zurück)
[4]
Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch / K. E. Georges. - Nachdr. - Darmstadt, 1992. - Bd. 1 - 2. (zurück)
[5]
Pons-Globalwörterbuch lateinisch-deutsch : zu den klassischen und ausgewählten mittelalterlichen Autoren / Friedrich A. Heinichen. - Stuttgart, 1990. (zurück)
[6]
Armorial général / J. B. Rietstap. - Den Haag, 1926 - 1954. - 7 Text- und 6 Tafel-Bd. (zurück)
[7]
Dictionnaire de Renesse / J. von Helmont. - Löwen, 1992. (zurück)
[8]
Corpus iuris canonici / ed. A. Friedberg. - Graz, 1955. - Bd. 1 - 2. - Nachdr. der 1. Aufl. 1879. (zurück)

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