Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken


99-1/4-227
Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken . - Stuttgart : Reclam. - Bd. 1 - 3 in Kassette. - ISBN 3-15-030015-0 : DM 99.00
[4504]
Bd. 1. Farbmittel, Buchmalerei, Tafel- und Leinwandmalerei / von Hermann Kühn ... - 2. Aufl., 1988, [Sonderausg.] - 1997. - 479, 8 S. : Ill. - ISBN 3-15-010322-3
Bd. 2. Wandmalerei, Mosaik / von Albert Knoepfli ... - [1. Aufl.], 1990, [Sonderausg.] - 1997. - 536, 8 S. : Ill. - ISBN 3-15-010345-2
Bd. 3. Glas, Keramik und Porzellan, Möbel, Intarsie und Rahmen, Lackkunst, Leder / von Gustav Weiß ... - [1. Aufl.], 1986, [Sonderausg.] - 1997. - 386, 8 S. : Ill. - ISBN 3-15-010337-1

Zu Recht hat sich Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken als Standardwerk etablieren können. Die 1997 erschienene Sonderausgabe faßt die in den Jahren 1984 - 1990 erschienenen Einzelbände[1] zu einer preiswerten Gesamtausgabe zusammen, die allerdings gegenüber den Erstauflagen unverändert ist. Nach der Lektüre der über 1500 Seiten fragte sich der Rezensent bei einem Besuch im Frankfurter Dom auf wie vielen Putzschichten der Bartholomäus-Fries des Chores wohl aufgebaut sei: das vorliegende Werk erweitert den im allgemeinen formalästhetischen oder ikonographischen Blickwinkel des Kunsthistorikers.

Das Handbuch behandelt Malerei, Mosaik, Glas, Keramik und Porzellan, Holz, Lackkunst und Leder. Namhafte Autoren konnten für diesen kunsttechnologischen Überblick gewonnen werden, dessen Einzelbeiträge jeweils mit Literaturverzeichnissen schließen. Jeder Band enthält zudem ein Personen- und ein Sachregister.

Der erste Band beginnt mit einer werkstoffkundlichen, werkstoffgeschichtlichen Einführung (Kühn, Bd. 1, S. 7 - 54),[2] die für Nicht-Technologen nur schwer zu verstehen ist. Auf Abbildungen, die die Sachverhalte veranschaulicht hätten, verzichtete man.

Der Artikel zur Buchmalerei (Roosen-Runge, Bd. 1, S. 55 - 124) beschäftigt sich mit den Verfahren der Buchmaler in klösterlichen Werkstätten als Träger mittelalterlicher Buchkultur. Er zeigt die Geschichte der Textüberlieferung auf, gibt einen Überblick über verwandte Farbmaterialien und Bindemitteln und zeigt schließlich anhand ausgewählter Beispiele ihre Anwendung.

Die Übersicht über Techniken und Werkstoffe mittelalterlicher Tafelmalerei, immer am Werkvorgang orientiert, berücksichtigt sowohl die Traktatliteratur als auch naturwissenschaftliche Gemäldeuntersuchungen (Straub, Bd. 1, S. 125 - 260). Daneben finden sich zahlreiche Informationen zur Fassung polychromer Skulptur. Gelegentlich stößt der Leser auf kleine Ungenauigkeiten: Straubs Wortumschreibung "Pastiglia (partielles Auftragen von Grundiermasse)", erfaßt den Begriff nicht in seiner kunstgeschichtlich relevanten Ganzheit, da jedwede Pastiglia an Kunstwerken sich auch aus Materialien zusammensetzen kann, die nicht zur Grundierung verwandt wurden (Straub, Bd. 1, S. 170 - 173). Auch die dort vorgeschlagene Differenzierung zwischen Pastigliatechnik für frei modellierte Pasten auf der einen und Prägeapplikationen für mit Modeln geformte Massen auf der anderen Seite ist nicht stichhaltig - natürlich ist auch die Modelapplikation eine Pastigliatechnik. Aber dies sind Kleinigkeiten. Der Beitrag löst, man muß schon sagen endlich, Bergers Band von 1912 ab.[3]

Eine erste Gesamtdarstellung erfährt das Staffeleibild der Neuzeit (Koller, Bd. 1, S. 267 - 434). Die Beschreibung der neuen Maltechniken und der Malweisen dient als Basis für die Folgekapitel: in drei großen Abschnitten werden die Maltechniken des 16., des 17./18. und des 19./20. Jahrhunderts kenntnisreich beschrieben.

Auch die Abhandlungen im zweiten Band über Wandmalerei und Mosaik richten sich an Restauratoren, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger gleichermaßen.

Nach einigen einleitenden Bemerkungen zur Quellenlage und zu den Haupttechniken beschäftigt sich die Untersuchung zur Wandmalerei bis ins Spätmittelalter vor allem mit Materialien und Schichtaufbau sowie mit einem Überblick nach Epochen, der mit der Urgeschichte beginnt (Knoepfli/Emmenegger, Bd. 2, S. 7 - 212). Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man den sehr unterschiedlichen Bearbeitungsstand seitens der Wissenschaft und die großen Verluste an historischer Wandmalerei. So ist bekanntlich die gesamte griechische Wandmalerei verloren und die aus Antike und Mittelalter überkommenen Denkmäler stammen zumeist aus Randgebieten und vornehmlich aus Sakralbauten. Die lehrreiche Beschreibung analysiert unter Berücksichtigung des Denkmälerbestandes und der einschlägigen Quellen Schicht auf Schicht und folgt somit der Arbeitsweise des Malers.

Die Betrachtung der Farben und Maltechniken nach Epochen ist im einzelnen recht knapp gehalten und nicht immer glücklich gewichtet. Der Anteil Italiens, das im 14. Jahrhundert zum Zentrum europäischer Wandmalerei wurde, läßt sich nur erahnen (Bd. 2, S. 159, 160). Wichtige Namen wie Pietro Cavallini, man denke an das nur als Fragment überlieferte Fresko des Jüngsten Gerichts in S. Cecilia in Rom, fehlen, was sich auch im Literaturverzeichnis widerspiegelt.[4] Andererseits berücksichtigte man aber in einem Exkurs zum Kolorit, daß die Kekchi-Indianer Guatemalas für Blau und Grün nur eine einzige Bezeichnung verwenden - ein im übrigen auch aus anderen Volksgruppen bekanntes Phänomen. So benutzte die Dichtung der chinesischen T'ang-Dynastie (618 - 907) dasselbe Zeichen für die Farbe des Himmels und die Farbe des Grases. Eine Vorstellung ausgewählter Denkmäler der Wandmalerei des 5. bis 16. Jahrhunderts beendet diesen Beitrag.

Bei den Ausführungen zur Wandmalerei der Neuzeit stehen die Maltechniken der einzelnen Epochen (15. - 20. Jh.) im Vordergrund der Betrachtung (Koller, Bd. 2, S. 213 - 398). Sie können sich auf einen mengenmäßig größeren und "ausgewogeneren" Denkmälerbestand stützen. Auch bei Koller geht es immer um Arbeitsabläufe. Es wird dem Leser, unterstützt durch eine anschauliche Bebilderung, ein Blick hinter die Kulissen gewährt. Man lernt den Künstler als Handwerker kennen. Berücksichtigt wurden auch die jeweils neuen Bautechniken.

Gegenüber den Abhandlungen zur Wandmalerei fällt der Beitrag zum Mosaik ein wenig ab (Meyer, Bd. 2, S. 399 - 498). Auch hier werden Werkstoffe, Werkzeuge und Haupttechniken vorgestellt. Anschließend wird unter Berücksichtigung des Werkvorgangs über Untergrund und Würfelbettung, Entwurf und Setzverfahren berichtet. Ein zu knapp gehaltener epochaler Überblick zu Technik und Entwicklung des Mosaiks schließt die Ausführungen ab.

Der dritte Band informiert über die künstlerische Gestaltung einiger weiterer Materialien. In die Darstellung des Werkstoffs Glas (Weiß, Bd. 3, S. 7 - 68) führen Bemerkungen zur Glaszusammensetzung in den verschiedenen Jahrhunderten ein. Anschließend werden die Techniken der Glasverarbeitung und Veredelungsmöglichkeiten kurz vorgestellt.

Im Beitrag zu Keramik und Porzellan (Denninger, Bd. 3, S. 69 - 134) wird zunächst die Materialfrage geklärt, um anschließend die Verarbeitungstechniken des Töpfers zu erörtern. Die Aufbereitung des Materials, ihre Gestaltung, Glasur und Dekor sowie der abschließende Brand bestimmen den Werkvorgang. In einem geschichtlichen Überblick, der von der Vorgeschichte bis in die Neuzeit reicht, werden die Tonwaren nach ihren Typen vorgestellt.

Im Abschnitt über die Holzgestaltung (Stratmann-Döhler, Bd. 3, S. 135 - 210) stehen die Aspekte Holzverarbeitung und -bearbeitung im Vordergrund. Die Konstruktion bestimmter Möbeltypen wie Truhen, Schränke, Tische, Sitzmöbel und Betten wird näher beschrieben. Anschließend werden die verschiedenen Möglichkeiten des Dekors und der Oberflächenbehandlung aufgezählt. Die Bilderrahmung (S. 207 - 209) wird nur unter dem Konstruktionsaspekt und damit zu knapp erörtert. Leider verzichtet die Autorin auf einen historischen Überblick und läßt damit Wichtiges vermissen. In der Auswahlbibliographie fehlen grundlegende Werke.[5]

Nachdem eine ausgewiesene Kennerin der Materie erklärt, was Lackkunst heißt und ist (Sträßer, Bd. 3, S. 211 - 294), wird auf anschauliche Art und Weise die Geschichte der Lackkunst in Europa nacherzählt. In die Darstellung fließen historische Rezepturen und kulturhistorische Betrachtungen mit ein. Abschließend wird auf Unterschiede ostasiatischer Lackarbeiten verwiesen.

Mit knappen, kenntnisreichen Erörterungen zum Leder (Gall, Bd. 3, S. 295 - 327) schließt der dritte Band. Der Werkstoff und die Form- und Schmucktechniken, die in den verschiedenen Epochen Anwendung fanden, werden vordergründig behandelt.

Trotz einer Reihe von ausgezeichneten Einzelbeiträgen wird das Handbuch seinem Titel nicht ganz gerecht. Das Metallhandwerk, dem bereits Theophilus (Roger von Helmarshausen, um 1100) den dritten Teil seiner Schedula diversarum artium, der wichtigsten Werkstattschrift des Mittelalters, widmet, bleibt unberücksichtigt. Redaktionell hätte manches besser gemacht werden können. Leider wurde auch in dieser Sonderausgabe darauf verzichtet, die einzelnen Mosaiksteine der Beiträge mittels einer Einleitung zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Eine dem Leser als roter Faden dienende Einführung hätte dieser Sonderausgabe gut getan, da das Handbuch nicht gerade selbst erklärend ist. Weder wurde diese Sonderausgabe noch die zweite Auflage des ersten Bandes (1988) zur Überarbeitung genutzt. Dieser Mangel offenbart sich auch bei den stellenweise veralteten Literaturangaben. So fehlt zum Thema Pastiglia bspw. die wichtige Publikation von Graciano Manni Mobili in Emilia (Modena 1986). Dort wird erstmals darauf aufmerksam gemacht, daß der Pastiglia zur Zeit der italienischen Renaissance Duftstoffe zugesetzt wurden (S. 39 - 40), was den eigentlichen Wert dieses Materials ausmachte. Auch eine ausführlichere Bebilderung, eine Koordination der Literaturangaben und die Vermeidung von Wiederholungen bei der Beschreibung von Werkstoffen der einzelnen Beiträger hätten das Handbuch noch besser gemacht. Insgesamt ist diese Sonderausgabe mehr als ein lexikalisches Nachschlagewerk. Es wird hier vielmehr der gelungene Versuch einer zusammenfassenden, übergreifenden Darstellung künstlerischer Techniken gemacht, der von einer Sichtung naturwissenschaftlicher und quellenkundlicher Belegliteratur gespeist wird. Das Handbuch sollte trotz der genannten vornehmlich redaktionellen Mängel in keinem Lesesaal fehlen.

Johannes W. Pommeranz


[1]
Man vergleiche auch die Rezensionen von Ulrich Schießl in: Maltechnik Restauro. - 91 (1985),1, S. 56 - 64 (zu Bd. 1) und von Thomas Brachert in: Maltechnik Restauro. - 93 (1987),1, S. 56 - 57 (zu Bd. 3). (zurück)
[2]
Der Beitrag entspricht im wesentlichen dem Artikel Farbe, Farbmittel : Pigmente und Bindemittel in der Malerei / Hermann Kühn. // In: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. - Bd. 7 (1980), Sp. 1 - 54. (zurück)
[3]
Quellen und Technik der Fresko-, Oel- und Tempera-Malerei des Mittelalters von der byzantinischen Zeit bis einschließlich der Erfindung der Ölmalerei / Ernst Berger. - München, 1912. (zurück)
[4]
Namentlich fehlt der wichtige Kongreßband Roma anno 1300 : atti della IV Settimana di Studi di Storia dell'Arte Medievale dell' Università di Roma "La Sapienza", 19 - 24 Mai 1980 / a cura di A. M. Romanini. - Roma, 1983. (zurück)
[5]
Zur Rahmung: Alte Bilderrahmen : Epochen, Typen, Material / Claus Grimm. - München, 1977. - Zum Möbel allgemein: Möbel Europas / Franz Windisch-Graetz. - München. - 1 (1982) - 2 (1983). (zurück)

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