Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

Literaturwissenschaft für Italianisten


99-1/4-212
Literaturwissenschaft für Italianisten : eine Einführung / Elisabeth Schulze-Witzenrath. - Tübingen : Narr, 1998. - 214 S. ; 24 cm. - (Narr-Studienbücher). - ISBN 3-8233-4968-6 : DM 34.00
[5002]

Nach mehreren Auflagen der im Veralg Brockmeyer in Bochum erschienenen Einführung in die Literaturwissenschaft für Italianisten von Elisabeth Schulze-Witzenrath[1] brachte der Tübinger Narr-Verlag in der Reihe Narr Studienbücher die Einführung Literaturwissenschaft für Italianisten derselben Verfasserin heraus. Der so ausgesprochen phantasievoll veränderte Titel vermag kaum darüber hinwegzutäuschen, daß es sich im Grunde um eine Neubearbeitung des alten Buches handelt, obwohl das kurze Vorwort der Autorin die früheren Auflagen mit keinem Wort erwähnt, vielmehr offenbar den Eindruck erwecken soll, es handle sich um ein völlig neu konzipiertes, auf aktuelle Fragestellungen antwortendes Werk.[2]

Über diesen eher irreführenden Hinweis hinaus präzisiert das Vorwort in knapper Form Zielsetzung, Zielgruppe, Inhalt und Vorgehensweise der Einführung: Sie will "wissenschaftliche Hilfestellung" bei der Beschäftigung mit italienischer Literatur leisten und richtet sich demnach nicht ausschließlich, aber vorrangig an Studierende der Italianistik, denen das Buch im Unterricht oder im Selbststudium das begriffliche Instrumentarium für die Arbeit an Texten liefern soll. Als Ergänzung zu diesem Instrumentarium fungieren auf der einen Seite ein bibliographischer Überblick über sogenannte Hilfsmittel wie z.B. Nachschlagewerke und Literaturgeschichten, Fachzeitschriften und Bibliographien, auf der anderen ein historischer Überblick sowohl über die italienische Literatur als auch über die italienische Literaturkritik und Literaturwissenschaft sowie eine Anthologie, die ihrerseits literarische und literaturwissenschaftliche Texte enthält, letztere allerdings in geringer Zahl und ohne ein italienisches Beispiel darunter. In allen Kapiteln finden sich Musteraufgaben, deren Lösungen am Ende des Bandes zusammengestellt sind, den eine wiederum knappe, aber gewiß hilfreiche Anleitung Zur äußeren Form schriftlicher Arbeiten beschließt.

Bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis einer der früheren Auflagen[3] macht deutlich, daß sich außer dem hinzugekommenen Vorwort zu Beginn und dem Quellennachweis am Ende nicht allzuviel verändert hat: Einige Kapitel wurden umgestellt, weniges kam hinzu, die zahlreicher gewordenen Aufgaben befinden sich nicht mehr als Block am Ende, sondern im Buch verteilt, sind teilweise allgemeiner gehalten und, wie erwähnt, jetzt mit Lösungen versehen. Diese liefern oft zusätzliche Informationen, die vorher z.T. in Fußnoten des Hauptteils untergebracht waren, und machen das Buch eher als die bisherigen Ausgaben zum Selbststudium geeignet, zumal mit diesem Schlüssel mögliche Herangehens- oder auch Ausdrucksweisen vorgeführt werden. Allerdings bleiben die vorgeschlagenen Lösungen stellenweise - bei dem wenigen zur Verfügung stehenden Platz vielleicht zwangsläufig - wenig originell[4] und recht mager.[5]

Der detaillierte Vergleich der einzelnen Kapitel bestätigt den aus den Inhaltsverzeichnissen von 1991 und 1998 gewonnenen Eindruck. So wurde etwa der bibliographische erste Teil um einige aktuelle Titel sowie um die Rubrik Wörterbücher ergänzt, die bedauerlichen Lücken vor allem im Bereich der Anthologien sind jedoch nicht geschlossen, deren Liste ein merkwürdig unausgewogenes Bild abgibt, da etwa unter den 15 zur Lyrik angegebenen Titeln nach den drei umfassenden Gedichtbänden vier für die Zeit vom 13. bis zum 17. Jahrhundert und acht für das Novecento genannt werden, kein einziger Band jedoch die Lyrik des 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts speziell erfaßt, was der Bedeutung etwa von Leopardi und Foscolo für die italienische Literatur gewiß nicht entspricht. Ähnlich gibt es keine "Erzählprosa" nach dem 16. Jahrhundert und vor 1860 und beschränken sich die Theateranthologien auf einen Band zum 17. Jahrhundert und zwei Titeln zur Commedia dell'arte, so daß beispielsweise die Renaissancekomödie ebenso entfällt wie das reichhaltige Spektrum an Theaterformen im 18. Jahrhundert oder die oft experimentelle Theaterliteratur des 20. Jahrhunderts.

Während im theoretischen Teil die ersten beiden Kapitel Was ist Literatur? und Wissenschaft, Wissenschaftssprache, Theoriebildung ebenso wie das vierte, Was ist ein Text?, bis auf einige Umformulierungen und Präzisierungen, Hinzufügungen und Weglassungen[6] weitgehend identisch geblieben sind, wurde das dritte Kapitel Was ist Literaturwissenschaft? beträchtlich erweitert: Reihten sich vorher auf ungefähr einer Seite mehrere etwa anderthalb Zeilen lange Definitionen aneinander, entfielen jetzt einige der früheren Bereiche der Literaturwissenschaft wie etwa die Quellen- oder Einflußforschung, aber kamen aktuellere wie Intertextualitätsforschung und Textlinguistik hinzu und werden auf den über dreizehn ungleich informativeren Seiten zahlreiche Fachbegriffe, z.T. in italienischer Sprache, eingeführt. Die folgenden Kapitel zur Textkonstitution und zu den literarischen Gattungen wurden teilweise übernommen, teilweise erweitert oder auch verständlicher gemacht, indem mehr Beispiele angeführt und nicht definierte Fachbegriffe weggelassen, dafür aber mehr italienische Entsprechungen angegeben wurden.[7] Nach wie vor jedoch ist die Textanalyse in den Bereichen Lyrik und Drama gegenüber der Narrativik[8] eher stiefmütterlich behandelt, zumal sich das Instrumentarium in beiden Kapiteln nahezu auf einige Definitionen beschränkt, so daß gegenüber der wesentlich detaillierteren Anleitung zur Erzähltextanalyse nicht nur ein quantitativer Unterschied, sondern zudem ein methodologischer Bruch besteht.

Im historischen Teil der Einführung wurde zwar das zweite Kapitel ausführlicher, das erste hingegen, die Literaturgeschichte, die die Fragen aufwirft, die wohl jede nicht einmal 20 Seiten lange Zusammenfassung der gesamten italienischen Literatur aufwerfen muß,[9] inhaltlich insgesamt wenig verändert, nur am Ende um einige Autoren und Daten aktualisiert - der Dario Fo 1997 verliehene Nobelpreis ist bereits erwähnt (S. 117) -, dafür aber optisch ansprechender und leserfreundlicher gestaltet, wenngleich die einzelnen Autoren teils mit, teils ohne Lebensdaten genannt werden und sich letztere manchmal im Text, manchmal in der Marginalspalte befinden. Die kurzen Einführungen zu den einzelnen Autoren in der folgenden Anthologie, die bis auf wenige Ausnahmen dieselbe Auswahl darstellt wie in den früheren Ausgaben, bieten eine recht gute Ergänzung zu dieser Literaturgeschichte im Westentaschenformat, zumal bei einzelnen Arbeitsaufgaben zusätzliche Sachinformationen, Begriffsdefinitionen oder auch Erläuterungen (etwa zu dem Faksimile-Druck und dem kritischen Apparat eines Leopardi-Gedichts) gegeben werden.

Insgesamt läßt sich festhalten, daß sich das Buch in der überarbeiteten Fassung vermutlich - die Praxis wird es erweisen - besser zum Selbststudium eignet als seine Vorgänger, zumal einige Mängel, etwa die geringe Zahl an Übungen oder die fehlende Kommentierung in der Anthologie, jetzt beseitigt sind. Auch ist es bedeutend übersichtlicher gestaltet und besser gebunden, so daß es schon durch diese - freilich mit einem wesentlich höheren Preis erkauften - Äußerlichkeiten eher zum Lern- oder Arbeitsbuch taugt als die rasch in eine Loseblattsammlung verwandelte vorige Ausgabe. Leider fehlt noch immer ein Register zumindest der Sachbegriffe, das sich als hilfreich erweisen könnte, wenn etwa Begriffe wie Ellipse und Aposiopese durch 17 Seiten voneinander getrennt sind und wenn das Werk nicht nur als eine erste Einführung zu Beginn des Studiums Dienste leisten, sondern sich zudem als Nachschlagewerk auch noch später buchstäblich bezahlt machen soll. Als Grundlage für einen Einführungskurs in die italienische Literaturwissenschaft bedarf es allerdings an einigen Stellen wie etwa der Analyse von Theatertext[10] gewiß der Ergänzung durch andere Hilfsmittel, Instrumentarien oder Einführungen.

Barbara Kuhn


[1]
Vgl. die Besprechung der 4. Aufl. 1993 in IFB 96-2/3-272 sowie die übrigen an dieser Stelle besprochenen Einführungen in die italienische Literaturwissenschaft (IFB 96-2/3-269 - 271), ferner in IFB 98-1/2-096 die Rezension der von Pasquini herausgegebenen Guida allo studio della letteratura italiana. (zurück)
[2]
Etwa durch Sätze wie die folgenden: "Man klagt heute oft über mangelnde Orientierung der Studenten. Ich hoffe, mit diesem Buch zur begrifflichen und sachlichen Orientierung der Italianistikstudenten beizutragen" (S. 7). Zur "Orientierung der Studenten" wäre der Hinweis auf das frühere Opus und die jetzt vorgenommenen Veränderungen gewiß hilfreich gewesen, denn wenngleich die Neuausgabe überarbeitet und aktualisiert wurde, wird vermutlich niemand den Studierenden, die eine der früheren Ausgaben besitzen, empfehlen, sich zusätzlich die neue anzuschaffen, die zudem mehr als doppelt soviel kostet wie die vierte Auflage der alten Einführung. (zurück)
[3]
Mir lag die 3. Aufl. 1991 vor. (zurück)
[4]
Vgl. z.B.: "Wie es zu dieser Variation kommt und was sie bedeutet, bedarf weiterer Nachforschungen, z.B. in Ungarettis eigenen Äußerungen und seiner Biographie" (S. 208). (zurück)
[5]
Etwa wenn die Verwendung bestimmter rhetorischer Figuren nur "zeigt, daß Calvino ein überaus gebildeter Autor ist, der seine Bildung phantasievoll und spielerisch zugleich einsetzt" (S. 209). (zurück)
[6]
So entfällt jetzt beispiels- und erfreulicherweise die Feststellung, "daß Fiktionalität ... ein Signal dafür ist, daß man literarische Texte sinnbildlich verstehen soll" (S. 12 - 13 der 3. Aufl.), die durch aussagekräftigere Informationen zu Fiktionssignalen ersetzt wurde (vgl. S. 23). (zurück)
[7]
Leider nicht überall und nicht immer mit dem Terminus technicus: Für Anagnorisis etwa wäre statt oder zumindest neben dem allgemeinen riconoscimento (S. 97) der Begiff agnizione zu nennen, damit die Studierenden ihn vielleicht nicht selbst verwenden, aber doch in den betreffenden literaturwissenschaftlichen Texten wiedererkennen. (zurück)
[8]
Leider bleibt Schulze-Witzenrath immer noch kritiklos bei der Stanzelschen Terminologie der Erzählhaltungen, obwohl sie damit selbst in Schwierigkeiten gerät, wie folgende Fußnote zu einer Textstelle aus Calvinos Roman Il sentiero dei nidi di ragno belegt: "Die personale Erzählhaltung wäre hier noch 'sauberer', wenn Calvino den Protagonisten nicht mit dem Vornamen bezeichnet hätte: das tut man nämlich normalerweise nicht, wenn man von sich selbst spricht, auch nicht als Heranwachsender, der Pin ist" (S. 66). Weder geht es in einem literarischen Text um Sauberkeit (allenfalls bei der Textanalyse um sauber getrennte Begriffe) noch um das, was man normalerweise tut; vielmehr macht die Passage deutlich, daß mit "personaler Erzählhaltung" noch längst nicht alles gesagt ist, sondern unterschieden werden muß zwischen dem, der spricht, und dem, der sieht, wie die Autorin zu Beginn des nächsten Kapitels selbst kurz andeutet, indem sie Gérard Genettes Begriff der focalizzazione erwähnt. (zurück)
[9]
Zum Beispiel die Frage, ob Leopardis Operette morali und sein Zibaldone (S. 114) sich in gleicher Weise wie Collodis Avventure di Pinocchio (S. 115) durch das Adverb bzw. Adjektiv "tiefsinnig" charakterisieren lassen und ob ein solches Epitheton noch sachlich unterscheidendes, individualisierendes oder nur schmückendes, gleichmachendes Beiwort ist. (zurück)
[10]
Nicht nur Studierende der Italianistik werden sich fragen, was sie mit der Lösung der Aufgabe "Versuchen Sie, die Zahl der Auf- und Abtritte von Personen in dieser Szene festzustellen" (S. 159) anfangen sollen. Sie lautet schlicht und statistisch und einfach: "In den Regieanweisungen zählt man 9x 'parte'; 4x 'esce'; 6x 'torna' bzw. 'entra'." (S. 204). Auch eine "Einführung in die Literaturwissenschaft" kann sich nicht auf solches Zählen reduzieren, ohne sich fragen lassen zu müssen, worin der Unterschied zwischen ihr und dem Mathematikunterricht in der Grundschule besteht. (zurück)

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