Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
[ Bestand in K10plus ]

100 Jahre Ernst-Reinhardt-Verlag 1899 - 1999


99-1/4-119
100 Jahre Ernst-Reinhardt-Verlag 1899 - 1999 . - München : Reinhardt, 1999. - 210 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 3-497-01500-8 : DM 10.00 (Schutzgebühr)
[5538]

Mit dem Ankauf einer Münchener Sortiments- und Antiquariatshandlung durch den Basler Buchhändler Ernst Reinhardt (1872 - 1937) am 20. Juli 1899 wurde der Grundstein für einen bis heute selbständigen, mittelständischen Verlag gelegt. Erst im folgenden Jahr wurde die Firma im Handelsregister eingetragen, und zugleich begann sie ihre Tätigkeit als Verlagsbuchhandlung. Seit dieser Zeit hat der Ernst-Reinhardt-Verlag Jahr für Jahr erfolgreich Bücher verlegt, mit Ausnahme des Endes des Zweiten Weltkriegs; aber das trifft für nahezu alle traditionsreichen Verlage zu.

Die Veröffentlichung zum 100jährigen Jubiläum faßt auf S. 9 - 82 in gedrängter Form die Firmengeschichte zusammen, wobei sie drei sehr unterschiedliche Beiträge - jeder auf seine eigene Weise interessant - vereint. Der erste schildert die Entwicklung der Firma von ihren Anfängen bis 1973. Ihr Verfasser ist der Basler Gymnasiallehrer Christoph Jungck, Sohn des Neffen und Nachfolgers des Firmengründers Hermann Jungck (1903 - 1988). Dieser geschichtliche Abriß kommt, wie auch die folgenden Beiträge, ganz ohne Anmerkungen und Quellenangaben aus. Er richtet sich offensichtlich nicht an Historiker, sondern eher an Freunde und interessierte Kollegen im Verlagsbuchhandel. An der Exaktheit der einzelnen Fakten, die hier ausgebreitet werden, kann kaum Zweifel bestehen, zumal sie durch zahlreiche dokumentarische Fotos illustriert werden. Nicht zu übersehen ist die stellenweise starke Anlehnung an die Schrift 75 Jahre Ernst Reinhardt Verlag München, Basel von Hermann Jungck (1974). Letztere hatte noch versucht, Verlagsgeschichte, familiäre Anekdoten und sogar Verlagsbibliographie in einem fortlaufenden Text zu bieten, womit sie das Genre auf oft interessante und manchmal amüsante Weise verfehlt und doch bereichert hat.

Der zweite Teil der Verlagsgeschichte stammt von Karl Münster (S. 54 - 79) und Hildegard Wehler (S. 80 - 82). Karl Münster, Verlagsleiter von 1978 bis 1998, referiert in einem sehr persönlich gehaltenen Rechenschaftsbericht die Umbrüche und betriebswirtschaftlichen Neuorientierungen eines kleineren Verlages, der noch darauf besteht, jedes Buch im engen Kontakt mit dem Autor gründlich zu lektorieren. Daraus erklärt sich auch die öftere ausführliche Vorstellung einzelner Autoren und ihrer Werke. Den Abschluß bildet die Vorausschau der gegenwärtigen Verlagsleiterin, die nicht nur für ihren eigenen Verlag eine moderate Prognose für den Verlagsbuchhandel wagt, wie man sie etwa auch von Beiträgen von dem Verleger Klaus G. Saur im Börsenblatt kennt.

Der dritte und umfangreichste Teil dieser Festschrift bringt die auf Vollständigkeit angelegte Verlagsbibliographie. Die Quellen sind unterschiedlichen Ursprungs und beruhen nur zum Teil auf Autopsie. Da die Verlagstätigkeit durch das Eingreifen der Nazidiktatur 1944 lahmgelegt war, ist das Verzeichnis der Buchproduktion aufgeteilt in Bücher mit Erstauflage bis einschließlich 1944 und Bücher mit Erstauflage ab 1945, gefolgt von den Formalgruppen Buchreihen und Schriftenreihen, Musiknoten und Zeitschriften. Dies wird in den vorausgeschickten Anmerkungen Zur Quellenlage und bibliographischen Ordnung (S. 84) erläutert; dort heißt es auch: "Die Umlaute ä, ö, ü wurden zur alphabetischen Einordnung wie a, o, u behandelt" - man liest es und denkt sich seinen Teil. Daran anschließend folgt die wohl einmalige Offenbarung: "ß steht vor ss." Diese abwegige Idee kann natürlich nirgendwo eine Rolle spielen. Daß die (evtl. falsch verstandene) neue Rechtschreibung hier Pate gestanden haben könnte, ist nicht sehr wahrscheinlich. Das belegt die willkürliche Verwendung von ß und ss im Text mit Beispielen im Vorwort wie "Schließung" und "schloß"; dagegen schreibt man in der Überschrift S. 39 "Schliessung". An der nach dem Alphabet geordneten Bibliographie, die keine Verweisungen kennt und auch nicht durch ein Register erschlossen wird, können Bibliothekare keine Freude haben. Wie bei vielen anderen Verlagskatalogen herrscht auch hier die Methode (man könnte fast von einer Sucht sprechen) vor, möglichst alle Eintragen unter einem Personennamen vorzunehmen. Dies können im Idealfall die Autoren sein, aber oft genug sind es auch sonstige beteiligte Personen. Hervorgehoben durch Fettdruck sind jedesmal die Hauptsachtitel, die alphabetische Einordnung erfolgt jedoch meistens unter einer an beliebiger Stelle erstgenannten Person. Durchbrochen wird diese Manie ganz selten durch einen nach keinen erkennbaren Regeln vorgenommenen Eintrag unter dem Hauptsachtitel; Beispiel S. 130: Alfred Adler - Eine Bildbiographie, obwohl die im vollen Wortlaut abgedruckte Verfasserangabe genügend Personen nennt: "Zusammengestellt und verfaßt von H. Ruediger Schiferer unter Mitarbeit von Helmut Gröger und Manfred Skopec"; ähnlich S. 115: Quellen zur deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa ... "bearbeitet von Franz Wilhelm und Josef Kallbrunner" u.a.

Kennzeichnend für diese Art von gedruckten Verlagskatalogen ist und wird bleiben, daß man in ihnen zwar etwas finden kann, daß man aber nur schwer etwas gezielt suchen kann, wenn man darauf angewiesen ist und nicht mehr nach dem Zufallsprinzip vorgehen mag. Das Problem scheint darin zu liegen, daß die Verantwortlichen im Verlag sich nur schwer vom Verkaufskatalog wegbewegen können, was besonders für die jüngere Produktion gilt, und sich nicht zum Bibliothekskatalog hinbewegen wollen, was insbesondere für die ältere, nicht mehr lieferbare Produktion ratsam erscheint.

Rainer Fürst


Zurück an den Bildanfang