Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Georg Joachim Göschen, ein Verleger der Spätaufklärung und


99-1/4-110
Georg Joachim Göschen, ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik. - Berlin [u.a.] : de Gruyter. - 24 cm
[5080]
Bd. 2. Verlagsbibliographie Göschen 1785 bis 1838 / Stephan Füssel. - 1998. - XXXVII, 226 S. : Ill. - ISBN 3-11-013798-4 : DM 198.00
Bd. 3. Repertorium der Verlagskorrespondenz Göschen (1783 bis 1828) / hrsg. von Stephan Füssel. Bearb. von Sabine Doering. Unter Mitarb. von Marion Marquardt ... - 1996. - XXXIII, 571 S. : Ill. - ISBN 3-11-014550-2 : DM 315.00

Begegnet man den Namen von Stephan Füssel und Georg Joachim Göschen auf ein und demselben Titelblatt, dann werden hohe Erwartungen wach. Nicht nur deswegen, weil man weiß, daß der Direktor des in Deutschland einzigartigen Instituts für Buchwissenschaft an der Universität Mainz zu den kompetentesten Autoren auf dem Gebiet der Buch- und Verlagsgeschichte gehört. Und nicht nur, weil Göschen als der Urverleger zahlreicher Erstveröffentlichungen und auch Werkausgaben von Wieland, Goethe und Schiller sich - zumindest in der Fachwelt - unvergessene Verdienste erworben hat. Sondern mehr noch, weil sich Füssel seit vielen Jahren mit Göschen, seinem Verlag, seiner Druckerei, seiner Verlagsproduktion und seiner umfangreichen Korrespondenz beschäftigt hat.[1] Schon 1990 hat er darauf aufmerksam gemacht: "Göschens weit verstreuter Briefwechsel spiegelt [...] sein waches Interesse an den geistigen und literarischen Strömungen seiner Epoche, an sozialaufklärerischen Impulsen wie an klassisch-humanistischen Ideen wider, mitunter aber auch herzliche persönliche Bindungen".[2] Nun haben die endgültigen Ergebnisse dieser intensiven Beschäftigung mit einem Verlag, dessen Archiv nicht erhalten geblieben ist, ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Die vom Verlag Walter de Gruyter, dem Rechtsnachfolger von Göschen, auf drei Bände angelegte Veröffentlichung Georg Joachim Göschen, ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik liegt nun (1998) mit dem Bd. 2 vor. Bd. 1 erschien erst im Oktober 1999[3] und soll später in IFB besprochen werden. Der umfangreiche Bd. 3 war schon 1996 erschienen und könnte der vorläufig wichtigere sein.

Das Repertorium der Verlagskorrespondenz Göschen versucht das Lebenswerk des 1752 in Bremen geborenen und 1828 in Grimma verstorbenen Verlegers Georg Joachim Göschen zu dokumentieren. Der Herausgeber Stephan Füssel und die Bearbeiterin Sabine Doering haben ein kurzes Vorwort unterzeichnet, in dem es u.a. heißt: "Das Repertorium verzeichnet alle ermittelten Briefe an und von Georg Joachim Göschen während eines Zeitraumes von nahezu 50 Jahren [...]. Besonders wertvoll war die Einbeziehung des Briefkopierbuches des Verlages für den Zeitraum von Juli 1817 bis März 1824 aus dem Archiv des Berliner de Gruyter-Verlages [...]. Trotz umfangreicher Recherchen kann das Repertorium keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben." Dennoch kann man wohl davon ausgehen, daß dieses Verzeichnis keine wesentlichen Lücken enthält. Fünf weitere "Außenmitarbeiter an Orten mit erheblichen Briefbeständen" haben das ihre dazu beigetragen, daß die zerstreute Korrespondenz in ihrer Hauptmasse erfaßt worden ist (Marion Marquardt in Leipzig, Felicitas Marwinski in Jena und Weimar, Andreas Nolte in Berlin, Siegrid Stein und Wolfgang Stein in Dresden).

Die Anordnung der Verlagskorrespondenz erfolgt im übersichtlichen Zweispaltendruck in chronologischer Folge und fortlaufender Numerierung. Ihre innere Ordnung ist nach einheitlichem Schema angelegt: Nennung von Absender und Empfänger, Datum und ggf. Empfangsdatum und Ort, an dem der Brief geschrieben wurde; es folgen Format und Anzahl der (beschriebenen) Seiten, Standort und Signatur, Nachweis über bereits vorliegende Drucke. Es folgt eine knappe, aber in der Regel noch genügend aufschlußreiche Inhaltsangabe. Ein "Register der Briefschreiber und -empfänger" erleichtert den Zugang zu diesem monumentalen Verzeichnis, verzichtet aber - aus verständlichen, aber nicht unbedingt zwingenden Gründen - auf einen Eintrag unter Göschen, Georg Joachim, Leipzig. Zum Schluß ihres Vorworts geben Herausgeber und Bearbeiterin ihrer "Hoffnung Ausdruck, daß durch die gute Kooperation so vieler Personen und Institutionen ein solides Arbeitsinstrument geschaffen wurde, das zum ersten Mal die Verlagskorrespondenz eines bedeutenden Verlegers der deutschen Spätaufklärung und der Klassik zusammenstellt und damit sowohl der Buchforschung wie der Literaturwissenschaft wichtiges Quellenmaterial aufschließt." Dem kann man sich nur anschließen.

Den Ende 1998 erschienenen Bd. 2 des dem Verleger Göschen gewidmeten Werks hat der Herausgeber Stephan Füssel auch als Autor zu verantworten. Es handelt sich um die Verlagsbibliographie. Die ersten zwei Sätze seiner Vorbemerkungen lassen aufhorchen: "Die nach Autopsie erstellte Bibliographie erschließt die vollständige Verlagsproduktion von Georg Joachim Göschen (1785 - 1828) sowie die seiner Söhne Carl-Friedrich Göschen-Beyer (1822 - 1827) und Hermann Julius Göschen (1828 - 1838), also die Zeit des Verlages in Familienbesitz. Da sich das Verlagsarchiv Göschens nicht erhalten hat, ermöglicht sie erstmals einen vollständigen Überblick über das Verlagsprogramm eines der bedeutendsten Verleger der Zeit um 1800". Wer sich jemals auf einem vergleichbaren Terrain bewegt hat, den beschleichen aufgrund dieser forschen Formulierungen leichte Zweifel. Wie "vollständig" kann eine Verlagsbibliographie sein, wenn ihr als Grundlage eine akribisch geführte Registratur eben dieses Verlags fehlt? Wie um den Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird eine beachtliche Anzahl von Quellen vorgeführt: Meßkataloge, Verlagsanzeigen, Lagerkataloge, Rezensionen der Allgemeinen Literatur-Zeitung, der Ortskatalog der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, der Verlagskatalog im Deutschen Literaturarchiv in Marbach a.N., einschlägige bibliographische Hilfsmittel usw. Die Anordnung der Titel erfolgt chronologisch, innerhalb der einzelnen Jahre alphabetisch. "Die Titelaufnahme erfolgt diplomatisch getreu nach Autopsie und übernimmt daher auch inkonsequente Schreibweisen [...]. Die jeweiligen Autorennamen werden in normierter Schreibweise jedem Eintrag vorangestellt, die erschlossenen Autorennamen bei anonymen Drucken in eckigen Klammern; Pseudonyme können über das Register entschlüsselt werden."

Diese programmatischen Ankündigungen werden jedoch schon auf den ersten Seiten der Bibliographie durch den Augenschein widerlegt. Schon die Nr. 2 der durchnumerierten Titelaufnahmen nennt einen nicht unbekannten Autor Beaumarchais, dessen volle Namensform man erst im Register findet. Mit der alphabetischen Ordnung wird es auch nicht so ganz genau genommen. Die Verweisung Huber, L. F. findet sich erst nach Huber, Ludwig Ferdinand (S. 3); auf S. 194 ordnet Bülau, Friedrich gar vor Brewster, Sir David (S. 195). Die inkonsequente Ordnung von Hauptsachtiteln bzw. Einheitssachtiteln macht sich auch bisweilen störend bemerkbar. Gelegentliche Anlehnungen an Bibliothekskataloge, die den Preußischen Instruktionen von 1899 folgen, sind bei der Auswahl der Ordnungsworte und bei Übersetzungen zu beobachten. In einigen wenigen Fällen wird der eckig geklammerte Originaltitel mit dem Zusatz Dt. vorangestellt, während in anderen Beispielen nicht einmal der Hinweis auf einen Originaltitel in einer Fußnote erfolgt. Was die "erschlossenen Autorennamen bei anonymen Drucken" angeht, stößt man - entgegen der Ankündigung - z.B. auf folgende Variante: Bertuch, Friedrich Justin [anonym erschienen], mit der sich Bibliothekare auch nicht anfreunden können. Des weiteren ist die aus Verlagskatalogen bekannte Verfahrensweise zu finden, alle anonymen Titel (bzw. Vielverfasserschriften), wenn irgend möglich, unter einem "Autor" einzutragen, selbst wenn es sich nur um eine sonstige beteiligte Person, wie einen Herausgeber oder einen Übersetzer handelt. Das führt dann auch schon mal zu dem kuriosen Fall, daß ein in der bibliographischen Beschreibung genannter Autor nicht die Haupteintragung erhält - auch nicht sein Übersetzer -, sondern sein Herausgeber (Nr. 764); der Verfasser ist nur im Register (Jurine, Louis) zu finden.

Solche Einwände aus bibliothekarischer Sicht müssen aus dem Grund erhoben werden, weil es doch hin und wieder nötig sein wird, mit den Angaben aus der Bibliographie in unseren Katalogen - noch längst nicht alle als Datenbanken verfügbar - auch etwas, ja wenn nicht zu finden, so doch wenigstens suchen zu können. Als Beispiel weiterer kleinerer Ungenauigkeiten kann die Verzeichnung des vergessenen Autors Christian Leberecht Heyne gelten, der im Register der Verlagsbibliographie auch unter seinem Pseudonym Anton-Wall zu finden ist, im Register zur Verlagskorrespondenz jedoch weder unter Wall noch unter Anton, sondern nur unter Heyne, Christian Leberecht (Anton Wall) auftaucht. Das mindert den Wert der Verlagsbibliographie aber nicht merklich, denn aufgrund der chronologischen Anordnung und mit Hilfe des Registers, gegliedert nach Autoren und Herausgeber, Übersetzer, Zeitschriften, Almanache und Kalender müßte es mit einigem Geschick immer noch möglich sein, auch stark von den in Bibliotheken üblichen Regeln der Katalogisierung abweichende Titel aufzuspüren. Die weniger signifikanten, aber für die Forschung interessanten Kategorien des Registers sind Widmungsempfänger, Korporative Widmungsempfänger, Maler, Zeichner und Stecher und Druckorte und Drucker (nach den Druckvermerken). Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind neben Angaben zu modernen Reprints die nach Möglichkeit angezeigten zeitgenössischen Rezensionen der einzelnen Werke.

Wie steht es nun aber um die Vollständigkeit der Bibliographie? Ein Vergleich mit den heute allgemein zugänglichen Katalogisaten der Opacs der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart und der Universitätsbibliothek Tübingen, die über eine genügend große Anzahl erfaßter Titel des Altbestandes informieren, läßt die eine oder andere Berichtigung oder auch Ergänzung wahrscheinlich werden, ohne einer notwendigen Autopsie vorgreifen zu wollen. So sind z. B. Umfangsangaben zu korrigieren: Bei Nr. 1078 muß es statt XXXVIII u. 398 S. : XXXVIII, 598 S. heißen, was durch ein Exemplar der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe bestätigt wird; bei Nr. 1036 statt XXVI, 243 u. 56 S. : XXVI, 56, 243 S., wiederum durch ein Karlsruher Exemplar belegbar. Der Titel Allgemeine Elementarlehre der richterlichen Entscheidungskunde / von Amand Gottfried Müllner. - Leipzig : Göschen, 1812. - XX, 298 S. fehlt in der Bibliographie; hier wird nur eine Zweite unveränderte Ausgabe von 1819 aufgeführt mit der Fußnote 1. Auflage: Göttingen 1812. Es lassen sich noch mehrere andere Abweichungen feststellen, die vorallem dann von besonderem Interesse sind, wenn sie die bis heute unaufhörlich erforschten Klassiker der deutschen Literatur und ihren Umkreis betreffen.

Nach erstem Augenschein fehlen in der Bibliographie Einzelausgaben der Werke von Wieland, Goethe und Iffland. So wäre z. B. die Ausgabe Die Leiden des jungen Werther / von Goethe. - Leipzig : Göschen, 1787. - 196 S." (UB Tübingen) zu verifizieren. Die Bibliographie von Waltraud Hagen kennt eine Ausgabe mit dieser Titelvariante (Werther statt Werthers) aus demselben Jahr, aber mit anderer Paginierung (310 S. statt 196 S.).[4] Eine mögliche Separatausgabe aus Neue Thalia könnte sein: Über Anmuth und Würde / von Carl von Dalberg. - Leipzig : Göschen, 1793, die in derselben Zeitschrift Schillers ebenfalls selbständig erschienene Replik (Nr. 306 und 307 der Verlagsbibliographie) evozierte. Der Opac der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart enthält u.a. folgende in der Bibliographie nicht zu findende Göschen-Ausgaben: Der Fremde : ein Lustspiel in fünf Aufzügen / Iffland, August Wilhelm. Leipzig : Göschen, 1800. - 182 S., wobei es sich um einen Einzeldruck aus Ifflands Werken Bd. 11 (Nr. 514) handeln wird; Agathodämon : in 7 Büchern / Wieland, Christoph Martin. - Leipzig : Göschen, 1799. - 476 S. - Einzeldruck aus Sämmtliche Werke Bd. 32? - (Nr. 503); Geschichte des Weisen Danischmend und der drey Kalender : ein Anhang zur Geschichte von Scheschian / [Christoph Martin Wieland]. - Leipzig : Göschen, 1795. - 12, 464 S. - ein Band der Sämmtlichen Werke (Nr. 357), aus dem eventuell nur das Gesamttitelblatt entfernt wurde? - ; Iphigenie auf Tauris : ein Schauspiel / von Goethe. - Leipzig : Göschen, 1790. - 136 S. - (vgl. Bibliographie Nr. 67 und Hagen Nr. 172a ff.). Die Badische Landesbibliothek Karlsruhe besitzt einen Einzeldruck von Ifflands Werken Bd. 1 (Bibliographie Nr. 429) Meine theatralische Laufbahn / von August Wilhelm Iffland. - Leipzig : Georg Joachim Göschen, 1798. - 300 S., aber auch hier fehlt vielleicht nur das Gesamttitelblatt.

Es bleiben also noch ein paar Fragen offen. Aber die Verlagsbibliographie Göschen darf nicht an möglicherweise nötigen Ergänzungen gemessen werden, sondern an der Bewältigung einer riesigen Titelmasse aus unterschiedlichsten Quellen. Hier haben jahrelange gründliche Studien ihren Niederschlag gefunden, und sie haben zu einem imposanten Ergebnis geführt. Auf den Bd. 1 des Werkes Georg Joachim Göschen, ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik, der die Monographie zur Verlagsgeschichte enthalten wird, darf man gespannt sein.

Rainer Fürst


[1]
Vgl.: Georg Joachim Göschen : 1752 - 1828 ; Dokumente zur Verlagsgeschichte aus den Beständen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig [...] / [Ausstellung und Katalog: Stephan Füssel ...]. - Leipzig, 1992. (zurück)
[2]
"Ich versage mir jetzt das Vergnügen, Ihr Verleger zu sein..." : der Briefwechsel zwischen Georg Joachim Göschen und Karl Simon Morgenstern / Stephan Füssel. // In: Von Göschen bis Rowohlt : Beiträge zur Geschichte des deutschen Verlagswesens ; Festschrift für Heinz Sarkowski zum 65. Geburtstag / hrsg. von Monika Estermann und Michael Knoche. - Wiesbaden, 1990, S. 1 - 32; hier S. 1. (zurück)
[3]
Bd. 1. Studien zur Verlagsgeschichte und zur Verlegertypologie der Goethe-Zeit / Stephan Füssel. - 1999. - VIII, 390 S. : Ill. - ISBN 3-11-013797-6 : DM 198.00. (zurück)
[4]
Die Drucke von Goethes Werken / bearb. von Waltraud Hagen. - 2., durchges. Aufl. - Weinheim : Acta Humaniora, 1983. - Nr. 96. (zurück)

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