Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Klassifikatorische Sacherschließung


99-1/4-075
Klassifikatorische Sacherschließung : eine Einführung / Bernd Lorenz. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1998. - 140 S. ; 24 cm. - (Bibliotheksarbeit ; 5). - ISBN 3-447-04003-3 : DM 58.00
[5330]
99-1/4-076
Systematische Erschließung in deutschen öffentlichen Bibliotheken / Holger Nohr. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1996. - XI, 140 S. ; 24 cm. - (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen ; 37). - ISBN 3-447-03787-3 : DM 68.00
[5329]

Der nicht gerade reichhaltige Sektor der deutschsprachigen monographischen Literatur zu Fragen der inhaltlichen Dokumenterschließung wurde Ende 1998 um einen weiteren Titel aus der Feder von Bernd Lorenz ergänzt. Die erste Vermutung, es handele sich um die Neuauflage eines bereits eingeführten Titels,[1] legte eine vergleichende Besprechung mit dem Titel von Holger Nohr nahe, könnte man in beiden Titeln doch eine gute inhaltliche Ergänzung sehen - zumal sie ja aus demselben Verlagshause stammen. Nähere Betrachtung machte dann jedoch schnell klar, daß es sich bei der Klassifikatorischen Sacherschließung nicht um eine Fortführung der Systematischen Aufstellung ..., sondern um ein eigenständiges Werk handelt, was sich auch an der Zuordnung zu verschiedenen Schriftenreihen ablesen läßt. Der Verlag bewirbt den Titel entsprechend auch mit: "Lorenz befaßt sich mit grundsätzlichen Fragestellungen und Lösungsansätzen. Derartige Hinführungen sind im deutschsprachigen Bereich noch selten. Zielgruppe sind neben an der Thematik Interessierten vor allem Studierende. Das Werk enthält eine Auswahl langjähriger Ausbildungsthemen und ist in folgende Abschnitte gegliedert: Grundsätzliches zu Sacherschließung und Klassifikatorischer Sacherschließung / Die Regensburger Verbundklassifikation (RVK) / Weitere Beispiele für Klassifikationen / Bedeutung und Entwicklung Klassifikatorischer Sacherschließung. Die RVK, die in den deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken Deutschlands am weitesten verbreitete Klassifikation, wird unter Berücksichtigung zahlreicher Klassifikationsvergleiche beispielhaft behandelt. Zugleich erläutert der Rückverweis auf verbale Sacherschließung die Bedeutung der ohne Sprachbasis nicht durchführbaren Inhaltsanalyse".[2] Über die Gründe für ein derartiges verlegerisches Vorgehen soll hier nicht weiter spekuliert werden.

Betrachten wir die beiden Bücher nun also separat. Das Buch von Lorenz weckt hohe Erwartungen, die nicht nur aus der Titelformulierung resultieren, sondern die auch durch den im Verlagstext wiedergegebenen weitgefaßten thematischen Bogen unterstützt werden. Der Umfang des Buches läßt zusätzlich Interesse aufkommen, wie wohl ein derart weitgefaßtes Thema auf knappem Raum adäquat behandelt werden kann. Um es kurz zu machen, näheres Hinsehen macht schnell klar: das Buch ist eine Enttäuschung. Es erinnert in weiten Strecken an Folien, die für die Zwecke von Lehrveranstaltungen erstellt und die hier mit minimalsten Übergängen zusammengestellt wurden, die ohne die erläuternden Ausführungen eines Dozenten kaum verständlich sein dürften. Dieser Charakter wird durch die stoffliche Zusammenstellung deutlich, die streckenweise sehr zusammengewürfelt anmutet. Ein roter Faden fehlt, erst recht ein didaktisches Konzept; es finden sich beispielsweise an mindestens vier Stellen Definitionen zu Klassifikationssystem, die nicht identisch sind. So enthält das Buch eine inhomogene Mischung aus Textpassagen mit stichpunktartigen Aufzählungen und Beispielen (sowohl einzelner Systeme als auch vergleichende), die nicht näher erläutert werden.

Die eingangs gestellte Frage nach dem Verhältnis des Buches zur Systematischen Aufstellung ... bleibt auch nach der Lektüre unklar. An mehreren Stellen finden sich Bezugnahmen, die deutlich machen, daß es sich um ein allgemeineres Buch handeln soll. Konsequent ausgearbeitet ist dieses Verhältnis jedoch nicht; so finden sich verschiedentlich auch Doppelungen.

Am interessantesten empfindet der Rezensent noch einen Exkurs in die Geschichte der Klassifikationssysteme und deren Anwendung, der sicher aber in seiner Kürze und Dichte für unvorbereitete Leser auch nicht leicht aufnehmbar ist, da vielfach wichtige Kontext-Einordnungen unterbleiben.[3]

Auf ein Literaturverzeichnis muß man verzichten; die Begründung lautet: "Ziel dieses Versuchs einer Einführung in die Klassifikatorische Sacherschließung ist das - sehr komprimierte - Aufzeigen von grundsätzlichen Fragestellungen und Lösungsansätzen. Daher wird auch weitgehend auf Literaturangaben verzichtet" (Einleitung, S. 7). Zur Regensburger Verbundklassifikation findet sich allerdings im Buch eine ausführliche Bibliographie. Ein Register fehlt gleichfalls. Beides trägt zusätzlich zum schlechten Eindruck bei, den der Band insgesamt hinterläßt.

Das Buch von Nohr erfüllt inhaltlich zunächst ein großes Desiderat, indem es in einer Monographie eine geschlossene Behandlung der in den deutschen öffentlichen Bibliotheken verwendeten Aufstellungssystematiken liefert. Eine solche Darstellung fehlte bisher auf dem deutschen Buchmarkt. Behandelt werden zunächst die bekannten vier: die Allgemeine Systematik für öffentliche Bibliotheken (ASB), die Klassifikation der Sachliteratur und der Schönen Literatur (SSD), die Systematik für Bibliotheken (SfB) und die Klassifikation für Allgemeinbibliotheken (KAB). Ergänzend - und dies verdient besonders hervorgehoben zu werden - wird die Systematik für katholische öffentliche Büchereien (SKB) vorgestellt, die als Systematik aus methodischen Gesichtspunkten nicht viel Besonderes zu bieten vermag, die es angesichts ihrer Verbreitung zu Recht verdient, einmal vorgestellt zu werden. Die Vielfalt der Systeme wird im Kontext der Bemühungen um eine Einheitsklassifikation diskutiert, denen ein eigener Abschnitt gewidmet ist.

In der Vorstellung der Systematiken hält sich Nohr an ein standardisiertes Beschreibungsschema, das die Lesbarkeit des Textes jedoch nicht beeinträchtigt. Zu den Systemen werden knappe historische Anmerkungen, ihre Verbreitung und charakterisierende Eigenschaften ihrer Strukturmerkmale gegeben. Natürlich sind derartige Beschreibungen schnell nicht mehr aktuell; daher ist es sinnvoll, daß es Nohr nicht bei der Aufzählung des Faktischen bewenden läßt, sondern daß er versucht, die jeweiligen über den Tag hinausreichenden Besonderheiten herauszustellen.

Aufmerksame Leser werden auch feststellen, daß mitunter Details fehlen. So werden etwa bei der SSD mehrere Besonderheiten nicht genannt (z.B. -YB als normierte Biographien-Klassen; Z als in die Aufstellung integrierter Stoffkreisführer für die Schöne Literatur; Empfehlungen der Ordnungsabfolge innerhalb einer Systemstelle durch - / + Angaben). Den insgesamt positiven Gesamteindruck der Beschreibungen kann dies jedoch nicht entscheidend trüben.

Als aus dem Rahmen eines solchen Buches fallend könnten zwei weitere Kapitel angesehen werden: eines über Klassifikationstheorie und eines über verbale Sacherschließung in öffentlichen Bibliotheken. Naheliegend ist dagegen, daß auch der Anwendung von Klassifikationssystemen für das Retrieval in Online-Katalogen Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Verfasser vertritt für alle drei Kapitel den Standpunkt, daß es angebracht ist, die behandelte Thematik in einen erweiterten Kontext zu rücken, um nicht der Gefahr zu unterliegen, Fragen der klassifikatorischen Erschließung zu isoliert zu sehen, sondern Erschließung in einer Bibliothek immer als ein Gesamtpaket aus verschiedenen Komponenten zu verstehen. Die Vorgehensweise im Zusammenhang mit der ASB-Revision liefert durchaus beredtes Zeugnis für die Berechtigung dieser Position.[4] Am meisten gilt dies sicher für die mehr theoretischen Erörterungen zu Fragen der Klassifikationstheorie. Dabei kann dieser Abschnitt kein Ersatz für eine Lehrbuchdarstellung sein, sie liefert aber - auf einer terminologisch adäquaten Basis - die notwendigsten Grundbegriffe. In gewisser Weise wird mit diesem Abschnitt ein Teil des Anspruchs eingelöst, der im Buch von Lorenz aufgestellt worden ist - pikanterweise zu einem früheren Zeitpunkt in einem anderen Titel desselben Verlags.

Abgerundet wird der Text durch ein Literaturverzeichnis und ein Register.

In der Zusammenschau läßt sich sagen: es hätte für den Rezensenten nahegelegen - und liegt es immer noch, da die jüngsten Veränderungen im Bereich der Aufstellungssystematiken für öffentliche Bibliotheken ohnehin eine Überarbeitung des Nohr-Titels angeraten scheinen lassen - die beiden Autoren zu veranlassen, ihre jeweiligen den Aufstellungssystematiken gewidmeten Texte zu einem Werk zu vereinen. Eine Abrundung durch Kapitel, die den mehr theoretischen Fragen der Erstellung und Bewertung von Klassifikationssystemen gewidmet sind, kann dabei nur positiv sein. Der von Nohr gewählte Ansatz kann hierfür durchaus weiter verfolgt werden, wenn auch in ausgebauter Form. Den von Lorenz gewählten Weg kann man hierfür nicht ernsthaft diskutieren. Ein solches zusammenfassendes Buch hätte für die beabsichtigte Unterstützung der Ausbildung von angehenden Bibliothekaren und der Bibliotheken einen hohen Nutzen. Der neue Titel von Lorenz hat hierfür keine eigenständige Bedeutung - die Titelformulierung ist insofern irreführend. Insgesamt liefern die beiden Titel wieder einmal ein beredtes Beispiel dafür, welchen förderlichen Einfluß Verlagslektoren auf Qualität und Ausstattung eines Buches nehmen könnten. Man kann bei dem vorhandenen Unterschied nicht annehmen, daß diese beiden Bücher einen gleichartigen Lektorierungsprozeß durchlaufen haben.

Winfried Goedert


[1]
Systematische Aufstellung in deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken / Bernd Lorenz. - 3., durchgehend überarb. und erw. Aufl. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1995. - 123 S. - (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen ; 21). - ISBN 3-447-03697-4 : DM 64.00. (zurück)
[2]
Bibliotheksdienst. - 33 (1999),2, S. 367. (zurück)
[3]
Der fundamentale Abriß, des folgenden Werks läßt sich nicht leicht auf ein paar Seiten komprimieren: Geschichte der bibliothekarisch-bibliographischen Klassifikation / E. I. Samurin. - München : Verlag Dokumentation. - Bd. 1 (1977). - XVI, 405 S. - Bd. 2 (1977). - XVI, 781 S. (zurück)
[4]
Man vergleiche etwa nur: Ohne geht's nicht : allgemeine Prinzipien der ASB / K. Lehmann. // In: Buch und Bibliothek. - 48 (1996), 2, S. 141 - 149. (zurück)

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