Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Leser und Lektüre vom 17. zum 19. Jahrhundert


99-1/4-073
Leser und Lektüre vom 17. zum 19. Jahrhundert : die Ausleihbücher der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel 1664 - 1806 : in 8 Bänden / Mechthild Raabe. - München [u.a.] : Saur. - 25 cm
[5112]
Teil A. Leser und Lektüre im 17. Jahrhundert : die Ausleihbücher der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel 1664 - 1713. - ISBN 3-598-10701-3 : DM 740.00
Bd. 1. Leser und Lektüre, Lesergruppen und Lektüre. - 1998. - 89, 592 S. : Ill., graph. Darst., Kt.
Bd. 2. Alphabetisches und systematisches Verzeichnis der entliehenen Bücher. - 1998. - 558 S.
[Teil B. Leser und Lektüre im 18. Jahrhundert] : die Ausleihbücher der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel 1714 - 1799. - ISBN 3-598-10651-3 : DM 1480.00
Bd. 1. Die Leser und ihre Lektüre. - 1989. - XCVI, 530 S. : Ill., graph. Darst., Kt.
Bd. 2. Die sozialen Lesergruppen und ihre Lektüre. - 1989. - XI, 714 S.
Bd. 3. Alphabetisches Verzeichnis der entliehenen Bücher. - 1989. - XI, 616 S. : graph. Darst.
Bd. 4. Systematisches Verzeichnis der entliehenen Bücher. - 1989. - XI, 664 S. : graph. Darst.
Teil C. Ergänzungen und Zusammenfassungen. - ISBN 3-598-10702-3 : DM 740.00
Bd. 1. Leser und Lektüre 1800 - 1806, chronologisches Verzeichnis 1664 - 1719. - 1998. - 19, 572 S.
Bd. 2. Chronologisches Verzeichnis 1720 - 1806, Gesamtstatistik. - 1998. - S. 573 - 1191 : graph Darst.
99-1/4-074
Die fürstliche Bibliothek in Wolfenbüttel und ihre Leser : zur Geschichte des institutionellen Lesens in einer norddeutschen Residenz 1664 - 1806 / Mechthild Raabe. - Wolfenbüttel : Steuber, 1997. - X, 232 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 3-00-001666-X : DM 30.00. - (Buchhandlung Fritz Steuber, Am Alten Tore 5, 38300 Wolfenbüttel)
[5273]

Im Ensemble der Quellen zur historischen (Bibliotheks)-Leserforschung lassen die Ausleihbücher einer Bibliothek einen hohen Ertrag erwarten. Sie bieten den Nachweis über ein von einer bestimmten Person zu einer bestimmten Zeit ausgeliehenes Buch, dessen anschließende Lektüre durch den Entleiher selbst oder einen anderen allerdings - und hier liegen auch die Grenzen dieser Quellengattung - in den meisten Fällen nicht nachzuweisen ist. Sie geben Informationen über Leserschichten und deren Lektürepräferenzen (aber auch über die Benutzungspolitik der Bibliothekare). Im günstigsten Fall erweitert um die Besucherbücher und die Verzeichnisse der nur in der Bibliothek gelesenen Bestände bieten sie im Gegensatz zu den Bibliothekskatalogen, die das Lektüreangebot einer Bibliothek darstellen, die tatsächlich genutzten Bücher in chronologischer Folge der Entleihungen.

Die Ausleihbücher der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel dokumentieren die Benutzung der Bibliothek über einen Zeitraum von anderthalb Jahrhunderten, vom Beginn der öffentlichen Bibliothek nach dem Tod Herzog Augusts d. J. bis zum Ende des Herzogtums nach den Napoleonischen Kriegen 1806. Die akribische Auswertung solch sperrigen Materi- als - Benutzernamen und ausgeliehene Titel in den Ausleihbücher wurden teils unvollständig verzeichnet, statt des Titels wurde oft nur die Signatur registriert, der Eintrag des Ausleihvorgangs wurde nach Rückgabe des Buches ausgestrichen - war Kärrnerarbeit und verlangt schon deshalb hohe Anerkennung und Achtung.

Bereits 1989 erschien Teil B der Edition und wurde intensiv diskutiert. Obwohl bereits in ZfBB angezeigt und gewürdigt,[1] sollen dieser und die Hauptpunkte der Kritik zum besseren Verständnis der erst viel später erschienenen Teile A und C und der dort vollzogenen Änderungen kurz beschrieben werden. Teil B verzeichnet die Entleihungen der Jahre 1714 bis 1799. Bd. 1 enthält das alphabetische Verzeichnis der Leser, erweitert um - soweit zu ermitteln - Angaben zur Person. Jedem Leser (oder besser: jedem Entleiher) werden in chronologischer Folge Datum, Verfasser, Kurztitel jeder Entleihung sowie die Anzahl der Bände und die Signaturen zugeordnet. In Bd. 2 wurden soziale Lesergruppen gebildet, innerhalb derer die entliehenen Titel des gesamten bearbeiteten Zeitraums mit nachgestellten Ausleihdaten, Namen und dem Stand oder Beruf des jeweiligen Entleihers einzelnen Fachgebieten zugewiesen wurden. Dabei ist die moderne Sachgruppensystematik auch für die Herausgeberin unbefriedigend. Die entliehenen Schriften stehen im Mittelpunkt von Bd. 3, dem Alphabet der Verfasserschriften folgt das Alphabet der Sachtitelschriften bzw. jener Titel, bei denen kein Verfasser ermittelt werden konnte. In Bd. 4 sind dann die entliehenen Bücher mit den bereits bekannten Entleiherdaten nach der in Band 2 eingeführten Fachgebietssystematik verzeichnet. Jedem Band sind umfangreiche statistische Auswertungen und zahlreiche Übersichten beigegeben, die das edierte Material auswerten und entschlüsseln helfen sollen.[2]

Teil B wurde als "Meilenstein in der Erforschung der Geschichte des Lesens im 18. Jahrhundert"[3] und als "herausragendes Ereignis in der neueren Sozialgeschichte der deutschen Literatur"[4] gewürdigt. Kritisch bewertet wurden zum einen die Wiederholungen ein und derselben Sachverhalte in gleicher Form in allen Bänden, die das Werk tatsächlich stark aufblähen. Weitaus schwerwiegendere Auswirkungen auf die Benutzbarkeit hat aber das Fehlen der Erscheinungsvermerke, die zwar von Mechthild Raabe ermittelt,[5] aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht in die Edition aufgenommen wurden. McCarthy, der bereits 1983 anläßlich seiner Auswertung eines kleinen Teils der Wolfenbütteler Ausleihbücher auf die Unabdingbarkeit vollständiger Identifizierung von Lesern und Büchern hingewiesen hatte,[6] kritisierte deshalb zu Recht: "Eine Quellenpublikation, die jedoch mehr sein will als nur eine (getreue) Wiedergabe der Quellenbefunde, muß die lückenhafte Auskunft durch bibliographische Detektivarbeit ergänzen."[7] Die Feststellung in der oben genannten Rezension in der ZfBB, daß Teil B der Edition Bibliothekaren ein neues bibliographisches Nachschlagewerk für seltene Titel aus dem 18. Jahrhundert zur Verfügung gestellt hätte,[8] kann deshalb nicht recht nachvollzogen werden, muß doch durch jeden Benutzer noch einmal Katalogarbeit geleistet werden.

Über diese Kritik hinaus wurden ungenaue Identifizierungen von Verfassern und Titeln sowie falsche Klassifizierungen der Schriften durch Martino nachgewiesen.[9] Bei bibliographischer Unvollständigkeit und ungenauer Identifizierung steht auch die auf dem edierten Material fußende Statistik auf wackeligen Füßen.

Mit Freude kann nun in den Teilen A und C festgestellt werden, daß die kritischen Einwände der Rezensenten durch Mechthild Raabe aufgegriffen und in Anlage und Aufbau der Teile ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei erfuhr die Edition aus Gründen der Vergleichbarkeit zwar keine grundsätzliche Änderung, das Editionscorpus wurde aber verschlankt, die obengenannten Kritikpunkte wurden umgesetzt: Teil A verzeichnet die Entleiher und entliehenen Schriften für die Jahre 1664 bis 1713. Bd. 1 entspricht dabei mit dem ersten Abschnitt Leser und Lektüre dem Bd. 1, Teil B und mit dem zweiten Abschnitt Lesergruppen und Lektüre dem Bd. 2, Teil B. Auf die Wiederholung der Leserangaben und auf die Mehrfachnennung gleicher Titel wurde im zweiten Abschnitt, der damit Registerfunktionen hat, verzichtet, was der Übersichtlichkeit des Bandes sehr entgegenkommt. Bd. 2 beschäftigt sich wie Bd. 3, Teil B mit den entliehenen Schriften, wobei die Sachtitelschriften in das Verfasseralphabet eingereiht wurden. Unter jedem Titel sind in - verglichen mit Teil B - übersichtlicherem Layout die Entleiher chronologisch nach den Ausleihdaten geordnet. Es folgen das dem Bd. 4, Teil B entsprechende systematische Verzeichnis der entliehenen Bücher sowie Statistiken und Übersichten.

Teil C enthält im Bd. 1 zunächst analog zum Teil A die Leser und Lektüre der Jahre 1800 bis 1806. Es folgt das Chronologische Verzeichnis der entliehenen Bücher 1664 - 1719, dessen Publikation einen Mangel in der Anlage der gesamten Edition behebt: Hier wird das Quellenmaterial am ehesten widergespiegelt, indem in der Edition innerhalb eines Jahres chronologisch nach Ausleihdaten die Entleiher mit Berufs- oder Standesbezeichnung sowie die entliehenen Titel mit ergänzten Erscheinungsorten, Jahren und Signaturen aufgeführt werden. Auch für den Zeitraum 1714 bis 1799 wurden die Verfasservornamen und die Erscheinungsvermerke nachgetragen. Darüber hinaus sind die Korrekturen von Martino sowie die sich daraus ergebenden statistischen Veränderungen - das haben Stichproben ergeben - geprüft und eingearbeitet worden. So gelangt der Benutzer des Teils B zwar mühsam, aber immerhin ohne weitere Hilfsmittel zur Hand nehmen zu müssen, über das Chronologische Verzeichnis in Teil C (es sei denn, der Kurztitel reicht nicht aus) an korrigierte Daten.

Jedem Teil wurden übrigens durch die Herausgeberin auch eine umfangreiche Einleitung, der Versuch einer ersten Auswertung sowie Anregungen zur weiteren Forschung vorangestellt. Diese Kapitel wurden leicht überarbeitet und zusammengefaßt in dem oben aufgeführten Privatdruck von 300 Exemplaren, der zu einem erschwinglichen Preis erworben werden kann.

Der historischen Leserforschung sind mit der vorliegenden Edition nun die Bibliotheksbenutzer der Herzog-August-Bibliothek und damit die lesende Hofgesellschaft ebenso wie die lesende Bürgerschaft, ein Stück näher gerückt. Der Tunnel durch den - wie ihn Engelsing nannte - "Berg von Hirsebrei ins Schlaraffenland" wurde vorangetrieben. Ein Blick auf die zahlreichen Ausleihbücher in deutschen Bibliotheken und Archiven zeigt aber,[10] welche Mengen allein dieser Quellengattung der historischen (Bibliotheks)-Leserforschung, die zumindest nach Paul Raabe eigentlich Aufgabe von Bibliothekaren sein sollte,[11] noch der Bearbeitung harren.

Kathrin Paasch


[1]
ZfBB 38 (1991),5, S. 471 - 473. (zurück)
[2]
Z.B. in Bd. 1: Verzeichnisse der auswärtigen oder der ausländischen Leser, Verzeichnis der Wohnorte; in Bd. 2: Verzeichnis der Berufe und des Standes der Leser/der Leserinnen; in Bd. 3: Liste der am meisten gelesenen Autoren und der am häufigsten entliehenen Titel; in Bd. 4: Übersicht über die fremdsprachige Literatur, Angaben nach Geschlecht, Stand, Ausbildung, Wohnort und Nationalität der Leser. (zurück)
[3]
Vgl. John A. McCarthys Rezension in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. - 19 (1994),2, S. 245 - 257. (zurück)
[4]
Vgl. Bärbel Raschkes Rezension in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte. - 1 (1991), S. 324 - 327. (zurück)
[5]
Vgl. Teil B, Bd. 1, S. XVII. (zurück)
[6]
Lektüre und Lesertypologie im 18. Jahrhundert (1730 - 1770) : ein Beitrag zur Lesergeschichte am Beispiel Wolfenbüttels / John A. McCarthy. // In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. - 8 (1983), S. 35 - 82. (zurück)
[7]
Vgl. Anm. 3, S. 251. (zurück)
[8]
Wie Anm. 1, S. 472. (zurück)
[9]
Vgl. die auf 500 Seiten angewachsene "Rezension" zu Raabes Edition: Lektüre und Leser in Norddeutschland im 18. Jahrhundert : zu der Veröffentlichung der Ausleihbücher der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel / Alberto Martino. - Amsterdam [u.a.] : Rodopi, 1993. - 497 S. ; 24 cm. - (Chloe ; 14). - ISBN 90-5183-410-1. - Zum Verständnis der wissenschaftspolitischen Hintergründe der Arbeit Martinos vgl. die sehr aufschlußreiche Rezension zu Martino von Horst Meyer in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte. - 18/19 (1993/94), S. 189 - 194. - Zu dem analogen Fall einer gleichfalls über 500 S. langen "Rezension" Martinos zu F. R. Hausmanns Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen ... vgl. IFB 95-4-518 und IFB 93-3/4-136. (zurück)
[10]
Zusammengestellt für die alten Bundesländer in: Repertorium bibliotheksgeschichtlicher Quellen : Archivalien bis 1945 in bundesdeutschen Bibliotheken und Archiven / Renate Decke-Cornill. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1992. - 140 S. - (Repertorien zur Erforschung der frühen Neuzeit ; 11.) - ISBN 3-447-03230-8 : DM 68.00. (zurück)
[11]
Bibliotheksgeschichte und historische Leserforschung / Paul Raabe. // In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte. 7 (1982), S. 433 - 441. (zurück)

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