Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Nota bene!


99-1/4-049
Nota bene! : das lateinische Zitatenlexikon / von Karl Bayer. - 3., erw. und überarb. Aufl. - Düsseldorf ; Zürich : Artemis & Winkler, 1999. - 676 S. ; 25 cm. - ISBN 3-7608-1161-2 : DM 98.00[1]
[5522]
99-1/4-050
Reclams lateinisches Zitaten-Lexikon / von Muriel Kasper. - 2., durchges. Aufl. - Stuttgart : Reclam, 1997. - 432 S. ; 16 cm. (Ln.). - ISBN 3-15-029477-0 : DM 28.80
[5683]
99-1/4-051
Expressis verbis : lateinische Zitate für alle Lebenslagen / Karl Bayer. - 2., verb. Aufl. - Düsseldorf ; Zürich : Artemis & Winkler, 1998. - 702 S. ; 25 cm. - ISBN 3-7608-1128-0 : DM 49.80
[5318]

Die 2. Aufl. 1994 von Nota bene!
[2] ist damals in IFB mit überwiegend negativen Ergebnissen besprochen worden. Die 1999 erschienene dritte, erweiterte und überarbeitete Auflage enthält 3000 Zitate, 300 mehr als die zweite. Viele Fehler sind berichtigt, aber längst nicht alle; selbst grobe Schnitzer (432, 1314, 2059) erscheinen wieder. Die Quellennachweise hat Bayer (im folgenden: B.) stark vermehrt, und zwar fast auschließlich aus Erasmus' Sprüchesammlung Adagia und dem Werk von H. Walther (HW):[3] Mehr als der Hälfte der Zitate sind jetzt HW-Nummern beigegeben, jedoch meistens ohne Text oder nur mit verkürztem Text, so daß der Leser über den Wortlaut bei HW entsprechend im unklaren bleibt. Der Anteil der Zitate ohne jeden Quellenbeleg beträgt dadurch nur noch ca. 5 % (statt 10 %); ein Teil davon ist jetzt am Schluß des Quellenregisters unter Adespota (ohne termini technici)[4] aufgeführt. Die griechischen Texte sind nunmehr zusätzlich in griechischer Schrift abgedruckt.

Ein neues umfangreiches Register Querverweise verknüpft verwandte und ähnliche Zitate miteinander. Es stellt den Hauptgewinn der 3. Aufl. dar und ist differenziert nach den Rubriken teilidentisch bzw. Fortsetzung, variiert, ähnliches Motiv und ähnliche Form. Die erste Rubrik enthält praktisch Dubletten, d.h. Zitate, die auf identische Quellen zurückgehen und sich nur durch Verkürzungen, Umstellungen o.ä. unterscheiden. Beispiel: 1798 Omnia vincit amor, nos et cedamus amori; auf denselben Vergilvers wird unter 139 das Zitat Amor vincit omnia gestützt. Allerdings ist nur etwa die Hälfte der derartigen Dubletten aufgeführt; es fehlen z.B. 97/1372, 139/1798, 1038/2887, 1727/1821. Warum aber hat B. die Querverweise nicht gleich in den Hauptteil eingearbeitet?

Die grundlegenden Mängel des Buchs sind jedoch geblieben: die unangemessene Kommentierung und Dokumentierung von Zitaten und die nicht erklärten Differenzen zwischen Quelle und Zitat. Ein paar Beispiele: 1776 "Omnia cum amico delibera, sed de te ipso prius. Berate alles mit deinem Freunde, zuvor aber über dich selbst (Richtig: ... zuvor aber berate dich über ihn selbst)." Wieso der Klammerzusatz? Weil in der Quelle te fehlt, wodurch sich in der Tat ein ganz anderer und plausiblerer Sinn ergibt, wie in der Klammer angegeben: Der Autor Seneca mahnt zur Sorgfalt bei der Wahl der Freunde. Als weitere Quellenbelege sind zwei HW-Nummern ohne Text angefügt; wer sich die Mühe macht, dort nachzusehen, findet Omnia cum amico delibera und Omnia cum amico delibera, sed de ipso prius. B. hat also offensichtlich te aus unerfindlichen Gründen eingeschoben und dadurch den Sinn und die formale Pointe Senecas verdorben. - 1854 "Parva do, ut mihi magna remittantur. Ich gebe kleine Geschenke, um größere zu erhalten." In der (mit vorsichtigem "vgl." angefügten) Quelle steht ungefähr das Gegenteil: Wer große Geschenke macht, will auch große Geschenke bekommen; meine bescheidenen Gaben dagegen verpflichten dich nicht. Das ist logisch und formal wesentlich überzeugender. Woher stammt B.s Lemma? Ist es von B. selbst zurechtgemacht? Oder nur ein Lapsus? Einen Satz wie "Die Herkunft des Zitats ist unbekannt" sucht man in dem Buch vergebens. - 1767 "Omnes pendent ab ore narrantis. Alle hängen am Mund des Erzählers." Bei Vergil will aber nur die verliebte Dido immer wieder Aeneas' Geschichten hören "und hängt immer wieder am Mund des Erzählers" (pendetque iterum narrantis ab ore); woher stammen omnes und die geänderte Wortstellung? - 101 "Alea iacta est. Der Würfel ist geworfen." Das als Quelle abgedruckte längere Textstück aus Sueton trägt zur Erläuterung des bekannten Caesar-Ausspruchs wenig oder gar nichts bei; andererseits ist B.s eigene Kommentierung zu knapp, um für jeden Leser die Bedeutung und den historischen Zusammenhang klar zu machen. Daß es sich um ein Zitat aus Menander handelt, erfährt man gar nicht. - Die in der genannten Rezension kritisierten Nummern 432 (Di bene vertant ...) und 1120 (Zitat und Quelle haben kein Wort gemeinsam) begegnen unverändert wieder. - Ganz offensichtlich geht B. einfach zu sorglos mit den Quellen um.

Die 1. Aufl. 1996 von Reclams lateinischem Zitaten-Lexikon ist in IFB 97-1/2-094 ausführlich und im Vergleich mit der 2. Aufl. von Nota bene! rezensiert worden. Hauptsächlicher Kritikpunkt waren dort die zu zahlreichen Druckfehler und ähnlichen Versehen. Sie sind in der 2. Aufl. größtenteils korrigiert, vor allem die gravierendsten. Die verbliebenen Schwächen des Buchs wiegen weniger schwer und gehen vor allem auf das Konto übermäßiger Kürze: fehlende Numerierung der Zitate; manchmal zu knappe Erläuterungen; zu kärgliche Register (vor allem im Vergleich mit B.s sehr ausführlichem Register-Anhang). Der Vergleich mit Nota bene! hinsichtlich Zuverlässigkeit und Praktikabilität als Nachschlagewerk fällt jetzt noch deutlicher zugunsten Kaspers aus.[5]

Charakter und Zweck von Expressis verbis sind nicht leicht zu bestimmen, zumal der Klappentext und das nur eineinhalbseitige Vorwort sich nicht sehr klar äußern. Die Abgrenzung zu Nota bene! ist fließend. Es handelt sich nicht, wie der Untertitel vermuten läßt, um einen Neuaufguß des älteren Buchs in thematischer Anordnung nach dem Prinzip "Für jeden Anlaß das passende Zitat". B. hat andere Texte (nur weniges taucht in beiden Büchern auf) mit anderer Absicht ausgewählt: "Wenn man wissen möchte, wie es um das Lebensgefühl der Menschen früherer Zeiten bestellt war, bleibt kaum ein anderer Weg als der, Äußerungen von Zielsetzungen zu sichten und in eine Ordnung zu bringen, die dem, der Auskunft sucht, ein rasches Auffinden ermöglicht" (Vorwort). Der Klappentext drückt es so aus: "... eine Sammlung von 2400 lateinischen Zitaten ..., die konkrete Situationen aufzeigen, in die der Mensch sich gestellt sieht. Es werden also nicht Lebensweisheiten zum besten gebenen, sondern reale Lebenslagen geschildert - von der Wiege bis zur Bahre, vom Himmelhoch-Jauchzen bis zum Zu-Tode-betrübt-Sein." Es geht also nicht um fliegende Wörter oder Zitate im Sinne eines Zitatelexikons. Bei der Auswahl der Texte kam es auf ihre inhaltliche Aussagefähigkeit, nicht auf ihre formale Brillanz an; Prosa überwiegt; das Buch nähert sich dem Typ Anthologie. B. beschränkt sich laut Quellenregister im wesentlichen auf einen relativ kleinen Kreis von Autoren und Werken, die auf das Alltagsleben und seine Ethik eingehen, allen voran Senecas Epistulae morales mit ca. 20 %, ferner Senecas andere philosophische Schriften, Briefe von Cicero und Plinius, Ciceros De officiis, Publilius Syrus' Sententiae, Satiriker und Komiker. Das 2. Jh. n. Chr. wird nur zweimal überschritten (Boethius). Vergil z.B. erscheint nur viermal, davon dreimal mit Zitaten bei Seneca.

Die einzelnen Positionen sind wie in Nota bene! gegliedert: 1. laufende Nummer; 2. der lateinische Text fett;[6] 3. Übersetzung, wobei in der Regel bewährte Ausgaben der Verlage Artemis/Winkler herangezogen werden; 4. evtl. kleingedruckt der Kontext des Zitats lateinisch und deutsch; 5. Stellenangabe. Angeordnet sind die Eintragungen sachlich. Die Überschriften der Hauptgruppen lauten: Leben, Mensch, Der Mensch als Individuum, Der Mensch als Partner, Der Mensch in der Gesellschaft, Der Mensch im Staat, Der Mensch in schwierigen Situationen, Lebenshilfe durch Philosophie. Darunter gibt es drei weitere Gliederungsebenen; unter Der Mensch in der Gesellschaft z.B. findet sich Soziales Verhalten, darunter Grenzfälle, diese sind (ungefähr) alphabetisch nach Schlagwörtern von Grenzen der Güte über Undurchsichtiger Rat bis Unbedachte Hilfe[7] gegliedert. Den meisten Schlagwörtern auf der untersten Ebene folgt nur ein einziger Text.

Über die Gliederung, die Formulierung der Überschriften, die Auswahl und Zuordnung der Texte kann man natürlich verschiedener Meinung sein. Mancher Text erscheint durch den Kontext in einem etwas anderen Licht und paßt dann nicht mehr so gut in die Rubrik, in der er steht. Die Aussagefähigkeit der Texte, ohnehin durch ihre Kürze (ca. 3 bis 60 Wörter) und die Herausnahme aus ihrem Zusammenhang z.T. beeinträchtigt, ist manchmal dürftig,[8] und wie bei Nota bene! beschleicht den Leser bisweilen der Eindruck des wahllos und unkritisch Angehäuften, der durch das eindrucksvolle deutsche Sachregister mit ca. 7000 Eintragungen noch verstärkt wird. Aber im großen und ganzen kann man sagen, daß B.s Konzept Hand und Fuß hat und das Buch überhaupt einen soliden Eindruck macht. Dem Rezensenten sind nur wenige und unbedeutende Druck- und sonstige Detailfehler aufgefallen. Das Ziel, dem Leser ein breites Kaleidoskop von römischer Vorstellungswelt und Alltagsethik zu bieten, wird in etwa erreicht. Freilich ist eine solche subjektive Auswahl von Textschnipseln keine ernsthafte Quellensammlung. Das Ganze steht unter der Prämisse "... bestechen diese Textstellen zu allem Menschlich-allzu-Menschlichen immer wieder durch ihre überraschende Aktualität, ja es läßt sich sagen, daß die Gefühle, die die Menschen bewegen, und die Situationen, mit denen sie sich herumschlagen müssen, im Grunde die gleichen geblieben sind." (Klappentext; Ähnliches im Vorwort). Für uns Fremdartiges wie die Religion und die Haltung zu den Sklaven und den Gladiatorenkämpfen ist ausgeblendet. Daß es sich eher um ein Lesebuch zum Schmökern als um ein Nachschlagewerk für Leser, die es genau wissen wollen, handelt, trifft hier noch mehr zu als für Nota bene! Der auffällige Preisunterschied deutet vielleicht darauf hin, daß auch der Verlag von dem Buch nicht ganz überzeugt war.[9]

Bernd Bader


[1]
Mitglieder der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, können den Band unter Best.-Nr. B 14499-6 für DM 78.00 erwerben. (zurück)
[2]
Nota bene! : Das lateinische Zitatenlexikon / von Karl Bayer. - 2. Aufl. - Zürich : Artemis & Winkler, 1994. - 576 S. ; 25 cm. - ISBN 3-7608-1092-6 : DM 98.00 [2981]. - Rez.: IFB 95-4-550. (zurück)
[3]
Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi = Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters ... / ges. u. hrsg. von Hans Walther. - Göttingen. - 1 (1963) - 5 (1967). (zurück)
[4]
Fachausdrücke wie Adespota, die vermutlich nur Klassischen Philologen bekannt sind, begegnen vereinzelt. Der Sinn des Klammerzusatzes ist dem Rez. unklar. (zurück)
[5]
In wichtigen Belangen beiden überlegen ist Klaus Bartels' Veni vidi vici; vgl. dazu die kurzen Bemerkungen in IFB 95-3-551, insbes. S. 830. (zurück)
[6]
In einzelnen Fällen ist der Text zwecks syntaktischer Abrundung retuschiert und dadurch evtl. der Sinn leicht verschoben. Beispiel: 1451 "Modestiam in conscientiam ducunt. Zurückhaltung legt man als Schuldbewußtsein aus". In der Quelle steht aber: "Weil sie mich [...] mit Schmähungen herunterreißen, habe ich nicht schweigen wollen, damit niemand Zurückhaltung als Schuldbewußtsein auslegen kann." Die Eintragung soll "Zurückhaltung" als positives Sozialverhalten illustrieren. (zurück)
[7]
Das ist keine sehr treffende Überschrift für Nr.1464 "Bene merenti mala's, male merenti bona's, at malo cum tuo. Mit dem, der's gut meint, meinst du's schlecht, dagegen gut mit dem, der's schlecht meint, das soll dich noch schwer gereuen." (Worte eines verärgerten abgewiesenen Freiers zu einer Kupplerin). (zurück)
[8]
Beispiele: 2219 "Quid tu igitur? Und was hast du dir dabei gedacht?" steht unter Vorwürfe, die zum Abschnitt Konfrontationen gehören, die wiederum ein Teil des Abschnitts Situationen im Hauptteil Der Mensch in schwierigen Situationen sind. 758 "De me ego facio coniecturam. Ich schließe das von mir selbst" steht für die Rubrik Schluß von sich auf andere. (zurück)
[9]
Die folgende Neuerscheinung kam zu spät, um hier noch berücksichtigt zu werden. Eine Rezension in IFB zu einem späteren Zeitpunkt ist vorgesehen:
Lexikon der lateinischen Zitate : 3500 Originale mit Übersetzungen und Belegstellen / hrsg. von Hubertus Kudla. - Orig.-Ausg. - München : Beck, 1999. - 603 S. ; 19 cm. - (Beck'sche Reihe ; 1324). - ISBN 3-406-42124-5 : DM 38.00 [5735]. (zurück)

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