Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 7(1999) 1/4
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Literaturen der Welt in deutscher Übersetzung


99-1/4-042
Literaturen der Welt in deutscher Übersetzung : eine chronologische Bibliographie / Wolfgang Rössig. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1997. - 672 S. ; 30 cm. - (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte ; 19). - ISBN 3-476-00961-0 : DM 298.00
[4560]

Die chronologisch geordnete Bibliographie, die sich vornimmt, Werke der "Literaturen der Welt in deutscher Übersetzung" aus sechs Jahrhunderten zu verzeichnen, rühmt sich, das erste leicht zu handhabende Nachschlagwerk zu sein, das in einem einzigen Band "einen Überblick über nicht weniger als 16500 literarische Übersetzungen ins Deutsche seit Erfindung des Buchdrucks" bietet.

Trotz der hohen Anzahl der Einträge handelt es sich um eine bibliographische "Auswahl", bei der "Bevorzugungen bzw. Benachteiligungen" nicht zu vermeiden waren, die ausschließlich dem subjektiven Geschmack des Bibliographen zuzurechnen sind. Anfechtbar ist aber der Band nicht so sehr wegen seines auswählenden Charakters, sondern eher weil er nicht auf Autopsie basiert: Die Titel sind aus Bibliothekskatalogen und sonstigen bibliographischen Datenbanken sekundär erhoben, wie in der Einleitung klar ausgesagt wird, und "nur in Ausnahmefällen" autoptisch kontrolliert.

Wie der Titel des Bandes verspricht, besteht der Hauptteil der Bibliographie aus einem "chronologischen Verzeichnis", in dem die übersetzten Titel in sechs zeitlich aufeinanderfolgenden Abschnitten aufgeführt werden; unter den einzelnen Jahrhunderten sind die Übersetzungen nach Erscheinungsjahr alphabetisch nach Namen des Verfassers angegeben; am Schluß folgen Anonyma und solche Titel, deren Erscheinungsjahre die gewählten Grenzen überschreiten. Die Originaltitel sind in Klammern hinzugefügt. Nicht selten fehlt bei den Originaltiteln - die auch Ungenauigkeiten aufweisen, wie z.B. im Falle von Goethes Übertragung der berühmten Ode von Alessandro Manzoni (Nr. 1872), die bekanntlich Il cinque maggio heißt und nicht "Il giorno quinto di maggio" - das Datum der Erstveröffentlichung.

Aus der gewählten Methode, die Titel indirekt zu erheben, resultiert zwangsläufig das Defizit, daß alle, auch noch so wichtige "versteckte" Übersetzungen vernachlässigt werden. Vergeblich sucht man z.B. nach der Dante-Übertragung von Johann Nikolaus Meinhard,[1] aus der Heinrich Wilhelm Gerstenberg die Anregung zu seinem Ugolino-Drama (1768) bezogen hat.

Von Matthias Claudius, einem fruchtbaren Übersetzer, besonders aus dem Französischen, findet sich gerade seine Übertragung von Louis-Claude de Saint-Martins Des erreurs et de la verité (Breslau, 1782); es fehlen jedoch die folgenden drei Titel, die in der deutschen Version von Claudius eine erkennbare Nachwirkung gehabt haben, also wichtiger als die eine verzeichnete sind: Jean Abbé Terrasson: Geschichte des Ägyptischen Königs Sethos (2 Bände, Breslau, 1777 - 1778), bekanntlich eine der Quellen für die ägyptische Atmosphäre der Zauberflöte, aber auch von Christoph Martin Wieland für seine Märchensammlung Dschinnistan ausgewertet; Andrew Michael Ramsay: Die Reisen des Cyrus, eine moralische Geschichte (1780, trotz des englischen Namens des Verfassers eine Übertragung aus dem Französischen, auch keine sogenannte Umwegübersetzung); Fenelon's Werke religiösen Inhalts (3 Bände, Hamburg, 1800 - 1809).

Zwar ist die Lukian-Übersetzung von Christoph Martin Wieland (Leipzig 1788 - 1789) verzeichnet (Nr. 1223), nicht jedoch der, zum Teil auf Wieland fußende, aber vielfach ergänzte mehrbändige deutsche Lukian von Hanns Floerke (München und Leipzig : G. Müller, 1911), eine Ausgabe von besonderer Wirkung, weil die Literaten der Jahrhundertwende, den Dichter der Dialoge in dieser Edition gelesen und als Quellen für eigene Werke benutzt haben, so z.B. Hugo von Hofmannsthal für sein Fragment gebliebenes Drama Timon der Redner oder die Rhetorenschule.[2]

Von dem Roman Una donna der Italienerin Sibilla Aleramo, einem Werk aus dem Jahre 1907, wird zwar die neuere Übersetzung von M. Wunderle 1977 angegeben (Nr. 13321); es fehlt jedoch die erste Übertragung von Nina Knoblich, die schon 1908 mit einem Vorwort von Georg Brandes erschien und Aufsehen erregte.[3]

In Zusammenhang mit dem Werk des Nobelpreisträgers Romain Rolland taucht in der Bibliographie der Name von Stefan Zweig nie auf, obwohl eigentlich diesem Schriftsteller das Verdienst zukommt, den Franzosen mit seinen Übersetzungen (des Aufrufs Den hingeschlachteten Völkern. - Zürich : Rascher, 1918; des Dramas Die Zeit wird kommen. - Wien : Tal, 1919; des Romans Clérambault. - Frankfurt a.M. : Rütten & Loening, 1922) in den deutschen Sprachraum eingeführt zu haben.

Genug mit solchen Einwänden, die aber beweisen, wie die prinzipiell zu Recht beanspruchte subjektive Auswahl des Bibliographen eher der reinen Willkür nahekommt.

Die Register, die den zweiten Teil der Bibliographie ausmachen, bestehen aus folgenden fünf Sektionen: Autor(inn)en, Autor(inn)en nach Sprachen, Originalwerke (Titel in alphabetischer Reihenfolge), Übersetzungstitel (nach Sprachen und innerhalb der Sprachen alphabetisch geordnet) und schließlich Übersetzer(innen). Abgesehen von der kakographisch-komischen Verbeugung vor dem modischen Feminismus, stören im Register Ungereimtheiten wie Graf Knyphausen, A., der unter dem Buchstaben G eingeordnet wird (richtig dagegen unter R: Reventlow, F. Gräfin zu). Solche Fehlsortierungen der mechanischen Computerordnung hätten beim Lesen der Korrekturen eigentlich auffallen müssen.

In der Einleitung wird zwar die wichtige, oft unterschätzte Rolle der Übersetzer als Hauptvermittler von Weltliteratur betont, deren Vornamen werden dann aber, im Hauptteil und im anhängenden Register, schmählich mißachtet: Im Grunde ein zusätzlicher Beitrag zu ihrem eingangs bedauerten "Schattendasein".

Gabriella Rovagnati


[1]
In: Versuche über den Charakter und die Werke der besten italienischen Dichter / Johann Nikolaus Meinhard. - T. 1. - Leipzig, 1763. - 2. Aufl., Braunschweig, 1774. (zurück)
[2]
Vgl. Sämtliche Werke : kritische Ausgabe / Hugo von Hofmannsthal. - Frankfurt am Main : Fischer. - Bd. 14. Dramen. 12. Timon der Redner / hrsg. von Jürgen Fackert. - 1975. - 664 S. (zurück)
[3]
Eine Frau / Sibilla Aleramo. - Berlin: Marquardt, 1908. (zurück)

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