Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Enzyklopädie der Pferderassen


98-3/4-343
Enzyklopädie der Pferderassen : Europa / Jasper Nissen. - Stuttgart : Franckh-Kosmos. - 31 cm. - ISBN 3-440-07137-5
[4806]
Bd. 1. Deutschland, Belgien, Niederlande, Luxemburg. - 1997. - 320 S. : Ill. - ISBN 3-440-06197-3 : DM 248.00, DM 198.00 (Subskr.-Pr. bis 31.12.98)
Bd. 2. Island, Skandinavien, Großbritannien, Irland, Frankreich. - 1998. - 368 S. : Ill. - ISBN 3-440-07132-4 : DM 248.00, DM 198.00 (Subskr.-Pr. bis 31.12.98)

Eine umfassende Darstellung der Pferderassen hat es seit dem zweibändigen Werk von Graf Wrangel[1] seit fast neunzig Jahren nicht mehr gegeben. Es ist deshalb zu begrüßen, daß Jasper Nissen, ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der Pferdezucht, diese Lücke mit der monumentalen - und wirklich schwergewichtigen - dreibändigen Enzyklopädie der Pferderassen schließen will, von denen die ersten beiden Bände 1997 und 1998 erschienen sind; Band drei soll im Herbst 1998 folgen.

Obwohl dem Vorwort zu entnehmen ist, daß dem Verfasser die Wrangelsche Ausgabe als Leitbild für seine Enzyklopädie diente, beschränkt er sich im Gegensatz zu diesem auf die Rassen, deren Zucht in Europa ihren Ursprung hat. Die morgenländischen (hier besonders das Araberpferd), amerikanischen und australischen Rassen, die Wrangel aufführt, und die nicht nur zahlenmäßig von Bedeutung sind, bleiben leider unberücksichtigt, so daß der Titel etwas irreführend ist und korrekt "Enzyklopädie der europäischen Pferderassen" lauten müßte.

Bd. 1 beschreibt zunächst die Stammesgeschichte der Equiden, deren Entwicklungsreihe vom Sohlengänger bis zum Zehenspitzengänger durch fossile Funde lückenlos dokumentiert ist und die von Ernst Haeckel[2] so treffend als das "Paradepferd der Paläontologie" bezeichnet wurde. Die Schilderung der Entwicklungsgeschichte vom etwa windspielgroßen Eohippus des Eozäns bis zum heutigen rezenten Equus ist genau und gründlich und würdigt auch verschiedene evolutionäre Ansätze. Unterstützt wird der Text durch zahlreiche Zeichnungen prähistorischer Pferde, die in der Mehrzahl von dem bekannten Maler und Illustrator Heinrich Harder zu Anfang des 20. Jahrhunderts angefertigt wurden und das damalige Verständnis vom Aussehen der Pferdevorfahren widerspiegeln. Am eindrucksvollsten ist die Skelettabbildung des "Kleinen Messeler[3] Urpferdes", die sehr deutlich die Mehrstrahligkeit der Gliedmaßen zeigt. Dagegen vermißt man eine schematische Darstellung der Evolutionsreihe und der Fußbildung in der Entwicklung der fossilen Pferde, die noch besser zum Verständnis der Entwicklungsgeschichte hätten beitragen können.

In dem sich anschließenden Abschnitt werden die Untergattungen der rezenten Equiden - Zebras, Esel und Echte Pferde - jeweils mit ihren Arten und gegebenenfalls Unterarten in allen Einzelheiten sehr detailliert und wieder reich bebildert beschrieben. Von der Bedeutung der Zebrastreifen für die Abwehr der Tse-Tse-Fliege bis zur Erörterung widerstreitender Theorien zur Domestikation des Pferdes spannt sich der Bogen der behandelten Themen.

Im Hauptteil werden dann die Pferderassen aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg, jeweils in der Reihenfolge Warmblut-, Kaltblut- und Ponyzuchten vorgestellt, wobei das Schwergewicht dieses Bandes auf den deutschen Rassen liegt. Eine ausführliche hippologische Kulturgeschichte leitet das jeweilige Zuchtgebiet ein.

Jede Rasse wird im Zusammenhang ihrer geschichtlichen Entwicklung und entsprechend ihrer heutigen Bedeutung in den Hauptpunkten Typ, Zucht und ausführliche Rassegeschichte behandelt, wobei der Umfang der Schilderungen einzelner Rassen schwankt. So wird dem Trakehner, einer geschichtsträchtigen Rasse, verständlicherweise mehr Raum gewidmet als der Lewitzer Schecke, einem erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Pferd.

Die akribischen Schilderungen der Rassen sind beeindruckend und machen deutlich, daß sich auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Fachmann mit jahrzehntelanger intensiver praktischer und theoretischer Erfahrung bewegt. Das Bildmaterial ist auch in diesem Teil sehr reichhaltig und von ausgezeichneter Qualität.

Der Anhang enthält ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen der Hippologie und ein reichhaltiges Literaturverzeichnis, das allerdings durch seine ungewöhnliche alphabetische Ordnung überrascht und die Lesbarkeit beeinträchtigt. Bei der Verfasserangabe steht zuerst der abgekürzte Vorname, dann der Nachname, nach dem geordnet wird (z. B. G. Graf Lehndorff; A. von Lengerken; J. Freiherr von Liebig). Auf die Angabe unveröffentlichter Vorträge und Manuskripte oder von Werbeschriften und Prospekten hätte getrost verzichtet werden können. Laufende Jahrgänge von Zeitschriften sind nur mit Titel und Verlagsort genannt, auf Verbandsmitteilungen und Verbandszeitschriften einzelner Zuchtverbände wird pauschal hingewiesen.

Ein auf den ersten Blick umfangreiches Register, das im Gegensatz zum Literaturverzeichnis korrekt alphabetisch geordnet ist, soll den ersten Band erschließen, führt aber wichtige Begriffe zumindest aus dem entwicklungsgeschichtlichen Teil nicht auf. So fehlen beispielsweise die Begriffe Tertiär oder Eozän, dafür wird das Palaeotherium zum Registereintrag Palacotherium. Ist die Erstellung eines Registers im EDV-Zeitalter denn immer noch so schwierig? Der zweite Band der Enzyklopädie behandelt in der bereits bei Bd. 1 erwähnten Gliederung die Rassen aus Island, Skandinavien, Großbritannien, Irland und Frankreich, wobei jedes Zuchtgebiet auch hier zunächst durch eine kenntnisreiche hippologische Kulturgeschichte dargestellt wird. Wie in Bd. 1 geht dem Teil über die einzelnen Rassen ein einleitendes Kapitel voran, das sich hier mit der Pferdezucht beschäftigt. Die Grundlagen der Zucht, Zuchtmethoden und die Geschichte der Zucht von der Antike bis zur Neuzeit werden in bekannter Weise wieder ausführlich beschrieben.

Im Vordergrund dieses Bandes steht naturgemäß Großbritannien mit einer sehr detaillierten Darstellung der Geschichte des Vollblutpferdes, dem Rennpferd schlechthin, gefolgt von den vielfältigen Ponyrassen, der ältesten Equidenpopulation der Britischen Inseln, die durch den hohen Bedarf an Grubenponies für die Bergwerke fast schon vom Niedergang bedroht waren und sich zum Teil erst in letzter Zeit wieder langsam erholen konnten.

Ein schönes Beispiel für die Erhaltung von Haustierrassen (was aber nicht in allen Fällen zur Nachahmung empfohlen werden soll) bietet die Schilderung der Kaltblüter im Abschnitt Frankreich. Während die Kaltblutzuchten, die früher von großer Bedeutung waren, dann aber wegen völliger Mechanisierung von Landwirtschaft und Industrie immer weniger Verwendungsmöglichkeiten fanden, in Deutschland und Großbritannien eine eher untergeordnete Rolle spielen und zahlenmäßig stark zurückgegangen sind, züchten die pragmatischen Franzosen (das gilt analog auch für Zuchten der Benelux-Staaten) viele Kaltblutrassen heute vorwiegend zur Schlachtfohlenproduktion und tragen somit wenigstens zum Erhalt der Rassenvielfalt bei; eine Nutzung, die in Deutschland oder Großbritannien aufgrund einer anderen Einstellung zu diesem speziellen "edlen" Haustier undenkbar wäre.

Der Anhang enthält neben einem Glossar wieder das eigenwillig aufgebaute Literaturverzeichnis und ein lückenhaftes Register: Beispielsweise erhält L. Huybrechts einen Registereintrag, nicht aber F. Bakels oder Albrecht Thaer, wobei für beide Bände noch anzumerken ist, daß die Auflösung von Vornamen anscheinend dem Zufallsprinzip unterliegt.[4] Eine kurze Errata-Liste berichtigt einige Textfehler des ersten Bandes.

Beide Bände dieser repräsentativen Enzyklopädie der Pferderassen bestechen nicht nur durch die ausführliche Erörterung der theoretischen Grundlagen und gründliche Schilderung der Pferderassen, sondern auch durch die gelungene typographische Gestaltung mit ansprechendem Spaltensatz und grau unterlegten Tabellen und Hauptstichwörtern, so daß man sich schon jetzt auch auf den dritten Band freuen darf. In den einleitenden Kapiteln fehlen bislang allerdings Erörterungen zur Anatomie, Physiologie und Ethologie der Pferde ebenso wie Adressen von Verbänden im Anhang; Bereiche und Angaben, die man in einer solchen Enzyklopädie eigentlich erwarten sollte.

Die sicher interessierende Frage nach der Gesamtzahl der rezenten Pferderassen wird nicht beantwortet, die Zahl der vorgestellten Rassen kann nur durch Auszählen ermittelt werden. Sie beträgt für beide Bände etwa 115 Rassen, während Wrangel insgesamt über 135 Rassen aufführt. Trotz der kleinen aufgezeigten Mängel ist die Enzyklopädie der Pferderassen, die leider nur als Pflichtfortsetzung zu beziehen ist, ein hervorragendes Nachschlagewerk, das lange Bestand haben wird und von Bibliotheken, die der hohe Preis nicht abschreckt, guten Gewissens erworben werden kann.

Joachim Ringleb


[1]
Die Rassen des Pferdes : ihre Entstehung, geschichtliche Entwicklung und charakteristischen Kennzeichen ; mit vielen Tabellen und Stammbäumen / von Carl G. Wrangel. - Stuttgart : Schickhard & Ebner. - 1 (1908). - VIII, 632 S. : zahlr. Ill. + 1 Beil. - 2 (1909). - VII, 456 S. : zahlr. Ill. + 1 Beil. (zurück)
[2]
Ernst Haeckel (1834 - 1919), Zoologe und Naturphilosoph, einer der bedeutendsten Wegbereiter der modernen Biologie in Deutschland. (zurück)
[3]
Die Grube Messel bei Darmstadt ist eine der wichtigsten Fossilfundstellen des terrestrischen Eozäns. (zurück)
[4]
Rätselhaft - zumindest für den Nicht-Pferdefachmann - erscheinen auch die in beiden Bänden bei vielen Pferde-Eigennamen auftauchenden zwei kleinen x; Registereintrag: My Babu xx, Textstelle: My Babu. (zurück)

Zurück an den Bildanfang