Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
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Italien-Lexikon


98-3/4-328
Italien-Lexikon : Schlüsselbegriffe zu Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Justiz, Gesundheitswesen, Verkehr, Presse, Rundfunk, Kultur und Bildungseinrichtungen / hrsg. von Richard Brütting. - [Studienausg., um einen aktualisierten Anhang erw.]. - Berlin : Erich Schmidt, 1997. - 1020 S. : graph. Darst., Kt. ; 21 cm. - (Grundlagen der Romanistik ; 20). - ISBN 3-503-03772-1 : DM 89.00
[4485]
98-3/4-329
Italien verstehen / Ernst Ulrich Grosse ; Günter Trautmann. - Darmstadt : Primus-Verlag, 1997. - XIX, 384 S. : graph. Darst., Kt. ; 23 cm. - ISBN 3-89678-052-2 : DM 58.00[1]
[4822]

Nur zwei Jahre nach dem ersten Erscheinen des umfangreichen Italien-Lexikons
[2] wurde in der Reihe Grundlagen der Romanistik 1997 eine preisgünstigere und teilweise aktualisierte Studienausgabe dieses Nachschlagewerks publiziert, das so einem breiteren Leserkreis auch außerhalb der Bibliotheken zugänglich werden soll. Da der ersten Ausgabe bereits eine ausführliche Besprechung in IFB gewidmet war,[3] mag es an dieser Stelle genügen, auf einzelne Punkte und insbesondere auf den hinzugekommenen Anhang näher einzugehen sowie das Lexikon mit dem ebenfalls 1997 erschienenen Band Italien verstehen von Ernst Ulrich Große und Günter Trautmann - der auch Mitarbeiter des Italien-Lexikons ist - zu vergleichen.

Zur Erinnerung sei erwähnt, daß das Ziel des Lexikons darin besteht, einen "umfassenden Überblick" (Vorwort, S. 7) über Italien zu geben, indem es "das Verständnis für ... Geschichte und Gegenwart" dieses Landes vertieft und Hintergrundinformationen zu Institutionen und Ereignissen, zu politischen und wirtschaftlichen Problemen, zu Krisen und Skandalen liefert. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei eindeutig, absichtlich und anders, als der Zusatz zum Sachtitel suggeriert, auf dem 20. Jahrhundert. Zugleich ist mit dem Italien-Lexikon nicht nur ein aktuelles Nachschlagewerk, sondern, wie der Herausgeber selbst formuliert, unweigerlich ein "historisches Dokument" entstanden, "da es gesellschaftliche und politische Zustände schildert, die sich vor allem in dem fast fünfzigjährigen Zeitabschnitt der Italienischen Republik herausgebildet haben", Italien aber "derzeit eine Epoche des Umbruchs" (S. 7) erlebt, die bewirkt, daß sich allein zwischen Redaktionsschluß und Veröffentlichung und mehr noch seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe schon wieder zahlreiche Änderungen ergeben haben.

Unmittelbar wird dies deutlich an der in den Anhang der Studienausgabe aufgenommenen Zeittafel, die chronologisch an die des Hauptteils anschließt, vom 9.1.1995 bis zum 23.2.1997 reicht und allein für diesen Zeitraum fünfeinhalb Seiten mit zahlreichen Daten umfaßt. Viele aktuelle Informationen finden sich ausschließlich an dieser Stelle, nicht unter einem neuen Stichwort oder als Nachtrag[4] zu einem Artikel - vermutlich, da sonst zuviele Einträge hätten überarbeitet werden müssen und das Lexikon nicht mehr in einem Band hätte erscheinen können. So findet sich beispielsweise weder ein Nachtrag zur Lega Nord noch ein neuer Eintrag etwa zu Umberto Bossis legendärem Padanien; die diesbezüglichen Ereignisse vor allem der Jahre 1995/96 sind jedoch in der Zeittafel aufgelistet. Leider wurde allerdings, da der Hauptteil des Lexikons offenbar unverändert abgedruckt ist, das Register nicht aktualisiert: Es befindet sich nun nicht mehr am Ende des Bandes, sondern vor dem knapp dreißigseitigen Anhang und hilft daher denjenigen Lesern, die sich über besagtes Padanien informieren wollen, ohne zu wissen, daß diese "Region" bzw. dieses "Land" auf keiner Landkarte Italiens verzeichnet ist, nicht auf die Sprünge.

Von diesem Manko abgesehen sind die drei Register des Lexikons erfreulich detailliert: Neben einem Personenregister finden sich je ein ausführliches italienisches und deutsches Sachregister, so daß der Einstieg auch dort gewährleistet ist, wo etwa der italienische Fachbegriff nicht bekannt ist. Zudem erleichtern auch hier, nicht nur im laufenden Text und am Ende der einzelnen Artikel, zahlreiche Querverweisungen den Zugang zu einer systematischen Information, die über die zwangsläufig punktuelle des Lexikonalphabets hinausgeht.

Diese alphabetische Anordnung stellt, neben der Vielzahl von Mitarbeitern und den über 1000 gegenüber knapp 400 Seiten Umfang, gewiß den offensichtlichsten Unterschied zum dem Band von Große und Trautmann dar, der im übrigen zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem Italien-Lexikon aufweist: Er wendet sich an ungefähr dieselbe weite Zielgruppe, enthält ebenfalls von Fachleuten verfaßte Beiträge in allgemein verständlicher Sprache und legt dabei den Schwerpunkt auf das gegenwärtige Italien,[5] wobei historische Rückblicke bis in die Zeit der Nationalstaatbildung, gelegentlich auch bis in die Renaissance oder noch weiter zurück die Perspektive zeitlich erweitern (vgl. Vorwort, S. XVIII).

Zusätzlich wird die Perspektive räumlich ausgedehnt, insofern, um die Besonderheit Italiens deutlich werden zu lassen, häufig Vergleiche mit anderen Ländern Europas angestellt werden. So veranschaulicht beispielsweise eine graphische Darstellung[6] auf einen Blick die wichtigsten Unterschiede zwischen dem italienischen und dem deutschen Schulsystem, das im Kapitel Bildungswesen: Traditionen und Innovationen ausführlich erklärt wird. In den sechs übrigen Kapiteln werden das politische System Italiens, die Wirtschaft, das Sozialsystem, die Massenmedien sowie die deutsch-italienischen Beziehungen von der Goethezeit bis 1944 und von 1945 bis zur Gegenwart behandelt. Stellt dieser letzte Komplex eine Erweiterung gegenüber dem Italien-Lexikon dar, wo zwar unter einzelnen Stichwörtern (z.B. Emigrazione, Fascismo oder Scambi culturali Italia-Germania) ebenfalls die Beziehungen zu Deutschland eine Rolle spielen, aber nirgends ein Überblick über die Wechselbeziehungen geleistet wird, so macht die Aufzählung der einzelnen Kapitel zugleich deutlich, welcher Bereich gegenüber dem Lexikon hier vor allem wegfällt: jener der "Kulturinstitutionen" wie Akademien und Museen, Theater und Film etc., die dort in zahlreichen Artikeln berücksichtigt wurden, während sie in Italien verstehen nicht oder nur am Rande aufgenommen sind.[7]

Wie im Lexikon und trotz der hier nicht alphabetischen, sondern systematischen Anordnung der Informationen arbeitet auch der Band von Große und Trautmann mit einem detaillierten Verweisungssystem, durch das nicht nur von einem Aspekt ausgehend Verbindungen zu anderen Kapiteln hergestellt werden, sondern auch sehr viel Literatur zum jeweiligen Thema einbezogen wird. Im Unterschied zu den teilweise sehr sporadischen oder ganz fehlenden Literaturangaben im Lexikon[8] schließt sich hier an den Textteil zusätzlich zum Personen- und Sachregister (das, Stichproben zufolge, weniger italienische Begriffe aufnimmt als das Lexikon) ein etwa zwanzigseitiges Literaturverzeichnis an, auf das die einzelnen Aufsätze häufig verweisen.[9]

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß - natürlich - die Informationen in den beiden Bänden teils identisch, teils komplementär sind und die Entscheidung für das eine oder das andere Werk sehr wesentlich davon abhängt, ob ein systematischer Überblick oder die Möglichkeit des raschen und punktuellen Zugriffs bevorzugt wird. An vielen Stellen liefert Italien verstehen sehr gute Darstellungen von Zusammenhängen, und es erklärt beziehungsweise sucht - auch hier häufig im Vergleich mit Deutschland und mit anderen europäischen Staaten - die Gründe für bestimmte Entwicklungen und für die gegenwärtige Situation Italiens. So wird etwa dem Kapitel über Die politischen Parteien eines über Die Entstehung und Entwicklung des italienischen Parteiensystems vorangestellt, was das Verständnis der gegenwärtigen Lage erleichtert und was sich der Leser im Italien-Lexikon allenfalls unter einzelnen Stichwörtern zusammensuchen kann. Andererseits sind stellenweise in Italien verstehen die Informationen ausgesprochen knapp gehalten und scheinen manchmal eher Bekanntes in Erinnerung rufen als einen ersten Einstieg ermöglichen zu wollen. In den Geschichtlichen Grundlagen zum Beispiel wird "die questione romana ('Römische Frage')" (S. 5) eingeführt, als sei sie bereits zuvor dargestellt worden, während das Lexikon sowohl die Questione romana als auch die Patti lateranensi (Lateranverträge)[10] zur Lösung dieser Frage mit eigenen, jeweils über eine Seite langen Artikeln bedenkt. Dennoch kann gelten, daß, da beide Bücher sehr fundiert und informativ sind, das Italien-Lexikon nicht nur durch die Studienausgabe eine aktuellere Version, sondern zugleich in Italien verstehen, trotz des bedeutend geringeren Umfangs, einen ernstzunehmenden Konkurrenten bekommen hat.

Barbara Kuhn


[1]
Ausg. für die Mitglieder der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, 1997. - ISBN 3-534-11270-9 : DM 42.00. (zurück)
[2]
Italien-Lexikon : Schlüsselbegriffe zu Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Justiz, Gesundheitswesen, Verkehr, Presse, Rundfunk, Kultur und Bildungseinrichtungen / hrsg. von Richard Brütting. - Berlin : Erich Schmidt, 1995. - 991 S. : graph. Darst., Kt. ; 23 cm. - ISBN 3-503-03092-1 : DM 248.00 [3184]. - Diese Ausgabe ist weiterhin lieferbar. (zurück)
[3]
Vgl. IFB 96-1-118. Wie der Herausgeber des Lexikons in einem Brief an das DBI richtigstellt, enthielt die Rezension zwei Errata, da der Redaktionsschluß für das Italien-Lexikon nicht der 21., sondern der 31.12.1994 war und das sogenannte Berlusconi-Dekret nicht am 4.2.1995, sondern am 4.2.1985 unterzeichnet wurde. Anders jedoch als R. Brütting annimmt, ging es gewiß nicht darum, gezielt den Eindruck zu erwecken, das Italien-Lexikon verbreite unrichtige Informationen; vielmehr handelt es sich, wie der Kontext der Rezension verdeutlicht, offenkundig um ein Versehen, hebt doch der Rezensent an dieser Stelle allein die oft erstaunliche Aktualität des Lexikons anerkennend hervor. (zurück)
[4]
Die einzigen - explizit als solche bezeichneten - Nachträge bestehen in je einer Ergänzung zu den Artikeln Accademie und Partito Popolare Italiano. Als zusätzliche Stichwörter wurden vor allem neu gegründete oder bedeutender gewordene Parteien sowie einige laut Vorwort "gesellschaftlich bzw. politisch bedeutsame Schriftsteller" (S. 9) aufgenommen. Während die Auswahl der neuen Sachartikel, z.B. Commissione Bicamerale oder Ulivo, angesichts der aktuellen Diskussionen unmittelbar einleuchtet, mutet die Auswahl der hinzugekommenen Schriftsteller - Ippolito Nievo, Pier Paolo Pasolini und Cesare Pavese - eher zufällig und willkürlich an, hätten doch mit zumindest gleichem Recht zahlreiche weitere Autoren in dieser Reihe fungieren können. (zurück)
[5]
Dem Vorwort zufolge wurden Informationen und Forschungsergebnisse bis Ende Januar 1997 berücksichtigt, so daß sich auch in diesem Punkt eine sehr große Nähe zur Studienausgabe des Lexikons ergibt - mit dem Vorbehalt allerdings, daß die aktuellsten Informationen in Italien nicht auf einen Anhang beschränkt bleiben, sondern viele Teile während der langen Vorbereitungszeit des Buches immer wieder umgeschrieben und aktualisiert wurden, so daß nun beispielsweise die oben erwähnten Ereignisse im Zusammenhang mit der Lega Nord ausführlich dargestellt werden konnten (vgl. S. 42 - 44 und S. 49). (zurück)
[6]
Auch das Italien-Lexikon enthält zur Veranschaulichung des Textes zahlreiche graphische Darstellungen und Tabellen, die umfangreiches statistisches Material aufnehmen und auswerten: nicht nur zu Wahlergebnissen und Ehescheidungen, sondern beispielsweise auch zu den 1991 der Justiz gemeldeten Delikten (S. 381) und den im selben Zeitraum verkauften Kinokarten pro Einwohner (S. 329), jeweils nach den einzelnen Regionen aufgeschlüsselt: Eventuelle Zusammenhänge zwischen diesen beiden Graphiken herzustellen, bleibt der Spekulation der Lexikonleser und -leserinnen überlassen. (zurück)
[7]
Vgl. z.B. die Abschnitte zur Rezeption italienischer Autoren in Deutschland (S. 303 - 307) oder zur Rezeption des italienischen Nachkriegsfilms (S. 307 - 308) im Kapitel Die italienisch-deutschen Beziehungen von 1945 bis zur Gegenwart. (zurück)
[8]
Vgl. die Bemerkungen hierzu in IFB 96-1-118. (zurück)
[9]
Bei aktuellen Ereignissen, die noch in keiner Forschungsliteratur behandelt sein können, wird immer wieder auf entsprechende Zeitungsartikel verwiesen, so daß auch in diesem Bereich die zwangsläufig oft knappen Informationen bei Bedarf leicht ergänzt werden können. (zurück)
[10]
An dieser Stelle hat sich ein Druckfehler eingeschlichen: Die Revision des Konkordats fand nicht 1986 (S. 6), sondern bereits 1984 statt, wie das Italien-Lexikon und der von Paul Ginsborg herausgegebene Band Stato dell'Italia übereinstimmend festhalten.
Questione romana und Patti lateranensi sind nur eines der Beispiele, die die Verwendung der italienischen Begriffe in Italien verstehen merkwürdig unsystematisch erscheinen lassen, da nur der erste Begriff in der Originalsprache auftaucht. Ähnlich wird zwar die Bezeichnung des Ministerpräsidenten als Presidente del Consiglio [dei Ministri] eingeführt, nicht jedoch die des Presidente della Repubblica für den Staatspräsidenten; der Name der Verfassungsgebenden Versammlung, Costituente, wird nicht genannt, hingegen findet sich bei Dekrete in Klammern der Hinweis, daß es sich hier um "decreti" handelt, etc. (zurück)

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