Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
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Die Wiegendrucke in den öffentlichen und privaten


98-3/4-176
Die Wiegendrucke in den öffentlichen und privaten Bibliotheken Kärntens = Catalogus incunabulorum in bibliothecis Carinthiae / Peter Hans Pascher. - Klagenfurt : Verlag Armarium, 1997. - 351, [115] S. : Ill. ; 30 cm. - (Armarium ; 12). - ÖS 1840.00, DM 228.00. - (Dr. P. H. Pascher, Radetzkystr. 8H, A-9020 Klagenfurt)
[4602]

Nach langer Vorbereitung legt der Klagenfurter Inkunabelbibliograph Peter Hans Pascher jetzt einen Gesamtkatalog der Wiegendrucke in öffentlichen und privaten Bibliotheken Kärntens vor. Er verzeichnet darin (nach dem Vorwort) 2132 Nummern mit 2432 Wiegendrucken. Dem Besitzerregister ist zu entnehmen, daß das Benediktinerstift St. Paul mit 803 Inkunabeln die größte Sammlung bewahrt, gefolgt von der Bischöflichen Bibliothek in Klagenfurt mit 717 Exemplaren. Als erste staatliche Institution rangiert die Universitätsbibliothek Klagenfurt mit 346 Drucken auf dem dritten Rang. Die Hauptmenge befindet sich somit in kirchlicher Hand, und Leser aus einem völlig anderen bibliothekarischen Umfeld fragen sich vielleicht, wieweit diese Sammlungen benutzbar und öffentlich sind. Auf der halben A-4-Seite Vorwort und den anderthalb Seiten Einleitung fehlen alle Hinweise auf Geschichte, Hintergrund und Benutzungsbedingungen, nur über einige Verkäufe kirchlicher Bibliotheken wie des Prämonstratenserstifts Griffen und der "Viktringer Wiegendrucke" lesen wir knappe Nachrichten. Ist dieses Wissen in Österreich so kommun, daß man dafür keine Zeile opfern müßte? In Kärnten mag dies der Fall sein, aber der Katalog wirkt über Ländergrenzen hinaus und vielleicht über den Kontinent. Im Literaturverzeichnis finden wir die für die Katalogisierung notwendige inkunabulistische Referenzliteratur versammelt, allgemeine Kärntner Bibliotheksführer fehlen. Wenn Pascher in seiner Einleitung beklagt, daß in Österreich Verzeichnisse einzelner Landesteile wie außerhalb von Slowenien und Kroatien "erst gar nicht vorgesehen" seien, so hätte er beim Wort "Regionalkataloge" ein anderes, westliches Unternehmen assoziieren sollen, das diese Informationen (oft bis zur Postleitzahl und Hausnummer) mustergültig darbietet, die Catalogues régionaux des incunables des bibliothèques publiques de France. Sie fehlen im Literaturverzeichnis.

Die französische Reihe konzentriert sich - zu ihrem Vorteil - auf öffentliche Bibliotheken. Nun wird niemand die Bedeutung von Privatsammlungen ableugnen, und die Besitzer haben ein gutes Recht, daß sie mit ihrem Eigentum in die Bibliographiegeschichte eingehen. Der Katalog der Sammlung Viktor von Klemperer ist ein solches Dokument, die Inkunabelbibliothekare sollten gern daran mittun wie einst Konrad Haebler: um oft seltene und kostbare Bücher in ihrer Geschichte dingfest zu machen. Aber jeder weiß, daß die Existenz einer Privatsammlung an den Besitzer gebunden ist, ob Jean/Hans Fürstenberg oder Detlef Mauss, und wenn keine (funktionierende) Stiftung oder Schenkung die Bestände zusammenhält, werden die katalogisierten Drucke wieder zerstreut, und die Kataloge stimmen nicht mehr.

Inhaltlich kann man über Inkunabelsammlungen kaum rechten, über private noch weniger als über öffentliche - letztere sollten (wegen der Steuergelder) ein Programm verfolgen: Dokumentation des Buchdrucks in Stadt und Region, fachbezogen oder künstlerisch, sie sind aber dennoch vom Zufall des Angebots und augenblicklicher Schwankungen der Finanzlage abhängig. Privatsammler können sich dem widmen, was sie bevorzugen. Ärgerlich wird die Sache nur, wenn bei einer gemeinsamen Erfassung die Materialien allzu heterogen sind.

So hat Pascher eine Klagenfurter Privatsammlung einbezogen, die bis in die letzte Zeit (Donaueschingen, Nr. 1559) erweitert wurde, in der Hauptsache aber offensichtlich aus Inkunabel-Einzelblättern besteht. S. 6 in der Einleitung ist dies diskret angedeutet. Die Sammlung umfaßt 395 Nummern des Katalogs, rein rechnerisch somit über ein Zehntel. Wenn man den Abbildungsteil durchblättert, findet man bei den meisten seltenen Drucken, Druckorten und -ländern (England, B 36 Pergamentfragment) als Herkunftsbeleg jenen Sammler. Ehrlicher und wohl auch nützlicher wäre es gewesen, diese Einzelblätter gesondert zu katalogisieren und vielleicht als Anhang zu veröffentlichen, auch damit der Leser nicht über den Umfang dieser mit einem Asteriskus gekennzeichneten edlen Fragmente sinnieren muß.

Der reiche Abbildungsteil ist ein Verdienst des Buches. 110 Drucke werden optisch vorgestellt, und man erfreut sich der Vorteile moderner Kopiertechnik. Denn nicht aufwendige Reproduktionen wurden gewählt, sondern einfache Xerokopien, z.T. in Farbe. Das genügt vollkommen. Das durchweg gewählte Originalformat spiegelt die Inkunabel exakt. Da stört es wenig, wenn die Kopien einzelner Blätter auf das Buchformat beschnitten werden mußten: Es bedarf keiner Umrechnungen, und auch die Komposition der Holzschnitte läßt sich direkt nachempfinden.

Unerklärlich ist es freilich, warum Pascher den Abbildungsteil nicht für seine Neuentdeckungen, Korrektur- und Makulaturblätter genutzt hat. So sind die Eintragungen Nr. 83, 362, 654, 1154, 1513 und 1961 einigermaßen sinnlos, denn der Leser vermag sich kein Bild zu machen, und die offenbar unbekannten Grammatiken 911 und 1764 sowie der deutsche Kalender 1272 werden nicht (nach den Regeln des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke oder einfacheren wenigstens andeutungsweise) beschrieben.[1] Der Forscher muß sich zur Klärung an die besitzende Bibliothek wenden.

So legt der Rezensent den Katalog mit zwiespältigen Gefühlen aus der Hand. Er weiß, daß es sich um ein nützliches Arbeitsinstrument handelt, das Bestände sichert und Forschern Zugang zu benötigten Quellen gewährt. Geschichtlich gewachsene Bibliotheken werden präsentiert, und man ist neugierig, über die spezielle Ausstattung der oft klösterlichen Vergangenheit und Gegenwart mehr zu erfahren. Handwerklich sind die Qualitäten unbestritten, auch die Beschränkung auf zwei bibliographische Nachweise (Hain und Goff) ist ausdrücklich zu loben. Man hat durchweg das Gefühl sicheren Terrains.

So haben wir angesichts unserer Monita den Verfasser am ehesten zu bedauern, denn er hat sich um eine freundlicher gestimmte und für manche technische Frage der Druckproduktion intensivere Nutzung seines Buches gebracht. Danken wir ihm aber für die nützlichen Informationen und nehmen den Band als Hilfe bei der Suche nach Büchern und Standorten an.

Holger Nickel


[1]
Nr. 1861 ist das neben München UB zweite bekannte Exemplar von Johannes Franciscus de Poliascha: Repetitio Digesti De verborum obligationibus (Dig. XXXV 1). Daran: Johannes Baptista de Caccialupis: Repetitio legis Et sic habitatione Digesti De condictione indebiti (Dig. XII 6). - Bologna : Ugo Rugerius, 8.V.1498. (zurück)

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