Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 3/4
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Catalogues régionaux des incunables des bibliothèques


98-3/4-175
Catalogues régionaux des incunables des bibliothèques publiques de France / Ministère de la Culture, Direction du Livre et de la Lecture. - Paris : Klincksieck. - 24 cm
[4689]
Vol. 13. Région Alsace (Bas-Rhin) / par Françoise Zehnacker. - 1998. - T. 1 - 2. - 1112, LXV S. : Ill. - ISBN 2-252-03160-3 : FF 900.00

Für den Frühdruckspezialisten ist das Elsaß eine der geschichtsträchtigsten Landschaften. Es war Straßburg, wo Gutenberg durch eine Verlobungsaffaire skandalträchtig in die sonst so schweigsamen Akten einging, hier dürfte er den Buchdruck mit beweglichen Lettern eigentlich (und vor Mainz) erfunden haben. Später wendeten sich seine Schüler in die Stadt zurück und gründeten dort wie in Basel Offizinen, Hagenau folgte deutlich später. Wir führen die Stadt aus zwei Gründen gern im Munde, einmal als Paradigma von Fernhandelskooperation - vom Verleger Johann Rynmann in Augsburg[1] gesteuert, mit dem Drucker Heinrich Gran als Bücherproduzenten -, dann wegen des Handschriftenhändlers Diebolt Lauber, der Gutenberg und allen Buchdruckern oder Verlegern voranging in seiner Produktion auf Vorrat. Vielleicht lag dies (wie der Buchdruck) damals gewissermaßen in der Luft, und wir rühmen ihn, weil sich zufällig nur über ihn Quellen erhalten haben (wie über Gutenbergs Frauengeschichte)? Weiter mag wohl jemand an den südlichen Zipfel Basel und jene erlauchte Kartause denken, der Amerbach und seine Kollegen Bücher spendeten, heute bisweilen Datierungshilfe: Da spürt man nach fünfhundert Jahren die Hand des Druckherren, und alles ist fein verwahrt in der Universitätsbibliothek Basel, bis auf einige Absprengsel in der Marienbibliothek Halle (Z. 1.175; nicht bei Juntke), in Strasbourg (Nr. 2428) oder kürzlich bei Quaritch in London.

Ein Teil dieser Geschichte endete am 24. August 1870, als die deutsche Wehrmacht die Stadt bombardierte und auch Bücher brannten, Bücher, die uns vielleicht viel zu erzählen hätten. Sie entblößten die Stadt (Mme Zehnacker hat es beschrieben) von der Hauptmenge ihrer Inkunabeln, sie machten gleichzeitig frühere Nachrichten über Ausgaben und deren Eigenheiten unüberprüfbar. Penible Bibliographen streiten seither über den Wahrheitsgehalt von Johannes Nicolaus Weislingers Notaten aus dem Jahre 1749, manche Skepsis wird wohl unaufgelöst bleiben.

Auf das Desaster folgte ein Neubeginn. Mme Zehnacker spiegelt ihn deutlich: Man mag über die dem Krieg folgende Kompensationsaktion kaiserlicher Kultusadministrationen spotten, sie hat in der damaligen Kaiserlichen Universitäts- und Landesbibliothek Straßburg und heutigen Bibliothèque Nationale et Universitaire in Strasbourg eine länderübergreifend bedeutsame Sammlung geschaffen. Die Liste der Institutionen, die in den folgenden Jahren Bücher spendeten, ist zu lang, um sie hier aus dem Provenienzregister zu zitieren, zwischen Andernach und Würzburg stehen Berlin, Leipzig, München oder Celle, Olmütz und Tübingen.

Vielleicht waren die geschenkten Bände nicht durchweg in bestem Zustand, so daß heute bisweilen Defekte oder Schäden notiert werden müssen, ein Großteil jedoch scheint in alten Einbänden erhalten zu sein. Mme Zehnacker hat leider darauf verzichtet, diese Bände zu bestimmen, stattdessen bildet sie auf Tafel XLVII - LXV Ganzphotos, keine Stempeldurchreibungen, ab. Dies ist unterschiedlich instruktiv, ihr Entschluß aber ist verständlich, denn in regionalen Katalogen erwartet man eigentlich keine Einbandbestimmungen; vielmehr hätte man sie in die unterschiedlichsten Territorien einarbeiten müssen. So sind jene Fachleute gefragt, die sich seit langem mit den Dominikanern in Wimpfen[2] oder Johannes Protzer und Nördlingen befassen. Bei Ergänzungen zu Schwenke/Schunke, ob aus westfälischem (Liesborn), sächsischem (Altzelle) oder schlesischem (Glogau) Blickwinkel, sind die Straßburger Bestände zu berücksichtigen, was umso nützlicher sein dürfte, als sich Mme Zehnacker offensichtlich auf Provenienzeinträge stützen kann. Wenn für die Bände deutschen Ursprungs deutsche Spezialisten gefragt sind, so sind die französischen Kollegen für ihr Territorium in der Pflicht, und es wäre zu wünschen, daß sie auch die größeren deutschen Bestandsgruppen (Göttingen, München) erschließen.

Françoise Zehnacker ist eine erfahrene Inkunabelbibliothekarin, und die Catalogues régionaux haben einen hohen Standard erreicht, so daß der gewichtige Doppelband gediegen wirkt. In der Einleitung behandelt sie die beteiligten Institutionen - und muß viel über Kriegsverluste sprechen. Es folgt eine Liste Éditions rares, die im Satz des Katalogtextes die späteren Eintragungen vorwegnimmt. Freilich führt sie nur die besitzenden Bibliotheken auf, nicht eventuelle bibliographische Nachweise, so daß man immer in den Hauptkatalog blättern muß, um den Bekanntheitsgrad abzuschätzen. Das stört. Viele dieser Rarissima erscheinen willkommenermaßen auf den Abbildungen. Nr. 2077 ist in Erfurt gedruckt, es handelt sich nicht um die Olmützer Ausgabe. Die eigentliche Titelliste führt die 2455 Ausgaben (in 3237 Exemplaren) in fortlaufender Nummernfolge (1 - 2443) auf, nicht in der Nachfolge Goffs mit Buchstaben und Zahl.

Erschlossen werden Bibliotheken aus Haguenau, Saverne, Sélestat, Strasbourg und vom Mont Sainte-Odile. Und da erhält unsere anfängliche Euphorie einen Dämpfer, denn das Région Alsace auf dem Titelblatt ist nur mit seinem Zusatz Bas-Rhin zu verstehen. Das Département Haut-Rhin mit dem bibliothekarischen Hauptort Colmar ist ausgeklammert. Bei einbandkundlichen Nachfolgestudien sollte die Region im Ganzen, nicht entsprechend heutiger Administration getrennt, behandelt werden.

Der eigentliche Katalogtext ist reich an Information und benutzerfreundlich: sogar die Verweisungen sind mit Signaturen versehen. Vielfach wurden Varianten beobachtet, und die Beglaubigungsvermerke der zahlreichen Urkunden (Einblattdrucke) werden aufgeführt. Bei der Verfasserzuweisung hat sich die Autorin bemüht, neuere Forschungen einzubeziehen, wobei sie sich aus gutem Grund an die Verfassernamen der alten Drucke hält, überholte Zuweisungen aber mit einem "Pseudo"-Vermerk versieht. Aegidius Suchtelensis gilt seit langem nicht mehr als Verfasser der Elegantiarum XX praecepta.

Neben der Titelliste mag man den Index des provenances als das zweite Hauptverdienst des Katalogs betrachten. Ihm ist zu entnehmen, welche Bibliotheken Straßburg nach 1870 unterstützt haben, hier finden wir Namen wie Ludwig Tieck, Theodor von Karajan und natürlich die elsässischen Säulenheiligen Sebastian Brant, Beatus Rhenanus und Jakob Wimpfeling. Unter Devises (S. 952) hat Mme Zehnacker Sinnsprüche zusammengefaßt, wie sie uns bisweilen auf Exlibris begegnen, deren Herkunft nicht immer leicht zu entschlüsseln ist. Unter Prix d'achat de livres ... werden Bücher mit alten Kaufpreisen sowie Buchbinderpreise zusammengestellt.

Diese Angaben sind nützlich und erleichtern Spezialisten die Auswertung von Bestandskatalogen. Manche Autoren widmen ihnen eigene Register, was den Vorteil hat, daß der Leser noch schneller an sein Material kommt. Komplizierter ist der Weg, wenn jemand einen Katalog in einer Fremdsprache benutzt und in den Registern die verschiedenen vorstellbaren Lemmata ausprobiert. Vielleicht wünscht er sich dann doch einen herausgehobenen Abschnitt in den Indizes?

Überhaupt scheint es sinnvoll, Kataloge mit einem verbalen buchhistorischen Resumé zu versehen, in dem der Autor auf den Wissenszuwachs hinweist, den seine Arbeit (über die schiere Auflistung von Ausgaben hinaus) gebracht hat. Mme Zehnacker hätte darin den handschriftlichen Eintrag der Expositio hymnorum (Copinger 3211) erwähnen müssen, der besagt, daß die Ausgabe 1476 bei Johann Koelhoff (dem Älteren) in Köln erschienen ist (859). Vielleicht hätte sie auch erwähnen können, daß ihr Autor Jacobus Philippus Bergomensis (1277) für seine Geschichtsstudien offenbar auch einen Josephus besessen hat: 1344! Inkunabelkataloge sind (aus meiner Sicht) ja nicht nur Zimelienverzeichnisse oder Orientierungshilfen für Mittelalterforscher, sie sollen auch Daten über die Druckgeschichte zusammentragen und unser Wissen um das literarische Leben während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erweitern. Oder um die Bildungsgeschichte ihrer Region.

Der Band ist eine würdige Fortsetzung der Reihe und gehört in jede inkunabulistische Handbibliothek.

Holger Nickel


[1]
Vgl. jetzt: Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer : drei Augsburger Buchführer des 15. und 16. Jahrhunderts / Hans-Jörg Künast und Brigitte Schürmann. // In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen : von den Anfängen bis zur Gegenwart / hrsg. Helmut Gier und Johannes Janota. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1997, S. 23 - 29. (zurück)
[2]
Geschichte der Dominikanerbibliothek in Wimpfen am Neckar (ca. 1460 - 1803) : Untersuchungen an Hand der in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt erhaltenen Bestände / Kurt Hans Staub. - Graz, 1980. - (Studien zur Bibliotheksgeschichte ; 3). (zurück)

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