Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
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Einleitung in die lateinische Philologie


98-1/2-152
Einleitung in die lateinische Philologie / unter Mitwirkung von Mary Beard ... hrsg. von Fritz Graf. - Stuttgart ; Leipzig : Teubner, 1997. - X, 725 S. : Ill. + Kt. ; 25 cm. - (Einleitung in die Altertumswissenschaft). - ISBN 3-519-07434-6 : DM 69.00
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"Wer längere Zeit an unseren Universitäten als akademischer Lehrer tätig gewesen ist, wird aus zahlreichen Klagen und Fragen sich eine Vorstellung gebildet haben von der Ratlosigkeit junger Studenten angesichts der erdrückenden Fülle der Tatsachen und Probleme." Das ist keine Klage eines heutigen, von chaotischer Bildungspolitik entnervten Hochschullehrers, sondern der Satz, mit dem 1909 Alfred Gercke und Eduard Norden als Herausgeber das Vorwort ihrer berühmten dreibändigen Einleitung in die Altertumswissenschaft eröffneten.[1] Schon damals war das Werk übrigens ein Vielmännerunternehmen.

Der um die Altertumswissenschaften höchst verdiente Verlag Teubner legt nach fast einem Jahrhundert eine vollständige Neufassung der Einleitung vor. Wie sollte überraschen, daß sich das neue Werk von dem seinerzeitigen erheblich unterscheidet. Allenthalben waren die Autoren der ersten Ausgabe darauf bedacht, die Darstellung der griechischen und römischen Verhältnisse möglichst eng aufeinander zu beziehen, also ein Bild des klassischen Altertums zu vermitteln.

Nunmehr ist das leitende Prinzip, die griechische und die lateinische Philologie als in sich selbständige Einheiten unabhängig voneinander zu gestalten. (Freilich kann sich der gegenläufige Ansatz, wie ihn etwa Albrecht Dihle[2] gewählt hat, auf die Tatsache berufen, daß während der römischen Kaiserzeit die Gebildeten zweisprachig gewesen waren.) In der Entscheidung, die für die Einleitung getroffen worden ist, spiegelt sich nicht nur der schulpolitisch bedingte Wandel, daß es allen Ikonoklasten zum Trotz nicht gelungen ist, den lateinischen Unterricht ebenso drastisch zu reduzieren wie den griechischen, so daß heute Latinistik überwiegend ohne die Kombination mit dem Fach Gräzistik studiert wird, sondern ebenso die von der Forschung selbst vorangetriebene Verselbständigung der beiden Teildisziplinen und ihre Ausweitung.

Die Erweiterung des Gegenstandes zeigt sich in dem Band zur lateinischen Philologie u.a. an folgendem: der Berücksichtigung der Geschichte des Faches einschließlich des bildungsgeschichtlichen Kontextes; der gründlichen Behandlung der Geschichte der Texte und ihrer Zeugen (Textkritik und Editorik nebst Schrift- und Buchwesen und Epigraphik), dem Umfang des Kapitels zur Geschichte der lateinischen Sprache; ferner an der selbstverständlichen Ausdehnung der Literaturgeschichte auf mittellateinische und neuzeitliche Texte (es handelt sich eben nicht um eine Geschichte der römischen, sondern der lateinischen Literatur).

Wie stark andererseits - bei aller Spezialisierung - die Verbindung der beiden altphilologischen Disziplinen mit den Nachbardisziplinen während der letzten hundert Jahre bestehen geblieben ist, ja noch zugenommen hat, erweist sich allein daran, daß mehr als die Hälfte des Bandes Einführungen in die römische Geschichte, das römische Privatrecht, die römische Philosophie, die römische Religion (die in zwei Abschnitte zur republikanischen und zur Kaiserzeit sowie einen zum Christentum untergliedert ist) und in die römische Archäologie und Kunstgeschichte gewidmet sind (einschließlich der Numismatik, die hier nicht dem Kapitel zur Geschichte, sondern zur Archäologie zugeschlagen ist). Daß jede ihrer Teildisziplinen zugleich autonom und Hilfswissenschaft jeder anderen ist, macht nach wie vor den integrativen Charakter der klassischen Altertumswissenschaft aus. Zu Recht sind daher die fachlichen Grenzen weit gezogen, so daß diese Einleitung z.B. auch einen Abschnitt zur provinzialrömischen Archäologie bietet. Freilich: die Stücktitel der Bände verraten nur einen Teil des inhaltlichen Reichtums.

Die bibliographischen Angaben sind auf dem allerneuesten Stand (auch Titel von 1997 sind noch berücksichtigt). Sie folgen den eingefahrenen Standards der altertumswissenschaftlichen Bibliographie, nicht den letzten Quisquilienpostulaten der Bibliothekare. Die den einzelnen Abschnitten nachgestellten Bibliographien stehen allerdings unter einer etwas unglücklichen Überschrift: Es handelt sich nämlich um zugleich grundlegende und ergänzende Bibliographien, weil zahlreiche wichtige im Text der Darstellung selbst bereits mitgeteilte Titel hier jeweils nicht wiederholt werden.

Die Neuausgabe der Einleitung gehört zu den großen Werken, an denen sich die Lebendigkeit der Klassischen Philologie aufs schönste erweist. Freilich darf man wegen ihres kompendienhaften Charakters nichts Unbilliges von ihr erwarten, vor allem keinen zu hohen Grad an Detaillierung. Was etwa die Literaturgeschichte betrifft, muß schon der Anfängerstudent Michael von Albrechts so stupend gelehrte wie anschaulich geschriebene Geschichte der römischen Literatur[3] ständig zur Hand haben, während der Fachmann nicht ohne das - freilich nur schleppend vorankommende - neue Handbuch der lateinischen Literatur der Antike[4] auskommt.

Hans-Albrecht Koch


[1]
Enleitung in die Altertumswissenschaft / ... hrsg. von Alfred Gercke und Eduard Norden. - Leipzig [u.a.] : Teubner. - 1. Methodik, Sprache, Metrik, griechische und römische Literatur. - 1910. - 2. Griechisches und römisches Privatleben, griechische Kunst, griechische und römische Religion, Geschichte der Philosophie, exakte Wissenschaften und Medizin. - 1910. - 3. Griechische und römische Geschichte, griechische und römische Staatsaltertümer. - 1912. (zurück)
[2]
Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit : von Augustus bis Justinian / Albrecht Dihle. - München : Beck, 1989. - 651 S. - ISBN 3-406-33794-5 : DM 84.00. (zurück)
[3]
IFB 95-1-091. - Das Werk liegt - außer in einer Taschenbuchausgabe (IFB 95-1-092) - inzwischen sogar in einer englischen Übersetzung vor, was in Zeiten, in denen es nicht mehr selbstverständlich ist, daß Altphilologen des Deutschen mächtig sind, sicherlich der internationalen Verbreitung des Werkes nutzen wird: A history of Roman literature / by Michael von Albrecht. Rev. by Gareth Schmeling ad by the author. - Leiden [u.a.] : Brill, 1997. - Vol. 1 - 2. - XVIII, 1843 S. - (Mnemoyne : Supplementum ; 165). - ISBN 90-04-10712-6 (set) : Hfl. 410.50, Hfl. 367.59 (Reihenpr.). [sh] (zurück)
[4]
Handbuch der lateinischen Literatur der Antike / hrsg. von Reinhart Herzog und Peter Lebrecht Schmidt. - München : Beck. - (Handbuch der Altertumswissenschaft : Abt. 8, Geschichte der römischen Literatur). - Bd. 4. Die Literatur des Umbruchs : von der römischen zur christlichen Literatur 117 bis 284 n. Chr. / hrsg. von Klaus Sallmann. - 1997. - XXXIV, 651 S. - ISBN 3-406-39020-X : DM 238.00. - Bd. 5. Restauration und Erneuerung : die lateinische Literatur von 284 bis 374 n. Chr. / hrsg. von Reinhart Herzog. - 1989. - XXXIX, 560 S. - ISBN 3-406-31863-0 : DM 238.00. - Bd. 1 ist für das Frühjahr 1998 angekündigt, während das Erscheinungsdatum für die Bd. 2, 3 und 6 - 8 unbestimmt ist. Das Handbuch ... soll nach seiner Fertigstellung die alte Geschichte der römischen Literatur von Martin Schanz ersetzen, deren Bände als Nachdruck weiterhin lieferbar sind. (zurück)

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