Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen


98-1/2-103
Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen : eine Bestandsaufnahme / Günter Kloss und Sieglinde Seele. - Petersberg : Imhof, [1997]. - 191 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. - ISBN 3-932526-10-4 : DM 39.80
[4562]

Wer kennt sie nicht, die Bismarck-Türme in Deutschland? Als Ausflugs- und Aussichtstürme überragen sie noch immer so manche Stadt oder Ortschaft, in freier Landschaft setzen sie als exponierte Marksteine Akzente; als besondere Architekturdenkmale jedoch werden sie heute meist kaum noch wahrgenommen oder gar geschätzt. Nun rückt das vorliegende Spezialinventar Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen diese Bauten wieder ins Blickfeld, die wir dank dieser Bestandsaufnahme plötzlich geradezu als Massenphänomen wahrnehmen: Von den für den Zeitraum 1869 bis 1934 katalogisierten 234 Bismarck-Turmbauten auf dem Gebiet des deutschen Reiches vor 1914 werden immerhin 165 Bauten als heute noch erhalten nachgewiesen; vervollständigt wird diese Bestandsaufnahme durch die zusätzliche Verzeichnung 175 weiterer Planungen von Bismarck-Türmen. Diesem in Patriotismus und Nationalpathos gründenden Phänomen der Bismarck-Memoriale und ihrer u.a. bis in den kulinarischen Bereich reichenden Parallelen (Bismarck-Heringe, Bismarck-Rollen ...) begegnen die Autoren mit einer aus den politischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und somit aus heutiger Perspektive resultierenden notwendig kritischen Distanzmarkierung in einem Kurzhinweis im Einleitungstext. Inwieweit jedoch die Widmung des Bandes "Otto von Bismarck zum 100. Todestag am 30. Juli 1998" auch Ausdruck zugleich ironischer Distanzierung ist, bleibt dahingestellt.

Der Beschreibung der Einzelbauwerke im Ortsalphabet gehen in Vorwort und Einleitung knappe Bemerkungen zu einer Typologie der Bismarck-Memoriale voraus: Unterschieden werden Bismarck-Aussichtstürme (begehbare Türme mit einer Aussichtsplattform) und Bismarck-Feuersäulen (begehbare Türme mit einer Feuerstätte als Bekrönung) als die beiden wichtigsten Typen von Bismarck-Turmbauten; daneben gibt es noch Bismarck-Denkmäler in Form einfacher Säulen oder Obelisken oder als figürliche Standbilder und Büsten, die aber für die Bestandsaufnahme nicht berücksichtigt wurden. Träger dieser insbesondere nach Bismarcks Tod geradezu flächendeckend voranschreitenden Bismarck-Turmparade war das Bürgertum: die Bismarcksche Reichsgründung von 1871 hatte ihm den Reichskanzler schon zu Lebzeiten zu einer nationalen Kultfigur werden lassen, zur Personifizierung der Bildung eines deutschen Nationalstaats und nach seinem Tod zum "Hüter des Reiches" (S. 7). Ikonographisch wie bautypologisch knüpfen die Turmbauten daher an mittelalterliche Wehrtürme und Bergfriede an: sie sollten den neuen deutschen Nationalstaat symbolisch "bewachen" und zugleich seinen Gründer ehren. Zahlreiche Bismarck-Vereine wurden gegründet und regten allerorts die Errichtung von Bismarck-Türmen an; eine besondere Rolle kam dabei auch einem Aufruf der Deutschen Studentenschaft von 1898 zu, der den Bau von Bismarck-Feuersäulen propagierte und 1899 zur Ausschreibung eines Wettbewerbs führte. Siegreicher Preisträger war Wilhelm Kreis (1873 - 1955) mit seinem Modell "Götterdämmerung" - eine programmatische Namenswahl, die aus heutiger Sicht geradezu doppelsinnig gelesen werden mag. Preise erhielt Kreis auch für die weiteren Entwürfe "Wotan" und "Eroica". Bei anderen Ausschreibungen für diese Bauaufgabe klassierte sich Kreis ebenfalls besonders, so etwa mit seinem Modell "Adlerhorst II" im Wettbewerb für ein Bismarck-Denkmal der Provinz Pommern usw. Bauhistorisch besondere Bedeutung kommt aber vor allem dem genannten Entwurf "Götterdämmerung" zu, denn er war ausdrücklich nicht nur für ein einzelnes, also bestimmtes Denkmal gedacht, sondern als Modell, gleichsam als Typenvorgabe für die flächendeckende Produktion an Bismarck-Säulen, ein schönes Beispiel für (politische) Denkmale in Serie. Das Bestandsverzeichnis weist mindestens 47 Realisierungen dieses Modells (mit Variationen in Breite, Höhe, Proportionen etc.) auf, so u.a. Ausführungen in den Städten Erfurt, Greifswald, Halle, Heidelberg, Hildesheim, Stuttgart,[1] Würzburg usw. Sieht man nun den Typ Bismarck-(Feuer)säule einmal in Relation zum Gesamtbestand an Bismarck-Türmen, so wird ersichtlich, in welchem Ausmaß sich die Realisierung dieses Bautyps reduziert auf Variationen eines einzigen Modells, nämlich dem der "Götterdämmerung" von Wilhelm Kreis; und auch für die anderen Ausprägungen von Bismarck-Türmen wird anhand der Gesamtbestandsaufnahme erkennbar, daß hier hauptsächlich eine Orientierung an wenigen weiteren Modellen erfolgte: sehr beliebt und mehrfach variiert war beispielsweise eine Formgebung des Denkmals in Anlehnung an das Theoderich-Grab in Ravenna. Doch Aspekte wie die von Modell und Serie, von politischer Denkmalsetzung und "Massenproduktion", von Kunst und Politik ausgehend vom konkreten Beispiel der Bismarck-Turmbauten, von Formen und Funktion(alisierung)en politischen Erinnerns usw. werden von den Autoren nicht ausführlicher thematisiert. Im Zentrum ihrer Publikation steht der reine Bestandsnachweis; aber gerade in dieser Zusammenschau, in dieser Bündelung des Phänomens in einer Bestandserfassung und umfassender Bilddokumentation wird diese Thematik auch unthematisiert im Wortsinn augenfällig. Und in dieser konkreten und visuellen Vorführung des Massenprodukts Bismarck-Turm sehen wir die vorrangige Nützlichkeit einer solchen Zusammenstellung. Zugleich dient sie als Materialsammlung für alle, die sich weiterführenden und generelleren Fragestellungen widmen als praktische Basis.

Ein Anhang mit tabellarischer Übersicht aller errichteten Bismarck-Türme und -Säulen (mit den Rubriken Ort, Land, Standort, Einweihungsjahr, heutiger Zustand), eine Chronologie aller Bismarck-Turmbauten, eine Übersicht nach (Bundes-)Ländern und schließlich eine Tabelle der geplanten, aber nicht ausgeführten Bismarck-Turmbauten runden das kleine Spezialinventar ab.

Etwas umfassender und sorgfältiger hätte man sich allerdings das Literaturverzeichnis gewünscht; es beschränkt sich überwiegend auf den Nachweis kleinerer Beiträge zu einzelnen Bismarck-Turmbauten. Man vermißt dagegen insbesondere die Abrundung der Gesamtproblematik durch Literaturhinweise auf wissenschaftlichem Niveau.[2] Auch zu Wilhelm Kreis, dem für die Gestaltung vieler Bismarck-Turmbauten wirklich maßgeblichen Architekten, hätten durchaus Literaturhinweise erwartet werden dürfen.[3] Überflüssig ist dagegen in einer schon zentrale Aspekte vernachlässigenden Bibliographie die Angabe eines Titels von 1971 zur Architektur der Förder- und Wassertürme, und falsch dazu, da die Autoren dieses Werks nicht Becker heißen, sondern Bern(har)d und Hiller Becher.

Angela Karasch


[1]
Gerade als der Herausgeber von IFB die vorliegende Rezension redigierte, erfuhr er aus der Lokalpresse (Stuttgarter Nachrichten. - 1998-03-20, S. 19), daß der vor nicht langer Zeit sanierte Stuttgarter Bismarck-Turm, den er über die Stadt hinweg auf den Höhen des seiner Wohnung gegenüberliegenden Killesbergs sehen kann, zum Zentrum eines neu einzurichtenden Biergartens werden könnte, wenn die Absicht der Gemeinschaft Waldfestfreunde bei den Bezirksbeiräten Gefallen finden sollte. Es wäre dann ein Beispiel für die "Revitalisierung" eines Denkmals im Bismarck-Jahr. [sh] (zurück)
[2]
Ein vereinzelter Literaturhinweis wie der zur Heldenverehrung als politische Gefahr in Form eines Beihefts zu einer Diareihe des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht von 1973/74 kann als offensichtlicher Zufallsfund der Thematik und dem heutigen Forschungsstand nicht gerecht werden. (zurück)
[3]
Als grundlegende und weiterführende Literatur zu den Entwürfen und Bauten von Wilhelm Kreis ist zu nennen: Wilhelm Kreis : Architekt zwischen Kaiserreich und Demokratie, 1873 - 1955 / Winfried Nerdinger ; Eckehard Mai (Hrsg.). - München ; Berlin : Klinkhardt und Biermann, 1994. - ISBN 3-7814-0349-1. - Dem Themenkreis der Bismarck-Türme widmet sich in diesem Band insbesondere der Beitrag von Ekkehard Mai: Die Denkmäler im Kaiserreich, S. 28 - 43.
Auf einen ganz anderen Aspekt, nämlich auf den Stellenwert der Bismarck-Türme im Rahmen einer Entwicklungsgeschichte des Denkmals und hier insbesondere als Vorläufer des ungegenständlichen Denkmals verweist F. Reuße in Kapitel 9 seiner Dissertation: Das Denkmal an der Grenze seiner Sprachfähigkeit / Felix Reuße. - Stuttgart : Klett-Cotta, 1995. - ISBN 3-608-91724-1. (zurück)

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