Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Kurze Bücherkunde für Literaturwissenschaftler


98-1/2-077
Kurze Bücherkunde für Literaturwissenschaftler / Carsten Zelle. - Tübingen [u.a.] : Francke, 1998. - 258 S. ; 19 cm. - (UTB für Wissenschaft : Uni-Taschenbücher ; 1939). - ISBN 3-7720-2250-2 (Francke) - ISBN 3-8252-1939-9 (UTB) : DM 26.80
[4603]

Vielleicht geht es anderen Rezensenten ja auch so: Ab und zu stößt man auf ein Buch, an dem einem eigentlich nur dies eine ärgerlich ist, nämlich daß man es nicht selbst geschrieben hat. Zelle hat mit seiner Bücherkunde künftigen Literaturwissenschaftlern, gleich welcher Spezialisierung einen großen Dienst erwiesen. Während die Krisentheoretiker in den philologischen Fächern - besonders in der Germanistik, von der Zelle herkommt - zur Zeit gern die Beschwörungsformeln von der medien- oder kulturwissenschaftlichen Ausrichtung strapazieren, trägt hier einer auf einem grundlegenden Teilgebiet, nämlich der Bibliographie, tatsächlich ganz handfest zur Behebung von Defiziten bei, indem er hilft, die Zäune ein wenig niedriger zu legen, welche die philologischen Einzeldisziplinen als Sichtschutz gegeneinander errichtet haben. Nichts ist wichtiger für den angehenden Literaturwissenschaftler, als sich wenigstens mit einer anderen Philologie einläßlicher zu beschäftigen. Literatur entsteht immer aus Literatur, und nicht zuletzt aus Literaturen in anderen Sprachen.

Mit großer Souveränität hat Zelle aus der Überfülle des Materials treffsicher die besonders einschlägigen Hilfsmittel ausgewählt. Da sich auf die Bibliographie der in der Editorik bewährte Grundsatz "recentiores non deteriores" nicht ohne weiteres übertragen läßt, ist die Selektion wegen der notwendigen Verzeichnung auch zahlreicher älterer Hilfsmittel zusätzlich erschwert. Um so erfreulicher das Ergebnis: Da wird Romanistik nicht auf die Schrumpfform eines Studiums des Französischen reduziert; da werden aus der klassischen Philologie die Hilfsmittel angeführt, die zum Verständnis vieler Probleme der Antikenrezeption in der Moderne unerläßlich sind usw. Nicht berücksichtigt sind die Slavinen - das "ultra posse nemo obligatur" zu respektieren, gehört zum wissenschaftlichen Ethos.

Die zahlreichen Annotationen bezeichnen im allgemeinen genau die wunden Punkte. Zum Neuen Pauly[1] etwa ist in der Tat ein "man wird sehen" die richtige Kommentierung, treffender denn als Teil einer "Ruinenlandschaft" kann man die Germanistische Lehrbuchsammlung (B 540) nicht charakterisieren. Zu Recht empfiehlt Zelle unter den Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten noch immer und besonders nachdrücklich das Bändchen von Georg Bangen,[2] und zwar vor allem denjenigen, die "Gliederungsstrategien entwerfen [wollen], die die Beliebigkeit der offenen numerischen Form übersteigen sollen." Hübsch im übrigen - Bibliographie muß nicht langweilig sein -, wie sich Zelle mit den Termini "Schwesterkünste" und "Bruderwissenschaften" ironisch in die Diskussion der "political correctness" einschaltet, noch bedenkenswerter, wenn er (S. 89) mitteilt: "Die Germanistik 'rettet' sich zur Zeit einerseits, indem sie bei den 'Medien' ihr Heil sucht, andererseits, indem sie sich als 'Kulturwissenschaft' zu legitimieren trachtet. Germanistische Standesvertreter und findige bis zynische Dekane sprach- und literaturwissenschaftlicher Fachbereiche richten daher Studiengänge in 'Medienkulturwissenschaft' ein."

Ein paar Wünsche für eine Neuauflage des übersichtlich gegliederten Bandes: Bei den Nachschlagewerken zur klasssischen Philologie sollte das zuerst 1965 erschienene Lexikon der alten Welt[3] Erwähnung finden, weil es gegenüber dem zu Recht verzeichneten Kleinen Pauly auf für den Nicht-Fachmann entbehrliche Details verzichtet. Beim Vergleich von DDL (D 80) und Killy (D 85) wird zwar das Mehr an bibliographischen Daten in der DDL erwähnt, jedoch nicht deren notorische Unzuverlässigkeit.

Weil der Rezensent sich ein wenig zuständig fühlt, sei zu Nr. B 440,[4] die Zelle so freundlich zitiert, die Korrektur erlaubt, daß es der Verlag gewesen ist, der seinerzeit aufgegeben hat, nicht die Bearbeiter, nachdem es dem Verleger nach eigenem Bekunden nicht gelungen war, das konkurrierende Unternehmen aufzukaufen. Das unter B 390 zitierte Unternehmen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften[5] ist - bei allen Bemühungen der Akademie, auch der Konferenz der Akademien der Wissenschaften, auch die sogenannten Langzeitvorhaben künftig in endlicher Zeit zu einem Abschluß zu bringen -, nicht auf fünf Bände, sondern auf deren zehn ausgelegt. Unter B 1005 schließlich ist eine Lizenzausgabe zitiert, die Originalausgabe müßte im Impressum "Düsseldorf und Zürich" tragen. Nicht fehlen sollte ein Hinweis auf Klaus Weimars Enzyklopädie der Literaturwissenschaft (2. Aufl. - Tübingen, 1993). Was man ferner entbehrt, ist ein Register - wenigstens der Namen.

Ein Anhang führt in die vier wichtigsten Rechercheaufgaben (Suche nach Personen, Werken, Sachen und systematisches Bibliographieren) ein, indem er den jeweiligen Fragestellungen diejenigen Informationsmittel zuordnet, deren Konsultation den größten Erfolg verspricht. - Ein Vademecum für fast alle Philologie-Studenten - nur nicht für diejenigen, die es sich ganz bequem machen wollen -, dem man weiteste Verbreitung wünscht.

Hans-Albrecht Koch


[1]
S.u. IFB 98-1/2-148. (zurück)
[2]
Die schriftliche Form germanistischer Arbeiten / Georg Bangen. - 9., durchges. Aufl. - Stuttgart : Metzler, 1990. - XIX, 94 S. - (Sammlung Metzler ; 13). - ISBN 3-476-19013-7 : DM 19.80. (zurück)
[3]
Lexikon der alten Welt / Hrsg.: Carl Andresen ... Red.: Klaus Bartels und Ludwig Huber. - Unveränd. Nachdr. der einbd. Originalausg. von 1965. - Zürich ; München : Artemis-Verlag, 1990. - Bd. 1 - 3 ; 26 cm. - ISBN 3-7608-1034-9 : DM 248.00 [1135]. - Rez.: Buch und Bibliothek. - 43 (1991),4, S. 387 - 390. (zurück)
[4]
Internationale germanistische Bibliographie : IGB. - München [u.a.] : Saur. - 1980 (1981) - 1982 (1984). - Zuletzt: ABUN in ZfBB 32 (1985),2, S. 187 - 188. (zurück)
[5]
Deutsches Schriftstellerlexikon : 1830 - 1880 ; Goedekes Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung: Fortführung / bearb. von Herbert Jacob. Red.: Marianne Jacob. [Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften]. - Berlin : Akademie-Verlag. - 25 cm [2773]. - Bd. 1. A - B. - 1995. - 714 S. - ISBN 3-05-002120-9 : DM 248.00. - IFB 95-3-397. (zurück)

Zurück an den Bildanfang