Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Internet für Philosophen


98-1/2-070
Internet für Philosophen : eine praxisorientierte Einführung / Paul Tiedemann. - Darmstadt : Primus-Verlag, 1997. - XII, 132 S. ; 24 cm. - ISBN 3-89678-058-1 : DM 26.80
[4465]

Der Boom der Internet-Einführungen hält unvermindert an. Nach einer Welle von allgemeinen Darstellungen scheint jetzt die Zeit der auf einzelne Fächer zurechtgeschnittenen Einführungen angebrochen zu sein. Allein in den beiden letzten Heften dieser Zeitschrift fanden sich Besprechungen von Internet-Handreichungen für Literaturwissenschaftler, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Juristen und Linguisten.[1] Problematisch an der diesen Bändchen zugrundeliegenden Konzeption ist, daß der - in der Regel umfangreichere - allgemeine Teil beliebig auswechselbar ist, während sich nur der kleinere fachspezifische Teil wirklich an die Spezialisten wendet. Dies gilt auch für die von Paul Tiedemann verfaßte Internet-Einführung "für Philosophen". Wer sich unter diesem Titel Erhellendes zur "Theorie" des Cyberspace erhofft, wird enttäuscht.[2] Der Band zielt, wie der Untertitel es unmißverständlich zum Ausdruck bringt, auf die "Praxis" - wobei sich der Rezensent die Frage nicht verkneifen kann, worin denn eigentlich die "Praxis" der Philosophen besteht, wenn nicht in der Reflexion.

In drei Teilen präsentiert Tiedemann dem Leser mögliche Nutzanwendungen des weltumspannenden Computernetzes. Der erste Teil, auf den auch Tiedemann nicht verzichten zu können glaubt, bietet eine Einführung in die technischen Voraussetzungen und in die Dienste des Internet (E-Mail, WWW, Gopher, FTP, IRC, Telnet). Der zweite Teil enthält eine knapp kommentierte Zusammenstellung von philosophisch relevanten Internet-Adressen. Der letzte, wiederum eher allgemeine Teil beschäftigt sich mit der Erstellung von Internet-Seiten und der Einrichtung eines WWW-Servers.

Gerade der fachspezifische mittlere Teil dieser Einführung läßt jedoch mehr Fragen offen als er beantwortet. Weder die Gliederung noch die Auswahl wirken überzeugend. Gleich bei der ersten Adresse stellen sich zudem Zweifel an der Verläßlichkeit des Unternehmens ein. Die angegebene Adresse für den Philosophie-Knoten verweist auf die Homepage eines der Mitglieder, die überdies nicht mehr aktiv ist.[3] Auch die Seite mit Philosophie Ressourcen konnte ich zumindest in der Form, in der sie Tiedemann beschreibt, nicht finden.[4] Bedauerlich ist, daß zum Beispiel das Verzeichnis von Dey Alexander, das sowohl in einer Print- als auch in einer elektronischen Fassung vorliegt, nicht näher beschrieben wird.[5] Bei den "einzelnen Philosophen" sind z.B. Aristoteles und Leibniz mit jeweils einer einzigen Adresse vertreten, Platon oder Thomas von Aquin sucht man allerdings vergebens. Ein schneller Blick etwa in die Philosophie-Seiten von Dieter Köhler an der Universität Heidelberg[6] zeigt, daß es Tiedemann bei seiner Auswahl unmöglich um Repräsentativität gegangen sein kann. Da, wo der Rezensent es beurteilen kann, ist zudem die Auswahl problematisch. So wird zu Nietzsche zwar die schöne Seite von Bernd Heinisch angegeben, die weitaus umfangreichere und ambitioniertere von Douglas Thomas bleibt jedoch unerwähnt.[7] In der Gruppe Klassische Texte wird dem Leser lediglich eine Minimalauswahl von 16 (!) Texten offeriert. Erst einige Seiten weiter, in der Gruppe Online-Verlage (schon die Bezeichnung ist irreführend), finden sich dann Hinweise auf einige wenige große Volltext-Archive.[8] - Die Vorgehensweise, die einzelnen Links nicht nur aufzuzählen, sondern auch zu kommentieren, ist durchaus begrüßenswert - nur sind die Kommentare Tiedemanns in der Regel nicht sehr aussagefähig.

Hingewiesen sei schließlich darauf, daß es im Netz einen elektronischen Anhang zu dem Büchlein gibt.[9] Hier finden sich einige nützliche Links für die Gestaltung von Web-Seiten.

Frank Simon-Ritz


[1]
Vgl. IFB 96-4-444, -492, -510 und 97-1/2-033. - Ferner unten IFB 98-1/2-136, Anm. 1. (zurück)
[2]
In der Einleitung brilliert der Autor mit Sätzen wie dem folgenden: "Weder Kant noch Sokrates surften durch das Netzt und lieferten dennoch recht Brauchbares ab" (S. XI). (zurück)
[3]
Die korrekte Adresse wäre: http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/phil/ag/knoten/ (zurück)
[4]
Auch diese Adresse hat sich schon wieder geändert. Richtig wäre: http://h2hobel.phl.univie.ac.at/philress/ (zurück)
[5]
Philosophy in cyberspace : a guide to philosophy-related resources on the Internet / Dey Alexander. - [Bowling Green, Ohio] : Philosophy Documentation Center, [1996]. - XVI, 175 S. - ISBN 0-912632-59-3. - Online unter: http://www-personal.monash.edu.au/~dey/phil/ (zurück)
[6]
Auch diese Seite ist vor einiger Zeit umgezogen: http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~dkoehler/philo/ihvz.htm (zurück)
[7]
http://www.usc.edu/dept/annenberg/thomas/nietzsche.html. Diese Seite zählte, wie Thomas mitteilt, am 16. Januar 1998 106.980 (!) Besucher seit März 1996, dies entspricht etwa 5000 Zugriffen im Monat! (zurück)
[8]
Das amerikanische "Projekt Gutenberg" ist bei Tiedemann lediglich mit seiner Gopher-Adresse vertreten. Seit geraumer Zeit ist das Projekt jedoch unter http://promo.net/pg auch im Web erreichbar. Leider unterbleibt an dieser Stelle auch ein Hinweis auf den deutschen "Ableger" des Projekts Gutenberg: http://gutenberg.informatik.uni-hamburg.de/ (zurück)
[9]
http://www.rz.uni-frankfurt.de/~pati/philo/anhang.htm (zurück)

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