Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
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Visionäre Lebensklugheit


98-1/2-029
Visionäre Lebensklugheit : Joachim Heinrich Campe in seiner Zeit (1746 - 1818) ; [Ausstellung des Braunschweigischen Landesmuseums und der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel vom 29. Juni bis 13. Oktober 1996] / [Ausstellung und Katalog: Hanno Schmitt in Verb. mit Peter Albrecht ...]. - Wiesbaden : Harrassowitz in Komm., 1996. - 255 S. : zahlr. Ill. + 35 S. (Katalog) ; 26 cm. - (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek ; 74). - ISBN 3-447-03822-5 : DM 78.00
[3503]
98-1/2-030
Erfahrung schrieb's und reicht's der Jugend : Joachim Heinrich Campe als Kinder- und Jugendschriftsteller / Staatsbibliothek zu Berlin - PK ; Institut für Jugendbuchforschung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main ; Institut für Deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin. [Ausstellung und Katalog: Carola Pohlmann ...]. - Berlin : Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, 1996. - 166 S. : Ill. ; 24 cm. - (Ausstellungskataloge / Staatsbibliothek zu Berlin - PK ; N.F., [18]). - In der Vorlage falsche Zählung der Reihe: 17. - ISBN 3-88226-893-X : DM 56.00. - (Buchhandelsvertrieb: Reichert-Verlag, Wiesbaden)
[3683]

Der 250. Geburtstag Joachim Heinrich Campes, des Aufklärers, Pädagogen, Jugendschriftstellers und Verlegers war Anlaß zu Ausstellungen in Braunschweig, Wolfenbüttel und Berlin. Dabei waren die Ausstellungen des Braunschweigischen Landesmuseums und der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel als eine gemeinsame konzipiert worden. Wolfenbüttel veranschaulichte die Entwicklung Campes und seine Wirksamkeit als Pädagoge, Jugendschriftsteller und Verleger. In Braunschweig lag der Schwerpunkt auf den frühen Publikationen, seinen Reisen, der Korrespondenz sowie der Wörterbuchwerkstatt. Bei so einer Doppelausstellung ließen sich Überschneidungen nicht vermeiden, wie der separat beiliegende "Katalog" der Exponate beider Ausstellungen zeigt.

Der eigentliche Ausstellungskatalog widerspiegelt nicht mehr die zwei Ausstellungen. Mit seinem Titel Visionäre Lebensklugheit wurde zugleich ein Resümee, eine Auswertung der Lebensgestaltung Campes gezogen. Der erstaunlich produktive und gleichzeitig erfolgreiche Campe konnte diese Lebensklugheit entwickeln, weil er im Zeitalter der Aufklärung sein Leben selbstbewußt, selbstbestimmt und selbstverantwortlich in die Hand genommen hat. Maßgeblich für diese Haltung war sein unerbittlicher Realismus, zu dem außerdem eine eindeutige Kritik überkommener politischer, sozialer und gesellschaftlicher Zustände und der damit einhergehende Wille zur eigenen besseren Gestaltung der kritisierten Wirklichkeit gehörte.

In den fünfzehn Beiträgen des Begleitbandes werden die Biographie und die Lebenswelten Campes sowie seine Projekte und Reisen veranschaulicht. Neben der Biographie sind einzelne Stationen seiner Tätigkeit hervorgehoben. Tatsächlich sind einzelne Schwerpunkte seiner Wirksamkeit an Orte gebunden. So wirkte er in Dessau als Direktor des Philanthropins, in Hamburg und Trittau als Schriftsteller und Erzieher, in Braunschweig als Unternehmer, Schriftsteller und Verleger. Ausführlich wird Campe als Pädagoge gewürdigt. Einzelne Beiträge gelten seinen Schriften für Kinder, der von ihm herausgegebenen Allgemeinen Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens, diesem Standardwerk der Pädagogik der Aufklärung, seiner Wörterbuchwerkstatt oder seinen Reisen nach Paris zur Zeit der Französischen Revolution, um dort dem "Leichenbegängnis des französischen Despotismus" beizuwohnen.

Die Beiträge der vierzehn Wissenschaftler spiegeln den Stand der Campe-Forschung. Der Katalog ist gut illustriert (allein der Beitrag Campe im Bild enthält 23 überwiegend zeitgenössische Campe-Porträts). Ein Personenregister erschließt alle Beiträge. Fußnoten belegen die Zitate und Fakten. Dabei offenbart sich das Fehlen einer Campe-Bibliographie, sowohl der Schriften über ihn als auch der Publikationen von Campe selbst.

Einen Baustein dazu enthält der Katalog der Berliner Ausstellung. Er verzeichnet den umfangreichen Bestand der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin an Kinder- und Jugendbüchern Campes. Wie reichhaltig dieser Bestand ist, zeigt allein der Besitz von Campes erfolgreichstem Buch Robinson der Jüngere, von dem insgesamt 96 vor 1900 erschienene Ausgaben vorhanden sind. Von den zu Lebzeiten erschienenen zwölf Auflagen sind neun vorhanden, dazu vier unrechtmäßige Nachdrucke aus Leipzig, Frankfurt und Wien sowie fünfzehn fremdsprachige Ausgaben alle aus dem gleichen Zeitraum. Hier zeigt sich auch der tüchtige Verleger Campe, der seine eigenen Werke in immer neuen Auflagen und Übersetzungen herausbrachte.

Der Katalog der Berliner Ausstellung, der Campe als Kinder- und Jugendschriftsteller zeigt, übernahm aus dem Katalog der Braunschweiger und Wolfenbütteler Ausstellung den Aufsatz von Hans-Heino Ewers Joachim Heinrich Campe als Kinderliterat und Jugendschriftsteller. Dieser Beitrag ist zu Recht in beiden Katalogen abgedruckt, enthält er doch eine neue Sicht auf den in der Fachliteratur hochgepriesenen Kinder- und Jugendbuchautor Campe. Ewers sieht ihn differenzierter. Er zeigt die Wirkungsgeschichte eines "Klassikers der Kinder- und Jugendliteratur" und seine Stellung in der Geschichtsschreibung dieser Literatur und charakterisiert sein kinder- und jugendliterarisches Werk. Ewers sieht Campe "in erster Linie als literarischen Aufbereiter literarischer Quellen" eben als "leserzugewandten literarischen Vermittler". Zu dieser kritischen Darstellung wird zwischen Campes Leistung als Kinderliterat, wo ihm "die Rolle eines Neuerers, eines konsequenten Reformers" zukommt, ja wo er "zu den Gründungsvätern der modernen Kinderliteratur zu zählen ist", und seiner Bedeutung als Schriftsteller für Jugendliche und junge Erwachsene unterschieden. Als Jugendschriftsteller "erweist er sich als überaus konventionell". "Innerhalb der Geschichte der modernen Jugendliteratur" weist ihm Ewers "keinerlei Platz zu." Er sieht ihn vielmehr "als einen ihrer vehementesten Gegner", ja "als entschiedenen Antimodernist", der "mit dazu beigetragen (hat), daß sich die pädagogisch sanktionierte Jugendliteratur späterer Zeiten gegen jegliche jugendkulturelle wie auch gegen jegliche literarische Modernisierung weitgehend sperrte."

Im zweiten umfangreichen Beitrag des Kataloges untersucht Rüdiger Steinlein anhand von Campes Trilogie Die Entdeckung von Amerika die Anfänge der "jugendliterarischen Geschichts (Abenteuer) Erzählung." Ein sehr guter Einfall war es, Campes Vorreden zu seinen Kinder- und Jugendschriften vollständig abzudrucken. Die insgesamt vierzehn meist umfangreichen Vorreden, in denen er seine Kinder- und Jugendschriftstellerei zu erklären und zu legitimieren sucht, bieten teilweise auch detaillierte Gebrauchsanweisungen und lesepädagogische Ratschläge. Auch dieser Katalog ist reichhaltig mit ein- und mehrfarbigen Abbildungen versehen.

Heinz Wegehaupt


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