Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur


98-1/2-026
Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur / begr. von Theodor Brüggemann. - Stuttgart ; Weimar : Metzler. - 27 cm
[1510]
Von 1800 bis 1850 / Otto Brunken, Bettina Hurrelmann und Klaus-Ulrich Pech. [Mitarb.: Susanne Barth ... Bibliographie: Maria Michels-Kohlhage ...]. - 1998. - XLVI, 2256 Sp. : Ill. - ISBN 3-476-00768-5 : DM 398.00

Als vierter Band des von Theodor Brüggemann begründeten Handbuchs zur Kinder- und Jugendliteratur liegt nun der Band für die Periode von 1800 bis 1850 vor. Er dient wie die vorhergehenden Bände der "deskriptiven bibliographischen und historisch-philologischen Materialaufbereitung der Kinder - und Jugendliteratur des deutschen Sprachraums." Damit ist der Zeitraum von den Anfängen des Buchdrucks bis 1850 erschlossen.[1]

Der vorliegende Band behandelt wohl einen der interessantesten Zeiträume der Kinder- und Jugendliteratur, hat er doch "entscheidende Bedeutung für die Herausbildung der Kinder- und Jugendliteratur in moderner Gestalt." Die für Kinder und Jugendliche produzierte Literatur entwickelte sich zu einem nach Gattungen, Formen und Funktionen reich entfalteten, voll ausgebauten und relativ eigenständigen literarischen Feld gegenüber der Allgemeinliteratur. Diese Zeit ist interessant, weil in ihr die literarischen Strömungen der Romantik, des Biedermeier sowie Spuren des Vormärz und des beginnenden Realismus aber auch die noch immer fortwirkende breite Tradition der Aufklärung wirken. Auch der Buchmarkt weitet sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus, besonders in den vierziger Jahren. Die Kinderliteratur wird Teil einer zunehmend industriell produzierten Massenliteratur. So haben es die Bearbeiter mit einer Unmenge von Büchern für Kinder und Jugendliche zu tun. Die Datenbank in der Arbeitsstelle für Leseforschung und Kinder- und Jugendmedien in Köln, an der das Handbuch erarbeitet wurde, verfügt für diesen Zeitraum über 11.000 Titelnachweise.

Der vorliegende Band folgt in der Gesamtanlage der Gliederung der Vorgängerbände. In einem ausführlichen Einleitungsteil wird ein Überblick über die historischen Befunde und ihre Verknüpfungen mit allgemeinliterarischen, pädagogischen, sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen der Zeit gegeben. Aus dem historischen Material wurde eine Gattungssystematik gewonnen. Im Darstellenden Teil werden fünfzig exemplarische Werke ausführlich vorgestellt. Das sind in der Regel kleine Abhandlungen, die im Schnitt fünfzehn engbedruckte Spalten einnehmen. Sie berichten über die Biographie des Autors, über Schreibmotive, Einflüsse, Adressierung, Intention, Inhalt, Aufbau, Quellen, Wirkungsgeschichte u.a. Diese Einzelartikel sind nach Gattungen zusammengefaßt und gegliedert.

Für den Zeitraum war ein neues Gattungsgefüge erarbeitet worden, das sich nicht an das des vorhergehenden Bandes anschließt. Es geht von dem Grundsatz aus, daß sich an der pädagogischen Einbindung der Kinder- und Jugendliteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst wenig geändert habe. Daher sei es "sinnvoll und mit der Zeit im Einklang, das Gros der Publikationen nach traditionellen Belehrungsbereichen, Erziehungs- und Bildungsfunktionen aufzuordnen." Das Gattungsgefüge wurde also nach Textfunktionen rekonstruiert, das sind "verallgemeinerte Zwecke, Aufgaben und Wirkungen, deren Erfüllung von den einzelnen Text-Gruppen erwartet und bis zu einem gewissen Grade im Kinder- und Jugendliteratur-System garantiert wird." Die 50 Einzelartikel sind in die folgenden sieben Hauptgruppen des Gattungsschemas eingeordnet: 1. Literatur zur religiösen Unterweisung, Erbauung und Gemütsbildung; 2. Literatur zur sittlich-moralischen Erziehung und Gemütsbildung; 3. Literatur zur Vermittlung von Wissen und Weltkenntnis; 4. Literatur zur sprachlich-literarischen Erziehung und zur Geschmacksbildung; 5. Literatur zur weiblichen Erziehung und Bildung; 6. Literatur der Poetisierung von Kindheit; 7. Publikationsformen. Jede Hauptgruppe ist weiter untergliedert, so daß sich insgesamt 80 Einheiten ergeben. Zwischen fiktionalen und nicht fiktionalen Gattungen wurde nicht unterschieden und es wurden auch formal verwandte Gattungen verschiedenen Sektoren zugewiesen.

Zusammenfassende Gattungsüberblicke leiten die Einzelanalysen ein. Sie charakterisieren die Entwicklungstendenzen des jeweiligen Gattungssektors sowie ihrer Untergruppen und bieten eine Zusammenschau der Einzelbefunde. Verschiedentlich wurde angegeben, wieviel Titel der jeweiligen Gattung in der Datenbank verzeichnet sind. Das ermöglicht eine gute Vorstellung vom Literaturangebot des erfaßten Zeitraumes.

Nicht alle der in diesem Zeitraum erschienenen Kinder- und Jugendbücher lassen sich in das Schema "Erziehung im Gewande der Literatur" einordnen. Einige Werke "setzen der Dienstbarkeit der Kinder- und Jugendliteratur für die Pädagogik ein Bewußtsein vom ästhetischen Eigenwert und Eigenrecht der Literatur entgegen." Sie "wollen durch die Poesie selbst wirken und erfreuen." Zum Paradigmawechsel von der Kinderbelehrung zur Kinderpoesie hat zweifellos die Veränderung des Kindheitsbildes durch die Frühromantik, in der Kindheit "poetisiert" wird, Grundlegendes beigetragen. Zur Wirkung kommt vor allem das spätromantische Interesse an der Volkskultur und die Wiederbelebung der nationalen Überlieferung. In diesem Gattungsbereich bilden die an der Idee der Volksliteratur orientierten Gattungen den größten Teil. Das sind: Volks- und Kindermärchen; Sagen, Legenden; Bearbeitungen von Volksbuchstoffen; Märchendramen, Puppenspiele; Kinderreime, Kinderlieder, Kindergedichte; Bilderbücher. Den anderen Bereich bildet die Literatur der phantastischen Verwandlungen und abenteuerlichen Erzählphantasien. Die Werke dieser Gattungen machen aber nicht mehr als 3 - 5 % der Gesamtproduktion aus. Darin befinden sich u.a. so bekannte Werke wie die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Wilhelm Hauffs Märchen-Almanach, die Mutter- und Koselieder von Friedrich Fröbel und Ludwig Bechsteins Deutsches Märchenbuch, E.T.A. Hoffmanns Nußknacker und Mausekönig sowie Hoffmann von Fallerslebens Kinderlieder.

Ein wichtiger Beitrag muß noch erwähnt werden: Ulrich Kreidl sichtete Bilder in Kinder- und Jugendbüchern 1800 - 1850 unter kunsthistorischen Gesichtspunkten. Diese Darstellung ist besonders interessant, weil sich im behandelten Zeitraum die Kinderbuchillustration erst voll entwickelte und zum Höhepunkt gelangte. Theodor Hosemann, Ludwig Richter, Otto Speckter oder Franz von Pocci sind hier die bekanntesten Namen. Geschildert wird auch die Entwicklung und Anwendung der neuen graphischen Techniken, die billiger hohe illustrierte Auflagen ermöglichten. So blieb bald kein Kinderbuch mehr ohne Illustrationen. Illustrationsbeispiele, die ausführlich analysiert werden, verdeutlichen die Darlegungen.

Die sich anschließende kommentierte Auswahlbibliographie enthält genau 1000 Titel, die nicht nur im Hinblick auf qualitative Gesichtspunkte, sondern auch im Hinblick auf die quantitative Verteilung von Gattungsgruppen, Einzelgattungen und anderen Merkmalen eine recht genaue Abbildung der im Untersuchungszeitraum insgesamt veröffentlichten Kinder- und Jugendliteratur bieten soll.

Für die Bibliographie wurde eine genauere Form der Titelbeschreibung gewählt. So erfolgt die Titelabschrift in diplomatischer Akribie. Der Zeilenschluß wird kenntlich gemacht. Eine Besonderheit bildet die Angabe des Preises, die aus den Buchhandelskatalogen der Zeit übernommen wurde. Illustrationen und Buchschmuck werden genau beschrieben. Für die Titel sind alle ermittelten Standorte angegeben. Nach dem bibliographischen Nachweis folgt der Rezensionsnachweis und der Hinweis auf Erwähnung in zeitgenössischen Empfehlungslisten und Rezensionsorganen sowie in pädagogischen, literarischen u.a. Zeitschriften. Der Kommentar zum Titel enthält Angaben zum Inhalt, zum Adressaten und zur Intention des verzeichneten Werks. Hier wird auch auf andere Werke des Verfassers eingegangen. Der bibliographische Kommentar gibt Hinweise zur Erstausgabe und zu weiteren Ausgaben, Übersetzungen, Titeländerungen usw.

Bei den einzelnen Titeln fehlt aber der Hinweis auf die Gattung. Das systematisch aufgebaute Gattungsschema mit acht Hauptgruppen und insgesamt achtzig Einzelstellen und der entsprechenden Notation findet sich nur im Gattungsregister wieder. Dort verweist es auf die Titelnummern der Bibliographie. Will man erfahren, in welche Gattung das betreffende Werk eingeordnet wurde, muß man erst die Titelnummer des Werkes im Gattungsregister suchen. Auch die Einzelartikel zu 50 ausgewählten Kinder- und Jugendbüchern, gliedert diese Werke nur in eines der acht Hauptgruppen und ordnet sie dann chronologisch. In welche Untergruppe das Werk einzuordnen ist, wird nicht mitgeteilt.

Neu im Vergleich zum vorhergehenden Zeitraum ist der Verzicht, Kurzbiographien von wichtigen Autoren in einem selbständigen Komplex vor der Bibliographie zu versammeln. Jetzt stehen sie besser in der Bibliographie direkt vor ihrem Titel. Hier stehen auch die Kurzbiographien von Autoren und Herausgebern, auf deren Titel nur verwiesen wird, weil er anonym erschienen ist oder sie an einem Werk nur mitgearbeitet haben. An der verwiesenen Stelle findet man aber keinen Hinweis auf die Kurzbiographie und das Personenregister verweist nur auf die Stelle, wo der Titel steht. Wer also gleich den Titel aufschlägt, findet die Kurzbiographie nicht.

Die Register wurden im Vergleich zum Band der vorhergehenden Periode 1750 - 1800 erweitert. So gibt es jetzt: Titelregister (neu), Chronologisches Register, Gattungsregister, Verlagsregister, Illustratorenregister und ein Standortverzeichnis (neu). Das Standortverzeichnis läßt bequem erkennen, wo sich noch größere Bestände an älteren Kinder- und Jugendbüchern befinden. Es gibt noch ein Namenregister und ein Sachregister. Vor diesen beiden ist das Literaturverzeichnis eingefügt, das also die Abfolge der Register unterbricht. Das ist notwendig, um die unterschiedlichen Geltungs- oder Erfassungsbereiche der einzelnen Register optisch kenntlich zu machen. Die Register gleich nach der Bibliographie und vor dem Literaturverzeichnis berücksichtigen nur die Bibliographie und deren Kommentare zum jeweiligen Titel.

Das dem Literaturverzeichnis folgende Namenregister erfaßt Namen der Einleitung und des Darstellenden Teils sowie des Literaturverzeichnisses (aber nicht die Autoren dieses Verzeichnisses). Namen aus der Bibliographie wurden nur erfaßt, wenn sie nicht in den "Kopfeinträgen der Bibliographie verzeichnet" sind. Namen in den einzelnen Registern zur Bibliographie sind nur dort verzeichnet.

Das Sachregister verzeichnet Sachbegriffe aus der Einleitung , dem Darstellenden Teil und dem Literaturverzeichnis sowie Sachbegriffe aus der Bibliographie. Irreführend ist der Hinweis in der Vorbemerkung zu diesem Register in dem "Zur Sachschließung des Bibliographischen Teils ... auf das Gattungs- und das Verlagsregister verwiesen" wird. Dabei sind doch aus der Bibliographie und deren Kommentaren Sachbegriffe z.B. zur Thematik und Intention, zum Stoff und Motiv im Sachregister nachgewiesen. Es wurden lediglich Gattungsbegriffe aus dem bibliographischen Teil ausgespart.

Wegen der Kompliziertheit des vielschichtigen Werkes wurde versucht, dem Nutzer den Zugang so leicht wie möglich zu machen. Gleich nach der kurzen und notwendigen Vorbemerkung, die den Band in das Forschungsunternehmen einordnet, folgt das Inhaltsverzeichnis, dann die ausführlichen Hinweise zur Benutzung des Bandes und das Abkürzungsverzeichnis (es enthält die Abkürzungen und Kurztitel der abgekürzt zitierten Literatur). Alle Hilfsmittel, die der Nutzer sofort braucht, stehen vorn. Kolumnentitel informieren stets, in welchem Bereich des dickleibigen Bandes man sich befindet. Sie wurden sowohl für die Unterscheidung der Register als auch für die Untergliederung der Einleitung und des Darstellenden Teils mit der Beschreibung der 50 ausgewählten Werke angewendet. Das wünschte man sich so detailliert auch für die fast die Hälfte des Bandes ausmachende Bibliographie, bei der lediglich Bibliographie am Kopf der Seiten steht. Wichtig ist aber, das die Struktur des Handbuches beibehalten wurde. Wenn man sich auch wünschte, daß das Personenregister die gesamte Bibliographie erfaßt. Eine Änderung innerhalb eines mehrbändigen Werkes ist riskant, entweder es wird vom Nutzer nicht bemerkt, oder es werden falsche Verallgemeinerungen auf das gesamte Werk bezogen.

Bei diesem Band besticht wiederum die solide Ausarbeitung, die auch schon bei den vorhergehenden Bänden festzustellen war. Man spürt aber, daß sich in Bd. 4 die bei der Erarbeitung der vorhergehenden Bände gesammelten Erfahrungen niedergeschlagen haben. Das zeigt sich besonders im Vergleich mit dem Band des vorhergehenden Zeitraumes, der 1982 als erster erschienen war. So ist die Einleitung bedeutend umfangreicher geworden, hinzugekommen sind Überblicke zur Entwicklung der einzelnen Gattungen. Die Kommentare in der Bibliographie wurden bedeutend erweitert und betragen fast das Dreifache. Für die Kontinuität der hohen Qualität sorgten erfahrene Mitarbeiter, wie Otto Brunken und Maria Michels-Kohlhage, die schon die seit 1982 erschienenen Bände mitredigiert haben. Für diesen Band wurden insgesamt 18 Mitarbeiter genannt. Darunter sind auch Spezialisten, die für bestimmte Artikel herangezogen wurden wie, Ruth B. Rottigheimer oder Heinz Rölleke.

Die Selbsteinschätzung am Ende des ersten Teils der Einleitung kann man nur unterstreichen: "So mag in diesem Handbuch eine Darstellung der Kinder- und Jugendliteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich geworden sein, die sich in der Interpretation der Befunde einen Schritt weit über die Materialdokumentation hinaus in Richtung Literaturgeschichte wagt." Denn die theoretischen Teile mit der umfangreichen Einleitung und dem Darstellenden Teil bilden fast die Hälfte des Bandes, so daß die 1000 Titel der Bibliographie wie Belege für die in Umrissen dargestellte Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur des Zeitraumes erscheinen.

Mit Genugtuung liest man, daß dieses epochale Werk mit dem Zeitraum 1850 - 1900 fortgesetzt werden soll.

Heinz Wegehaupt


[1]
Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur / begr. von Theodor Brüggemann. - Stuttgart ; Weimar : Metzler. - 27 cm [1510].
Vom Beginn des Buchdrucks bis 1570 / Theodor Brüggemann in Zsarb. mit Otto Brunken. [Mitarb.: Susanne Barth ... Bibliographie: Manfred Eisenberg ...]. - 1987. - XLII, 1576 Sp. - ISBN 3-476-00607-7 : DM 358.00.
Von 1570 bis 1750 / Theodor Brüggemann in Zsarb. mit Otto Brunken. [Mitarb.: Susanne Barth ... Bibliographie: Manfred Eisenberg ...]. - 1991. - LVIII, 2486 Sp. - ISBN 3-476-00611-5 : DM 398.00.
Von 1750 bis 1800 / Theodor Brüggemann in Zsarb. mit Hans-Heino Ewers. [Mitarb.: Theodor Brüggemann ...]. - 1982. - XXVI, 1724 Sp. - ISBN 3-476-00484-4 : DM 368.00. - Rez.: IFB 95-4-504. (zurück)

Zurück an den Bildanfang