Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
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Die Inkunabeln der Stadtbibliothek Bad Windsheim


98-1/2-015
Die Inkunabeln der Stadtbibliothek Bad Windsheim : Inkunabeln und Drucke des 16. Jahrhunderts der Augustiner-Eremiten in Windsheim / beschrieben von Michael Schlosser. - Würzburg : Schöningh, 1997. - 124 S. : Ill. ; 23 cm. - (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg ; 50). - ISBN 3-87717-054-4 : DM 35.00
[4375]

Nach Erich Stahleders Katalog der Handschriften[1] veröffentlicht jetzt Michael Schlosser als Band 50 derselben Reihe einen Inkunabelkatalog der Stadtbibliothek Bad Windsheim. Er stellt 113 Inkunabeln und 17 Drucke des frühen 16. Jahrhunderts vor.

Zweierlei wird bei der Lektüre des Katalogs deutlich. Da ist ein Bibliothekar am Werke, der die ihm anvertrauten Schätze (seinem Beruf gemäß) erschließen will, gleichzeitig möchte er sie sichern. Denn eine nicht unerhebliche Reihe früher in der Bibliothek bezeugter Bände ist im Laufe der Zeiten verschwunden, und es sind oft vom Antiquariatshandel geschätzte Stücke wie der Herzmahner (46a), Hartmann Schedels Weltchronik (93a) oder Hans Tuchers Reise ins Gelobte Land (107a). Schlosser fügt sie seinem Katalog mit a-Nummern ein. Andererseits ist der Altbestand ein Stück kultureller Identität, und lokalpatriotisch hebt der Verfasser besonders das Erbe aus dem 1525 aufgelösten Kloster der Augustiner-Eremiten hervor (und benennt es im Text mit der häßlichen Abkürzung AklW). Dieser Perspektive entspricht, daß nur die Postinkunabeln (bis 1510) aus jener Provenienz im Verzeichnis der Drucke des 16. Jahrhunderts erscheinen, nicht aber der weitere an Inkunabeln angebundene Bestand.

So ausgezeichnet sind Bücher, Inkunabeln und weite Bereiche des Altbestands unserer Bibliotheken, nicht mehr Studienobjekte, die von der traditionellen Klientel des Bibliothekars, dem Leser, gelesen werden, sondern Museumsgut. Das ist kein Schade, denn ein Großteil der Ausgaben ist in zahlreichen Sammlungen vorrätig, überregional wichtig und vorzustellen sind allein die Raritäten, Spitzenstücke wie die Pergamentfragmente der B 36, Richard de Burys Philobiblon (91) oder die erstaunlich vertretene Verbrauchsliteratur des 15. Jahrhunderts (Sammelband mit Grammatiken 87, 32, 37, 3, 89, 78). Mit wachsendem historischen Abstand verringert sich ohnehin das inhaltliche Interesse an diesen Texten, Verwaltern kleiner wie größerer Sammlungen ist das deutlich.

Andererseits fragt sich ein Bibliothekar, der diese Literatur noch in ihrer ursprünglichen Funktion, als Lesestoff, nimmt, warum sich die Windsheimer Augustiner-Eremiten gerade diese Büchersammlung angeschafft haben. Gibt es Unterschiede zu anderen Klöstern? Der Hinweis auf das Fehlen einer eigenen Buchbindewerkstatt und auf die große Zahl Nürnberger Einbände (S. 11) spricht für eine starke Anlehnung an diesen Hauptort des deutschen Buchdrucks. Haben wir an Buchführer oder innerkirchliche Amtshilfe von anderen Klöstern zu denken? Da gibt es interessante Fragen, lokal- und regionalgeschichtlich, für Kultur und Buchwesen des ausgehenden Mittelalters von Bedeutung. Erstaunlich ist selbst eine Einzelheit wie der Leipziger Buchführerband Valentin Bormanns (Kyriss 104, Nr. 103) in dem Windsheimer Kloster.

Auch der Buchschmuck gewährt dem Kundigen Aufschlüsse über die Herkunft der Bände und die Ausmalgewohnheiten. Indem er optische Besonderheiten der Exemplare in Abb. 2, 5, 6 und 8 vorstellt, leistet Schlosser einen kleinen Beitrag zu einem vielleicht doch einmal kommenden Stilatlas über die rubrikatorische Ausmalung in den deutschen Landschaften. Vieles ist da noch offen, und wenn "im 16. Jahrhundert offenbar ... eine wohl in Würzburg ansässige Werkstatt (Kyriss 135) beauftragt worden ist" (S. 11), die Einbände des Windsheimer Klosters zu fertigen, hätte sie eine eingehendere Präsentation verdient. Kyriss zeigt auf Tafel 271 fünf Stempel, spricht aber (Bd. 1, S. 113) von 55 Stempeln - gewiß hätte sich die Abbildung bei Kyriss ergänzen lassen.

Die eigentliche Erschließung der Drucke hält sich an RAK und nutzt - vernünftigerweise - die Kompetenz des Inkunabelkatalogs der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB-Ink). Der moderne Stand der Wissenschaften wird so gespiegelt, daß sich der Nutzer auf die Angaben verlassen kann. Er findet auch Druckvarianten, die der Verfasser aufgespürt hat, und im Register kann er sich über Provenienzen und Preisangaben orientieren - freilich hilft ein Preisvermerk ohne eine ungefähre Datierung wenig (63). Das Stempelrepertorium von Schwenke/Schunke stand in Bad Windsheim offenbar nicht zur Verfügung, und auch die Rollen- und Plattenstempel Haeblers scheinen mir nur im Literaturverzeichnis vorzukommen.

Solche kleinen Einwände mindern nicht die Freude über den Inkunabelkatalog. Vielleicht widmet sich Schlosser ja später auch den Einbänden? Ein besonderes Verdienst von ihm ist, den bisher unbekannten Band Jacobus de Voragine (51) vorgestellt zu haben - und damit die Frühdruckforschung in Erklärungsnöte zu bringen. In der Ausgabe C 6388 findet sich der Eintrag: "Hic liber emptus a quo friderico de basilea pro duobus florenis minus vno ortone Et impressus ibidem vicum in basilea". Schlosser ergänzt den Namen des Verkäufers mit "Friedrich Biel, Basel", entsprechend dem Druckvermerk "Fadrique (Frederico) de Basilea" aus der Produktion dieses Druckers in Burgos. Freilich ist Biel bisher nicht als Buchführer bekannt (fehlt bei Grimm), und der Druck wird allgemein auf [Straßburg: Georg Husner] bestimmt. In Straßburg finde ich nur den seit 18.8.1495 dort mit Bürgerrecht ansässigen Friedrich Ruch, der Grimm (369) als Buchführer recht zweifelhaft scheint. In seiner Basler Zeit ist Biel nur in Zusammenhang mit Michael Wenssler bezeugt (Geldner I 109).

So stiftet das Bändchen dreifachen Nutzen, den Bibliothekaren als Standortnachweis, der örtlichen Geschichtsschreibung zur Erhellung einer Periode der Stadtgeschichte und der Inkunabelkunde. Was will man mehr? Das kann man nicht von jedem Katalog sagen.

Holger Nickel


[1]
Katalog der Handschriften der Augustiner-Eremiten und Weltgeistlichen in der ehemaligen Reichsstadt Windsheim. - Würzburg, 1963. - (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg ; 15.) (zurück)

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