Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2

The Rosenthal Collection of printed books with manuscript


98-1/2-012
The Rosenthal Collection of printed books with manuscript annotations : a catalog of 242 editions mostly before 1600 annotated by contemporary or near-contemporary readers / Bernard M. Rosenthal. The Beinecke Rare Book and Manuscript Library. - New Haven, Conn. : Yale University, 1997. - 389 S. : Ill. ; 31 cm. - ISBN 0-8457-3131-9 : $ 50.00. - (Medieval & Renaissance Texts & Studies, Arizona Center for Medieval and Renaissance Studies, Arizona State University, POB 872508, Tempe, AZ 85287-2508, USA)
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Es liegt bei der Beschreibung von Druckwerken in der Natur der Sache, daß mit entsprechenden Titelaufnahmen in der Regel mehr oder weniger große Gruppen von Büchern eindeutig bezeichnet und identifiziert werden können. Selbst in solchen Katalogen von Bibliotheken oder einzelnen Teilen von Sammlungen, die individualisierende Zusatzinformationen zu einzelnen Büchern geben, steht die Beschreibung des Druckes als wichtigstes Element im Zentrum. Alles weitere sind exemplarspezifische Angaben, die über besondere Charakteristika - z.B. den Einband, die Provenienz, Elemente des Buchschmuckes usw. - des aufzunehmenden Buches unterrichten, doch stellen diese Ergänzungen im Grunde niemals in Frage, daß ein Druck normalerweise eben kein Unikat, sondern eben "nur" ein Vertreter aus einer größeren Anzahl von gleichartigen Exemplaren ist.

Die Katalogisierung handschriftlichen Materials ist dagegen immer mit der Erfassung von Einzelstücken befaßt, auch wenn es sich inhaltlich um ganz gängige und weit verbreitete Texte handeln mag. Entscheidend für den Grad an Individualiät, der einem Buch beigemessen wird, ist somit die Singularität der Umstände seiner Entstehung. So gesehen ist ein Druck eben immer erst einmal ein Druck, selbst wenn er von vornehmster Provenienz ist oder Spuren einer abenteuerlichen Geschichte an sich trägt. Der Katalog der Rosenthal-Sammlung gedruckter Bücher mit handschriftlichen Annotationen ist ein Zwischending. 35 Jahre lang, von 1960 bis 1995, sammelte Bernard M. Rosenthal Bücher, die von Hand ergänzte oder kommentierte Drucke enthielten. Bibliothekare und wohl mehr noch Leser mit bibliophilen Neigungen haben nun sicher ein eher gespanntes Verhältnis zu handschriftlichen Randbemerkungen in Büchern. Ihnen spricht noch heute Kurt Tucholsky aus tiefster Seele mit seiner "Kleinen Bitte", das Schreiben von Marginalien doch zu unterlassen - auch wenn sich seine Aufforderung in erster Linie auf Bücher aus öffentlichem Bibliotheksbesitz bezog.[1] Wenn aber Annotationen aus hinreichend weit entfernten Zeiten stammen und gar nur wenig jünger sind als der Druck selbst, dann ist die Sache irgendwann eine andere. Umfangreiche handschriftliche Anmerkungen können eine Wertigkeit bekommen, die der druckgeschichtlichen Bedeutung eines Buches gleichkommt oder sie sogar übertrifft, auch dafür gibt es immer wieder Beispiele.

Rosenthals Sammlung von 160 Bänden mit insgesamt 242 Druckwerken ganz überwiegend des 15. und 16. Jahrhunderts wurde 1995 von der Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University erworben. Der dazugehörige Katalog beruht trotz der redaktionellen Leistungen von Robert G. Babcock und seines Stabes in erster Linie auf den Vorarbeiten von Rosenthal selbst.

Es sind nicht die ganz großen Namen aus der Geschichte der frühen Neuzeit, die in den aufgenommenen Büchern ihre Spuren hinterlassen haben, und es sind beileibe nicht nur die weisesten Notizen, die sie als Randbemerkungen in ihren Büchern festgehalten haben. Der Aufwand und die Mühe, die ihnen der Katalog angedeihen läßt, dürfte sie deshalb um so mehr ehren. Die Bücher gewinnen jedenfalls ihre ganz persönliche und unverwechselbare Note, auch wenn nicht jeder Schreiber mit Namen und Daten ermittelt werden kann. Die Anordnung erfolgt alphabetisch und nach den 160 buchbinderischen Einheiten, den Gesamtbestand mit allen 242 Drucken erschließt eine einleitende short-title list, der eine chronologisch angelegte Auflistung aller Drucke folgt. Die Aufnahmen folgen jeweils demselben Muster, sind allerdings unterschiedlich lang ausgefallen. Sie beginnen mit einer knappen Beschreibung des Druckes, regelmäßig mit Kollationsformel, und einem knappen Kommentar zum Werk. Es folgt dann die Beschreibung der handschriftlichen Zusätze, deren Verteilung auf interlineare Bemerkungen und Anmerkungen "am Rande" ebenso festgehalten wird wie ihr Umfang an Worten (!). Sie werden in aller Kürze charakterisiert, inwieweit sie etwa dem bloßen Textverständnis dienen oder schon Interpretationsansätze sind. Längere Kommentare werden mit Incipit und Explicit angegeben, ab und an hat man in diesem Abschnitt auch kleinere Textpassagen und die darauf bezogenen Bemerkungen einander gegenübergestellt. Ob die Bewertung der Handschriften und ihre Einordnung in jedem Falle zutreffend sind, kann nur ein Paläograph beurteilen. Leider werden die zu jedem Buch beigesteuerten Abbildungen jeweils einer Seite in dieser Frage nicht weiterhelfen können, da ihre Qualität - im Unterschied zum Druckbild des eigentlichen Textes - nicht gerade überzeugend ist. Die Katalogisate werden mit Angaben über Provenienzen, den Erhaltungszustand und Literaturhinweisen abgeschlossen. Am Ende des Bandes findet sich nach einem Literaturverzeichnis schließlich das für die Themenstellung des Werkes vielleicht interessanteste Register, nämlich das der Owners and annotators.

Es sind natürlich gerade die Glossen und Marginalien, die das einheitsstiftende Element dieser Sammlung und das Besondere am Katalog darstellen. Die Zusammenstellung der Drucke war letztlich nur vom Vorkommen handschriftlicher Zusätze abhängig, weitere Kriterien der Auswahl gab es offensichtlich nicht, so daß dem Ergebnis trotz allem der Makel des Zufälligen anhaftet.[2]

Vieles wäre sicherlich noch zu vertiefen gewesen, angefangen etwa bei den Beschreibungen der Einbände, aber auch in der Rekonstruktion des Schicksals einzelner Bücher und in der Bewertung der Zugaben. Rosenthal hat selbst darauf hingewiesen, daß er nur Material bereitstellen wollte, ohne es zugleich in aller Tiefe wissenschaftlich erschließen zu können (S. 12). Das zeigt, daß die Beschäftigung mit der Rezeption von Texten und Büchern - darum geht es ja und diesem Ansatz fühlte sich wohl auch Rosenthal verpflichtet (S. 10) - noch sehr viel Arbeit machen und hohe Anforderungen an paläographische, philologische, geistesgeschichtliche, druck- und literaturhistorische Kenntnisse künftiger Bearbeiter stellen wird. Mit dem Katalog der Rosenthal-Sammlung als einem Beispiel für einen neuen Verzeichnistypus ist ein interessanter Anfang gemacht, der vielleicht zu weiteren Forschungen, auch Ergänzungen und Korrekturen, anregt. Wünschenswert wäre es allemal, wenn auch andere Sammler und Bibliotheken ihre annotierten Drucke in dieser Form publizieren würden, aber man braucht kein Prophet zu sein um vorauszusehen, daß zumindest die großen öffentlichen Sammlungen etwas Vergleichbares bis auf weiteres nicht werden vorlegen können. Wen das in diesem Katalog realisierte Konzept interessiert, der sei darauf hingewiesen, daß die Vorrede Rosenthals in etwas veränderter Form auch in The papers of the Bibliographcal Society of America. - 91 (1997),4, S. 485 - 494 erschienen ist.

Joachim Migl


[1]
Vgl. Kleine Bitte / Kurt Tucholsky. // In: Gesammelte Werke / Kurt Tucholsky. - Reinbek : Rowohlt. - Bd. 9 (1975), S. 145 - 146. - Der Text stammt aus dem Jahre 1931. (zurück)
[2]
Etwa die Hälfte der Drucke machen allein die Klassikerausgaben aus. (zurück)

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