Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 3/4
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Defizite der 7. Jahresberichte für deutsche Geschichte


97-3/4-406
Defizite der 7. Jahresberichte für deutsche Geschichte

Der wohlwollenden Beurteilung der CD-ROM-Ausgabe der Jahresberichte für deutsche Geschichte kann ich nach einer intensiven Prüfung dieses Produkts, die hier nur kurz zusammengefaßt werden kann, in keiner Weise zustimmen.

1. Lückenhaftigkeit im Kernbereich

Völlig unverständlich sind die nicht akzeptablen Lücken bei den von mir als Historiker als "wichtiger" eingeschätzten Publikationen. Etwa ein Viertel dürfte nach meiner Schätzung nicht erfaßt worden sein. Objektivieren läßt sich dieses subjektive Urteil beispielsweise durch die Auswertung des Rezensionsteils der Rheinischen Vierteljahresblätter 58 (1994), der kaum peripheres Material umfaßt. Von den 1991 bis 1993 publizierten 74 deutschen Titeln fehlen 18 (24 %). Von den 38 einschlägigen Titeln des Forschungsberichts von Gerd Schwerhoff zur Hexenforschung[1] sind 12 nicht aufgenommen worden. Viele bedeutsame Monographien, Festschriften und Ausstellungskataloge werden vermißt; eine Vollständigkeitskontrolle bei wichtigen Reihen (z.B. Beihefte der Zeitschrift für historische Forschung) hat nicht stattgefunden. Bei orts- und regionalgeschichtlichen Zeitschriften gibt es unverzeihliche Lücken; die winzige Auswahl an Ortsgeschichten mutet lächerlich an.

2. Undurchsichtige Auswahlkriterien in den Randgebieten und bei den Nachbardisziplinen

Höchst undurchsichtig sind die Auswahlkriterien bei der Aufnahme von Beiträgen aus Zeitschriften und Sammelbänden. Eine Analyse von Bd. 28 (1994) der Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg zum Thema Wallfahrt ergab beispielsweise, daß die Auswahl der Beiträge (14 von 21) nicht nachvollziehbar ist. Auch methodisch bedeutsame Aufsätze oder solche mit wichtigem Material wurden weggelassen. Absolut willkürlich und beliebig wurden historische Publikationen aus Nachbardisziplinen (z.B. Germanistik, Volkskunde, Kunstgeschichte, Musikgeschichte) berücksichtigt.

3. Mängel der Sacherschließung

Die Register der gedruckten Ausgabe sind, wie die Überprüfung der Schlagwortvergabe auf der CD-ROM zeigt, offenbar völlig unbrauchbar. Eine Koordination und Abstimmung von Klassifikation, Sachbereich, Verschlagwortung und Titelstichwörtern ist nicht ansatzweise zu erkennen. Zusammengehöriges steht an ganz verschiedenen Stellen. Schlagwörter sind äußerst oft uneinheitlich vergeben worden, und wenn die beanspruchte Autopsie tatsächlich stattgefunden hat, wirft das bei nicht wenigen Fällen ein bezeichnendes Licht auf die historische Kompetenz der Redaktion. Bei wahrnehmungsgeschichtlichen Arbeiten gerät sie leicht ins Schlingern. So sind zwei Arbeiten zu städtischen Gründungssagen einem falschen Sachbereich zugewiesen worden. Ein Test mit sag* bzw. *sage (Rechts- bzw. Linkstrunkierung) zeigt die Willkür deutlich: Läßt man nach Titeln suchen, in denen sage* vorkommt, die aber kein Schlagwort sagen oder sagen (reg.) - eine selten überzeugende Trennung von allgemeiner und regionaler Literatur - erhalten haben, so bekommt man 20 Treffer, wovon 8 zu Sagen einschlägig sind. Eine Studie zur Herkunftssage der Habsburger erhielt das Schlagwort Legenden!

Die zuverlässigste Suche ist die Freie Suche (mit Rechtstrunkierung), weil sie sowohl Titelstichwörter als auch Schlagwörter findet. In einem zweiten Schritt ist anschließend die Suche mit Sachbereich/Klassifikation zu empfehlen. Die gravierenden und in keiner Weise akzeptablen Mängel bei der Sacherschließung können mittels der verknüpften Suche bloßgelegt werden, was im Umkehrschluß bedeutet, daß die entsprechenden Kontrollmöglichkeiten der EDV von den Bearbeitern nicht genutzt wurden. Insgesamt stellt die miserable Sacherschließung der traditionsreichen Jahresberichte der herrschenden "Registerkultur" der deutschen Geschichtswissenschaft das denkbar schlechteste Zeugnis aus.

Klaus Graf


[1]
Vom Alltagsverdacht zur Massenverfolgung : neuere deutsche Forschungen zum frühneuzeitlichen Hexenwesen / Gerd Schwerhoff. // In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. - 46 (1995),7/8, S. 359 - 380. (zurück)

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