Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 3/4
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Kunstgeschichte digital


97-3/4-346
Kunstgeschichte digital : eine Einführung für Praktiker und Studierende / Hubertus Kohle (Hg.). - Berlin : Reimer, 1997. - 213 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 3-496-01163-7 : DM 39.80
[4222]

Der Titel dieses Buches macht neugierig. Kunstgeschichte digital, ist das nicht ein Widerspruch in sich? Folgt man dem Vorwort, dann ist es vorrangiges Ziel dieser Aufsatzsammlung, Anwendungsgebiete der EDV in der Kunstgeschichte vorzustellen. Dieses Vorhaben ist nicht nur außergewöhnlich, sondern bemerkenswert, da sich zahlreiche Wissenschaftler gefunden haben, um auf ein Stiefkind der Kunstgeschichte durch diese Publikation aufmerksam zu machen. So verschieden die Autoren sind, ein Blick in ihr Verzeichnis verrät sie als Vertreter unterschiedlichster Fachrichtungen, so divergierend sind auch ihre Beiträge, die sich auf fünf Schwerpunkte verteilen: Bibliotheken, Forschung und Lehre, Denkmalpflege, Museen und Internet.

Die Kunstgeschichte benötigt als Geisteswissenschaft in besonderem Maße die Bibliotheken. Sie sind es, die den Kunsthistoriker durch den Einsatz von EDV bei seiner Arbeit bereits heute maßgeblich unterstützen (Rüdiger Hoyer). Als ein wichtiges bibliographisches Hilfsmittel wird die neue Fachverbunddatenbank für Kunstgeschichte vorgestellt, die vom KHI (Florenz), vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte (München) sowie von der Bibliotheca Hertziana (Rom) gespeist und bald über das Internet zugänglich sein wird.[1] Alle drei Institute erschließen ihren jeweiligen Sammelschwerpunkten gemäß auch unselbständige Literatur, was für die Wissenschaft von größter Bedeutung ist, spiegelt sich die aktuelle kunsthistorische Forschung heutzutage doch vornehmlich in Aufsätzen wieder.

Da diese Einrichtungen gemeinsam mit den drei großen Museumsbibliotheken in Nürnberg, Köln und Berlin ein Schwerpunktprogramm der DFG bilden, ist es zu bedauern, daß sich keine "große Lösung" in Form einer von allen Projektteilnehmern gemeinsam aufgebauten Datenbank zur Zeit durchsetzen ließ, zumal auch die gleichfalls von der DFG finanzierten Sondersammelgebietsbibliotheken für Kunstgeschichte in Dresden und Heidelberg nicht am Fachverbund partizipieren. Zu unterschiedlich sind offenbar die Interessen. Eine kleine Lösung und ein Anfang sind aber allemal besser als keine Lösung.

In welchen Bereichen die EDV in den drei klassischen Arbeitsfeldern unseres Fachs Lehre und Forschung, Denkmalpflege, Museen Einzug hielt, veranschaulichen zahlreiche Beiträge.

Katharina und Robert Erber berichten über Einsatzmöglichkeiten multimedialer Präsentation, die zur Veranschaulichung von Kunstwerken im Hörsaal hilfreich sein kann. Allen 3-D-Modellen zum Trotz wird der Lokaltermin für den Kunsthistoriker weiterhin unverzichtbar sein. Die ganz besondere Aura eines Kunstwerkes läßt sich nicht auf eine Aluminiumschicht bannen. Ob sich der hier ausgesprochene Vorschlag eines freien Datentauschs digitalisierten Bildmaterials zwischen kunstwissenschaftlichen Instituten umsetzen läßt, erscheint ob der mangelnden technischen Ausstattung zahlreicher Einrichtungen und der rechtlichen Beschränkungen, die das Urheberrecht vorsieht, zweifelhaft.

Harald Krämer beschäftigt sich mit dem Einsatz von Text- und Bilddatenbanken und unterstreicht die Wichtigkeit der Strukturanalyse. Sie sollte dem Einkauf von Hard- und Software vorausgehen, um einen verantwortungsbewußten Umgang mit öffentlichen Mitteln zu gewährleisten. Einzelne Positionen eines Pflichtenhefts wie Istanalyse, Sollkonzept, Datenfeldkatalog, Leistungsverzeichnis und Bewertungskontrolle werden vorgestellt. Auch wird auf die finanziell angespannte Situation der kunsthistorischen Institute und Seminare verwiesen, die im Universitätsensemble nur eine Nebenrolle spielen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt wäre eine modellhafte Kostenrechnung hilfreich gewesen, die jedoch ausbleibt.

Einsatzmöglichkeiten von Computern in der Bauforschung sprechen Reinhard Senff und Wolfgang Wiemer an. Das weite Anwendungsspektrum reicht von Hilfestellungen bei der Bauaufnahme bis zur Proportionsanalyse.

Allen Beiträgen ist gemeinsam, daß sie die Frage der Langzeitarchivierung digitaler Daten ausklammern. Allerdings ist zugegebenermaßen für dieses grundsätzliche Problem noch keine allseits praktikable Lösung gefunden, will man den gleichzeitigen Aufbau eines Computermuseums ausschließen.

Einen fünften und letzten Themenschwerpunkt stellt das Internet dar, in dessen Dienste Arndt Röttgers, in dessen Struktur Ludwig Tobisch einführt, deren Beiträge hilfreich und interessant für all jene sind, die sich erstmals mit dem Internet beschäftigen. Die Publikation in elektronischer Form erörtert der Aufsatz von Martin Warnke, der HTML als lingua franca deklariert und den Autoren als Publikationsform empfiehlt. Allerdings bringt die Möglichkeit der freien Publikation auch zwangsläufig die Gefahr des Qualitätsverlusts mit sich. Viele der von anonymen Servern abrufbaren Volltexte wünscht man sich zurück in die Obhut von Redaktion, Lektor und Verlag.

Um Qualität und Anzahl von Volltexten zu steigern, erscheint es dem Rezensenten z. B. sinnvoll, beachtenswerte Magisterarbeiten zunehmend als HTML-Dokumente anzubieten und im Internet zu veröffentlichen. Die mangelnde Zugänglichkeit dieser Arbeiten steht oft in krassem Gegensatz zu ihrer wissenschaftlichen Relevanz. Sie über die Homepage des jeweiligen Seminars bzw. Instituts, deren Präsenz im Internet ständig wächst,[2] zugänglich zu machen, bietet sich als praktikable Lösung an. Einen Schritt in diese Richtung tat bereits das Kunsthistorische Institut in Heidelberg, das einzelne Magisterarbeiten und Dissertationen als Abstracts vorstellte,[3] ein angebot, dessen Fortführung allerdings seit Monaten stagniert.

Eine kleine Auswahl der für Kunsthistoriker relevanten Internet-Adressen stellt Hubertus Kohle vor; es gibt sie darüber hinaus im Netz der Netze zu Tausenden. Einen raschen Einblick in das kunsthistorische Informationsangebot verschafft man sich am leichtesten mittels der verschiedensten Link-Sammlungen.[4] So begrüßenswert die vielen Einzelinitiativen auch sind, das Angebot ist ob mangelnder Koordination der Anbieter sehr speziell.

Die aus bibliographischer Sicht derzeit wichtigste Adresse[5] führt zum Getty Art History Information Programm, das die innovativsten Projekte in bezug auf den Einsatz von EDV in der Kunstgeschichte betreibt.[6]

Einzelne Schritte, die Kunstgeschichte und EDV bislang gemeinsam gemacht haben, werden in Kunstgeschichte digital exemplarisch dokumentiert. Man darf gespannt darauf sein, wo der gemeinsame Weg hinführen wird.

Johannes W. Pommeranz


[1]
Die Lokaldaten des ZI München (ab 1996) sind unter der WWW-Adresse http://www.zikg.lrzmuenchen.de recherchierbar. Für die Institute in Florenz und Rom sind Eingabemasken in italienischer bzw. englischer Sprache geplant. Eine weitere wichtige online abrufbare bibliographische Quelle ist der OPAC des Warburg Institutes London, das als erstes kunsthistorisches Institut überhaupt eine Telnet-Verbindung zu seinem Katalog aufbaute: http://www.sas.ac.uk/Warburg/OPAC.HTM (zurück)
[2]
Eine umfassende Liste kunsthistorischer Institute des In- und Auslands, auch der im Internet präsenten, verzeichnete die Homepage des Kunsthistorischen Instituts in Heidelberg. Vgl. Kunsthistorische Institute im Internet / Hans Dieter Huber. //_In: Kunstchronik. - (1) // 50 (1977),2, S. 91 - 92 sowie Kunsthistorische Institute englischsprachiger Länder im WWW / Hans Dieter Huber. //_In: Kunstchronik. - 50 (1997),6, S. 293 - 294. (zurück)
[3]
http:\\www.rz.user.uni-heidelberg.de/~ja6/MagDiss (zurück)
[4]
Einen möglichen Ausgangspunkt bietet:
http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/fachref/kunst/quellen.htm (zurück)
[5]
Das Répertoire internationale de la littérature de l'art (RILA) wird für den Zeitraum von 1975/89 als Datenbank ohne Zugriffsbeschränkung angeboten und erspart so dem Literatursuchenden das zeitaufwendige Blättern in den entsprechenden Bänden unserer wichtigsten Bibliographie: http://www.ahip.getty.edu/aka/aka_form_pub.html (zurück)
[6]
http://www.ahip.getty.edu
Eine Besprechung der verschiedenen Projekte ist für Jg. 6 (1998) von IFB vorgesehen. (zurück)

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