Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 3/4
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Die deutsche Literatur im späten Mittelalter


97-3/4-319
Die deutsche Literatur im späten Mittelalter . - München : Beck. - 23 cm. - (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart ; 3)
[4061]
Teil 1. 1250 - 1350 / von Helmut de Boor. - 5. Aufl. / neubearb. von Johannes Janota. - 1997. - XII, 568 S. - ISBN 3-406-40378-6 : DM 68.00

Die vielbändige Geschichte der deutschen Literatur, die noch immer nach ihren Begründern Helmut de Boor und Richard Newald zitiert wird, stellt das einzige Unternehmen dar, in dem sich gründliche Darstellung und Forschungsdiskussion miteinander verbinden. Sie ist das unentbehrliche Grundlagenwerk für Forschung und Lehre in der Germanistik geblieben, hat über weite Strecken inzwischen nicht nur zahlreiche Neuauflagen erfahren, sondern ist auch in der Konzeption - was etwa die Epochenzuschnitte angeht - mehrfach verändert worden. Der Verlag C.H. Beck hat die Verantwortung für dieses Standardwerk stets sehr ernst genommen: Die aufwendige rollierende Überarbeitung ist der deutlichste Beweis dafür. Problematisch am Newald/de Boor waren einzelne Lücken infolge ausstehender Bände. Wie der vor einigen Jahren erschienene 12. Bd. Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart[1] zeigt, ist der Verlag bemüht, die Lücken zügig zu schließen.

Während Bd. 12 nur in der Form des Sammelwerks überhaupt erarbeitet werden konnte, ist es für die Überarbeitung der Literaturgeschichte des späten Mittelalters gelungen, sie in die Hand eines einzigen Bearbeiters zu legen. Was dem Augsburger Altgermanisten Johannes Janota hier gelungen ist, verdient höchste Bewunderung. Da war die Fülle jüngerer Forschung zu verarbeiten, deren Intensität vom späten Mittelalter ein ganz anderes Bild gezeichnet hat, als es noch vor kurzem geläufig gewesen ist. Die Teilung dieses 3. Bd. des Gesamtwerks in zwei Halbbände, von denen hier der erste vorliegt, ist eine unmittelbar auch die Entwicklung der mediävistischen Germanistik reflektierende Konsequenz.

Die hier in den Blick genommene nachstaufische unterscheidet sich von der Dichtung der staufischen Klassik unter anderem durch völlig veränderte Grundlagen: Während in der Stauferzeit bei aller ausgeprägten Individualität der Autoren das einheitliche Kultur- und Bildungsbewußtsein einer geschlossenen Elite zugrunde lag, zerbrachen danach politische und soziale Ordnungen und mit ihnen die Vorstellungen über verbindliche Werte. Die Literatur reagierte darauf mit einer unübersichtlichen Vielfalt neuer Bemühungen, ohne in der Fiktion das Chaos der Wirklichkeit zu einer neuen einheitlichen Gestalt bringen zu können. Das Phänomen des Epigonalen ist eine der Signaturen der spätmittelalterlichen Dichtung, das allenthalben anzutreffen ist und die späte Heldenepik, etwa der Dietrichepik, ebenso bestimmt wie die Kleinepik mit ihrem moralischen, anekdotischen und erotischen Erzählgut, aber auch die spätere Minnelyrik der Nachfahren der "Wiener Schule" und die Sangspruchdichtung sowie die Lehrdichtung (z.B. eines Seifried Helbling) und die religiöse Literatur mit biblischen Dichtungen und Heiligen- und Teufelslegenden.

Die gewählte Ordnung nach Gattungen erweist sich als der glücklichste Zugriff, um alles, was in der Literatur dieser Epoche durch- und ineinanderliegt, zur Anschauung zu bringen, auch wenn dazu die Darstellung "oft mehr das Wollen als das Können werten und auch Dichtern und Werken geringeren Ranges eine Aufmerksamkeit schenken [muß], die ihre künstlerische Leistung nicht fordern dürfte" (S. VII).

Ein etwa 60seitiger bibliographischer Anhang weist die noch nicht überholte ältere und die neueste Fachliteratur nach (die Titelaufnahmen bieten Vornamen durchweg nur mit Initialen), eine chronologische Tabelle stellt die Literaturgeschichte in die allgemeinen historischen Zusammenhänge und ein Namen- und Werkverzeichnis ermöglicht, den Band als Nachschlagewerk zu benutzen. Man kann diese Neubearbeitung ohne jede Einschränkung ein Ruhmesblatt der Älteren Germanistik nennen.

Hans-Albrecht Koch


[1]
Vgl. IFB 95-1-075. (zurück)

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