Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
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Bibliographie zur Geschichte der Demokratiebewegung in


97-1/2-224
Bibliographie zur Geschichte der Demokratiebewegung in Mitteldeutschland (1789 - 1933) / Karsten Rudolph ; Iris Weuster. - Weimar [u.a.] : Böhlau, 1997. - 120 S. ; 22 cm. - (Demokratische Bewegungen in Mitteldeutschland ; 6). - ISBN 3-412-08696-7 : DM 45.00
[4098]

Der Titel des hier vorzustellenden Bändchens enthält gleich zwei schillernde Begriffe: Zum einen ist auch dem historisch und politisch vorgebildeten Leser nicht unmittelbar einleuchtend, was denn die Demokratiebewegung sein soll, zum anderen erscheint auch der Begriff Mitteldeutschland nicht ganz unproblematisch. Die Einleitung der beiden Bochumer Historiker Iris Weuster und Karsten Rudolph trägt in beiden Fällen nicht viel zur Klärung der Begriffe bei. Erst aus der Gliederung geht hervor, daß unter Mitteldeutschland die - zum Teil erst im Gefolge des Ersten Weltkriegs geschaffenen - Länder Sachsen, Thüringen und Anhalt verstanden werden.

Die Bibliographie, die insgesamt knapp 1200 Einträge verzeichnet, gliedert sich in einen allgemeinen und einen sowohl chronologisch als auch regional strukturierten speziellen Teil. Der allgemeine Teil präsentiert in vier Gruppen die archivalischen und bibliographischen Hilfsmittel, grundsätzliche Überlegungen zu Fragen der Regionalgeschichte, Quellensammlungen und Biographisches. Jede dieser Gruppen ist wiederum untergliedert nach den Ländern Sachsen, Thüringen und Anhalt. In der Gruppe, die die Hilfsmittel verzeichnet, fällt auf, daß im Abschnitt über Sachsen zwar die Bibliographie zur sächsischen Geschichte von Rudolf Bemmann und Jakob Jatzwauk aus den Jahren 1918 bis 1932 und die Bibliographie zur Geschichte der Stadt Leipzig aus den frühen 70er Jahren verzeichnet werden, die periodisch erscheinende Sächsische Bibliographie, die seit 1962 an der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden erarbeitet wird, aber vergessen wurde.[1] In der Thüringen-Gruppe werden die Bibliographie zur thüringischen Geschichte von Hans Patze aus dem Jahr 1965 sowie die laufende Thüringen-Bibliographie, die von der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek in Jena verantwortet wird, genannt,[2] was jedoch fehlt, ist die 1982 erschienene Bibliographie zur Geschichte der Stadt Weimar von Gitta Günther und Lothar Wallraf. Im Abschnitt über Anhalt findet zwar die Bibliographie zur Geschichte von Anhalt von Reinhold Specht aus dem Jahr 1930 Erwähnung,[3] befremdlicherweise bleibt aber die landeskundliche Regionalbibliographie Sachsen-Anhalt, die seit 1965 an der Universitäts- und Landesbibliothek in Halle erarbeitet wird, ausgespart.[4] Diese gravierenden Lücken im allgemeinen Teil der Bibliographie lassen bereits ernsthafte Zweifel an der Gründlichkeit des Unternehmens aufkommen.

Die Gliederung des speziellen Teils erfolgt zeitlich und räumlich in überschaubare Abschnitte. Der Gesamtzeitraum 1789 bis 1933 wird in drei Großgruppen (1789/1871, 1871/1918, 1918/1933) mit insgesamt 8 Unterabschnitten unterteilt, die dann jeweils nach den Ländern Sachsen, Thüringen und Anhalt weiter differenziert werden. Diese feine Untergliederung führt zu zahlreichen Mehrfachverzeichnungen (vgl. Nr. 382/406, Nr. 612/639, Nr. 798/850 u.ö.). Unbefriedigend ist auch, daß die Bibliographie von Rudolph und Weuster in einem ungewöhnlichen Umfang Magister-, Staatsexamens- und Diplomarbeiten verzeichnet, die über den Leihverkehr in der Regel nicht zu beschaffen sind.[5] Für eine über die Systematik hinausgehende Erschließung muß ein Verfasserregister ausreichen. Es sind also weder - was sich bei einer Regionalbibliographie angeboten hätte - lokale Bezüge noch Sachbezüge ohne weiteres auffindbar.

Außer über die zahlreichen Unzulänglichkeiten im Detail ist der Rezensent immer wieder über das Problem der Definition des Begriffs Demokratiebewegung gestolpert. In ihrem einseitigen Blick auf sozialdemokratische (und später dann kommunistische) Traditionen kriegen die beiden Bibliographen den 'bürgerlichen' Anteil dieser Demokratiebewegung einfach nicht in den Blick. Dabei gingen zumindest bis 1863 die demokratischen Tendenzen in den bürgerlichen und in den unterbürgerlichen Schichten Hand in Hand. Erst in den Konflikten in den Arbeiterbildungsvereinen, die zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Vereins führten, kam es dann zur "Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie" - was jedoch impliziert, daß auch nach 1867 demokratische Tendenzen im Bürgertum fortwirkten. Nach dem "Steckenbleiben" (Wehler) der Revolution von 1848/49 war es im politischen Bereich der Deutsche Nationalverein, der den nationalen Gedanken mit dem demokratischen Impuls in Einklang zu bringen wußte. Zu dessen Mitbegründern gehörte mit Hermann Schulze-Delitzsch - der aus Delitzsch in Sachsen stammte und dort auch seinen Wirkungskreis hatte - der Gründervater der deutschen Genossenschaftsbewegung. Literatur über diesen wichtigen Vertreter der bürgerlich-demokratischen Bewegung im 19. Jahrhundert sucht man bei Rudolph/Weuster jedoch vergebens. Insgesamt legt der Benutzer dieses Bändchen unbefriedigt, wenn nicht gar verärgert aus der Hand. So interessant der Gegenstand erscheinen mag, die bibliographische Aufbereitung, die er hier erfährt, ist gänzlich unzureichend.

Frank Simon-Ritz


[1]
Der letzte Band für das Berichtsjahr 1994 erschien 1996. (zurück)
[2]
Die Aufnahme der Thüringen-Bibliographie (Nr. 79) sieht bei Rudolph/Weuster jedoch so aus, als hätte diese Regionalbibliographie mit dem Erscheinen des Bandes für das Berichtsjahr 1988 ihren Geist ausgehaucht. Die Bände für die Berichtsjahre 1989, 1990 und 1991 werden einfach unterschlagen. Dies ist jedoch nicht nur ein Problem der bibliographischen Beschreibung, vielmehr scheinen diese Bände den Bochumer Bibliographen tatsächlich entgangen zu sein. (zurück)
[3]
Auch bei dieser Bibliographie (Nr. 87) läßt die bibliographische Beschreibung sehr zu wünschen übrig. Weder das Erscheinungsjahr des Grundbandes wird erwähnt, noch erfährt der Benutzer, daß es 1935 einen Ergänzungsband für die Jahre 1930 bis 1935 gegeben hat. Am wenigsten geht aber aus den Angaben von Rudolph und Weuster hervor, daß es 1991 einen Reprint dieser beiden Bände gegeben hat, der begleitet wurde von zwei Nachtragsbänden für die Jahre 1936 bis 1980 und 1981 bis 1990. (zurück)
[4]
Die ersten Bände erschienen unter dem Titel Sachsen-Anhalt : landeskundliche Regionalbibliographie für die Bezirke Halle und Magdeburg; seit dem Band für die Berichtsjahre 1989/90 führt sie den Titel Sachsen-Anhalt : Regionalbibliographie. Der letzte (Doppel-)Band für die Berichtsjahre 1993/94 erschien 1995. (zurück)
[5]
Im Abschnitt zu Sachsen im Zeitraum 1924 bis 1933 sind 86 Dokumente verzeichnet, von denen haben 29 den Charakter einer solchen akademischen Erstlingsarbeit. (zurück)

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