Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
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Wörterbuch Sport und Sportmedizin


97-1/2-205
Wörterbuch Sport und Sportmedizin / Michael Kent (Hrsg.). Deutsche Übers. und Bearb.: Katja Rost und Richard Rost. - Wiesbaden : Limpert, 1996. - VIII, 473 S. ; 25 cm. - Einheitssacht.: Oxford dictionary of sports science and medicine <dt.>. - ISBN 3-7853-1591-0 : DM 49.80
[4005]

"Dieses Nachschlagewerk enthält das umfassende Wissen aus Sportwissenschaft und Sportmedizin." So steht es auf dem Buchrücken des Wörterbuchs Sport und Sportmedizin, und der Leser fragt sich, warum es denn angesichts der bereits vorliegenden sportwissenschaftlichen Wörterbücher[1] einer weiteren Publikation dieser Art bedarf. Es handelt sich beim Wörterbuch Sport und Sportmedizin jedoch um eine Übersetzung aus dem Englischen, und gerade hierin sehen zumindest die Übersetzer die Rechtfertigung der Publikation: "Im Zuge der Internationalisierung der Wissenschaften ist [...] der vorliegende Ansatz, vom englischen Sprachbereich auszugehen, reizvoll und nützlich. Schließlich ist gerade auch die Literatur inzwischen international, wobei Englisch sich als führende Wissenschaftssprache [...] weitgehend etabliert hat." Es handelt sich demnach - und das ist laut Vorwort das neue - "um ein Nachschlagewerk, das besonders die Internationalität der Wissenschaftssprache berücksichtigen will." Diese Behauptung wirft allerdings angesichts des vorliegenden Produkts entscheidende Fragen auf.

Zunächst sei jedoch an folgendes erinnert:

- Die Funktion von Fachlexika und -wörterbüchern besteht darin, daß sie den speziellen Wortschatz eines bestimmten Faches in einem bestimmten Sprachkreis (z.B. im Deutschen oder im Englischen) nach bestimmten Gesichtspunkten auswählen, geordnet darstellen und erklären bzw. übersetzen;

- Es gibt keine internationale Sprache, sondern allenfalls eine nationale Sprache, der diese Funktion zuerkannt wird.

Internationalität im Sprachbereich kann folglich nur hergestellt werden, indem eine nationale Sprache, die gleichzeitig der internationalen Kommunikation dient, in eine - für den Leser stets nachvollziehbare - Relation zu einer bestimmten oder zu mehreren anderen nationalen Sprachen gestellt wird. Kommt dem Englischen in der Wissenschaft also die Funktion einer internationalen Sprache zu, so kann es - unter dem Zielaspekt der Internationalität - sinnvollerweise nur darum gehen, die Fachsprache eines anderen Landes ins Englische zu übertragen, während der umgekehrte Weg das Bemühen um Internationalität eher konterkariert.

Wie sind nun angesichts dessen die Intention und Vorgehensweise des Wörterbuchs Sport und Sportmedizin konkret zu werten? Daß in diesem Wörterbuch der in der englischsprachigen Sportwissenschaft und -medizin gebräuchliche Wortschatz ins Deutsche übersetzt wird, hat folgende Konsequenzen:

- Dadurch, daß in den allermeisten Fällen, der englische Ausgangsbegriff weggelassen wird und obendrein noch die ursprüngliche alphabetische Reihenfolge der englischen Originalbegriffe durch die neue alphabetische Anordnung der deutschen Übersetzungen ersetzt wird, ist der Ursprung der meisten Begriffe nicht mehr klar. Dies ist umso ärgerlicher, als viele englische Begriffe nur durch deutsche "Neuschöpfungen" übersetzt werden können, die bislang in keinem original deutschen Lexikon der Sportwissenschaft zu finden sind. Trainingsschwelle, Überpotentialtraining, Grundloser Krawall, "Große Männer", Theorie der Führerschaft [!], Loslaßpunkt, Nachwuchsläufer-Ferse [!], Übungsanalyse, Bewegungspsychologie, Trainerklischee sind nur einige Beispiele. Dadurch wird der ohnehin schon beklagenswerte Begriffswirrwarr in der deutschsprachigen Sportwissenschaft unnötig noch weiter erhöht. Es irritiert zusätzlich, daß in Einzelfällen englische Lemmata mit deutschen Neuschöpfungen übersetzt werden, obwohl etablierte deutsche Übersetzungen bereits vorliegen. So werden z.B. die englischen Wortkombinationen massed practice und distributed practice mit Trainingspraxis, verteilte und Praxiszentrierung (kein Haupteintrag, obwohl verwiesen!) übersetzt, obwohl die wörtlichen Übersetzungen Gehäufte Übung und Verteilte Übung in der deutschen Sportwissenschaft gebräuchlich sind. Grundsätzlich gilt: Wörterbücher sollten Sprache wiedergeben, nicht jedoch neu schaffen!

- Da in der englischsprachigen Sportwissenschaft viele Schlüsselbegriffe der deutschsprachigen Sportwissenschaft keine entsprechende Rolle spielen, fehlen sie im englischen Original und damit auch in der deutschen Übersetzung. Zu diesen Begriffen gehören z.B.: Alterssport, Anforderungsprofil, Bewegungsanalyse, Bewegungslehre, Bewegungssteuerung, Kondition, Konditionstraining, Leistungsdiagnostik, Leistungsfähigkeit, Leistungssteuerung, Motorik, Psychomotorik, Schnelligkeit, Schnelligkeitsausdauer, Spielreihe, Techniktraining, Trainingslehre, Trainingsumfang, Trainingswissenschaft, Turnen. Daß obendrein Kernbegriffe wie beispielsweise Olympische Spiele, Sportpädagogik, Sportphilosophie, Sportpublizistik und Sportstättenbau fehlen, ist für ein deutschsprachiges Wörterbuch Sport und Sportmedizin völlig inakzeptabel, und der Titel des Nachschlagewerks ist insofern irreführend.

- Die Gelegenheit, dem Deutschsprachigen beim Verständnis einen internationalen Leserkreis ansprechender und folglich in Englisch verfaßter Fachpublikationen zu helfen, wird durch die (jeglichem internationalen Anspruch widersprechende) Reduzierung auf das bloß Deutsche verspielt. Diese Hilfestellung hätte geleistet werden können, wenn man aus der original englischen Ausgabe eine zweisprachige englisch-deutsche gemacht hätte. Im vorliegenden Falle muß der international interessierte Leser raten, was denn wohl die nicht einfach zu übersetzenden Wörter Muskelkater, Gymnastik oder Leistungsträger im Englischen heißen mögen. Sehr hilfreich wäre hier schon gewesen, wenn man zumindest die ursprünglichen englischen Lemmata den deutschen Übersetzungen in Klammern beigefügt hätte.

Ein bereits im englischen Original angelegter Nachteil ist die - übrigens auch in deutschsprachigen sportwissenschaftlichen Lexika zu findende - mangelnde Durchsichtigkeit der Kriterien, die der Auswahl der Lemmata zugrundeliegen. Was eher allgemeine Lemmata wie Absicht, Begegnung, Bürokratie, Konsens, Kontext, Rücksichtnahme oder Überlegung - trotz aller Interdisziplinarität der Sportwissenschaft - in einem sportwissenschaftlichen Wörterbuch zu suchen haben (zumal in den dazugehörigen Erklärungen kein Sportbezug hergestellt wird), ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Aufnahme speziellerer Lemmata wie beispielsweise Gebären, Geschmack, Nagelbetteiterung, Stuhl (für Exkremente) oder Kriminelle Subkultur, wobei letzteres wohl eher in einem Wörterbuch der Kriminologie zu erwarten wäre.

Unverständlich ist auch die Wortstellung bei Lemmata, die sich aus mehreren Bestandteilen zusammensetzen. So wird einmal das Substantiv vorangestellt, ein andermal nicht: Die ohnehin fragwürdigen Lemmata Publikum, Fachkunde des und Publikum, Feindseligkeit des finden sich neben Unsichtbares Publikum; es heißt Trainingsprinzipien, allgemeine, aber Allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit und Allgemeines Führungsverhalten. Wer würde - wenn überhaupt - Lemmata wie Neuer Vegetarier, Nicht dem Willen unterworfene Muskulatur und Niveau der Informationsspeicherung unter N, Höchste aerobe Leistungsfähigkeit unter H, Fehlendes Engagement im Sport unter F und Streng kalorienreduzierte Diät unter S suchen? Dies ist um so absurder, als man die Lemmata Muskulatur, Informationsspeicherung, Leistungsfähigkeit und Engagement oder Sportengagement im Wörterbuch Sport und Sportmedizin vergeblich sucht.

Für ein Wörterbuch unverzeihlich sind des weiteren sowohl Rechtschreibefehler in den Haupteinträgen, wie beispielsweise Informatiosnutzung, Theorie der, Rippfellentzündung oder Ungewißtheit, Gefühl der als auch Übersetzungsfehler wie Vegan (für engl. vegan) statt richtig Veganer.

Bleibt abschließend festzuhalten, daß es sich bei dem Wörterbuch Sport und Sportmedizin nicht nur um einen mißlungenen, sondern sogar um einen sowohl im Ansatz als auch Ergebnis unsinnigen Versuch handelt, die Internationalität der sportwissenschaftlichen Terminologie dar- bzw. herzustellen. Der Leser sei daher an das 1994 bei Oxford University Press unter dem Titel The Oxford dictionary of sports science and medicine[2] erschienene englischsprachige Original verwiesen und möge den internationalen Bezug durch einen Abgleich mit vorliegenden original deutschen sportwissenschaftlichen Lexika selbst herstellen.

Jürgen Schiffer


[1]
Siehe Sportwissenschaftliche Lexika : Analyse ausgewählter Aspekte / von Jürgen Schiffer. // In: IFB 2 (1994),3/4, S. 746 - 754. (zurück)
[2]
The Oxford dictionary of sports science and medicine / Michael Kent. - Oxford : Oxford University Press, 1994. - XII, 490 S. : Ill., graph. Darst. - ISBN 0-19-262263-3 : œ 17.95. (zurück)

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