Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Storia della civiltà letteraria russa


97-1/2-165
Storia della civiltà letteraria russa / dir. da Michele Colucci ... - Torino : UTET. - 27 cm. - Lit. 390.000
[3985]
1. Dalle origini alla fine dell'Ottocento. - 1997. - XX, 789 S. : Ill. - ISBN 88-02-05177-1
2. Il Novecento. - 1997. - XII, 897 S. : Ill. - ISBN 88-02-05177-1
Dizionario, cronologia. - 1997. - VI, 405 S. - ISBN 88-02-05176-3

Die ungewöhnliche Kombination einer zweibändigen Geschichte der russischen Literatur und eines Autoren- und Sachlexikons als 3. Bd. hat der Verlag Utet in Turin 1997 in italienischer Sprache vorgelegt. Das Werk enthält ferner im 2. Bd. der Literaturgeschichte eine sehr umfangreiche Bibliographie, gute, teils farbige Illustrationen und im Lexikonband eine Synopse literarischer, kultureller und historischer Daten Rußlands und des außerrussischen Bereichs.

Die von Michele Colucci und Riccardo Picchio herausgegebene Literaturgeschichte besteht aus gut geplanten, relativ selbständigen Einzelartikeln, für die von den Herausgebern weitere 28 Wissenschaftler herangezogen wurden, vor allem Italiener, aber auch einige Ausländer wie M. Aucouturier oder Jean Bonamour aus Frankreich. Die Grenze zwischen den beiden Bänden bildet das Ende des 19. Jahrhunderts. Von den neun Teilen, in die das Werk gegliedert ist, sind sieben der weitgehend üblichen Periodisierung der russischen Literaturgeschichte angepaßt. Im vierten - "Vorromantik und Romantik" - schrieb Jurij Lotman aus Tartu, einer der bedeutendsten russischen Wissenschaftler, das Pudkin-Kapitel von 30 Seiten, im siebten - "Die sowjetische Ära" - stammt der Beitrag über den Formalismus von Victor Erlich (Yale University), während das achte die mündlich überlieferte Dichtung und das neunte aufschlußreiche Sonderfragen behandelt, wie Literaturkritik (René Wellek), Entstehung der russischen Schriftsprache, Geschichte der Verslehre (Stefano Garzonio), Verhältnis der Literatur zu anderen Künsten (Michaela Böhmig), der russisch-jüdischen Dichtung (Danilo Cavaion) und den russisch-italienischen Beziehungen (Cesare G. De Michelis). Bei den historisch gegliederten Teilen sind die ersten Kapitel in vertrauter Weise übergreifenden, den gesamten Zeitraum betreffenden Fragen gewidmet, die weiteren einzelnen Autoren oder - bei geringerer Bedeutung - mehreren vergleichbaren. In die Betrachtung der russischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts ist die Emigration einbezogen, die Literatur dieser Zeit wird also richtig als Einheit erfaßt. Aber hinsichtlich der Emigration ist es ein erhebliches Versäumnis, daß die im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg ausgereisten Autoren wie Anstej, Elagin, Klenovskij, Morzen, Narokov, Skrjabina unberücksichtigt blieben. Aufbau und jeweiliger Umfang der Beiträge über die einzelnen Schriftsteller sind ausgewogen, auf Autoren wie Aldanov, Brjusov, Katenin, Remizov, Sersenevic oder Zukovskij entfallen zwei bis drei Seiten, bekanntere wie Esenin, Leskov oder Goncarov erhielten fünf bis sieben. Die durchgehend klare Gliederung in Biographie und Werkinterpretation zeigt die sorgfältige Arbeit der Herausgeber.

Die Bibliographie wurde von Giovanna Moracci bearbeitet. Sie umfaßt 140 Seiten - bei gesonderter Aufführung der einzelnen Titel wären es 500 Seiten gewesen - und ist eine wissenschaftlich große Leistung. Hier finden sich viele neue Titel der Primär- und Sekundärliteratur, sie ist nicht auf Monographien beschränkt. Angesichts der seit der Aufhebung der sowjetischen Zensur in Rußland erscheinenden Werke von Emigranten und erweiterter Ausgaben teilweise oder vollständig unterdrückter Autoren hat diese Bibliographie eine grundsätzliche Bedeutung. Zwar überwiegen Titel auf Italienisch, doch ergänzt sie z.T. auch die Angaben zu den 300 russischen Schriftstellern, die in Kindlers neuem Literaturlexikon vertreten sind. Indessen, was nutzt die Titelfülle, wenn es höchst langwierig ist, eine Bibliographie zu benutzen. Diese ist in der Anordnung dem Textteil angepaßt und enthält keine Orientierungshilfen - weder eine teilweise alphabetische Ordnung, noch eine unterschiedliche Hervorhebung der Autoren der Primär- und der Sekundärliteratur. Nicht einmal Kolumnentitel erleichtern das Suchen. Sie ist auch nicht in das Register einbezogen.

Das von anderen Autoren geschriebene Lexikon erfaßt Personen und Sachbegriffe in einem Alphabet. Dabei sind nicht nur Schriftsteller aufgenommen, sondern auch Literaturwissenschaftler, Philosophen, Maler, Musiker und historisch wichtige Personen. Dementsprechend wurden nicht nur literarische Begriffe und Zeitschriften ausgewählt, sondern auch Termini zur russischen Kulturgeschichte und Geschichte im allgemeinen. Selbstverständlich sind alle berühmten Autoren vertreten, doch bei den weniger bekannten, sind - im Unterschied zu den beiden anderen Bänden - in Auswahl und zugemessenem Umfang geringe Sachkenntnis und ein Fortwirken der sowjetischen Literaturgeschichtsschreibung erkennbar. Auf kommunistische Propagandaautoren, von denen schon während der Ausarbeitung dieses Lexikons in Rußland kaum noch einer sprach, wie Dolmatovskij, Capygin oder Furmanov hätte man verzichten sollen, hingegen wären Emigranten, die eine kulturpolitisch wesentliche Rolle über das eigene dichterische Schaffen hinaus gespielt haben, wie G. Adamovic oder N. Ocup erheblich notwendiger gewesen. Der literaturgeschichtliche Teil legt diesen Maßstab an. Dort hat Adamovic ein eigenes Kapitel von drei Seiten, bleibt Dolmatovskij unerwähnt. Einmalig in einem Lexikon im Bereich der russischen Literatur dürften Beiträge über die Primaballerina Maja Pliseckaja (nach Rom emigriert), den Komponisten A. Chacaturjan, den Maler Mark Chagall, den Zaren Ivan IV., Stalins Außenminister Vjaceslav Molotov oder den berühmtesten Dissidenten Andrej Sacharov sein. Unter den Literaturwissenschaftlern finden sich außer bekannten Russen auch Lo Gatto, George Nivat und Arturo Cronia. Die Lexikonbeiträge selbst sind auf geringem Niveau, enthalten aus wenigen Quellen kompilierte Informationen zur Biographie (nur Geburts- und Todesjahr), Nennung einiger Werke. Viele Daten sind veraltet, z.B. sind bei den Todesjahren der Terroropfer (Babel', Florenskij, Klyckov u.a.) noch die sowjetischerseits verfälschten, aber mindestens seit 1992 korrigierten, genannt, fehlen Todesjahre der letzten Zeit (z.B. Maksimov 1995). Die Bibliographien zu den Autoren sind in dem relativ umfangreich gehaltenen Bereich der Übersetzungen ins Italienische möglicherweise gut, im übrigen unverantwortlich veraltet, also offensichtlich nicht mit der Gesamtbibliographie des zweiten Bandes abgestimmt. So wird bei Leonov als größte Ausgabe eine von 1960 - 1962 genannt, in der Gesamtbibliographie aber die zehnbändige von 1981 - 1984. Nur hier fehlt z.B. die wichtigste Ausgabe der Werke von Georgij Ivanov, einer dreibändigen, bereits in Moskau edierten von 1994, hier bleibt Zamjatins Roman My auf die New Yorker Ausgabe von 1952 (!) beschränkt, das Ereignis der Veröffentlichung in Moskau 1988 war dem Lexikonautor unbekannt, hier wird von G. Ajgi keine einzige russische Ausgabe erwähnt, weder die erste Münchner von 1976 noch eine der neuen, ersten Moskauer. Der Verlag scheint sich um eine Koordination nicht gekümmert zu haben.

Die Zeittafel stellt historische und kulturelle Ereignisse in Rußland denen im Westen gegenüber. Das Register des 2. Bd. der Literaturgeschichte bezieht das Lexikon nicht mit ein. Die Sachartikel umfassen ebenfalls ein erheblich breiteres Feld als im literarischen Kontext üblich und können viele Anregungen bieten.

Der große Umfang des Werkes wird in der Regel bedingen, daß es nur auszugsweise gelesen und zum Nachschlagen verwendet wird. Für die italienischen Slavisten ist ein Standardwerk geschaffen worden, bei dem lediglich die geringe Qualität des dritten Bandes, des Lexikons, zu bedauern ist. Die eigentliche Literaturgeschichte, die von den Anfängen bis in die postsowjetische Zeit reicht, hat ihre Besonderheit in einer angemessenen Einbeziehung der Randgebiete wie Philosophie, anderen Künsten, Journalismus und Geschichte, sowie einer Erweiterung um weniger bearbeitete Sonderbereiche. Die wissenschaftliche Qualität vieler Beiträge und die Breite der Fragestellung gibt diesen Bänden internationale Bedeutung.

Wolfgang Kasack


Zurück an den Bildanfang