Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
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Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau


97-1/2-155
Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau / publ. sous la direction de Raymond Trousson et Frédéric S. Eigeldinger. - Paris : Champion, 1996. - 961 S. ; 24 cm. - (Dictionnaires & références ; 1). - ISBN 2-85203-604-5 : FF 480.00. - (Editions Slatkine, 5, Rue des Chaudronniers 5, CH-1211 Genève)
[3856]
97-1/2-156
A Rousseau dictionary / N. J. H. Dent. - 1. publ. - Oxford [u.a.] : Blackwell, 1992. - VII, 279 S. ; 23 cm. - (The Blackwell philosopher dictionaries). - ISBN 0-631-17568-7 (hb) : (vergriffen) - ISBN 0-631-17569-5 (pb) : œ 15.99
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Mit dem Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau ist ein umfassendes Nachschlagewerk zu einem Autor erschienen, dessen Bibliographie, wie die Herausgeber im Vorwort erwähnen, bereits annähernd so umfangreich geworden ist wie die eines Dante oder eines Shakespeare - und damit annähernd so unübersichtlich, vielleicht in manchem noch unübersichtlicher, bedenkt man die Vielfalt der Aspekte im Werk Rousseaus und das breite Spektrum von Spezialisten, die sich mit diesem Werk befaßt haben und immer noch befassen: nicht nur Literaturwissenschaftler und Philosophen, sondern zudem Politologen, Juristen, Soziologen, Linguisten, Psychologen, Ethnologen, Musikwissenschaftler, Botaniker usw. (vgl. Vorwort, S. 8). In Anbetracht sowohl der Fülle als auch der Unübersichtlichkeit der Forschungsliteratur zu Rousseau kann ein einbändiges Lexikon gewiß keine Vollständigkeit erreichen oder auch nur anstreben: "Un tel Dictionnaire ne saurait être ni complet ni parfait. En pareille matière, l'exhaustivité est un mythe et du reste ne constitue pas une fin en soi" (S. 9). Trotz dieser weisen und eventuellen Einwänden zuvorkommenden Erkenntnis verfolgen - worauf auch das der von Diderot und d'Alembert herausgegebenen Encyclopédie entnommene Zitat verweist, das das Vorwort abschließt - die Herausgeber des Lexikons doch in gewissem Sinne eine enzyklopädische Absicht: Das Ziel dieses Bandes besteht darin, "de faire le point, de rassembler nos connaissances sur toutes les facettes de son oeuvre et de sa pensée" (S. 8), so daß zwar gewiß nicht alle Kenntnisse und Erkenntnisse unmittelbar zugänglich gemacht, aber doch Wege zu ihnen gewiesen werden können.

Dies geschieht in etwa 700 von Spezialisten verfaßten Artikeln, die sich in vier Kategorien gliedern lassen: Werke Rousseaus, von ihm behandelte Themen sowie Personen, mit denen, und Orte, an denen er verkehrte - wobei dieser Verkehr in einem sehr weiten Sinne aufzufassen ist, denn unter den im Lexikon vertretenen Personennamen finden sich nicht nur Personen wie Diderot oder Madame de Warens, denen Rousseau gleichsam leibhaftig begegnete, sondern auch Namen wie die von Homer oder Jesus, die eine andere, aber ebensowenig vernachlässigbare Rolle für Rousseaus Leben, sein Denken und seine Werke spielten. Die Artikel über einzelne Werke, zu denen auch Fragmente und erst postum veröffentlichte Texte zählen, führen jeweils zunächst die Entstehungs- und Veröffentlichungsdaten auf, beschreiben die existierenden Handschriften, fassen den Inhalt des Textes mehr oder weniger kurz zusammen und liefern dann eine Interpretation sowie einen Überblick über den Forschungsstand zum jeweiligen Text. Abschließend werden die wichtigsten, vor allem die kritischen Ausgaben und die grundlegenden Titel aus der in aller Regel mehr als umfangreichen Sekundärliteratur genannt. Eine solche Kurzbibliographie findet sich auch am Ende aller übrigen Einträge; zuvor wird bei den Personen- und Ortsartikeln außerdem - gegebenenfalls - auf die Passagen in Rousseaus Werk oder Korrespondenz verwiesen, in denen die betreffenden Personen oder Orte erwähnt werden. Die mehr als 200 Themenartikel[1] hingegen nehmen in den fortlaufenden Text nicht nur zahlreiche Zitate auf, sondern darüber hinaus sehr viele konkrete Verweisungen auf die verschiedensten Schriften Rousseaus (mit Angabe der Band- und Seitenzahl der Oeuvres complètes bzw. der Correspondance complète), wobei oft eine Art Rousseau-spezifischer "Begriffsgeschichte" geschrieben wird, indem beispielsweise auf eine handliche Definition des Begriffs Bonheur verzichtet wird, um statt dessen die unterschiedliche Verwendung des Wortes von den frühesten Schriften an bis zu den Rêveries nachzuzeichnen. Zudem wird der enzyklopädische Anspruch hier wie generell auch dadurch zu verwirklichen versucht, daß teils am Ende der Artikel, teils und vor allem im Text auf andere Einträge verwiesen wird, so daß oft ein punktueller Einstieg die Verbindung zu sehr vielen anderen Punkten herzustellen erlaubt.

Die Länge der einzelnen Beiträge variiert naturgemäß sehr stark: Umfassen manche Einträge nur wenige Zeilen, erreichen andere, wie etwa der über die Confessions, der zu den Oratoriens oder der Artikel Botanique, mehrere Seiten, so daß auf dem verhältnismäßig knappen Raum eines nicht einmal 1000 Seiten starken Lexikons doch eine recht differenzierte Darstellung möglich ist.

Nicht zuletzt darin unterscheidet sich der Band grundlegend von dem 1992 erschienenen Rousseau dictionary von N. J. H. Dent, auf das die Herausgeber in ihrem Vorwort Bezug nehmen. Das Werk besitzt mit seinen ca. 280 Seiten, von denen allerdings nur ca. 220 Seiten auf den Lexikonteil entfallen, einen ungleich geringeren Umfang als das Dictionnaire und legt den Schwerpunkt gezielt auf einen Aspekt, nämlich auf den Philosophen Rousseau. Entsprechend wurden bedeutend weniger Stichwörter aufgenommen - in erster Linie die Hauptwerke und wichtigsten Gedanken Rousseaus, daneben einige wenige Artikel zum zeitgeschichtlichen Hintergrund oder zusammenfassend zu kleineren Werken -, die Artikel sind kürzer, summarischer als im französischen Pendant und bieten weniger direkten Textbezug. So begnügt sich etwa der Artikel über Julie ou La nouvelle Hélo‹se weitgehend mit der Entstehungsgeschichte und einer Inhaltsangabe des Romans; als Kommentar werden nur kurz drei Interpretationsthesen - leider ohne Nennung ihrer jeweiligen Verfechter - genannt, während im Dictionnaire der Kommentar den Umfang der Inhaltsangabe weit überschreitet und viele für den Roman wesentliche Fragen anschneidet, beispielsweise zu Struktur und Sprache des Romans, zur Gattung des Briefromans, zu Bezügen zu weiteren Texten Rousseaus oder anderer Autoren etc. Ähnliches fällt auch im Artikel über die Rêveries du promeneur solitaire auf: Das englischsprachige Lexikon begnügt sich wiederum nahezu mit einer knappen Zusammenfassung dessen, was die zehn Spaziergänge "erzählen", sagt aber nichts etwa zur Problematik des Begriffs "rêverie", sondern verwendet ihn ungefähr so wie das heutige Wort "Träumerei". Demgegenüber widmet das französiche Lexikon allein dem Begriff einen eigenen, über sechs Spalten umfassenden Artikel, um anschließend in fast 18 Spalten ausführlich auf dieses letzte und bedeutende Werk Rousseaus einzugehen. Dieselben Tendenzen gelten für die Sammelartikel zu kleineren Werken oder auch für die Sachartikel. So gründet etwa der Artikel Women ausschließlich auf den diesbezüglichen Aussagen im Roman Emile ou de l'éducation, während für den Artikel Femme zahlreiche unterschiedliche Texte Rousseaus - autobiographische Schriften, Romane, theoretische Werke, in anderen Fällen noch zusätzlich die Korrespondenz - berücksichtigt wurden. Eine solch nuancierte Auseinandersetzung mit dem Thema wird hier wie überall der Komplexität des Rousseau'schen Denkens natürlich weit eher gerecht als die oft zu stark reduzierende Darstellung im Rousseau dictionary.

Insgesamt läßt sich demnach festhalten, daß spätestens mit dem Erscheinen des Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau der englischsprachige Vorgänger überflüssig geworden ist, während dieses französische Lexikon sich selbst nachdrücklich empfiehlt, da es nicht nur sehr viele Aspekte anschneidet, sondern dank der breitgefächerten Darstellung und des jeweils sehr großen Spektrums an Referenztexten, verbunden mit den wichtigsten Literaturhinweisen, tatsächlich einen ausgesprochen brauchbaren und oft sehr hilfreichen Einstieg in ein Thema ermöglicht. Es bleibt nur zu wünschen, daß die etwa noch folgenden Bände der neuen Reihe Dictionnaires et références sich als ebenso erfreulich erweisen wie dieser erste Band.

Barbara Kuhn


[1]
Auch der Begriff Themen wurde von den Herausgebern eher weit gefaßt und meint nicht nur die von Rousseau und seither in der Forschungsliteratur behandelten Themen im engeren Sinne wie Amour de soi / amour propre, bonheur oder volonté, sondern ebenso Episoden aus Rousseaus Biographie bzw. zumindest aus seinen autobiographischen Schriften, z.B. die Illumination de Vincennes oder die Persécutions. Daneben lassen sich zu den Sachartikeln auch Einträge wie die zur Bibliographie rousseauiste, zu Correspondance et correspondants oder zur Geschichte der Oeuvres complètes zählen. (zurück)

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