Dabei läßt sich zunächst in Hinsicht auf die Zuverlässigkeit, Vollständigkeit und Einrichtung der Arbeit kaum Negatives sagen. Das Verzeichnis basiert auf Autopsie, und alle technischen Daten der insgesamt 1262 Positionen sind erschöpfend und korrekt beigebracht. Auch gegen die Logik der Organisation dieser Bibliographie wird man kaum etwas einzuwenden haben: Unter den Nummern 1 - 2 sind die beiden bislang erschienenen Werkausgaben Jüngers detailliert aufgeführt. Eine zweite Abteilung verzeichnet die Einzelnen Werke (Nr. 3 - 236), eine dritte die Herausgegebenen Werke (Nr. 237 - 245). Es folgen Beiträge in Büchern und Periodica (Nr. 246 - 677) - eine Sektion, die noch einmal in Einleitungen, Vor- und Grußworte, Widmungen (Nr. 246 - 274), Beiträge in Festschriften, Sammelwerken und Periodica (Nr. 275 - 671) und Entomologische Studien sowie Ernst Jünger zubenannte Käfer, Schmetterlinge u.a. (Nr. 672 - 677 sowie Ziffern 1 - 24) unterteilt ist -, des weiteren Lebenszeugnisse (Nr. 678 - 840) - auch hier eine Subdivision in Gedruckte Briefe (Nr. 678 - 752), Dokumente (Nr. 753 - 762), Gedruckte Gespräche und Interviews (Nr. 763 - 811), Gesprochene Texte auf Tonträgern (Nr. 812 - 814) sowie Film- und Fernsehaufzeichnungen, Rundfunksendungen (Nr. 815 - 849) -, dann Übersetzte Werke (Nr. 841 - 1148) und als siebte und letzte Sektion die Nachträge zu den vorstehend genannten Abteilungen (Nr. 1149 - 1262). Das Werk beschließen drei Indizes sowie eine knapp 20seitige, ebenso detaillierte wie informative Zeittafel. Redaktionsschluß dieser Arbeit war der 31. Dezember 1995.
Das Positive einer prima vista durch und durch soliden Bibliographie
beeinträchtigen jedoch einige Negativa, die schon mit der Art der
Darbietung des Materials beginnen. Mühleisens neueste
Jünger-Bibliographie ist die "vollständig überarbeitete und
erweiterte" (S. 9) Fassung einer Vorgängerin aus dem Jahre 1985.[1] Bei
so gründlicher Neubearbeitung will es dann freilich überhaupt nicht
einleuchten, warum die Ergänzungen aus dem Berichtszeitraum 1985
- 1995 (immerhin fast 120) einfach dem redigierten und verbesserten
Vorläufer als Nachträge hinterhergeschickt werden, so daß man es im
Endeffekt mit zwei Bibliographien in einem Band zu tun hat. Ein
zweiter Einwand betrifft die beinahe generelle
Benutzerunfreundlichkeit dieser Bibliographie. Hinsichtlich der Zahl
der Indizes haben sich Autor und Verlag äußerste Zurückhaltung
auferlegt. Ganze drei enthält dieses Buch: ein Werktitelverzeichnis,
eines der Periodika sowie ein Personenregister. Das mag im Zeitalter
des Computers allenfalls noch zähneknirschend hingenommen werden. Daß
aber die Titel der durchaus zahlreichen Übersetzungen nicht im
Titel-Index auftauchen, sondern stattdessen den deutschen
Original-Überschriften lediglich Nummern-Verweisungen (also auch ohne
Spezifizierung der jeweiligen Sprache) folgen, das ist nicht mehr
angängig. Denn dadurch werden gewisse Recherchen zu einem allzu
zeitaufwendigen Nachschlagen. Ein einziges Beispiel mag das
illustrieren: Wer wissen will, welche italienischen Übersetzungen der
Strahlungen erfaßt wurden, wird, den Nummern des Werktitel-Registers
chronologisch folgend, erstmals beim fünfzehnten (!) Nachschlagen
fündig. Einmal abgesehen davon, daß das völlig unüblich ist, wird hier
rasches Nachsehen und Kontrollieren geradezu vereitelt. Am besten
hätte man ohnehin einem vollständigen Werktitel-Register noch ein
gesondertes der fremdsprachigen Jünger-Titel beigesellen sollen.
Der dritte und letzte Einwand, der im Rahmen dieser kurzen Rezension
geltend gemacht werden soll, betrifft einen nur scheinbar "äußeren"
Aspekt. Mühleisens neueste Arbeit verzeichnet - mit dem Anspruch
größtmöglicher Vollständigkeit - Erstdrucke (inclusive der
Vorabdrucke), Neuausgaben und Neuauflagen der Werke Jüngers. Verzicht
hingegen leistet er auf alle "Nachdruck[e] [...], die in
Textsammlungen für den Schulgebrauch oder als Auszüge in Anthologien,
Zeitschriften und Tageszeitungen erschienen sind" (S. 10). Wäre es der
erste bibliographische Versuch dieser Art, würde man ob solcher
Selbstbeschränkung rasch zur Tagesordnung übergehen. Nun reicht aber
die Geschichte der bibliographischen Erfassung von Jüngers Werk
mindestens bis ins ferne Jahr 1953 zurück.[2] Und seither sind
keineswegs nur jene drei Verzeichnisse von Hans Peter des Coudres
erschienen, die schließlich in Mühleisens Arbeit eingingen (vgl. S.
12).[3] Angesichts einer solchen Vielzahl bereits existierender
Veröffentlichungen dieser Art hätte man wohl ein grundlegend neu
konzipiertes Werk erwarten dürfen. Und das bedeutet in erster Linie,
daß der letzte Bibliograph endlich das getan hätte, was seine
Vorgänger tunlichst unterlassen haben: die Publikationsgeschichte
Jüngers durch die Aufnahme der vermutlich in die Hunderte gehenden
Nachdrucke seiner Schriften im In- und Ausland wirklich umfassend zu
dokumentieren. Erst damit hätte Substanz gewonnen, was hier eher wie
eine etwas fleischlose Wunschvorstellung einherstolziert: daß sich aus
der Bibliographie "auch die wirkungsgeschichtlichen Dimensionen
ablesen" ließen (S. 9). Allenfalls sehr begrenzte und möglicherweise
auch arg horizontverengte Einblicke in Jüngers tatsächliche
Verbreitung und - wenn man sich denn partout auf den in diesem
Zusammenhang etwas hochgegriffenen Terminus versteifen will: - Wirkung
läßt diese Bibliographie zu.
Jünger hat wiederholt und durchaus glaubhaft versichert, daß er von
Anbeginn in Opposition zum Naziregime stand. Er hat seiner Haltung
auch demonstrativ Ausdruck verliehen, wie ihm selbst unverdächtige
Zeugen - damals schon und im Nachhinein - bescheinigt haben.[4] Dennoch
besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß er zu den geistigen
Wegbereitern des Nationalsozialismus gehört.[5] (Und wer das noch immer
nicht glauben will, der werfe nur einen Blick in den bei Mühleisen
unter der Nummer 430 verzeichneten Essay Über Nationalismus und
Judenfrage aus dem Jahre 1930.[6]) Auf diesem Hintergrund wäre es doch
besonders interessant gewesen, zu erfahren, in welchem Umfang sein
Werk durch - sei's autorisierte, sei's auch nicht genehmigte -
Nachdrucke (möglicherweise auch schon vor 1933) Objekt politischer
Instrumentalisierung insbesondere durch die Nazis geworden ist.[7]
Daß der Graben zwischen ihm, der bereits zu Weimarer Zeiten in
Sammelbänden und Zeitschriften mit Namen wie Aufstand, Widerstand, Der
Umsturz sowie Das Dritte Reich publiziert hatte, zu denen, die dieses
"Reich" dann in einem menschenverachtenden Sinne erstehen ließen,
nicht allzu tief sein konnte (immerhin hinderten sie ihn nicht daran,
die Spalten der Neuen Literatur Will Vespers', des Deutschen
Volkstums, von Reich und Innerem Reich mit seinen Beiträgen zu
füllen), das konstatierte bereits 1940 Lavinia Mazzucchetti im fernen
Italien. Aufgefordert, Stellung zu den Erfolgsaussichten Jüngers auch
in ihrem Land zu beziehen, schrieb diese berühmte Verlagslektorin in
einem ihrer Gutachten: Zwar sei Jünger wohl in gewisse Ungnade bei
vereinzelten Vertretern des Regimes gefallen, und die Jugend beginne
schon, in ihm "einen Outsider und Frondeur" zu erblicken. Aber es sei
dennoch wohl nicht allzu weit her mit seiner Opposition. Denn seine
Werke würden in Deutschland nach wie vor "frei" ("senza ostacoli")
"verkauft und verbreitet".[8]
Über Details dieser Art hätte man gern mehr erfahren, um Jüngers
Rezeption und "Wirkung" bis in ihre feinsten Verästelungen hinein
nachgehen zu können. Die Voraussetzungen dazu aber, d.h. die Daten,
gibt uns Horst Mühleisens Bibliographie leider nicht an die Hand. Und
vor allem deshalb - obwohl seiner Arbeit doch weder Fehler noch
unbegründete Unterlassungen nachzusagen sind - sind die stolzen 178
Mark, die man für dieses Buch anzulegen hat, eben keine gute
Investition.
Momme Brodersen
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