Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Bibliographie der Werke Ernst Jüngers


97-1/2-138
Bibliographie der Werke Ernst Jüngers / Horst Mühleisen. Begr. von Hans Peter Des Coudres. [Bibliogr. Mitarb. und Textred.: Nicolai Riedel]. - Erw. Neuausg. - Stuttgart : Cotta, 1996. - 350 S. ; 22 cm. - (Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft ; 47). - ISBN 3-7681-9803-0 : DM 178.00
[3765]

Die Autoren der deutschen Literatur, die sich rühmen können, bereits zu Lebzeiten mit gleich mehreren umfassenden Personalbibliographien gewürdigt worden zu sein, dürften an einer Hand abzuzählen sein. Insofern stellt die im Vorjahr erschienene Bibliographie der Werke Ernst Jüngers - eben nicht die erste ihrer Art - ein bemerkenswertes Ereignis dar. Sie wird freilich selbst unter den Bewunderern dieses mittlerweile 102jährigen Autors keine ungeteilte Zustimmung finden - um von denjenigen ganz zu schweigen, die Jüngers literarischem und dem damit verbundenen politischen Wirken ohnehin distanziert oder gar völlig ablehnend gegenüberstehen.

Dabei läßt sich zunächst in Hinsicht auf die Zuverlässigkeit, Vollständigkeit und Einrichtung der Arbeit kaum Negatives sagen. Das Verzeichnis basiert auf Autopsie, und alle technischen Daten der insgesamt 1262 Positionen sind erschöpfend und korrekt beigebracht. Auch gegen die Logik der Organisation dieser Bibliographie wird man kaum etwas einzuwenden haben: Unter den Nummern 1 - 2 sind die beiden bislang erschienenen Werkausgaben Jüngers detailliert aufgeführt. Eine zweite Abteilung verzeichnet die Einzelnen Werke (Nr. 3 - 236), eine dritte die Herausgegebenen Werke (Nr. 237 - 245). Es folgen Beiträge in Büchern und Periodica (Nr. 246 - 677) - eine Sektion, die noch einmal in Einleitungen, Vor- und Grußworte, Widmungen (Nr. 246 - 274), Beiträge in Festschriften, Sammelwerken und Periodica (Nr. 275 - 671) und Entomologische Studien sowie Ernst Jünger zubenannte Käfer, Schmetterlinge u.a. (Nr. 672 - 677 sowie Ziffern 1 - 24) unterteilt ist -, des weiteren Lebenszeugnisse (Nr. 678 - 840) - auch hier eine Subdivision in Gedruckte Briefe (Nr. 678 - 752), Dokumente (Nr. 753 - 762), Gedruckte Gespräche und Interviews (Nr. 763 - 811), Gesprochene Texte auf Tonträgern (Nr. 812 - 814) sowie Film- und Fernsehaufzeichnungen, Rundfunksendungen (Nr. 815 - 849) -, dann Übersetzte Werke (Nr. 841 - 1148) und als siebte und letzte Sektion die Nachträge zu den vorstehend genannten Abteilungen (Nr. 1149 - 1262). Das Werk beschließen drei Indizes sowie eine knapp 20seitige, ebenso detaillierte wie informative Zeittafel. Redaktionsschluß dieser Arbeit war der 31. Dezember 1995.

Das Positive einer prima vista durch und durch soliden Bibliographie beeinträchtigen jedoch einige Negativa, die schon mit der Art der Darbietung des Materials beginnen. Mühleisens neueste Jünger-Bibliographie ist die "vollständig überarbeitete und erweiterte" (S. 9) Fassung einer Vorgängerin aus dem Jahre 1985.[1] Bei so gründlicher Neubearbeitung will es dann freilich überhaupt nicht einleuchten, warum die Ergänzungen aus dem Berichtszeitraum 1985 - 1995 (immerhin fast 120) einfach dem redigierten und verbesserten Vorläufer als Nachträge hinterhergeschickt werden, so daß man es im Endeffekt mit zwei Bibliographien in einem Band zu tun hat. Ein zweiter Einwand betrifft die beinahe generelle Benutzerunfreundlichkeit dieser Bibliographie. Hinsichtlich der Zahl der Indizes haben sich Autor und Verlag äußerste Zurückhaltung auferlegt. Ganze drei enthält dieses Buch: ein Werktitelverzeichnis, eines der Periodika sowie ein Personenregister. Das mag im Zeitalter des Computers allenfalls noch zähneknirschend hingenommen werden. Daß aber die Titel der durchaus zahlreichen Übersetzungen nicht im Titel-Index auftauchen, sondern stattdessen den deutschen Original-Überschriften lediglich Nummern-Verweisungen (also auch ohne Spezifizierung der jeweiligen Sprache) folgen, das ist nicht mehr angängig. Denn dadurch werden gewisse Recherchen zu einem allzu zeitaufwendigen Nachschlagen. Ein einziges Beispiel mag das illustrieren: Wer wissen will, welche italienischen Übersetzungen der Strahlungen erfaßt wurden, wird, den Nummern des Werktitel-Registers chronologisch folgend, erstmals beim fünfzehnten (!) Nachschlagen fündig. Einmal abgesehen davon, daß das völlig unüblich ist, wird hier rasches Nachsehen und Kontrollieren geradezu vereitelt. Am besten hätte man ohnehin einem vollständigen Werktitel-Register noch ein gesondertes der fremdsprachigen Jünger-Titel beigesellen sollen.

Der dritte und letzte Einwand, der im Rahmen dieser kurzen Rezension geltend gemacht werden soll, betrifft einen nur scheinbar "äußeren" Aspekt. Mühleisens neueste Arbeit verzeichnet - mit dem Anspruch größtmöglicher Vollständigkeit - Erstdrucke (inclusive der Vorabdrucke), Neuausgaben und Neuauflagen der Werke Jüngers. Verzicht hingegen leistet er auf alle "Nachdruck[e] [...], die in Textsammlungen für den Schulgebrauch oder als Auszüge in Anthologien, Zeitschriften und Tageszeitungen erschienen sind" (S. 10). Wäre es der erste bibliographische Versuch dieser Art, würde man ob solcher Selbstbeschränkung rasch zur Tagesordnung übergehen. Nun reicht aber die Geschichte der bibliographischen Erfassung von Jüngers Werk mindestens bis ins ferne Jahr 1953 zurück.[2] Und seither sind keineswegs nur jene drei Verzeichnisse von Hans Peter des Coudres erschienen, die schließlich in Mühleisens Arbeit eingingen (vgl. S. 12).[3] Angesichts einer solchen Vielzahl bereits existierender Veröffentlichungen dieser Art hätte man wohl ein grundlegend neu konzipiertes Werk erwarten dürfen. Und das bedeutet in erster Linie, daß der letzte Bibliograph endlich das getan hätte, was seine Vorgänger tunlichst unterlassen haben: die Publikationsgeschichte Jüngers durch die Aufnahme der vermutlich in die Hunderte gehenden Nachdrucke seiner Schriften im In- und Ausland wirklich umfassend zu dokumentieren. Erst damit hätte Substanz gewonnen, was hier eher wie eine etwas fleischlose Wunschvorstellung einherstolziert: daß sich aus der Bibliographie "auch die wirkungsgeschichtlichen Dimensionen ablesen" ließen (S. 9). Allenfalls sehr begrenzte und möglicherweise auch arg horizontverengte Einblicke in Jüngers tatsächliche Verbreitung und - wenn man sich denn partout auf den in diesem Zusammenhang etwas hochgegriffenen Terminus versteifen will: - Wirkung läßt diese Bibliographie zu.

Jünger hat wiederholt und durchaus glaubhaft versichert, daß er von Anbeginn in Opposition zum Naziregime stand. Er hat seiner Haltung auch demonstrativ Ausdruck verliehen, wie ihm selbst unverdächtige Zeugen - damals schon und im Nachhinein - bescheinigt haben.[4] Dennoch besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß er zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus gehört.[5] (Und wer das noch immer nicht glauben will, der werfe nur einen Blick in den bei Mühleisen unter der Nummer 430 verzeichneten Essay Über Nationalismus und Judenfrage aus dem Jahre 1930.[6]) Auf diesem Hintergrund wäre es doch besonders interessant gewesen, zu erfahren, in welchem Umfang sein Werk durch - sei's autorisierte, sei's auch nicht genehmigte - Nachdrucke (möglicherweise auch schon vor 1933) Objekt politischer Instrumentalisierung insbesondere durch die Nazis geworden ist.[7]

Daß der Graben zwischen ihm, der bereits zu Weimarer Zeiten in Sammelbänden und Zeitschriften mit Namen wie Aufstand, Widerstand, Der Umsturz sowie Das Dritte Reich publiziert hatte, zu denen, die dieses "Reich" dann in einem menschenverachtenden Sinne erstehen ließen, nicht allzu tief sein konnte (immerhin hinderten sie ihn nicht daran, die Spalten der Neuen Literatur Will Vespers', des Deutschen Volkstums, von Reich und Innerem Reich mit seinen Beiträgen zu füllen), das konstatierte bereits 1940 Lavinia Mazzucchetti im fernen Italien. Aufgefordert, Stellung zu den Erfolgsaussichten Jüngers auch in ihrem Land zu beziehen, schrieb diese berühmte Verlagslektorin in einem ihrer Gutachten: Zwar sei Jünger wohl in gewisse Ungnade bei vereinzelten Vertretern des Regimes gefallen, und die Jugend beginne schon, in ihm "einen Outsider und Frondeur" zu erblicken. Aber es sei dennoch wohl nicht allzu weit her mit seiner Opposition. Denn seine Werke würden in Deutschland nach wie vor "frei" ("senza ostacoli") "verkauft und verbreitet".[8]

Über Details dieser Art hätte man gern mehr erfahren, um Jüngers Rezeption und "Wirkung" bis in ihre feinsten Verästelungen hinein nachgehen zu können. Die Voraussetzungen dazu aber, d.h. die Daten, gibt uns Horst Mühleisens Bibliographie leider nicht an die Hand. Und vor allem deshalb - obwohl seiner Arbeit doch weder Fehler noch unbegründete Unterlassungen nachzusagen sind - sind die stolzen 178 Mark, die man für dieses Buch anzulegen hat, eben keine gute Investition.

Momme Brodersen


[1]
Bibliographie der Werke Ernst Jüngers / Hans Peter Des Coudres ; Horst Mühleisen. - Neubearb. und erw. Ausg. der Bibliographie von 1970. - Stuttgart : Klett-Cotta, 1985. - 211 S. : Ill. - (Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft ; 43). (zurück)
[2]
Vgl. Ernst Jünger : eine Bibliographie / zsgest. von Karl O. Paetel. - Stuttgart : Lutz & Meyer, 1953. - 134 S. (zurück)
[3]
Neben dem bereits in der Fußnote 1 genannten Werk noch: Bibliographie der Werke Ernst Jüngers / Hans Peter Des Coudres. // In: Philobiblon. - 4 (1960),3, S. 231 - 266 und Bibliographie der Werke Ernst Jüngers / Hans Peter Des Coudres. - Stuttgart : Klett, 1970. - 86 S. (zurück)
[4]
Vgl. - um hier nur zwei, freilich sehr unterschiedliche Quellen zu nennen - Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sopade : 1934 - 1940. - Reprint. - Salzhausen : Nettelbeck ; Frankfurt, M. : Zweitausendeins. - 1980, (hierin Jg. 4, 1937, S. 1649) und Kunst und Kultur im Dritten Reich / Joseph Wulf. - Frankfurt am Main [u.a.] : Ullstein. - Bd. 2. Literatur und Dichtung im Dritten Reich : eine Dokumentation. - 1989, S. 39 [die Original-Ausgabe erschien 1963]. Wie sehr "von oben herab" er dem Autor dieser letztgenannten Dokumentation den Beitrag zu seiner Ehrenrettung dankte, mag man bereits aus der Wortwahl Jüngers ersehen, mit der er in einem Interview aus dem Jahre 1982 an dieses Zeugnis erinnerte: das "ein[es] polnische[n] Jude[n] namens Joseph Wulf" (Ein Bruderschaftstrinken mit dem Tod : der 87jährige Schriftsteller Ernst Jünger über Geschichte, Politik und die Bundesrepublik // In: Der Spiegel. - 36 (1982), 33 vom 16.08., S. 154 - 163; das Zitat S. 155). (zurück)
[5]
Gerade die Epoche vom Beginn des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist Gegestand der neuesten Biographie: Ernst Jünger and Germany : into the abyss, 1914 - 1945 / Thomas Nevin. - 1. publ. - London : Constable, 1997. - X, 284 S. : Ill. - ISBN 0-09-474560-9 : œ 20.00. - Vgl. die lange und kritische Rezension von Ralf Darendorf im Times literary supplement. - 1997-02-28, S. 3 - 4, wo es u.a. heißt "Thomas Nevin is at his best where he struggles with the ambiguities of fascism which are also those of Jünger" (S. 4). [sh] (zurück)
[6]
Vgl. generell Ein Ernst-Jünger-Brevier : Jüngers politische Publizistik 1920 bis 1933 ; Analyse und Dokumentation / Bruno W. Reimann ; Renate Haßel. - 1. Aufl. - Marburg : BdWi-Verlag, 1995. - 217 S. Als "bloße", freilich eindrucksvoll "montierte" und kommentierte Kompilation Jüngerscher Schriften (in der aus urheberrechtlichen Gründen nur jeweils kurze Textpassagen wiedergegeben werden) fehlt diese Publikation selbstverständlich bei Mühleisen. (zurück)
[7]
Von einem Fall, einem unautorisierten Nachdruck im Völkischen Beobachter 1934, gegen den er dann protestiert habe, ist in Jüngers bislang noch unveröffentlichter Korrespondenz mit Carl Zuckmayer die Rede. (zurück)
[8]
Ernst Jünger : *** / Lavinia Mazzucchetti. // In: Non c'è tutto nei romanzi : leggere romanzi stranieri in una casa editrice negli anni '30 / a cura di Pietro Albonetti. - [Milano] : Fondazione Arnoldo e Alberto Mondadori, 1994, S. 539 - 540; Zitat S. 539. (zurück)

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