Das entscheidend Neue jedoch, worin sich Steigers Konzeption von den
bisherigen biographischen Dokumentationen zu Goethe unterscheidet, ist
die exakte Widerspiegelung des jeweiligen Tages, so wie ihn Goethe
erlebte und gestaltete. Insofern ist der Titel des Werkes wörtlich zu
nehmen, d.h. nicht die Ereignisse und Vorgänge schlechthin, sondern
deren Aufnahme durch Goethe und seine Reaktionen werden vorgestellt,
dazu seine eigene Arbeitsleistung am jeweiligen Tag. (Das hat zur
Folge, daß einschneidende Ereignisse wie z.B. der Tod seines Sohnes
August am 26.10.1830 in Rom erst am 10. 11. 1830, als Goethe davon
erfuhr, dokumentiert und reflektiert werden. Ähnlich auch der Tod
Herzog Carl Augusts am 14.06.1828, gespiegelt in Goethes Reaktion am
15. 06. usw.) Das Ergebnis ist die spannende, multidimensionale, sich
oft in schroffen Gegensätzen vollziehende tägliche wirkliche
Biographie eines tätigen Menschen, die zugleich zur inneren Biographie
wird, vor allem durch die Verflechtung mit der Genese poetischer und
wissenschaftlich-kritischer Werke und Schriften Goethes. So ergibt
sich eine Totalität von teilweise faszinierender Unmittelbarkeit.
Hinzu kommt die subjektive Spiegelung durch die Äußerungen der
Zeitgenossen.[1]
Allerdings ergeben sich hieraus Probleme des exakten allgemeinen
Datenablaufs, also des gesamten zeitgenössischen Kontexts für Goethes
Leben. Die umfassende Textdarbietung stellt zudem hohe Anforderungen
an den Nutzer. Angesichts der Dimensionen dieses diarisch
strukturierten Materials hätten übergreifende Monats- oder
Jahreszusammenfassungen (z.B. Nennung der jeweiligen Werke Goethes
u.ä.)[2] zur Übersichtlichkeit beitragen können, allerdings den
Bearbeitungsaufwand noch mehr erhöht. Auch typographisch wäre in
dieser Hinsicht mehr möglich gewesen. Einige dieser Probleme könnte
der kommende Registerband lösen helfen.
Hatte jeder der Bd. 1 - 7 einen relativ großen Zeitabschnitt erfaßt,
bezieht sich der 8. Bd. infolge der Dichte der Zeugnisse auf nur
reichlich vier Jahre, die letzten der Goetheschen Existenz. Diese sind
bedeutsam genug. Biographische Einschnitte wie die erwähnten
Todesfälle stehen neben den intensiven Arbeiten an der Ausgabe letzter
Hand und dem Abschluß so gewichtiger Werke wie Faust II, Dichtung und
Wahrheit oder der Italienischen Reise. Die Fülle der Besucher,
Gespräche, Korrespondenzen und der entsprechenden Themen ist
unerschöpflich. Querverweisungen erleichtern das Erkennen zeitlicher
Abläufe zu einem bestimmten Sachverhalt. Die Bearbeiterin von Bd. 8,
A. Reimann, hatte schon im Vorwort zu Bd. 6. 1814 - 1820 (1993) darauf
hingewiesen, daß wegen der Fülle des überlieferten Materials zu den
letzten Goetheschen Lebensjahrzehnten bei der Wiedergabe von
Tagesinformationen "ohne erhellenden Bezug zu Goethes Persönlichkeit"
(ebd., S. 5) und von Äußerungen Dritter über Goethe Einschränkungen
stattfinden müßten. Da dies gelungen ist, ohne die Konturen zu
verwischen, erhebt sich die Frage, ob den vorausgegangenen Bänden
solche Konzentration, dort wo sie möglich und sinnvoll gewesen wäre,
nicht auch gut getan hätte. Die Bearbeiter versuchen, wichtige, vor
allem auf den ersten Blick unverständliche Passagen der zitierten
Texte oder unbekannte Namen zu erläutern oder zu kommentieren. Dies
erfolgt meist durch Einschübe in eckigen Klammern, wodurch an einigen
Stellen durch Überlagerungen die Übersicht verloren zu gehen droht
(z.B. Bd. 8, S. 408 u.a.). Doch das Werk wäre überfordert, eine
generelle Zeilenkommentierung vorzunehmen, - hier ist es nur eine
Brücke zu den ausführlich kommentierten Werk- und Einzelausgaben bzw.
Gesprächsammlungen, Spezialdokumentationen usw.
Dem abschließenden Bd. 9, der den - noch nicht näher vorgestellten
- Registerapparat enthalten wird, kommt große Bedeutung für die volle
Nutzung des Reichtums der Materialbände 1 - 8 zu. Wie die Bearbeiter
die Probleme der kumulierenden Zusammenfassung, der Erschließung und
Erläuterung, aber auch der zusätzlichen Kommentierung der riesigen
Zahl der Namen, Sachzusammenhänge und Werke in den methodischen
Grenzen eines Registersystems lösen werden, wird für die Gesamtwertung
dieses außerordentlich verdienstvollen, vielleicht dann
unentbehrlichen Werkes, von ausschlaggebender Bedeutung sein. Bei dem
vorliegenden Umfang und seiner inhaltlichen Vielschichtigkeit liegt
übrigens eine CD-ROM-Version förmlich in der Luft.
Siegfried Seifert
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