Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Goethe in the history of science


97-1/2-134
Goethe in the history of science / ed. by Frederick Amrine. - New York ; Bern [u.a.] : Lang. - 24 cm. - (Studies in modern German literature ; ...)
[3833]
Vol. 1. Bibliography, 1776 - 1949. - 1996. - XII, 465 S. - (... ; 29). - ISBN 0-8204-1076-4 : $ 64.95, DM 101.00
Vol. 2. Bibliography, 1950 - 1990. - 1996. - 464 S. - (... ; 30). - ISBN 0-8204-1077-2 : $ 64.95, DM 101.00

Goethes Verhältnis zu den Naturwissenschaften und seine eigenen Leistungen und Impulse auf diesem Gebiet haben - nicht zuletzt im Zusammenhang mit der historisch-kritischen Ausgabe seiner Schriften zur Naturwissenschaft, der sogenannten "Leopoldina-Ausgabe" (Weimar 1947 ff.) - in den letzten Jahrzehnten verdientermaßen verstärkte Beachtung in der Fachwissenschaft, aber auch in der interessierten Öffentlichkeit gefunden. Forscherpersönlichkeiten wie Werner Heisenberg, Rupprecht Matthaei, Dorothea Kuhn u.a. trugen dazu bei, daß besonders auch die philosophisch-weltanschaulichen Dimensionen des Themas und seine Bedeutung für drängende Fragen der modernen Entwicklung (Ganzheitsdenken, Morphologie u.a.) diskutiert wurden und werden.

Es ist erfreulich, daß die bibliographische Widerspiegelung dieser Fortschritte und der dadurch mögliche effiziente Zugang zu den Primär- und Sekundärquellen damit Schritt gehalten hat. Nach Günther Schmids umfassender Bibliographie,[1] mit der er zu einem der "Geburtshelfer" der "Leopoldina-Ausgabe" wurde, hat nun Amrine - nach früher publizierten Teilbibliographien - eine imponierende bibliographische Retrospektive vorgelegt. Die beiden Bände erfassen das Material von den ersten Veröffentlichungen Goethes selbst und deren zeitgenössischem Umfeld bis in die unmittelbare Gegenwart. Für die weitere Arbeit an der kurz vor dem Abschluß stehenden "Leopoldina-Ausgabe", vor allem aber generell für die im Vorfeld des Jubiläumsjahres 1999 (Goethes 250. Geburtstag) wachsende Beschäftigung mit Goethes naturwissenschaftlichen Leistungen ist das ein besonderer Gewinn.

Amrine hat umfassend recherchiert und sehr sorgfältig und mit einem hohen Grad an Autopsie gearbeitet. (Nicht von ihm gesehene Veröffentlichungen sind mit einem Sternchen gekennzeichnet; sie sind bei weitem in der Minderzahl.) Alle Publikationsformen sind berücksichtigt; auch die erfaßten Rezensionen sind sehr willkommen. Bei den Erstausgaben der Goetheschen naturwissenschaftlichen Schriften hat Amrine sogar die sorgfältige Arbeit von Waltraud Hagen[2] mit wichtigem Material aus Periodica ergänzen können. Insgesamt wird eine bemerkenswerte inhaltliche Dichte erreicht. Dabei wäre es sinnvoll gewesen, sich bei Goethes eigenen Schriften neben den Erstdrucken auf editorisch wichtige Gesamt- und Einzelausgaben zu beschränken. Auch Vor- und Nachworte (1952-9, 10; 1953-23 usw.) oder Kapitel aus Goethe-Monographien (z.B. 1963-7) hätten nicht noch separat als Aufsätze verzeichnet werden müssen; bei den Beiträgen aus Tageszeitungen hätte man sich auf Ausnahmen von forschungsgeschichtlichem Wert beschränken können. Fehler und Versehen sind so gut wie völlig vermieden.[3] Die annalistische Gliederung des Materials bildet die adäquate Form, um Amrines Ziel, den Prozeß der Entstehung, Wirkung und Erforschung der naturwissenschaftlichen Anschauungen Goethes in seiner historisch-chronologischen Genese darzustellen, nahezu perfekt zu verwirklichen. Dies wird auch durch die den Titelbeschreibungen beigegebenen Deskriptoren im einzelnen unterstützt. Ob die relativ allgemeinen Deskriptoren den Bedürfnissen der Fachwissenschaft immer Rechnung tragen können, sei allerdings dahingestellt. Querverweisungen auf Wiederabdrucke, Nachauflagen, Bearbeitungen oder Übersetzungen einzelner Veröffentlichungen verstärken zusätzlich dieses forschungsgeschichtliche Grundkonzept.

Ein generelles inhaltlich-methodisches Problem ergibt sich daraus, daß Amrine das Thema nicht auf die Dokumentation der Goetheschen Originalbeiträge und der entsprechenden Sekundärliteratur beschränkt; insofern ist der Titel "Goethe in [bzw. "verflochten mit"] der Geschichte der Naturwissenschaft" wörtlich zu nehmen. Es ist bezeichnend für dieses erweiterte Konzept, daß die Bibliographie mit Lavaters Physiognomischen Fragmenten von 1776 beginnt, die dann mit allen Neuausgaben und Übersetzungen "durchgeschleppt" werden. Dasselbe trifft auf viele ähnliche Werke (z.B. A. Schopenhauers Über das Sehn und die Farben, 1816, und weitere seiner Arbeiten zur Farbenphilosophie, insgesamt 13 Nachweise, usw. usf.) zu. Hier hätten repräsentative und gut annotierte Beispiele zu den für Goethe wichtigen zeitgenössischen Naturforschern und Philosophen ausgereicht; so aber wurden die Grenzen einer thematisch verstandenen Dokumentation weit überschritten, zumal bei der Erfassung des allgemeinen philosophisch-historischen Umfelds einschließlich entsprechender Nachschlagewerke der Goethe-Bezug kaum vermerkt wird. Auffällig ist dieses Ausufern besonders hinsichtlich der Farbenlehre und generell bei der neueren anthroposophisch intendierten Literatur. Anhäufungen solcher Veröffentlichungen teilweise über ganze Seiten des Verzeichnisses (1801-2 - 1803-4; 1951-25 - 30; 1952-32 - 34; 1954 - 32, 33, 35; 1961-42 - 44 usw. usf.) erschweren das Vordringen zur Spezialliteratur für den potentiellen Nutzerkreis beträchtlich. Diese Titel gehören in ein gesondertes, auf das Allgemeine bezogene Nachschlagewerk.

Die annalistische Grundgliederung benötigt den alphabetisch aufgebauten Registerapparat als alternatives Erschließungsinstrument. Hier leistet Amrine Vorzügliches, wenn auch ein wenig zuviel des Guten. Insgesamt 11 Indizes werden am Schluß von Bd. 2 angeboten; sie betreffen: Goethes naturwissenschaftliche Schriften, deren Übersetzungen, nicht naturwissenschaftliche Werke Goethes, Ausstellungen und Sammlungen, Autorennamen als größtes Teilregister, Deskriptoren und - sehr aufgesplittert - in den Deskriptoren erwähnte Namen, Orte und Institutionen, schließlich ein Sachregister - oft dieselben Sachwörter wie im Deskriptorenregister! - sowie ein Register zu den nicht in englischer, französischer oder deutscher Sprache abgefaßten Veröffentlichungen. Dazu ein Anhang mit den Nachweisen der nicht aus den Bibliographien von G. Schmid und M. Richter[4] übernommenen Titel. Man hat Mühe, diese Registerflut auseinanderzuhalten; manches hätte überdacht oder zusammengefaßt werden können.

Dennoch: Amrines Verzeichnis ist eine im Detail vorzügliche bibliographische Aufbereitung von Quellen und Forschungsliteratur. Wenn man seine Eigenarten kennt und beherrschen lernt, kann es als ein zuverlässiger Schlüssel zu diesem bedeutsamen Teil der Wirkung und Erforschung des Kosmos Goethe dienen.

Siegfried Seifert


[1]
Goethe und die Naturwissenschaften / Günther Schmid. - Halle/Saale, 1940. - XV, 620 S. (zurück)
[2]
Die Drucke von Goethes Werken / bearb. von Waltraut Hagen. - 2., durchges. Aufl. - Berlin, 1983. - XXI, 386 S. (zurück)
[3]
1960-41 erschien 1964, nicht 1960; der Herausgeber von 1967-26 heißt Hans Mayer, nicht Wagner. (zurück)
[4]
Internationale Bibliographie der Farbenlehre und ihrer Grenzgebiete / Manfred Richter. - Göttingen. - 1. 1940/49 (1952) - 2. 1950/52 (1963). (zurück)

Zurück an den Bildanfang