Es ist erfreulich, daß die bibliographische Widerspiegelung dieser
Fortschritte und der dadurch mögliche effiziente Zugang zu den
Primär- und Sekundärquellen damit Schritt gehalten hat. Nach Günther
Schmids
umfassender Bibliographie,[1] mit der er zu einem der "Geburtshelfer"
der "Leopoldina-Ausgabe" wurde, hat nun Amrine - nach früher
publizierten Teilbibliographien - eine imponierende bibliographische
Retrospektive vorgelegt. Die beiden Bände erfassen das Material von
den ersten Veröffentlichungen Goethes selbst und deren
zeitgenössischem Umfeld bis in die unmittelbare Gegenwart. Für die
weitere Arbeit an der kurz vor dem Abschluß stehenden
"Leopoldina-Ausgabe", vor allem aber generell für die im Vorfeld des
Jubiläumsjahres 1999 (Goethes 250. Geburtstag) wachsende Beschäftigung
mit Goethes naturwissenschaftlichen Leistungen ist das ein besonderer
Gewinn.
Amrine hat umfassend recherchiert und sehr sorgfältig und mit einem
hohen Grad an Autopsie gearbeitet. (Nicht von ihm gesehene
Veröffentlichungen sind mit einem Sternchen gekennzeichnet; sie sind
bei weitem in der Minderzahl.) Alle Publikationsformen sind
berücksichtigt; auch die erfaßten Rezensionen sind sehr willkommen.
Bei den Erstausgaben der Goetheschen naturwissenschaftlichen Schriften
hat Amrine sogar die sorgfältige Arbeit von Waltraud Hagen[2] mit
wichtigem Material aus Periodica ergänzen können. Insgesamt wird eine
bemerkenswerte inhaltliche Dichte erreicht. Dabei wäre es sinnvoll
gewesen, sich bei Goethes eigenen Schriften neben den Erstdrucken auf
editorisch wichtige Gesamt- und Einzelausgaben zu beschränken. Auch
Vor- und Nachworte (1952-9, 10; 1953-23 usw.) oder Kapitel aus
Goethe-Monographien (z.B. 1963-7) hätten nicht noch separat als
Aufsätze verzeichnet werden müssen; bei den Beiträgen aus
Tageszeitungen hätte man sich auf Ausnahmen von
forschungsgeschichtlichem Wert beschränken können. Fehler und Versehen
sind so gut wie völlig vermieden.[3] Die annalistische Gliederung des
Materials bildet die adäquate Form, um Amrines Ziel, den Prozeß der
Entstehung, Wirkung und Erforschung der naturwissenschaftlichen
Anschauungen Goethes in seiner historisch-chronologischen Genese
darzustellen, nahezu perfekt zu verwirklichen. Dies wird auch durch
die den Titelbeschreibungen beigegebenen Deskriptoren im einzelnen
unterstützt. Ob die relativ allgemeinen Deskriptoren den Bedürfnissen
der Fachwissenschaft immer Rechnung tragen können, sei allerdings
dahingestellt. Querverweisungen auf Wiederabdrucke, Nachauflagen,
Bearbeitungen oder Übersetzungen einzelner Veröffentlichungen
verstärken zusätzlich dieses forschungsgeschichtliche Grundkonzept.
Ein generelles inhaltlich-methodisches Problem ergibt sich daraus, daß
Amrine das Thema nicht auf die Dokumentation der Goetheschen
Originalbeiträge und der entsprechenden Sekundärliteratur beschränkt;
insofern ist der Titel "Goethe in [bzw. "verflochten mit"] der
Geschichte der Naturwissenschaft" wörtlich zu nehmen. Es ist
bezeichnend für dieses erweiterte Konzept, daß die Bibliographie mit
Lavaters Physiognomischen Fragmenten von 1776 beginnt, die dann mit
allen Neuausgaben und Übersetzungen "durchgeschleppt" werden. Dasselbe
trifft auf viele ähnliche Werke (z.B. A. Schopenhauers Über das Sehn
und die Farben, 1816, und weitere seiner Arbeiten zur
Farbenphilosophie, insgesamt 13 Nachweise, usw. usf.) zu. Hier hätten
repräsentative und gut annotierte Beispiele zu den für Goethe
wichtigen zeitgenössischen Naturforschern und Philosophen ausgereicht;
so aber wurden die Grenzen einer thematisch verstandenen Dokumentation
weit überschritten, zumal bei der Erfassung des allgemeinen
philosophisch-historischen Umfelds einschließlich entsprechender
Nachschlagewerke der Goethe-Bezug kaum vermerkt wird. Auffällig ist
dieses Ausufern besonders hinsichtlich der Farbenlehre und generell
bei der neueren anthroposophisch intendierten Literatur. Anhäufungen
solcher Veröffentlichungen teilweise über ganze Seiten des
Verzeichnisses (1801-2 - 1803-4; 1951-25 - 30; 1952-32 - 34; 1954
- 32, 33, 35; 1961-42 - 44 usw. usf.) erschweren das Vordringen zur
Spezialliteratur für den potentiellen Nutzerkreis beträchtlich. Diese
Titel gehören in ein gesondertes, auf das Allgemeine bezogene
Nachschlagewerk.
Die annalistische Grundgliederung benötigt den alphabetisch
aufgebauten Registerapparat als alternatives Erschließungsinstrument.
Hier leistet Amrine Vorzügliches, wenn auch ein wenig zuviel des
Guten. Insgesamt 11 Indizes werden am Schluß von Bd. 2 angeboten; sie
betreffen: Goethes naturwissenschaftliche Schriften, deren
Übersetzungen, nicht naturwissenschaftliche Werke Goethes,
Ausstellungen und Sammlungen, Autorennamen als größtes Teilregister,
Deskriptoren und - sehr aufgesplittert - in den Deskriptoren erwähnte
Namen, Orte und Institutionen, schließlich ein Sachregister - oft
dieselben Sachwörter wie im Deskriptorenregister! - sowie ein Register
zu den nicht in englischer, französischer oder deutscher Sprache
abgefaßten Veröffentlichungen. Dazu ein Anhang mit den Nachweisen der
nicht aus den Bibliographien von G. Schmid und M. Richter[4]
übernommenen Titel. Man hat Mühe, diese Registerflut
auseinanderzuhalten; manches hätte überdacht oder zusammengefaßt
werden können.
Dennoch: Amrines Verzeichnis ist eine im Detail vorzügliche
bibliographische Aufbereitung von Quellen und Forschungsliteratur.
Wenn man seine Eigenarten kennt und beherrschen lernt, kann es als ein
zuverlässiger Schlüssel zu diesem bedeutsamen Teil der Wirkung und
Erforschung des Kosmos Goethe dienen.
Siegfried Seifert
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