Die Anlage ist originell und macht aus dem Werk sowohl ein für den Nichtspezialisten durchaus an- und aufregend zu studierendes Lesebuch als auch ein Nachschlagewerk, das in seinem Umfang manches größere Lexikon aussticht. Damit ist auch wohl die verlegerisch gemeinte Zielgruppe angedeutet: alle, die an der Erläuterung von Zusammenhängen interessiert sind, daneben aber einen schnellen Zugriff auf Einzelinformationen über die behandelten Denker und überhaupt über die philosophischen Autoren des lateinischen Mittelalters suchen bis hin zu präzisen Angaben über Editionen und die wesentliche Sekundärliteratur.
Der erste Teil - die "Philosophiegeschichte" - ist zugegebenermaßen aus dem Interessenfeld des Autors bestimmt, der theoretischen Philosophie (12), wobei der Untertitel - "Ein an der Rezeption der (spät-)antiken Texte orientierter Überblick" (15) nochmals spezifiziert. Es ist im übrigen ein Vergnügen, zu sehen, wie vielfältig die Zugänge zur mittelalterlichen Philosophie inzwischen geworden sind. Das eingangs des Textes zitierte, aus purer Unkenntnis herrührende Hegel-Wort über die Unbrauchbarkeit und Gräßlichkeit der mittelalterlichen Philosophie richtet sich inzwischen selbst; nicht einmal Apologetik des Mittelalters - wie etwa bei Propagatoren mittelalterlichen Denkens der Generation J. Pieper u.a. - ist mehr nötig. Die Zugriffe erfolgen aus ganz verschiedenen Interessen, wobei die historisierende Repristination einer "Philosophie der Vorzeit" ebenfalls inzwischen einer solchen angehört.
Die Inhalte dieser ohnehin schon sehr komprimierten Darstellung können hier nicht einmal angedeutet werden. Themen wie das der Integration der arabisch-islamischen Philosophie oder die konzise Darstellung Thomas von Aquins und die Darstellung des Seinsbegriffs des Duns Scotus scheinen mir musterhaft: für die Darstellung eines in seinen Zusammenhängen kaum differenziert in der Öffentlichkeit bekannten Komplexes ersteres, für die präzise Information über einen aus anderen Interessen vielfach dargestellten Denker oder für die lesbare Darstellung eines für seine Scharfsinnigkeit zu Recht berühmten und berüchtigten Meister der Scholastik die beiden anderen Themen.
Der zweite Teil folgt einem strikten Aufbau. Die ca. 600 Einträge nennen Namen, Lebensdaten, den "wissenschaftlichen Lebensweg" der genannten Personen und bieten evtl. eine Kurzkennzeichnung. Soweit die Personen im ersten Teil behandelt sind, wird darauf verwiesen. Es folgen die Rubriken Werke und Lit., wobei bei ersterem gleichzeitig Hinweise auf Editionen wie auf moderne Übersetzungen gegeben sind, ggf. auch auf ausführliche Werkverzeichnisse. Die Literatur ist naturgemäß knapp ausgewählt, nennt mit Siglen wesentliche lexikalische Darstellungen und Repertorien (z.B. die Medieval Latin Aristoteles commentaries von Charles H. Lohr) und bietet so in knapper Form ein immenses Material.
Der zweite Teil ergänzt die Übersicht des ersten Teils ganz
wesentlich. Vergleicht man die Namen mit dem Register der Darstellung
von Flasch,[1] so sind hier allein unter "A" fast 60 Namen genannt, die
dort nicht auftauchen. Daß andererseits über 30 Namen keinen Hinweis
auf den darstellenden Teil enthalten, zeigt, daß eine Darstellung
uferlos würde (und wohl nur nach Art des neuen Ueberweg durchführbar
wäre), die wirklich alle Namen verarbeiten würde. Im übrigen erlauben
es die Kurzkennzeichnungen häufig trotzdem, die Bezüge herzustellen
(etwa bei Gaunilo).
Nicht aus modischen Gründen sei hinzugesetzt, daß die knapp 20
Einträge von Frauennamen praktisch nicht in der Darstellung vorkommen,
- angesichts der oben genannten vornehmlichen Beschränkung auf die
theoretische Philosophie vermutlich zu Recht. Die tatsächlich dort
vorkommenden Namen sind auch nicht aus Gründen theoretischer
Philosophie genannt (z.B. Heloissa). Das inhaltliche Spektrum reicht
übrigens - ausgleichende Gerechtigkeit - viel weiter als bei den
männlichen Philosophen (Dhuoda, Hrosvitha u.a.). Übrigens wird an
diesem Punkt nochmals eine Differenzierung, die im Titel nur vermutet
werden kann, wesentlich: Es finden sich hier auch viele
volkssprachliche Autorinnen "im lateinischen Mittelalter".
Wer bibliographische Arbeit kennt, der weiß, daß an solchen
Zusammenstellungen immer noch verbessert werden kann. Ob einzelne
Auslassungen bewußt vorgenommen sind oder versehentlich fehlen,[2] ist
nicht so relevant, da die wesentlichen Einstiegspunkte zur Recherche
genannt sind. Wesentlicher wäre es vielleicht, elektronisch vorhandene
Texte exakter bibliographisch zu nennen (nicht nur: "auch als CD-ROM",
wenn deren Titel nicht übereinstimmt: 593; überhaupt sind CD-ROMs
bibliographisch genauso exakt zu zitieren wie Bücher); noch optimaler
- wenn auch mühselig - wäre es gewesen, die elektronischen Corpora
aufzuschlüssen: daß Bernhard von Clairvaux im elektronischen Migne wie
- seit dem zweiten Update - in der kritischen Ausgabe im CLCLT[3]
enthalten ist; daß Werke Bonaventuras oder des Raimundus Lullus ebd.
vorkommen etc. Überhaupt werden die elektronischen Informationswege
wohl bald für derartige Repertorien ganz andere Bedeutung annehmen.
Die Einsteige in Buchform müssen darum nicht überflüssig werden, aber
sie werden diese "Informationswelt" stärker einbeziehen müssen.
Diese Wendung mag noch etwas futurologisch sein. Für den Augenblick
haben wir mit diesem Werk ein überlegt konzipiertes und insgesamt sehr
zuverlässig wirkendes Repertorium vor uns, das eine gute Übersicht und
ein umfassendes lexikalisch-bibliographisches Gerüst für einen jeden
bietet, der sich mit diesen - zieht man die rezipierten Werke mit
heran - über tausend Jahren faszinierender Philosophiegeschichte
beschäftigen muß oder möchte.
Albert Raffelt
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