Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Die Geschichte des Großen Brockhaus


97-1/2-086
Die Geschichte des Großen Brockhaus : vom Conversationslexikon zur Enzyklopädie / Anja zum Hingst. Mit einem Geleitwort von A. G. Swierk. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1995. - X, 212 S. : Ill. ; 24 cm. - (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München ; 53). - ISBN 3-447-03740-7 : DM 148.00
[3495]

Das Buch ist aus einer Erlanger Magisterarbeit hervorgegangen. Bedauerlicherweise trägt die gedruckte Fassung noch allzuviele Zeichen der Herkunft aus einer Examensarbeit an sich. Da ist zunächst einzuwenden, daß lediglich eine ganz äußerliche Publikationsgeschichte in der Folge der Auflagen geboten wird. Alle an die Historiographie der Lexika und Enzyklopädien heranzutragenden inhaltlichen Fragen sind ausgespart. So finden sich z.B. - mit Ausnahme des Eintrags Conversation - keine Längsschnittanalysen einzelner Einträge: Da hätte sich etwa am Beispiel des Judentums zeigen lassen, wieviele Versatzstücke aus dem Arsenal des bornierten Antisemitismus der Brockhaus früh transportiert - mit der gefährlichen Folge, daß ein Großteil der "gebildeten Stände", an die er sich werbend richtete, seine Vorurteile aus dem Konversationslexikon nähren konnte.

Bei der schwierigen Frage, in welche Hände die Lexika wirklich gelangt sind, kommt die Untersuchung gegenüber den älteren Studien von Reinhard Wittmann und Heinz Sarkowski zu keinen neuen Ergebnissen. Natürlich stammten die Käufer nicht aus "allen sozialen Schichten" (S. 52), aber 300.000 verkaufte Exemplare sind 300.000 verkaufte Exemplare. Aber wieviele benutzte Exemplare? Und wievielen Lesern mag, als zu kritischer Distanz unfähigen Angehörigen einer aufstrebenden Mittelschicht, für unbezweifelbar wahr gegolten haben, was sie im Konversationslexikon gedruckt fanden?

Im Kern ist die Arbeit eine rein äußerliche Geschichte der Auflagen des Brockhaus. Daher muß sie nicht - so interessant gerade das wäre - den Brockhaus explizit anderen Lexika gegenüberstellen oder gar fragen, in welcher Weise dieses deutsche Konversationslexikon - etwa im Vergleich zu italienischen oder amerikanischen Werken - Anteil an der Stiftung nationaler Identität gehabt hat. Aber auch zu den im engeren Sinne auf den Brockhaus bezogenen Themen, z.B. zu der Zusammenarbeit der Redaktion mit Zeitgenossen, für die ein Eintrag vorgesehen war, fehlen vertiefende Untersuchungen. Wieviel da noch aus der Aufarbeitung von Archivalien herauszuholen ist, zeigt eine jüngst von Erhard Hexelschneider erarbeitete Studie.[1]

Um nicht mißverstanden zu werden: eine Magisterarbeit muß nicht aus den Archivalien erarbeitet werden, muß nicht sonderlich originelle Fragestellungen wählen usw. Aber wenn sie als Buch publiziert wird, sollte sie mehr sein als eine bloße Magisterarbeit, die im wesentlichen Bekanntes zusammenfaßt.

Hans-Albrecht Koch


[1]
Johann Georg Kohl und der Verlag F. A. Brockhaus / Erhard Hexelscheider. // In: Johann Georg Kohl / hrsg. von Hans-Albrecht Koch. - Soll 1997 als Themennummer von Petermanns geographischen Mitteilungen, Gotha, erscheinen. (zurück)

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