Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Brockhaus, Die Enzyklopädie


97-1/2-085
Brockhaus, Die Enzyklopädie : in 24 Bänden. - 20., überarb. und aktualisierte Aufl. - Leipzig ; Mannheim : Brockhaus. - 25 cm. - 19. Aufl. u.d.T.: Brockhaus-Enzyklopädie. - ISBN 3-7653-3100-7 : DM 4656.00 (Vorauszahlungspr. bis 31.12.97), 4992.00 (Vorzugspr. bei Komplettabnahme bis 31.12.98), DM 228.00 (Ladenpreis à Bd. bei bandweiser Lfg.)
[3785]
Bd. 1. A - Ap. - 1996. - 736 S. : zahlr. Ill. - ISBN 3-7653-3101-5
Bd. 2. Aq - Bec. - 1996. - 736 S. : zahlr. Ill. - ISBN 3-7653-3102-3
Bd. 3. Bed - Brom. - 1996. - 752 S. : zahlr. Ill. - ISBN 3-7653-3103-1
Bd. 4. Bron - Crn. - 1997. - 736 S. : zahrl. Ill. - ISBN 3-7653-3104-X
Bd. 5. Cro - Duc. - 1997. - 736 S. : zahlr. Ill. - ISBN 3-7653-3105-8
Bd. 6. Dud - Ev. - 1997. - 736 S. : zahlr. Ill. - ISBN 3-7653-3106-7

Am Ende des Jahres 1996, in dem der Brockhaus, der auf das 1796 von R. G. Löbel begründete und 1808 von F. A. Brockhaus übernommene Conversationslexicon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten zurückgeht,[1] sein 200jähriges Jubiläum hätte feiern können, erschien, ganz entgegen der seit der 15. Ausg. gepflegten Tradition, große und mittelgroße Ausgaben des Brockhaus einander abwechseln zu lassen, bereits kurz nach dem endgültigen Abschluß der im Grundwerk 24-bändigen 19. Aufl. der Brockhaus-Enzyklopädie (BE19) durch den letzten Ergänzungsband im Herbst 1996[2] der erste Band der 20. Aufl. - nun unter dem Titel Brockhaus, Die Enzyklopädie (BE20) -, die wie die Vorauflage auf 24 Bd. angelegt ist. Die BE20 soll ebenfalls ca. 260.000 Lemmata - darunter wieder etwa 240 Schlüsselbegriffe - und über 35.000 Abbildungen auf etwa 17.000 Seiten bieten.[3] In Anbetracht des gleich gebliebenen Umfangs ist die Preisgestaltung von Interesse (Zahlen lt. den Verlagsprospekten): Die 24-bändige BE19 kostete im Herbst 1995 DM 4752.00, im Frühjahr 1996 DM 4798.00 (einschließlich einem Jahrbuch) und im Herbst 1996 wurde dann der Preis um DM 800.00 auf DM 3996.00 (einschließlich einem Jahrbuch) reduziert. Die Presse-Informationen, in denen der Verlag von "fast unverändertem Ladenpreis" spricht, wurden also von der Realität überholt.

Als Begründung für den kürzeren Abstand zwischen den beiden Auflagen und die Aufeinanderfolge zweier großer Ausgaben werden vom Verlag die großen politischen Veränderungen der letzten zehn Jahre, die wirtschaftlichen und rasanten technischen Fortschritte sowie die Weiterentwicklung auf anderen Gebieten angeführt, auch soll mit der BE20 eine "Epochenbilanz am Ende unseres historisch so ereignisreichen Jahrhunderts" gezogen werden (Klappentext). Dasselbe las man bei Brockhaus bereits im 19. Jahrhundert, nur poetischer: "Die Gegenwart aber möge nicht nur den Zeitgenossen, sondern auch dem künftigen Geschlecht als Das gelten, was wir mit Ernst und Ausdauer wenigstens zu schaffen anstrebten: ein sinnvolles Geschichtsbild aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Janus - das alternde Antlitz gewendet in eine Vergangenheit voll schmerzlichen Ringens und harter Arbeit, das Jünglingsgesicht gehoben nach den Hoffnungen und Erwartungen einer reichen Zukunft!"[4] Man lese dazu auch die ironisch-bissigen Bemerkungen von Kurt Flasch in der FAZ.[5]

Der Verlag gibt in den Presse-Informationen an, daß ca. 20 % der Artikel neu sind bzw. überarbeitet wurden, womit er sich im Rahmen dessen bewegt, was man von den amerikanischen Enzyklopädien und deren Programm der continuous revision (hier im Jahresrhythmus) gewöhnt ist. Folgende Anmerkungen zur Aktualisierung auf Grund von Stichproben seien mitgeteilt:

Da der Ergänzungsband zur BE19 erst vor kurzem erschienen ist, und hierin der aktuellste Stand der 19. Aufl. vorliegt, bot sich ein Vergleich mit dem 1. Bd. der BE20 an. Für den Abschnitt A - AK enthielt der Ergänzungsband gegenüber dem Grundwerk und den früheren Nachträgen 38 neue Stichwörter. Davon fehlen 11 im Bd. 1 der BE20, obwohl diese doch ebenfalls Aktualität für sich reklamiert. Bei den fehlenden Stichwörtern handelt es sich keineswegs allein um Personen und Sachen, die nur für den Zeitraum von 1986 bis 1995 "lexikonwürdig" gewesen wären (z.B. der lediglich im Ergänzungsband der BE19 berücksichtigte japanische Diplomat Y. Akashi, der von 1993 bis 1995 UN-Sonderbeauftragter in Bosnien und Herzegowina war), sondern auch um solche, deren Wegfall nicht verständlich ist: z.B. AAD und ADD (die Abkürzungen für die Aufnahme-, Abmischungs- und Wiedergabequalität), die Verweisung von ADA auf die Vereinigung Karibischer Staaten, die Eintragung für die Afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft und den Artikel über Susanna Agnelli. Von den verbleibenden, beiden Bänden gemeinsamen 27 Artikeln sind in Bd. 1 der BE20 3 gekürzt (Abwicklung, Adaptronik und Aerogele) und 6 ausführlicher (Abchasien, Adscharien, Adygien, AFNORTHWEST, M. O. Ahtisaari und Akmola). Die übrigen entsprechen sich in etwa im Umfang, sind aber z.T. umgeschrieben. Dieser Vergleich läßt zugleich Rückschlüsse auf die Konzeption des Ergänzungsbandes zu: Vermehrt sind dort auch stark aktualitätsbezogene Lemmata - überhaupt bzw. in einem Umfang - berücksichtigt, wie es mit der "Lexikonwürdigkeit" des auf Langzeitwirkung abgestellten Grundwerks eines Großlexikons unvereinbar ist. Daß auch die traditionellen Bereiche im Brockhaus nicht in allen Fällen nach dem aktuellen Wissensstand oder der Sache angemessen berücksichtigt sind, belegt Flasch in der o.g. Rezension am Beispiel von Artikeln aus dem Bereich der Philosophie.

Die Auswahl der insgesamt zehn Schlüsselbegriffe in Bd. 1 des Grundwerks der BE19 und des Ergänzungsbandes wurde mit jetzt acht ausführlichen Darstellungen weitgehend beibehalten: statt Abfallbeseitigung findet man nun eine ausführliche Erläuterung zu Abfallwirtschaft; Abrüstung wird zwar auf der Rückseite des Titelblattes als Schlüsselbegriff genannt, im Text fehlt jedoch die typographische Markierung als solcher, obwohl der Artikel als Schlüsselbegriff konzipiert ist; Alkoholismus wird nicht mehr als Schlüsselbegriff behandelt, sondern nur noch mit etwa der Hälfte des früheren Umfangs berücksichtigt - eine Entscheidung, die wegen der fortdauernden Brisanz des Themas nicht ganz einsichtig ist; kein Schlüsselbegriff mehr ist auch der nun um eine Spalte gekürzte Artikel Alternativkultur. Dafür fallen in der BE20 durch ihren besonderen Umfang Artikel zu den Themen Umwelt und Schulden auf: z.B. das neue mit zwei Spalten abgehandelte Stichwort Altschulden und die ausführlichere Berücksichtigung von Altlasten mit Aufführung neuer Komposita.

Vergleicht man die Abbildungen mit denen der BE19, so stellt man rasch fest, daß nur wenige neu hinzugekommen bzw. aktualisiert worden sind und zum größten Teil noch die identischen Bilder gezeigt werden. In der Regel sind die Illustrationen zu Städten, Gebäuden und Gegenständen[6] gleich geblieben, bei Überblicksartikeln über die Kunst einer Nation werden nur wenige neuere Werke zusätzlich abgebildet (bei amerikanischer Kunst z.B. stammt das neueste abgebildete Kunstwerk von 1989); Porträts wurden dagegen z.T. durch aktuellere Aufnahmen ersetzt, vermehrt abgebildet sind Wappen. Weitgehend identisch blieben auch die Graphiken. Die Daten in den Tabellen wurden auf den neuesten Stand gebracht und einige neue Tabellen eingefügt. Die Lagekarten am Beginn eines Ländereintrages sind zwar nicht größer geworden, nun aber etwas ansprechender gestaltet.

Die Literaturhinweise sind zumeist fortgeschrieben, z.T. bis 1995, dennoch fallen neben den vielen aktuellen Angaben gerade bei eher knapp behandelten Lemmata überalterte Literaturangaben auf, die wohl gar nicht nachgeprüft wurden: zu Abkürzungen wird die 2. Aufl. 1979 des Duden, Wörterbuch der Abkürzungen zitiert, obwohl es bereits eine 3. Aufl. von 1987 gibt (was besonders blamabel ist, da der Duden ja aus demselben Mannheimer Verlagshaus stammt); das neueste Werk zur Ägyptologie stammt von 1986; für das Allgäu erschien anscheinend zuletzt 1984 etwas Nennenswertes etc.

Trotz dieser Mängelliste, die sich leicht verlängern ließe, bietet auch die 20. Aufl. der BE mit ihrem Lemmabestand wieder einen Querschnitt durch das heutige Wissen. Lassen wir noch einmal einen Werbetexter (Presse-Information) zu Worte kommen: "Wer grundlegendes und lückenloses Wissen vermitteln möchte, muss ein besonderes Augenmerk auf die Aktualität richten." Was ersteres betrifft, hat der Verlag sicher sein Bestes getan; lückenlos ist das Lexikon ganz gewiß nicht; und beides hat sicherlich nichts mit Aktualität zu tun. Zumindest bei der Rechtschreibung ist der Verlag auf der Höhe der Zeit: Er hat sich schon auf die neue Rechtschreibung umgestellt, und zwar nicht nur in den Informationsblättern, sondern auch mit der BE20 selbst, deren Text bereits ganz den neuen Regeln entspricht, da die BE20 Ende 1998 abgeschlossen sein soll - also gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rechtschreibregeln Gültigkeit erhalten [sollen] - und sich die BE als "Nachschlagewerk für Generationen" (Presse-Info) der Zukunft empfiehlt.[7]

Da der Firmen-Hauptsitz von Brockhaus seit 1991 wieder in Leipzig ist, wird die BE20 gemeinsam von den Lexikonredaktionen in Leipzig und Mannheim bearbeitet. Auch mit etwa 250 neu hinzugekommenen, nach Verlagsangaben vor allem aus Ostdeutschland stammenden Autoren wird für die BE20 der Vereinigungsprozeß nachvollzogen, so daß der Verlag von einer "'gesamtdeutschen' Enzyklopädie" sprechen kann. Durch Ausschöpfen der modernen technischen Möglichkeiten soll die relativ kurze Erscheinungszeit von zwei Jahren für das Grundwerk der BE20 (gegenüber den zehn Jahren der BE19) erreicht werden, die Ergänzungsbände sollen voraussichtlich noch 1999 mit dem Erscheinen beginnen. Immerhin könnte die Verkürzung der Erscheinungsdauer - zugegebenermaßen mit einer Menge Optimismus - als ein kleiner Schritt hin zu der bereits oft geforderten Publikation des kompletten Lexikons zu einem Zeitpunkt und mit einheitlichem Bearbeitungsstand gewertet werden.

Die kuriose Situation, daß seit der 1984 erfolgten Fusion von Brockhaus mit dem Bibliographischen Institut sich im selben Verlag jahrelang zwei Großlexika - die Brockhaus-Enzyklopädie und Meyers enzyklopädisches Lexikon[8] - Konkurrenz machten, wird künftig beseitigt. Nach telephonischer Auskunft des Verlages vom 10.02.1997 werden zukünftig allgemeine große Lexika nur noch unter der Marke Brockhaus erscheinen, während der Name Meyer "innovativen", aber kleineren Projekten (darunter solchen für Kinder) vorbehalten sein wird: sozusagen ein später Sieg des einen Rivalen über den anderen.

Saskia Hedrich


[1]
Auf das Jubiläum, das im Gegensatz zum 200. Geburtstag von Joseph Meyer etwas untergegangen ist, zu dem vom Verlag aber auch nicht mehr als eine schmale Broschüre herausgegeben und ein Gewinnspiel veranstaltet hat, während Brockhaus die Chancen zu einer vorgeschlagenen Wanderausstellung nicht zu nutzen wußte, wird im Klappentext und auf der Rückseite des Schmutztitels hingewiesen. Anhand ausgewählter Texte früherer Auflagen soll in den Klappentexten auch der weiteren Bände der BE20 die Geschichte des Brockhaus dargestellt werden. Begonnen wird dieses Unterfangen beim ersten Band durch ein Zitat aus der Vorrede zur Erstausgabe, das die Ziele des Conversationslexicons wiedergibt. Ganz im Gegensatz zur heutigen Ausgabe steht hier der Vollständigkeitsanspruch des Lexikons im Hintergrund, wenn es dort heißt, der Zweck eines solchen "Wörterbuchs" [sic!] könne auf keinen Fall der sein, vollständige Kenntnisse zu gewähren. Stattdessen solle es "bloß diejenigen Kenntnisse enthalten, welche ein jeder als gebildeter Mensch wissen muß, wenn er an einer guten Conversation Theil nehmen oder ein Buch lesen will ...". (zurück)
[2]
Das Grundwerk wurde 1994 abgeschlossen. Zur BE19 vgl. die Rezension von Bd. 1 (1986) in ABUN in ZfBB 34 (1987),2, S. 156 - 158 und zum Ergänzungsband IFB 96-4-404. (zurück)
[3]
Wegen des identischen Umfangs wurden für die Werbephotos dann auch die Bände der BE19 verwendet. Zwar zeigten deren Rücken die Titelfassung der BE20, jedoch zugleich die Alphabetabschnitte der BE19 - also für den ersten Band A - APT (etc.) und nicht wie tatsächlich vorliegend A - AP. (zurück)
[4]
Die Gegenwart. - Leipzig : Brockhaus. - 12 (1856), S. XII. (zurück)
[5]
Mannheimer Abendland : was weiß die neue Brockhaus-Enzyklopädie? ; ein Lektürebericht / Kurt Flasch. // In: Frankfurter Allgemeine. - 1997-01-29, S. 35. (zurück)
[6]
Besonders auffällig die Abbildung zu dem Eintrag Anzeige. Hier werden immer noch zwei Werbeplakate für Sekt aus den Jahren 1886 und 1986 gegenübergestellt, und das trotz der Schnellebigkeit der Werbebranche. (zurück)
[7]
Damit die nachfolgenden Generationen auch am Äußeren der BE noch ihre Freude haben, wurde der Buchrücken mit "den oberen Schichten der etwa 1 cm dicken Kalbshaut" versehen, der Buchdeckel mit dem "Inbegriff strapazierfähigen Gewebes" überzogen, der Titel mit einem mit 23-karätiger Goldfolie - "denn nur Gold dieser Güte bietet Schutz vor Oxidation durch die Gerbsäure des Leders" - geprägten, "feinen farbigen Lederschild" versehen und - ein "Muss für ein Werk, daß über Generationen Bestand haben soll" - ein Kopfgoldschnitt angebracht (usw.). Vor dem "größten Feind des Goldschnittes" wird dann auch noch gewarnt, und außerdem erhält der Käufer mit jedem Band die nötigen Pflegeanweisungen. - Welche Pflegeanleitungen wohl der sicherlich eines Tages auch zu erwartenden CD-ROM-Ausgabe der BE20 beigegeben sein werden? (zurück)
[8]
Vgl. ABUN in ZfBB 28 (1981),5, S. 368 - 371. (zurück)

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