Aus deutscher und insbesondere süddeutscher Sicht ist die
Schloßbibliothek von Königswart (heute Kynzvart) bei Marienbad, die
den Fürsten von Metternich gehörte, von größtem Interesse. In ihr ist
ein großer Teil (und sicher der wertvollste) der Bibliothek des
ehemaligen Benediktinerklosters Ochsenhausen in Oberschwaben im
heutigen Landkreis Biberach enthalten. Dies hängt mit den politischen
Verhältnissen Oberschwabes am Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen.
Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wurde den Reichsgrafen
von Metternich als Entschädigung für an Frankreich verlorengegangene
linksrheinische Gebiete der größte Teil des Gebiets des nunmehr
säkularisierten ehemals reichsunmittelbaren Klosters Ochsenhausen
zugesprochen darunter das Kloster selbst. Außerdem erhielten sie den
Fürstentitel. 1825 verkaufte der österreichische Staatskanzler Fürst
Clemens Wenzel von Metternich das Kloster und die dazugehörenden
Liegenschaften an den württembergischen Staat. Die Klosterbibliothek
war jedoch ausdrücklich vom Verkauf ausgenommen. Den nach seiner
Einschätzung wertvollsten Teil der Bibliothek ließ Metternich auf sein
böhmisches Schloß Königswart bringen, wo er sich bis heute befindet.
Insgesamt lassen sich heute in Königswart noch etwas mehr als 4000
Bände nachweisen, die mit Sicherheit aus Ochsenhausen stammen,
darunter die 115 Inkunabeln, die im vorliegenden Katalog verzeichnet
sind. Leider wurde ein beträchtlicher Teil der ehemaligen
Klosterbibliothek nach der Sichtung durch Metternich auf Auktionen
versteigert. Der Rest wurde als Makulatur nach Biberach verfrachtet,
wo sich seine Spur verliert. Deshalb sind versprengte Teile der
Ochsenhausener Bibliothek heute über die ganze Welt verstreut. Fünf
Ochsenhausener Inkunabeln, die 1855 mit der Bibliothek der Freiherrn
Joseph von Laßberg (1770 - 1855) in die Fürstenbergische Hofbibliothek
nach Donaueschingen gelangt waren, wurden am 1. Juli 1994 in London
versteigert.[2] Nur ganz wenige Bände aus der Ochsenhausener Bibliothek
fanden im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts ihren Weg in die für
Ochsenhausen eigentlich zuständige Württembergische Landesbibliothek
in Stuttgart.[3] Erst 1993 kehrte ein kleiner Teil der Ochsenhausener
Bücherschätze für ein paar Monate nach Ochsenhausen zurück. Anlaß war
eine Ausstellung zur Erinnerung an die Gründung des Klosters im Jahre
1093 (also vor 900 Jahren), die vom tschechischen Staat durch
großzügige Leihgaben aus der Schloßbibliothek Königswart ermöglicht
wurde.[4]
Auch aus der schon erwähnten Bibliothek des Hauses Fürstenberg, das in
den letzten Jahren vor allem durch den Verkauf bedeutender Teile
seiner Donaueschinger Bibliothek ins Gerede kam, sind schon im 18. und
19. Jahrhundert kleinere Bestände nach Böhmen verlagert worden, wo sie
sich ebenfalls heute noch befinden. Karl Egon I. von Fürstenberg (1729
- 1787) richtete auf seiner böhmischen Burg Pürglitz (heute Krivoklát)
eine größere Bibliothek ein, die im wesentlichen aus der zentralen
Familienbibliothek gespeist wurde. Insgesamt 153 Inkunabeln dieser
Provenienz sind im vorliegenden Katalog beschrieben darunter auch der
dritte Band einer Pariser Ausgabe des Lancelot du Lac, deren beiden
ersten Bände in Donaueschingen verblieben waren und mit deren
Inkunabelsammlung 1994 versteigert wurden.[5]
Weitere südwestdeutsche Provenienzen befinden sich noch in der
Schloßbibliothek von Böhmisch Krummau (heute Cesky Krumlov), die im
19. Jahrhundert durch die Vereinigung der Familienbibliotheken der
Fürsten von Eggenberg und von Schwarzenberg entstand. In die
Bibliothek der Schwarzenberg floß bereits im 17. Jahrhundert die durch
die Heirat des Ferdinand von Schwarzenberg (1652 - 1703) mit der
Landgräfin Maria Anna von Sulz erworbene Bibliothek der schwäbischen
Grafen von Sulz ein. Auch in dieser Bibliothek stecken einige im hier
besprochenen Katalog aufgeführte Inkunabeln.
Nun zum Katalog selbst, der die drei ersten Hefte einnimmt. Die Drucke
sind so knapp wie möglich beschrieben. Auf ausführliche Beschreibungen
wird wie üblich durch die bibliographischen Zitate hingewiesen.[6]
Lediglich Unikate (wie z.B. Nr. 30, 270, 418, 420, 673) werden nach
Art des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke (GW) ausführlich beschrieben.
Bei Sammelbänden wird übrigens der ganze Inhalt des Bandes in der
gegebenen Reihenfolge kurz mitgeteilt (einschließlich der Drucke
späterer Jahrhunderte, wenn der Band solche enthält). In den
kleingedruckten Anmerkungen zu den Drucken werden die individuellen
Merkmale (Rubrizierung, handschriftliche Anmerkungen, Einbände,
Provenienzen, etc.) aufgeführt. Sie sind in tschechischer Sprache.
Dankenswerterweise steht unmittelbar vor dem Beginn des Katalogs (auf
S. 17/18) eine dreisprachige (tschechisch-deutsch-englische) Auflösung
der im Katalog verwendeten tschechischen Abkürzungen, so daß man sich
auch ohne Tschechischkenntnisse in den Erläuterungen zurechtfinden
kann.
Alle vier Hefte sind durchpaginiert, so daß sie leicht zu einem Band
gebunden werden können. Das abschließende vierte Heft (= S. 269 - 407)
enthält die für die Erschließung des Katalogs unentbehrlichen
Register, die mit großer Sorgfalt erstellt wurden. Bedauerlich ist
lediglich, daß den Einbänden kein Register gewidmet wurde. Am Schluß
(S. 406) findet sich auch noch ein deutsches Inhaltsverzeichnis. Die
tschechische Einleitung des Katalogs (S. 2 - 13) ist außerdem auf
einer Seite (S. 14) deutsch zusammengefaßt. Im einzelnen enthält Heft
4 folgende Register und Konkordanzen: 1. Register der Herausgeber,
Übersetzer usw.; 2. Register der Drucker und Verleger; 3. Register der
Druckorte (S. 298 - 325) mit chronologischer Zusammenstellung aller
Drucke nach dem Alphabet der Drucker innerhalb jedes einzelnen
Druckorts; 4. Chronologische Zusammenstellung aller Drucke (von 1466
bis 1500); 5. Konkordanz der GW-, Hain-, Copinger-, Reichling-Nummern
und ausgewählter BMC- und Goff-Zitate sowie einiger tschechischer
Inkunabelkataloge; 6. Zusammenstellung der erfaßten Schloßbibliotheken
mit ihren Signaturen und den Nummern dieses Katalogs; 7.
Provenienzregister.
Am Schluß von Heft 4 folgen noch 26 Abbildungen auf Tafeln, von denen
die ersten vier sogar in Farbe sind. Bis auf die beiden Abbildungen
von Einbänden (Abb. 25 und 26) sind die Abbildungen von recht guter
Qualität. Anzuerkennen ist, daß auch zwei Exlibrisstempel der
Ochsenhausener Klosterbibliothek (Abb. 23) und zwei Exlibris von 1536
und 1609 (Abb. 21 und 22) abgebildet sind, wobei das Exlibris des
böhmischen Humanisten Jan Hodejovsky von Hodejov von 1536 sicher eines
der ältesten Exlibris in Böhmen ist.
Zu den Registern ist nur wenig anzumerken. Aus dem Register der
Druckorte geht hervor, daß insgesamt 54 Druckorte in den
Schloßbibliotheken vertreten sind. Ein Druckort ist im Register
allerdings nachzutragen. Der anonyme "Drucker der Erwählung
Maximilians" ist sowohl im Register als auch im betreffenden
Katalogeintrag (Nr. 329) in Straßburg angesiedelt, obwohl der zitierte
GW (GW 7887) und Goff (Goff C-1014) korrekt "Stuttgart" als Druckort
angeben. Das in tschechischer Sprache erstellte Provenienzregister
enthält sehr viele Querverweisungen und ist daher leicht benutzbar.
Ein paar kleine Unsicherheiten in der alphabetischen Abfolge fallen
auf (z.B. Ochsenhausen nach Oettingen etc.). Das Stichwort Carlhusiae
Czemnicensis wurde von den Bearbeitern selbst mit einem Fragezeichen
versehen. Dahinter steckt vielleicht eine Kartause (aber welche?) oder
ein Ort "Karlshausen" (welches?). Haugen, Johannse Udalricus ist ein
Johann Ulrich Haug (Haugen ist eine Obliquusform). P. W. (Nr 794) ist
wahrscheinlich der in Tübingen tätige Rubrikator P. W. Die von ihm
rubrizierten Bände wurden in der Regel von dem Tübinger Buchbinder
Johannes Zoll gebunden. Leider wurde dieser Band wie viele aus der
Ochsenhausener Klosterbibliothek im 19. Jahrhundert neu gebunden.
Steglitzius (Stiglitius), Johannes = Stiglitz, ein deutscher
Geistlicher, der seit 1481 in Bologna studierte und während seines
Aufenthalts in Italien zahlreiche italienische Drucke erwarb, von
denen sieben hier verzeichnet sind. Zahlreiche Bände aus seinem Besitz
gelangten über die Bibliothek des Chorherrenstifts Comburg in die
heutige Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart.
Abschließend kann man sagen, daß der vorliegende Katalog der
Inkunabeln der tschechischen Schloßbibliotheken durch seine hohe Zahl
entsprechender Provenienzen vor allem einen wichtigen Beitrag zur
Erhellung der älteren Bibliotheksgeschichte Südwestdeutschlands
darstellt und daher in keiner größeren deutschen Bibliothek fehlen
sollte.
Peter Amelung
Zurück an den Bildanfang