Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 4
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Histoire de la littérature russe


96-4-560
Histoire de la littérature russe / ouvrage dir. par Efim Etkind ... - [Paris] : Fayard. - 24 cm. - Ital. Ausg. u.d.T.: Storia della letteratura russa. - Torino : Einaudi
[3711]
Des origines aux Lumières. - 1992. - 895 S. - ISBN 2-213-01985-1 : FF 495.00
Le XIXe siècle
1. L'époque de Pouchkine et de Gogol. - 1996. - 1289 S. - ISBN 2-213-01986-X : FF 495.00
Le XXe siècle
1. L'âge d'argent. - 1987. - 784 S. - ISBN 2-213-01892-8 : FF 398.00
2. La révolution des années vingt. - 1988. - 1003 S. - ISBN 2-213-01960-6 : FF 490.00
3. Gels et dégels. - 1990. - 1091 S. - ISBN 2-213-01950-3 : FF 490.00

Das größte Unternehmen im Bereich der Literaturgeschichten ist eine auf sieben Bände geplante französische Edition, bei der schon der Umfang jedes einzelnen Bandes mit ca. 1000 Seiten höchst ungewöhnlich ist. Es wurde von Jefim Etkind (1918 - ), einem 1974 nach Paris emigrierten Leningrader Hochschullehrer, 1982 geplant und wird von ihm gemeinsam mit Georges Nivat, Ilja Serman und Vittorio Strada geleitet. Von den vorgesehenen sieben Bänden[1] sind 1987 bis 1996 fünf erschienen, darunter (1992) der über den Anfang bis ins 18. Jahrhundert und der vorletzte (1990), der von den dreißiger Jahren bis kurz vor das Ende der Sowjetära reicht. Als erstes hatte man 1987 den Band über das "Silberne Zeitalter" fertiggestellt. Die Konzeption sieht in sechs chronologisch gegliederten Bänden jeweils größere Abschnitte vor, in denen sich zeitliche Perioden mit gattungsmäßigen oder thematischen Fragestellungen verbinden, wie "Moskau, das Dritte Rom", "Die Revolution und die Literatur", "Der russische Formalismus", "Die dreißiger Jahre" (des 20. Jahrhunderts), "Vom 'Tauwetter' zur 'Dissidenz': Die neue Emigration". Solchen Überblicken sind Kapitel von 10 bis 20 Seiten untergeordnet, in denen meist einzelne Autoren vorgestellt werden. Achmatowa, Blok, Majakowski und Pasternak werden durch ein weiteres Kapitel mit einer Analyse ihrer Dichtkunst herausgehoben. Jeder Autor erhält sein Kapitel nur innerhalb des Zeitraums eines Bandes. Das kann gut sein, aber bei Soschtschenko, der im Band über die zwanziger Jahre plaziert ist, wird nicht auf sein weiteres Schicksal verwiesen. Bei Anna Achmatowa aber, die in den Band, der mit den dreißiger Jahren beginnt, aufgenommen wurde (als sie kaum publizieren durfte), ist die analoge Verfolgung von 1946 einbezogen. Für die Bearbeitung wurden Wissenschaftler - im einzelnen Band bis über dreißig - international ausgewählt, meist ausgewiesene Gelehrte. Auch D. Owsjaniko-Kulikowski hatte für die von ihm 1910 herausgegebene fünfbändige Geschichte der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts viele hervorragende russische Gelehrte herangezogen, auch er hatte - wie die neue in französischer Sprache - Kapitel über Literaturkritik und das Umfeld der Gesellschaft aufgenommen. Etkind aber und seine Mitherausgeber beziehen ergänzend Philosophie, Musik und Kunst, sogar Film ein. Das ist verdienstvoll, aber wer wird in einer "Literatur"-Geschichte eine Geschichte der russischen Musik suchen? Geschrieben hat sie Felix Rosiner - ein sehr guter Fachmann, der zugleich Schriftsteller ist. Schmalere Ergänzungsbände zu solchen Themen würden mehr Benutzer erreichen. Das Werk ist eigentlich als Kulturgeschichte Rußlands angelegt. Jedes Kapitel ist eine geschlossene Abhandlung, die - vor allem wenn es sich nicht um Schriftstellerporträts handelt - auch in einer Zeitschrift stehen könnte. Typisch ist hierfür das Kapitel "Das Jahr 1913", dessen Titel auf Anna Achmatowas Poem ohne Held zurückgeht. Niemand würde einen solchen - von Boris Chasanow (München) sehr gut gelösten - spezifischen Blick auf das "Silberne Zeitalter" in einer Literaturgeschichte erwarten. Die Vielfalt der Mitarbeiter bringt eine sehr unterschiedliche Art der Darstellung mit sich. Nicht alle verbinden den in einer Literaturgeschichte notwendigen Faktenreichtum mit flüssigem Stil, manche, wie der von Ruf Sernowa über Alexander Kuprin sind eher essayistisch als dicht. - Im ersten Teilband für das 19. Jahrhundert wurden Puschkin 125 Seiten - eine Monographie - gewidmet, Lermontow 75, Gogol 65.

Trotz des großen Umfangs und der von sowjetischen Darstellungen deutlich abweichenden Bewertung vermißt man Kapitel über wichtige Autoren, die in kleineren Literaturgeschichten durchaus eigene Berücksichtigung erhalten haben, z.B. über Juri Nagibin, Konstantin Paustowski, Wladimir Tendrjakow - auch über Boris Chasanow, den man - wie oben erwähnt - um einen Artikel gebeten hatte. Chasanow, ein viel ins Deutsche übersetzter Schriftsteller, ist als solcher nicht einmal erwähnt, während dem höchstens als Zeiterscheinung kurz zu nennenden Proletkultlyriker Alexej Gastjew ein eigenes Kapitel zugebilligt wurde. Etkind läßt ihn aus seiner Geschichte der russischen Lyrik der Sowjetzeit zu Recht heraus.[2] Alle Dramatiker und die Lyriker bis auf wenige Ausnahmen sind nur in Übersichtskapiteln enthalten. Viele bedeutende Dichter wie D. Klenowski stehen nur in Listen. Das verzerrt die Relationen zu Autoren mit eigenen Kapiteln. Wahrscheinlich ist die Geschlossenheit, die von Guenther, Luther, Lettenbauer, Setschkareff oder Waegemans bieten, von solchem Unternehmen nicht zu erwarten.

An deutschen Slawisten wurden Rainer Grübel für den Abschnitt über den Konstruktivismus und Selwinski, Johannes Holthusen für das Kapitel über Sologub, Hans Rothe für das über "Die Dichtung von 1770 bis 1800" eingeladen, also jeweils Fachleute für die betreffenden Gebiete. Im ersten Band hat von 39 Kapiteln allein zehn der 1976 nach Israel ausgewanderte Ilja Serman geschrieben, der sich schon in der Sowjetzeit durch Monographien und Beiträge zu den Literaturgeschichten ausgewiesen hatte. Mit Dmitri Lichatschow, über den Serman im letzten Band ein eigenes Kapitel schrieb, wurde auch einer der berühmtesten russischen Gelehrten zur Mitarbeit gewonnen.

Anmerkungen, Bibliographie, Namen- und Werkregister umfassen 15 bis 25 Prozent, aber ein detaillierteres Inhaltsverzeichnis und Seitenangaben im Apparat hätten die Orientierung erleichtert. Zur Zeit vermißt man das Gesamtregister. Aufbau und Inhalt, vor allem aber Umfang und Preis des Ganzen verweisen dieses Werk in Bibliotheken. Inzwischen ist der ersterschienene Band in Rußland verlegt worden, allerdings ohne Absprache mit dem Verleger oder den Herausgebern, so daß ursprünglich russische Texte aus dem Französischen ins Russische rückübersetzt wurden.


[1]
Geplant sind: Le XIXe siècle. 2. Le temps du roman sowie Problèmes généraux de la littérature russe. (zurück)
[2]
Russische Lyrik von der Oktoberrevolution bis zur Gegenwart : Versuch einer Darstellung / Efim Etkind. - München : Beck, 1984. - 369 S. - (Beck'sche schwarze Reihe ; 283). - ISBN 3-406-09283-7 : (vergr.) - Dieses Werk wertet die Sowjetlyrik neu, bezieht Unterdrückte und Verfolgte ein, schließt aber die Emigranten aus. (zurück)

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