Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 4
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Internationale Hölderlin-Bibliographie


96-4-451
Internationale Hölderlin-Bibliographie : (IHB) ; auf der Grundlage der Neuerwerbungen des Hölderlin-Archivs der Württembergischen Landesbibliothek ; Quellen und Sekundärliteratur, Rezeption und Rezensionen / hrsg. vom Hölderlin-Archiv. Bearb. von Werner Paul Sohnle und Marianne Schütz. - Stuttgart-Bad Cannstatt : Frommann-Holzboog. - 25 cm. - Ersch. jeweils in 2 Teil-Bd.: 1. Erschließungsband und 2. Materialband. - ISSN 0178-2142
[1427]
1993/94,1 - 2. - ISBN 3-7728-1720-3 (Bd. 1) - ISBN 3-7728-1721-1 (Bd. 2) : DM 836.00, DM 694.00 (Forts.-Pr.)

Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt, auch nicht bei der Erfindung neuer Typen von Personalbibliographien. Hier ist ein weiterer Band der Internationalen Hölderlin-Bibliographie (IHB)[1] anzuzeigen, die man als Register mit beigegebener Bibliographie bezeichnen muß. Als Teilband 1 kommt ein sogenannter Erschließungsband daher, der aus einem Systematischen Schlagwortregister zur angezeigten Literatur, einem Alphabetischen Schlagwortregister zur angezeigten Literatur, einem Personenregister und einem Titelregister (nicht der Werke Hölderlins, sondern der verzeichneten Literatur) besteht.

Den Kern bildet das Systematische Schlagwortregister, dem ein Hölderlin-Thesaurus von etwa 5000 Deskriptoren zugrundeliegt. Die neun - von 0 bis 8 gezählten - obersten Begriffe sind: O Allgemeines, 1 Persönlichkeit, 2 Biographie, 3 Weltbild in Biographie und Dichtung, 4 Wirken in Theorie und Leben, 5 Poetik, 6 Werk, 7 Rezeption, 8 Forschung. Man braucht schon eine recht mechanistische Vorstellung, um Hölderlin bzw. die Hölderlin-Forschung in eine solche Systematik zu zwängen. Zu welchen Problemen der Abgrenzung allein die Einteilung der obersten Hierarchie-Reihe führt, studiere man beim Vergleich der Systemstellen 3C Dichtkunst und 5 Poetik, etwa am Beispiel der Sprache.

Da der Thesaurus im Erschließungsband systematisch angelegt ist, werden die im sogenannten Materialband im Anschluß an die Quellen nachgewiesenen Titel der Sekundärliteratur und der Rezeption sowie die Rezensionen lediglich in alphabetischer Ordnung angeführt. Man muß sich also den Thesaurus hernehmen und dann z.B. in der Systematik unter 6Dd (Einzelne Gedichte) den Titel "Friedensfeier" suchen und sich dann die zwanzig über den ganzen Materialband verstreuten Einträge zusammenklauben. Diese Bastelarbeit ist keine Forschung, und ein Großteil des Dienstes, den die Forschung von einer Personalbibliographie erwarten kann, besteht gerade darin, so etwas dem Benutzer abzunehmen.

Zu einigen Einzelheiten: Da werden die bibliographischen Beschreibungen und Notizen zu den Bänden der Hanser-Ausgabe (S. 1 ff.) bei den gleich nachfolgenden Lizenzausgaben in allen Details wiederholt. Anderthalb Seiten elektronisch verursachter nutzloser Zeichen statt einer informativen Zeile mit dem Hinweis "Auch als Lizenzausg. bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft" o.ä. Für den Forscher ist es eine Zumutung, dieselben Angaben in der Buchausgabe zigfach vorgesetzt zu bekommen, nur weil in der Datenbank die Dokumente isoliert aufgenommen sind. (Übrigens unterläuft da denn noch eine kleine Skurrilität: Zweimal wird im Kollationsvermerk für Bd. 3 der Hanser-Ausgabe neben dem Umfang auch die Existenz von Abbildungen vermerkt, einmal nicht; das kommt davon, wenn man die Fehlerquellen durch ein hypertrophes Verfahren gleich mit einbaut.)

Da wird die Mikrofiche-Ausgabe der Bibliothek der deutschen Literatur gleich zweimal mit den Boxen 17 und 22 angeführt: S. 3 f. unter Teilausgaben und S. 25 unter Quellenmaterial, das zweite Mal, weil auf den Mikrofiches u.a. auch die Veröffentlichung von Alexander Jung Hölderlin und seine Werke (1848) verfilmt ist. Vergeblich aber sucht man diesen Titel von Jung in der Rubrik Sekundärliteratur des Materialbandes oder im Erschließungsband im Register der Titel. Sekundärliteratur, die nur in der Rubrik Primärliteratur verzeichnet ist, wird also - natürlich, weil an die Stelle des Nachdenkens das Sortieren durch Programme getreten ist - als solche nicht nachgewiesen.

Im Namenregister ist Alexander Jung angeführt, aber mit dem Zusatz ad, woran man gleich merkt, daß es sich um ihn als Adressaten (in diesem Falle von unter Nr. 1166 verzeichneten Briefen von Karl Rosenkranz) handelt, nicht jedoch um ihn als Autor des zitierten Titels. Als solcher begegnet er auch nicht im Schlagwortregister zur angezeigten Literatur, dort wird vielmehr noch einmal auf den Titel von Rosenkranz verwiesen und auf eine Monographie zum "Hyperion" (Nr. 340), wo Jung - wegen des Zusatzes 8 Ah im Schlagwortregister - vermutlich (aber eine bibliographische Notiz dazu gibt es nicht) - als Hölderlin-Forscher vorkommt. Wer hätte das gedacht. Die ganze nutz- und sinnlose Verspieltheit des Thesaurus wird auch hier offenbar.

Alle Maßstäbe sind auch verlorengegangen, wenn allenthalben Rezensionen zu Gesamtdarstellungen, Sammelwerken und Sammlungen angeführt werden, in denen u.a. auch von Hölderlin gehandelt wird bzw. in denen ihm ein Beitrag gewidmet ist. Nur dann hat eine Rezension zu solchen Titeln etwas in der Hölderlin-Bibliographie verloren, wenn die Rezension nachgerade die Erörterung Hölderlins in der rezensierten Publikation in die Mitte der Kritik rückt. Sonst gehören derartige Rezensionen ausschließlich in die Gesamtbibliographie des Faches. Gleiches gilt für die Rubriken zur Rezeption: Gut zu wissen, daß Paul Austers Empfindung der Einsamkeit (S. 415) einen Hölderlin-Bezug hat, aber was interesssiert die zu dem Buch erschienene Rezension im Zürcher Tages-Anzeiger?

Von der Hypertrophie, die der germanistischen Fachbibliographie drohen könnte, scheint der in ihrer Theorie und Praxis gleichermaßen bewanderte Gelehrte Hans Fromm schon vor vielen Jahren etwas geahnt zu haben, als er schrieb, es sei "nicht zu übersehen, daß die Bibliographie als in besonderem Maße organisierte Form selbst stark Gefahr läuft, von anderen, noch intensiver entfremdenden Formen der Dokumentation und Information überholt zu werden."[2]

Nachdem die Hölderlin-Forschung in der Editorik zu einem Tummelplatz geworden ist, auf dem Reprographietechniker und selbsternannte Divinatoren die Philologen abgelöst haben, ist mit der IHB auch in die Hölderlin-Bibliographie die Ödnis eines selbstzufriedenen, mechanistischen Leerlaufs eingezogen. Der Forschung ist das alles - in der Terminolgie Fromms - so entfremdet wie der ernsthaften Liebhaberei des gebildeten Lesers. Auch der Personalbibliograph müßte sich doch wenigstens einer dieser beiden Kategorien - Forscher oder Liebhaber - zuordnen. In der IHB indes scheint der Bezug zu Hölderlin etwa demjenigen zu gleichen, den ein Reisebüro zur Kunst der Zielgebiete in seinem Katalog hat.

Warum, um alles, beschert uns die Stadt, nach der die noch immer führende Hölderlin-Ausgabe ihren Namen trägt, diesen personalbibliographischen Wechselbalg? Wie man es auch machen könnte, zeigt ein wehmütiger Blick in die frühere laufende Hölderlin-Bibliographie der Hölderlin-Jahrbücher. An der Kritik ändert auch die Tatsache gar nichts, daß es sich bei der IHB zugleich um den Bestandskatalog des Hölderlin-Archivs handelt. Die IHB kommt als Personalbibliographie daher und als solche hätte sie ihre Benutzer nicht mit einem ticeusen Sammeltrieb zu behelligen, dem alles gleich gilt, sondern mit kundiger Hand die Spreu vom Weizen zu sondern. Man könnte zornig werden, wenn es nicht so zum Lachen wäre!

Hans-Albrecht Koch


[1]
Vgl. die Rezensionen von Siegfried Seifert in ZfBB 40 (1993),1, S. 60 - 62 zu 1984/88 (1991) und IFB 94-3/4-448 zu 1989/90 (1992) und 1991/92 (1994). (zurück)
[2]
Germanistische Bibliographie seit 1945 : Theorie und Kritik / Hans Fromm. - Stuttgart : Metzler, 1960, S. 27. (zurück)

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