Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 2/3
[ Bestand in K10plus ]

Encyclopedia of utopian literature


Siehe auch die Vorbemerkungen

96-2/3-238
Encyclopedia of utopian literature / Mary Ellen Snodgrass. - Santa Barbara, Calif. ; Oxford [u.a.] : ABC-CLIO, 1995. - XVI, 644 S. : Ill. ; 26 cm. - (ABC-CLIO literary companion). - ISBN 0-87436-757-3 : $ 65.00, 34.95
[3375]

Die Encyclopedia of utopian literature zielt auf die Erläuterung des gesamten Stoffkreises literarischer, fiktionaler Utopien, dessen Geschichte, Erscheinungsformen, Autoren und Motivik. Auf 644 Seiten (davon 21 S. Register, 34 S. Bibliographie) entfaltet sich in etwa 300 Artikeln trotz der im folgenden skizzierten Mängel ein zusammenhängender Überblick, der insbesondere in Schulbibliotheken vertreten sein darf sowie Anglistik-Studierenden des Grundstudiums erklärend zur Seite stehen kann.

Die Werkartikel bestehen in der Regel aus reinen (kurzen) Inhaltsangaben ohne weitergehende kritische Wertung; darüber hinaus sind im Rahmen einer "Enzyklopädie" die Zuordnungen innerhalb des Koordinatensystems utopischer Literatur allzu fragmentarisch. So verwundert es nicht, daß die Krise der rationalistischen System-Utopie nach Rousseau und Burke und das Weiterleben in gewandelten Erscheinungsformen (von künstlichen Paradiesen bis zur radikalisierten Sozial- und Kulturkritik) hier völlig untergeht.

Der Artikel Utopie ist lesbar, bleibt aber vom Informationswert weit hinter Artikeln in allgemeinen literaturwissenschaftlichen Nachschlagewerken zurück. Besonders vermißt man eine Abgrenzung hin zu Science-Fiction und Fantasy, die auch in den jeweils eigenen Artikeln zu diesen Begriffen nicht gelingt. Entsprechend fehlen Verweisungen etwa auf L.-S. Merciers L'an 2440 (1771), der als erster "Zukunftsroman" gilt, der eine positive politische Entwicklung in Zusammenhang mit naturwissenschaftlichem Fortschritt sieht; Looking Backward 2000 - 1887 (E. Bellamy, 1888) dagegen, der erste englischsprachige Roman gleicher Couleur, erscheint unter einem eigenen Eintrag. Auch bei Vertretern der technologiekritischen Richtung tun sich bei genauerem Hinsehen Lücken auf (etwa fehlt . Souvestres Klassiker Le monde tel qu'il sera von 1848), die wohl der Ausrichtung auf ein angelsächsisches Publikum zugewiesen werden dürfen. Unverständlich bleibt gerade deshalb das Auslassen von D. F. Skinners Futurum II (1948), einer der wenigen bedeutenden 'positiven' literarischen Utopien neueren Datums. Mutationen utopischer und dystopischer Literatur nach Orwell (Ursula LeGuin, Doris Lessing, Michael Frayn, Ernest Callenbach) bilden ein weiteres Desiderat. Auch die Rezeption der großen Klassiker von Morus und Orwell bleibt unklar.

Eine Wort- und Begriffsgeschichte ist überfällig und wird auch hier in den entsprechenden Einträgen nur angedeutet. Umso begrüßenswerter ist dagegen die Aufnahme verwandter Begriffe und Rahmenkonzepte auch nicht-westlicher Kulturen, die ihren Eingang in die Gedankenwelt westlicher Utopien gefunden haben (z.B. Siddharta, Nirwana).

Die utopische Tradition hat sich in den letzten Jahren über mangelnde Aufmerksamkeit wahrlich nicht beklagen können. Die dem Band beigefügte Bibliographie bietet hierin einen kleinen, leider nur im Hinblick auf die weiteren auch sonstigen Publikationen der Autorin sehr aufschlußreichen Überblick. An Dürftigkeit steht sie nur den beigegebenen Illustrationen nach, die offensichtlich zusammen mit der Dicke des gewählten Papiers dem Band die inhaltlich fehlende Voluminosität garantieren sollen.

Der Wert des Bandes, sofern man ihn geschenkt bekommt, liegt - hier nun die Quintessenz - im besonderen in den Inhaltsangaben sowie der Zeichnung der Hauptcharaktere zentraler Werke. Ihn käuflich zu erwerben, besteht kein dringender Anlaß.

Rudolf Nink


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