Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 2/3
[ Bestand in K10plus ]

Metzler-Philosophen-Lexikon


Siehe auch die Vorbemerkungen

96-2/3-188
Metzler-Philosophen-Lexikon : von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen / unter red. Mitarb. von ... hrsg. von Bernd Lutz. - 2., aktualisierte und erw. Aufl., ungekürzte Sonderausg. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1995. - 954 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 3-476-01428-2 : DM 39.80
[3331]

Bei der Auswahl der ca. 320 Philosophen hat sich der Herausgeber "auf diejenigen Namen der europäischen Philosophiegeschichte konzentriert, die im Verlauf einer nun mehr zweieinhalb Jahrtausende währenden Verständigung über das Verhältnis von Gott, Mensch und Welt immer wieder zitiert worden sind und werden" (S. V). Gegenüber der 1. Aufl. 1989[1] wurden die biobibliographischen Daten aktualisiert, erweitert wurde die Sammlung um 20 Porträts meist zeitgenössischer Philosophen.

Leben und Werk werden, verbunden mit einer prägnanten Analyse der philosophischen Ansätze, im Kontext von Überlieferungsgeschichte, Bildungsinstitutionen, Wissenschaftssystem und politischen Machtverhältnissen gut verständlich und mit Gewinn auch für den Fachphilosophen im Überblick dargestellt. Stilistisch wurde dabei bewußt auf außerlexikalische, d.h. hier erzählerische Mittel Wert gelegt. Die fast durchgängig illustrierten Artikel sind in der Tat gefällig, teilweise auch spritzig formuliert, markante, ausgewählte Zitate dienen oft als Aufhänger - ein Buch, das trotz seiner alphabetischen Ordnung zum Querlesen animiert. Die mehr als 130 Autoren und Autorinnen kommen aus den Bereichen Philosophie, Theologie, Literatur-, Sprach-, Sozial- und Naturwissenschaften. Aufgenommen wurden auch Persönlichkeiten, die - wie im Urteil Reinhard Mehrings über Carl Schmitt - keine Philosophen waren und dies auch nicht sein wollten (S. 799). Auch schwierigere Lebensabschnitte zeitgenössischer Philosophen werden offen und differenziert geschildert, eine eigene Wertung nicht gescheut. Als Beispiel sei eine längere Passage aus Peter Christian Langs Porträt von Hans-Georg Gadamer angeführt: "Nach der Ernennung zum Professor (1937) bekommt G. bald einen Ruf nach Leipzig, wo er ab 1939 lehrt. Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft erlebt er nach eigenem Bekunden als bedrückend; da er sich aber politisch zurückhält ('im ganzen war es klüger, sich unauffällig zu verhalten'), bleibt er von Verfolgung und Repression weitgehend verschont. Er hält sich mit einer gewissen unbetroffenen Naivität in einem eher politikfernen gesellschaftlichen und thematischen Gelände auf, und es gelingt ihm, sich zwischen äußerer und innerer Emigration hindurchzulavieren. Einerseits beschäftigt er sich in Lehrveranstaltungen auch mit dem verfemten Edmund Husserl, andererseits läßt er sich als Vortragender u.a. in Florenz und Paris zur Auslandspropaganda mißbrauchen. Nach dem Krieg wird der unkomprimitierte G. Rektor der Leipziger Universität (1946/47) und muß sich nun mit der sowjetischen Besatzungsmacht arrangieren." (S. 298 - 299). Hervorzuheben ist Silvio Viettas 13seitiger Heidegger-Artikel. Vietta liest zentrale Passagen aus Sein und Zeit (1927) auf der Folie der politischen und ökonomischen Krise der Weimarer Republik und Heideggers intellektuellem Profil der frühen Jahre. So sei Heidegger, geschult am theologischen Systemdenken wie an der mathematischen Theorie - beides vermittelt durch die formale und darum ungeschichtliche Methode Husserls - , "in Sein und Zeit auf seltsame Weise das angemessene Verstehen seiner eigenen Erkenntnisse und auch der politischen Situation der Zeit" (S. 361) verstellt geblieben. Bei der Zeit-, Todes-, Sorge-, Angstanalyse in Sein und Zeit appelliere Heidegger an die Betroffenheit des Lesers dadurch, daß er "hier zwar auf einer fundamentalontologischen Ebene argumentiert, in Wahrheit aber eigene Existenzerfahrung und auch - ohne daß dies explizit würde - Zeitgeschichte mitverarbeitet. Hierin liegt aber der Schlüssel zur politischen Fehleinschätzung des Dritten Reiches durch H. in der Zeit zwischen 1933 und 1934." Dieser politische Fehler Heideggers sei nun "philosophisch begründet und aus der Zeitanalyse von Sein und Zeit zu verstehen." (S. 363 - 364).

Primärliteratur wird gegebenenfalls im laufenden Text zitiert, die knappen bibliographischen Hinweise am Schluß der Artikel werden ergänzt durch eine weiterführende Bibliographie (S. 239 - 241), die Lexika und philosophiehistorische Werke, kurz erläutert, auflistet. Das Lexikon wird durch ein Register der genannten Personen erschlossen.

Das Metzler-Philosophen-Lexikon ist von Anlage und Durchführung her gelungen, seine Lektüre macht Spaß. Gemessen an den eingangs zitierten Auswahlkriterien bietet sich die Ergänzung um Artikel zu Goethe, Hölderlin, Lessing, Novalis, Schiller und Schlegel an.


[1]
ABUN in ZfBB 36 (1989),2, S. 139 - 141.
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