Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 2/3
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Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie


Siehe auch die Vorbemerkungen

96-2/3-183
Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie / unter ständiger Mitwirkung von Siegfried Blasche ... in Verbindung mit Gereon Wolters hrsg. von Jürgen Mittelstraß. - Stuttgart ; Weimar : Metzler. - 25 cm. - Bd. 1 - 2 ersch. im Verl. Bibliographisches Institut, Mannheim [u.a.]
[0586]
Bd. 3. P - So. - 1995. - 866 S. - ISBN 3-476-01352-9 : DM 248.00, DM 198.00 (bis 31.12.1996)

Der 3. Bd. der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie bringt rund 750 Artikel zu Sachen und Personen von Paar, geordnetes bis Soziologie. Der Band erscheint mit einem Abstand von elf Jahren auf Bd. 2, Bd. 1 kam 1980 heraus,[1] der vierte und letzte Band ist für 1996 angekündigt.

Nicht nur der zeitliche Verzug in der Publikation der Enzyklopädie, auch die Tatsache, daß Bd. 3 mit dem Buchstaben Z eigentlich den Abschluß hätte bilden sollen, veranlaßt den Herausgeber im Vorwort zu einer Stellungnahme. Aus Bd. 1 und 2[2] habe man, wie es heißt, "gelernt" und sei bei grundsätzlich unveränderter Konzeption zu Modifikationen bei den Verweisungen und im bibliographischen Apparat gekommen. Nebenbei gesteht der Herausgeber freimütig ein, daß sich die Mitarbeiter von Vielzahl und Umfang der zu erstellenden Artikel zunächst überraschen ließen. Bei einer Publikation diesen Anspruchs sei einmal unterstellt, daß eine vollständige Liste der Stichwörter bereits zu Beginn der Ausarbeitungen vorlag, wenn nun "eine noch sorgfältigere systematische Abstimmung der Artikel untereinander (über ein weiter ausgearbeitetes Verweissystem)" angekündigt wird. Beträchtlich an Umfang gewonnen hat denn auch der bibliograpische Teil der Einträge, wobei eben "ein noch größeres enzyklopädisches Augenmerk auf die Werk- und Literaturverzeichnisse" (S. 5) gelegt wurde.

Die Enzyklopädie versteht sich sich als ein "Instrument wissenschaftlicher Arbeit" (1980, S. 5) und wendet sich in Auswahl und Stil der Artikel an den Experten. Dabei ist mit den Fächern Philosophie und Wissenschaftstheorie das Themengebiet breit und fächerübergreifend angelegt. Erfaßt werden der klassische Bestand philosophischen Wissens, (formale) Logik und Theorie der Wissenschaftssprache, allgemeine Wissenschaftstheorie (im Sinne einer Erkenntnistheorie) und spezielle Wissenschaftstheorie, die sich den Grundlagenproblemen der Fachwissenschaften widmet.

Bevorzugt werden Themen des naturwissenschaftlichen Bereichs aufgegriffen, im eher historisch orientierten Bereich ist, an der Spaltenzahl der Einträge gemessen, kein Schwerpunkt auszumachen: Physik 16 Sp., Psychologie 10 Sp., Soziologie 3 Sp., Einträge zu Pädagogik und Philologie fehlen leider. Überhaupt ist die Auswahl der Stichwörter an vielen Stellen inkonsequent: Wohl gibt es einen Eintrag zu Sozialphilosophie und Sozialwissenschaft; wer nun das Pendant zu Religionsphilosophie (nämlich Religionswissenschaft) sucht, schlägt allerdings vergebens nach. (Hegels) Phänomenologie des Geistes sind immerhin 7 Sp. gewidmet; da ist es verwunderlich, daß ein Hinweis, ob und unter welchem Stichwort (Newtons) Philosophiae naturalis principia mathematica dargestellt werden, fehlt. Sklavenmoral wird in Abgrenzung zu Herrenmoral als ein Grundtyp der Moralen im Rekurs auf Nietzsche vorgestellt; doch hat man in Bd. 2 auf einen Eintrag unter Herrenmoral verzichtet wie auch das hier einschlägige Werk Nietzsches Zur Genealogie der Moral (1887) unerwähnt bleibt. Gelungen sind dagegen Versuche, differenten Sachverhalten, wie z.B. Platonismus in historischer und wissenschaftstheoretischer Hinsicht, durch zwei gesonderte Einträge zu entsprechen. Die Verweisungen sind in der Regel in den Text gestreut, oft sehr zahlreich: Der einspaltige Artikel progressiv bringt es auf 21 Verweisungen. Auf Personen wird dabei nicht verwiesen. Die Präsentation der bibliographischen Angaben ist komplex zu nennen: Hinweise auf Primärtexte, einzelne Textstellen und Forschungsliteratur finden sich auch im darstellenden Teil. Im bibliographischen Teil werden bei Personenartikeln Werke und Sekundärliteratur getrennt aufgeführt. Unter Schelling folgt den Gesamtausgaben eine Auswahl von Einzelausgaben des 20. Jh. Da diese Ausgaben chronologisch geordnet sind, wird z.B. die Schrift Über das Wesen der menschlichen Freiheit mit verschiedenen Herausgebern an zwei Stellen genannt. Die Sekundärliteratur ist nach dem Alphabet der Verfasser, Herausgeber oder Sachtitel verzeichnet. Zitiert wird überwiegend Literatur neueren Datums, zum Teil schon von 1995. Die Einrichtung des bibliographischen Apparats ist nicht immer konsequent durchgeführt, gelegentlich fällt er zu üppig aus. Im Unterschied zu Philosophie, praktische wird unter Philosophie, theoretische ohne ersichtlichen Grund auf jede Literaturangabe verzichtet. Im Eintrag Petrarca mit gut 1 Sp. darstellendem Teil füllen die bibliographischen Angaben mehr als 2 Sp. Unter Platon steht 10 Sp. Darstellung ein bibliographischer Teil von 9 Sp. gegenüber. Apparate diesen Umfanges sind unübersichtlich, zumal die Titelaufnahmen zu ausführlich geraten sind: Zwar werden die Initialen der Vornamen nicht aufgelöst, doch bis zu drei Erscheinungsorte ausgeschrieben (ohne dann freilich den Verlag zu nennen); Reihentitel, sämtliche Nachdrucke (auch der Übersetzungen) werden erschöpfend zitiert. Selbst einschlägige Lexika-Artikel werden noch aufgeführt. Trotz dieser extensiven Zitierweise zeigen Stichproben das Fehlen auch bibliographisch relevanter Literatur. Unter Philosophie ist sicher der seit 1984 erscheinende Informationsdienst Philosophie, hrsg. vom Sondersammelgebiet Philosophie der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg zu ergänzen, unter Schelling ein Hinweis auf die Bibliographie von Breazeale[3] angebracht. Zu fordern wäre eine strengere Auswahl der Literatur oder deren kommentierende Präsentation; nützlich wäre ein Gesamtregister, geordnet nach Personen und Sachen, mit der zusammenfassenden Auflistung der Verweisungen unter den einzelnen Stichwörtern.

Die aufgeführten Mängel bei der Auswahl der Einträge wie bei der Balancierung von darstellendem und bibliographischem Teil machen einige Schwächen in der Konzeption des Werkes sichtbar; nicht alle Erwartungen, die durch Vorwort und Anlage der Enzyklopädie geweckt werden, lassen sich so erfüllen. Was zunächst als "kleines Lexikon der Philosophie" geplant war, aus dem - "aus Planungsmängeln und wachsendem Ehrgeiz" - ein "enzyklopädisches Wörterbuch" (1980, S. 8) werden sollte, präsentierte sich mit dem Erscheinen von Bd. 1 dann doch "eher wieder" als "ein Lexikon mit hoher Stichwörterzahl und überwiegend kurzen Einträgen" (1980, S. 5). Das ambitionierte Unternehmen geriet so zunehmend in den Spagat zwischen den Vorzügen lexikalischer Kurzinformation und enzyklopädischer Grundlagenreflexion, zusätzlich belastet mit dem Anspruch hoher bibliographischer Nachweisdichte. Im Vorwort werden die Autoren als "eine kleine Gruppe mit allen philosophischen und wissenschaftstheoretischen Wassern gewaschener Gelehrter (neuen Typs)" (S. 5) charakterisiert. Die Beschränkung auf einen kleinen Mitarbeiterkreis, der "nur von Fall zu Fall um einige Experten erweitert" (1980, S. 8) wird, entspricht durchaus dem Kalkül der Herausgeber: Zugunsten begrifflicher Konsistenz der Darstellungssprache wird der Kreis der Mitarbeiter beschränkt auf diejenigen, die sich der "Idee einer konstruktiven Philosophie und Wissenschaftstheorie" verpflichtet fühlen (1980, S. 8). Als namhafte Vertreter dieser Richtung sind neben dem Herausgeber zu nennen: C. F. Gethmann, F. Kambartel, K. Lorenz, K. Mainzer, O. Schwemmer. Dagegen wird das im angloamerikanischen Bereich geübte alternative Konzept einer heterogenen Gruppe vieler Spezialisten als im Ergebnis "dissonante Wiedergabe dissonanter Vielfalt" (1980, S. 8) brüsk verworfen.

Von den Schwächen in der Konzeption der Enzyklopädie unberührt bleibt freilich die sachgerechte und zuverlässige Darstellung der Themen im Einzelfall. So bildet die Enzyklopädie durch die Prävalenz der Bereiche Logik und Wissenschaftstheorie eine willkommene Ergänzung zum Historischen Wörterbuch der Philosophie[4] und zur Europäischen Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften.[5]


[1]
Vgl. ABUN in ZfBB 28 (1981),1, S. 61 - 62 und 31 (1984),2, S. 171 - 172. (zurück)
[2]
Beide Bände wurden 1995 vom neuen Verlag in einem (minimal) korrigierten Nachdruck herausgebracht. Wie vom Verlag zu erfahren ist, soll Bd. 1 nach Abschluß des Werkes mit Bd. 4 in einer völlig überarbeiteten und wesentlich erweiterten Neufassung erscheinen. [sh] (zurück)
[3]
English translations of Fichte, Schelling, and Hegel : an annotated bibliography / D. Breazeale. // In: Idealistic Studies, 6 (1976), S. 279 - 297. (zurück)
[4]
Historisches Wörterbuch der Philosophie / ... hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. - Basel : Schwabe. - 1 (1971) - . - Zuletzt: 9. Se - Sp. - 1995. (zurück)
[5]
Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften / hrsg. von Hans Jörg Sandkühler. - Hamburg : Meiner, 1990. - ISBN 3-7873-0983-7. - Bd. 1 - 4. (zurück)

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